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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

kommst nicht? -- Muß ich das glauben? Kann ich es fassen so unmittelbar
vor der Erfüllung?

Ich hatte schon alles so hübsch vorbereitet. Schon wußte ich, was an den
einzelnen Tagen, was in jeder Stunde durchlebt werden sollte, und nun bleibst
Du daheim, und ich ahne nicht einmal, warum das so sein muß. -- Muß
es denn wirklich? -- "Es gibt eine Überraschung," schreibst Du. Weshalb
sagst Dus nicht glatt heraus? -- Ich ahne und fürchte, daß ich auf der rechten
Spur bin. Ich will Dirs sagen: Du willst Dich verloben, Cunz. Ist es nicht
so? Ich fühle, es ist nicht anders; es kann gar nicht anders sein. Sonst
schreibt man nicht so. wie Du getan hast. -- Und wenns nun geschieht, lieber
Junge, so will ich Dich segnen und alles Glück vom Himmel auf Dich herab¬
flehen; aber das andere weiß ich dann auch: mir bist Du verloren. -- Liebe
zum Weibe und Freundschaft zum Manne I -- Welche von beiden Gewalten
die stärkere ist. dafür haben wir der Beispiele genug.

Dann sitze ich Einsamer hier ganz verlassen. Ich werde Dir schreiben
nach wie vor; aber Deine Antworten werden kürzer sein. Du wirst nicht mehr
das Bedürfnis haben, so auf mich einzugehen wie jetzt. Die Briefe werden
spärlicher kommen und eines guten oder bösen Tages ganz fortbleiben. -- Das
werd ich ertragen und mich fassen müssen. --

Verzeih mir, Cunz, daß ich Dir meine Seele so ganz offen enthülle. Wenn
Du den Neid herausspürst auf die, der von nun an der größere Teil Deines
Herzens gehören wird, so seis immerhin. Ich mag nicht vor Dir dastehen
als ein selbstloser, wenn ich es doch einmal nicht bin. Ehrlich wenigstens
will ich sein.

Aber, mein Gott, ich schwatze, als wäre bereits vollendet, was nur erst
in meiner furchtsamen Phantasie lebt. -- Ist es vielleicht doch anders? --
Schreibe mir alles! Ich will abwarten und geduldig sein.---

Annas Angelegenheit scheint sich glatter zu entwickeln, als ich und sie
erwartet hatten. Sie hat sich den Alten mutig entdeckt. Der Vater ist anfangs
knurrig gewesen. Der verdammte Korrektor, hat er gesagt, verdrehe ihr den
Kopf, und er sehe nicht ab, wo das hinaus solle. Der Fritze Adlers sei ein
nüchterner und fleißiger Kerl. Die Ackerbürgern, die er vom Vater geerbt
habe, sei nicht groß, aber sie werde ihr reichlich Brot haben bei ihm und gut
zuwege sein. Daß sie den Fritze nicht lieb haben kann, versteht er nicht. Das
ist ihm eine grenzenlos alberne Phantasterei. Sie solle sich keine Raupen im
Gehirn wachsen lassen. Am Ende werde ihm der Paul auch noch mal mit
ähnlichem Blödsinn kommen, hat er gemeint.

Anna ist im heimlichen Bunde mit der Mutter ebenso ruhig wie bestimmt
geblieben. Aus ihr und Fritze Adlers werde nun mal nichts, hat sie standhaft
glatt heraus erklärt. Und wenns mit dem Lernen auch nichts werden könne,
dann müsse es unterbleiben; aber den Burschen, den nehme sie nicht. Der sei
jähzornig, und sie fürchte sich vor ihm. -- Der Alte hat vor Staunen über


Briefe aus Trebeldorf

kommst nicht? — Muß ich das glauben? Kann ich es fassen so unmittelbar
vor der Erfüllung?

Ich hatte schon alles so hübsch vorbereitet. Schon wußte ich, was an den
einzelnen Tagen, was in jeder Stunde durchlebt werden sollte, und nun bleibst
Du daheim, und ich ahne nicht einmal, warum das so sein muß. — Muß
es denn wirklich? — „Es gibt eine Überraschung," schreibst Du. Weshalb
sagst Dus nicht glatt heraus? — Ich ahne und fürchte, daß ich auf der rechten
Spur bin. Ich will Dirs sagen: Du willst Dich verloben, Cunz. Ist es nicht
so? Ich fühle, es ist nicht anders; es kann gar nicht anders sein. Sonst
schreibt man nicht so. wie Du getan hast. — Und wenns nun geschieht, lieber
Junge, so will ich Dich segnen und alles Glück vom Himmel auf Dich herab¬
flehen; aber das andere weiß ich dann auch: mir bist Du verloren. — Liebe
zum Weibe und Freundschaft zum Manne I — Welche von beiden Gewalten
die stärkere ist. dafür haben wir der Beispiele genug.

Dann sitze ich Einsamer hier ganz verlassen. Ich werde Dir schreiben
nach wie vor; aber Deine Antworten werden kürzer sein. Du wirst nicht mehr
das Bedürfnis haben, so auf mich einzugehen wie jetzt. Die Briefe werden
spärlicher kommen und eines guten oder bösen Tages ganz fortbleiben. — Das
werd ich ertragen und mich fassen müssen. —

Verzeih mir, Cunz, daß ich Dir meine Seele so ganz offen enthülle. Wenn
Du den Neid herausspürst auf die, der von nun an der größere Teil Deines
Herzens gehören wird, so seis immerhin. Ich mag nicht vor Dir dastehen
als ein selbstloser, wenn ich es doch einmal nicht bin. Ehrlich wenigstens
will ich sein.

Aber, mein Gott, ich schwatze, als wäre bereits vollendet, was nur erst
in meiner furchtsamen Phantasie lebt. — Ist es vielleicht doch anders? —
Schreibe mir alles! Ich will abwarten und geduldig sein.---

Annas Angelegenheit scheint sich glatter zu entwickeln, als ich und sie
erwartet hatten. Sie hat sich den Alten mutig entdeckt. Der Vater ist anfangs
knurrig gewesen. Der verdammte Korrektor, hat er gesagt, verdrehe ihr den
Kopf, und er sehe nicht ab, wo das hinaus solle. Der Fritze Adlers sei ein
nüchterner und fleißiger Kerl. Die Ackerbürgern, die er vom Vater geerbt
habe, sei nicht groß, aber sie werde ihr reichlich Brot haben bei ihm und gut
zuwege sein. Daß sie den Fritze nicht lieb haben kann, versteht er nicht. Das
ist ihm eine grenzenlos alberne Phantasterei. Sie solle sich keine Raupen im
Gehirn wachsen lassen. Am Ende werde ihm der Paul auch noch mal mit
ähnlichem Blödsinn kommen, hat er gemeint.

Anna ist im heimlichen Bunde mit der Mutter ebenso ruhig wie bestimmt
geblieben. Aus ihr und Fritze Adlers werde nun mal nichts, hat sie standhaft
glatt heraus erklärt. Und wenns mit dem Lernen auch nichts werden könne,
dann müsse es unterbleiben; aber den Burschen, den nehme sie nicht. Der sei
jähzornig, und sie fürchte sich vor ihm. — Der Alte hat vor Staunen über


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[0387] Briefe aus Trebeldorf kommst nicht? — Muß ich das glauben? Kann ich es fassen so unmittelbar vor der Erfüllung? Ich hatte schon alles so hübsch vorbereitet. Schon wußte ich, was an den einzelnen Tagen, was in jeder Stunde durchlebt werden sollte, und nun bleibst Du daheim, und ich ahne nicht einmal, warum das so sein muß. — Muß es denn wirklich? — „Es gibt eine Überraschung," schreibst Du. Weshalb sagst Dus nicht glatt heraus? — Ich ahne und fürchte, daß ich auf der rechten Spur bin. Ich will Dirs sagen: Du willst Dich verloben, Cunz. Ist es nicht so? Ich fühle, es ist nicht anders; es kann gar nicht anders sein. Sonst schreibt man nicht so. wie Du getan hast. — Und wenns nun geschieht, lieber Junge, so will ich Dich segnen und alles Glück vom Himmel auf Dich herab¬ flehen; aber das andere weiß ich dann auch: mir bist Du verloren. — Liebe zum Weibe und Freundschaft zum Manne I — Welche von beiden Gewalten die stärkere ist. dafür haben wir der Beispiele genug. Dann sitze ich Einsamer hier ganz verlassen. Ich werde Dir schreiben nach wie vor; aber Deine Antworten werden kürzer sein. Du wirst nicht mehr das Bedürfnis haben, so auf mich einzugehen wie jetzt. Die Briefe werden spärlicher kommen und eines guten oder bösen Tages ganz fortbleiben. — Das werd ich ertragen und mich fassen müssen. — Verzeih mir, Cunz, daß ich Dir meine Seele so ganz offen enthülle. Wenn Du den Neid herausspürst auf die, der von nun an der größere Teil Deines Herzens gehören wird, so seis immerhin. Ich mag nicht vor Dir dastehen als ein selbstloser, wenn ich es doch einmal nicht bin. Ehrlich wenigstens will ich sein. Aber, mein Gott, ich schwatze, als wäre bereits vollendet, was nur erst in meiner furchtsamen Phantasie lebt. — Ist es vielleicht doch anders? — Schreibe mir alles! Ich will abwarten und geduldig sein.--- Annas Angelegenheit scheint sich glatter zu entwickeln, als ich und sie erwartet hatten. Sie hat sich den Alten mutig entdeckt. Der Vater ist anfangs knurrig gewesen. Der verdammte Korrektor, hat er gesagt, verdrehe ihr den Kopf, und er sehe nicht ab, wo das hinaus solle. Der Fritze Adlers sei ein nüchterner und fleißiger Kerl. Die Ackerbürgern, die er vom Vater geerbt habe, sei nicht groß, aber sie werde ihr reichlich Brot haben bei ihm und gut zuwege sein. Daß sie den Fritze nicht lieb haben kann, versteht er nicht. Das ist ihm eine grenzenlos alberne Phantasterei. Sie solle sich keine Raupen im Gehirn wachsen lassen. Am Ende werde ihm der Paul auch noch mal mit ähnlichem Blödsinn kommen, hat er gemeint. Anna ist im heimlichen Bunde mit der Mutter ebenso ruhig wie bestimmt geblieben. Aus ihr und Fritze Adlers werde nun mal nichts, hat sie standhaft glatt heraus erklärt. Und wenns mit dem Lernen auch nichts werden könne, dann müsse es unterbleiben; aber den Burschen, den nehme sie nicht. Der sei jähzornig, und sie fürchte sich vor ihm. — Der Alte hat vor Staunen über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/387>, abgerufen am 22.07.2024.