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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Etwas über die Ära Cassirer

Ist es etwa heute anders? Vorläufig jedenfalls nicht; denn soeben erst
hat er seine Räume um ein Stockwerk vermehrt und nach wie vor pilgern an¬
dächtige Scharen zu jeder seiner Ausstellungen, nach wie vor gilt er als die
führende^ Persönlichkeit auf dem modernen Kunstmarkt. Ja, einen Erfolg, wie
er in den Annalen der Künstlerzünfte vielleicht einzig dasteht, hat er noch kürzlich
errungen: die Berliner Sezession hat ihn -- den Kunsthändler -- zu ihrem
Präsidenten erwählt. Die Tragweite eines derartigen Beschlusses -- fast von
der Bedeutung eines Staatsstreiches -- leuchtet wohl jedem ein, und so wenig
man von irgendeinem Standpunkte aus diesen Schritt einer hochangesehenen
Künstlervereinigung wird billigen können, so muß man doch darin ein beredtes
Zeugnis für das blinde Vertrauen erkennen, das alle dem Einfluß und der
Organisationskraft dieses Mannes entgegenbringen. Und der erste greifbare
Erfolg dieser Personalunion, die imposante Corinth-Ausstellung im Hause am
Kurfürstendamm, sollte eher zu einem begeisterten Lobgesang als zu einem
warnenden Unkenruf an die Adresse des Veranstalters verleiten.

Trotzdem bleibt freilich die Frage, ob Herr Cassirer dnrch die Erwerbung
dieses morschen Kolosses -- denn um einen solchen handelt es sich bei der
Sezession offenbar -- neben dem materiellen auch ein ideelles Verdienst zu ver¬
zeichnen haben wird, und das möchte man bezweifeln. Denn er begibt sich
damit, ob er will oder nicht, in eine konservierende Strömung, wie er sie selbst
so lange erfolgreich bekämpft hat, und fordert geradezu das Auftreten neuer
Persönlichkeiten heraus, die für die junge Generation einzutreten bereit sind, da
er selbst mit ängstlicher Hand das eben Gewesene zurückzuhalten und zu
sammeln sucht.

Alle Anzeichen sprechen dafür, daß der Cassirer von heute doch nicht mehr
ganz der von damals ist oder vielmehr, daß er es allzusehr geblieben ist. An seinen
Ausstellungen war immer etwas zu bemängeln: die Qualität der Bilder ließ
oft sehr zu wünschen übrig; man sah bei ihm häufig große Namen in Werken
vertreten, die nur enttäuschen konnten und die gerade das Gegenteil von dem
erreichten, was sie hätten bezwecken sollen; man sah neben den bedeutenden
Meistern kleine, klägliche Erscheinungen, die man herzlich gern entbehrt hätte,
und die offenbar nur deshalb ankamen, weil sie "auch" Franzosen waren, man
fand schließlich die Auswahl der deutschen Impressionisten bisweilen ungeschickt,
tendenziös. Aber man nahm doch eigentlich stets einige erfreuliche Eindrücke
mit. für deren Vermittlung man dankbar sein mußte. Daran wird es gewiß
auch in Zukunft nicht fehlen, nur sieht man plötzlich den berühmten roten Faden nicht
mehr, der zuerst so geschickt angesponnen wurde und später, wenn auch nicht
immer, so doch dann und wann sich aus dem Wirrwarr des Knäuels deutlich
abhob. "Wohin treiben wir?" Diese Frage legte man sich wiederholt vor,
als bei der Neueröffnung des Hauses im Oktober Herr Cassirer die rätselhafte
Verheißung machte, von jetzt an werde es bei ihm ganz anders aussehen
als zuvor, und als dann Kollektivum vom biederen Kalckreuth, Brockhusen,


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Etwas über die Ära Cassirer

Ist es etwa heute anders? Vorläufig jedenfalls nicht; denn soeben erst
hat er seine Räume um ein Stockwerk vermehrt und nach wie vor pilgern an¬
dächtige Scharen zu jeder seiner Ausstellungen, nach wie vor gilt er als die
führende^ Persönlichkeit auf dem modernen Kunstmarkt. Ja, einen Erfolg, wie
er in den Annalen der Künstlerzünfte vielleicht einzig dasteht, hat er noch kürzlich
errungen: die Berliner Sezession hat ihn — den Kunsthändler — zu ihrem
Präsidenten erwählt. Die Tragweite eines derartigen Beschlusses — fast von
der Bedeutung eines Staatsstreiches — leuchtet wohl jedem ein, und so wenig
man von irgendeinem Standpunkte aus diesen Schritt einer hochangesehenen
Künstlervereinigung wird billigen können, so muß man doch darin ein beredtes
Zeugnis für das blinde Vertrauen erkennen, das alle dem Einfluß und der
Organisationskraft dieses Mannes entgegenbringen. Und der erste greifbare
Erfolg dieser Personalunion, die imposante Corinth-Ausstellung im Hause am
Kurfürstendamm, sollte eher zu einem begeisterten Lobgesang als zu einem
warnenden Unkenruf an die Adresse des Veranstalters verleiten.

Trotzdem bleibt freilich die Frage, ob Herr Cassirer dnrch die Erwerbung
dieses morschen Kolosses — denn um einen solchen handelt es sich bei der
Sezession offenbar — neben dem materiellen auch ein ideelles Verdienst zu ver¬
zeichnen haben wird, und das möchte man bezweifeln. Denn er begibt sich
damit, ob er will oder nicht, in eine konservierende Strömung, wie er sie selbst
so lange erfolgreich bekämpft hat, und fordert geradezu das Auftreten neuer
Persönlichkeiten heraus, die für die junge Generation einzutreten bereit sind, da
er selbst mit ängstlicher Hand das eben Gewesene zurückzuhalten und zu
sammeln sucht.

Alle Anzeichen sprechen dafür, daß der Cassirer von heute doch nicht mehr
ganz der von damals ist oder vielmehr, daß er es allzusehr geblieben ist. An seinen
Ausstellungen war immer etwas zu bemängeln: die Qualität der Bilder ließ
oft sehr zu wünschen übrig; man sah bei ihm häufig große Namen in Werken
vertreten, die nur enttäuschen konnten und die gerade das Gegenteil von dem
erreichten, was sie hätten bezwecken sollen; man sah neben den bedeutenden
Meistern kleine, klägliche Erscheinungen, die man herzlich gern entbehrt hätte,
und die offenbar nur deshalb ankamen, weil sie „auch" Franzosen waren, man
fand schließlich die Auswahl der deutschen Impressionisten bisweilen ungeschickt,
tendenziös. Aber man nahm doch eigentlich stets einige erfreuliche Eindrücke
mit. für deren Vermittlung man dankbar sein mußte. Daran wird es gewiß
auch in Zukunft nicht fehlen, nur sieht man plötzlich den berühmten roten Faden nicht
mehr, der zuerst so geschickt angesponnen wurde und später, wenn auch nicht
immer, so doch dann und wann sich aus dem Wirrwarr des Knäuels deutlich
abhob. „Wohin treiben wir?" Diese Frage legte man sich wiederholt vor,
als bei der Neueröffnung des Hauses im Oktober Herr Cassirer die rätselhafte
Verheißung machte, von jetzt an werde es bei ihm ganz anders aussehen
als zuvor, und als dann Kollektivum vom biederen Kalckreuth, Brockhusen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/391>, abgerufen am 03.07.2024.