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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebcldorf

Der Bürgermeister hat sie durch einen Heiratsvermittler zur Ehehälfte bei¬
gesellt bekommen. -- In schöner, glatter, gelber Seide gleich einer Königin ist
sie in die erste Abendgesellschaft hineingerauscht, die das damals schon betagte
Pastorenpaar ihr zu Ehren veranstaltet hat. Nach allseitiger Vorstellung läßt
sie sich auf das Sofa nieder, breitet vor den entsetzten Augen der Pastorsleute
und der Geladenen die vollen Arme mit einem Bombentemperament weit aus¬
einander und jauchzt in entzückender Unbefangenheit: "Komm an mein Herz,
mein süßer, süßer Dicker!" -- Gehorsam wie ein Sklave stürzt der Bürger¬
meister auf seine Else-Musch zu, umschlingt sie in seliger Wonne, und ein
knallender Schmatz explodiert auf ihren Lippen. Man sagt, sie sei voll süßen
Weins gewesen. Man sagt auch, sie habe jeden Morgen mit Champagner
gegurgelt und sich mit Rüdesheimer gewaschen. Man sagt auch sonst noch
allerlei. Anders als in schöner, glatter, gelber Seide hat sie nie einer gesehen.

Als sie nach etwa drei Jahren eingegangen ist in das bessere Land, da
hat der Arzt als Todesursache äelirium Perpetuum festgestellt In schöner,
glatter, gelber Seide hat man die stolze Else-Musch in den Sarg gelegt.

"Sie waren einer des andern würdig," erklärte Seine Korpulenz, der
Tierarzt.

"Das waren sie," bestätigte Doktor Henschel. "Er trank, sie. tat des¬
gleichen. Das war der Unterschied."

Solche und ähnliche Geschichten erzählt man sich im Pipenklub. Wer
danach lüstern ist, kommt stets auf seine Rechnung. Ich habe deren nun vor¬
läufig genug vernommen.

Nach solchen Abenden hat immer mein Idyll seinen ganz besonderen Zauber.

Gestern war ich wieder dort. Paul ist von seinem Schmerzenslager auf¬
gestanden, aber er humpelt noch an zwei Stöcken herum. Bisweilen habe ich ihn
ganz allein angetroffen, wenn der Vater im Stalle oder draußen, die Frauen
in Küche oder Keller zu schaffen hatten. Manchmal war auch Anna da, und
dann war es am allerschönsten.

Es hat für mich einen eigenen Reiz, zu beobachten, wie dieses Mädchen
vor mir mehr und nichr alle Befangenheit verliert und zutraulicher wird. --
Wir sprechen von dem Meer, von den Bergen und von fremden Völkern. Wir
machen in unseren Gedanken Ausflüge in das Reich der Botanik und gelangen
wohl auch zu den Sternen, die droben am Himmel leuchtend stehen. Wir
wandern über die Planeten und kommen hinauf bis zur heiligen Sonne.

An allen diesen Dingen hat Anna einen ebenso lebhaften Anteil wie ihr
Bruder. Von den häßlichen Stadtgeschichten aber, die sonst hier einzig die
Gemüter bewegen, mag sie nichts wissen.

Oft sitzt sie eine Weile mit verträumten Augen ganz still. Dann sehe ich
deutlich, wie es plötzlich in ihr aufleuchtet, und sie kommt mit dieser oder jener
zutreffenden Bemerkung in ernstem oder komischem Ton oder mit einer Frage
heraus. Das ist immer sinnreich und klug. Es ist eine glückliche Mischung


Briefe aus Trebcldorf

Der Bürgermeister hat sie durch einen Heiratsvermittler zur Ehehälfte bei¬
gesellt bekommen. — In schöner, glatter, gelber Seide gleich einer Königin ist
sie in die erste Abendgesellschaft hineingerauscht, die das damals schon betagte
Pastorenpaar ihr zu Ehren veranstaltet hat. Nach allseitiger Vorstellung läßt
sie sich auf das Sofa nieder, breitet vor den entsetzten Augen der Pastorsleute
und der Geladenen die vollen Arme mit einem Bombentemperament weit aus¬
einander und jauchzt in entzückender Unbefangenheit: „Komm an mein Herz,
mein süßer, süßer Dicker!" — Gehorsam wie ein Sklave stürzt der Bürger¬
meister auf seine Else-Musch zu, umschlingt sie in seliger Wonne, und ein
knallender Schmatz explodiert auf ihren Lippen. Man sagt, sie sei voll süßen
Weins gewesen. Man sagt auch, sie habe jeden Morgen mit Champagner
gegurgelt und sich mit Rüdesheimer gewaschen. Man sagt auch sonst noch
allerlei. Anders als in schöner, glatter, gelber Seide hat sie nie einer gesehen.

Als sie nach etwa drei Jahren eingegangen ist in das bessere Land, da
hat der Arzt als Todesursache äelirium Perpetuum festgestellt In schöner,
glatter, gelber Seide hat man die stolze Else-Musch in den Sarg gelegt.

„Sie waren einer des andern würdig," erklärte Seine Korpulenz, der
Tierarzt.

„Das waren sie," bestätigte Doktor Henschel. „Er trank, sie. tat des¬
gleichen. Das war der Unterschied."

Solche und ähnliche Geschichten erzählt man sich im Pipenklub. Wer
danach lüstern ist, kommt stets auf seine Rechnung. Ich habe deren nun vor¬
läufig genug vernommen.

Nach solchen Abenden hat immer mein Idyll seinen ganz besonderen Zauber.

Gestern war ich wieder dort. Paul ist von seinem Schmerzenslager auf¬
gestanden, aber er humpelt noch an zwei Stöcken herum. Bisweilen habe ich ihn
ganz allein angetroffen, wenn der Vater im Stalle oder draußen, die Frauen
in Küche oder Keller zu schaffen hatten. Manchmal war auch Anna da, und
dann war es am allerschönsten.

Es hat für mich einen eigenen Reiz, zu beobachten, wie dieses Mädchen
vor mir mehr und nichr alle Befangenheit verliert und zutraulicher wird. —
Wir sprechen von dem Meer, von den Bergen und von fremden Völkern. Wir
machen in unseren Gedanken Ausflüge in das Reich der Botanik und gelangen
wohl auch zu den Sternen, die droben am Himmel leuchtend stehen. Wir
wandern über die Planeten und kommen hinauf bis zur heiligen Sonne.

An allen diesen Dingen hat Anna einen ebenso lebhaften Anteil wie ihr
Bruder. Von den häßlichen Stadtgeschichten aber, die sonst hier einzig die
Gemüter bewegen, mag sie nichts wissen.

Oft sitzt sie eine Weile mit verträumten Augen ganz still. Dann sehe ich
deutlich, wie es plötzlich in ihr aufleuchtet, und sie kommt mit dieser oder jener
zutreffenden Bemerkung in ernstem oder komischem Ton oder mit einer Frage
heraus. Das ist immer sinnreich und klug. Es ist eine glückliche Mischung


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[0384] Briefe aus Trebcldorf Der Bürgermeister hat sie durch einen Heiratsvermittler zur Ehehälfte bei¬ gesellt bekommen. — In schöner, glatter, gelber Seide gleich einer Königin ist sie in die erste Abendgesellschaft hineingerauscht, die das damals schon betagte Pastorenpaar ihr zu Ehren veranstaltet hat. Nach allseitiger Vorstellung läßt sie sich auf das Sofa nieder, breitet vor den entsetzten Augen der Pastorsleute und der Geladenen die vollen Arme mit einem Bombentemperament weit aus¬ einander und jauchzt in entzückender Unbefangenheit: „Komm an mein Herz, mein süßer, süßer Dicker!" — Gehorsam wie ein Sklave stürzt der Bürger¬ meister auf seine Else-Musch zu, umschlingt sie in seliger Wonne, und ein knallender Schmatz explodiert auf ihren Lippen. Man sagt, sie sei voll süßen Weins gewesen. Man sagt auch, sie habe jeden Morgen mit Champagner gegurgelt und sich mit Rüdesheimer gewaschen. Man sagt auch sonst noch allerlei. Anders als in schöner, glatter, gelber Seide hat sie nie einer gesehen. Als sie nach etwa drei Jahren eingegangen ist in das bessere Land, da hat der Arzt als Todesursache äelirium Perpetuum festgestellt In schöner, glatter, gelber Seide hat man die stolze Else-Musch in den Sarg gelegt. „Sie waren einer des andern würdig," erklärte Seine Korpulenz, der Tierarzt. „Das waren sie," bestätigte Doktor Henschel. „Er trank, sie. tat des¬ gleichen. Das war der Unterschied." Solche und ähnliche Geschichten erzählt man sich im Pipenklub. Wer danach lüstern ist, kommt stets auf seine Rechnung. Ich habe deren nun vor¬ läufig genug vernommen. Nach solchen Abenden hat immer mein Idyll seinen ganz besonderen Zauber. Gestern war ich wieder dort. Paul ist von seinem Schmerzenslager auf¬ gestanden, aber er humpelt noch an zwei Stöcken herum. Bisweilen habe ich ihn ganz allein angetroffen, wenn der Vater im Stalle oder draußen, die Frauen in Küche oder Keller zu schaffen hatten. Manchmal war auch Anna da, und dann war es am allerschönsten. Es hat für mich einen eigenen Reiz, zu beobachten, wie dieses Mädchen vor mir mehr und nichr alle Befangenheit verliert und zutraulicher wird. — Wir sprechen von dem Meer, von den Bergen und von fremden Völkern. Wir machen in unseren Gedanken Ausflüge in das Reich der Botanik und gelangen wohl auch zu den Sternen, die droben am Himmel leuchtend stehen. Wir wandern über die Planeten und kommen hinauf bis zur heiligen Sonne. An allen diesen Dingen hat Anna einen ebenso lebhaften Anteil wie ihr Bruder. Von den häßlichen Stadtgeschichten aber, die sonst hier einzig die Gemüter bewegen, mag sie nichts wissen. Oft sitzt sie eine Weile mit verträumten Augen ganz still. Dann sehe ich deutlich, wie es plötzlich in ihr aufleuchtet, und sie kommt mit dieser oder jener zutreffenden Bemerkung in ernstem oder komischem Ton oder mit einer Frage heraus. Das ist immer sinnreich und klug. Es ist eine glückliche Mischung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/384>, abgerufen am 24.08.2024.