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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trcbeldorf

Der Einzug freilich, den hier vor fünfzehn Jahren der Bürgermeister
gehalten hat, steht einzig da als eine der denkwürdigsten Tatsachen der Welt¬
geschichte.

Er schickt eine Drahtmeldung voraus, daß er am festgesetzten Tage des
Nachmittags um vier Uhr mit der kaiserlichen Reichspost eintrifft. "Tausend
fleißige Hände regen, helfen sich in munterm Bund." Das ganze Städtchen
leuchtet im Festgewand, alle Häuser sind beflaggt und bewimpelt, der Schul¬
unterricht ist für den vollen Tag ausgesetzt, feierlich läuten die Glocken ihren
Empfangsgruß; kurz, ganz Trcbeldorf ist ein Trubeldorf.

Bei Holzberg ist das Ehrenmahl gerüstet. Die Guts- und Ritterguts¬
besitzer mit und ohne "von" sind geladen aus der ganzen Umgegend. Ein
glänzender Ball soll stattfinden. Die Damen machen große Toilette, und der
Magistrat steht schwarz befrackt und weiß behandschuht vollzählig und pünktlich
am Tore.

Auf goldbesticktem Sammetkissen hält der älteste Senator die Schlüssel der
Stadt, um sie nach altehrwürdigen Brauch dem neuen Oberhaupt mit einer
Ansprache zu überreichen. Beklommen trippelt er von einem Fuß auf den
andern, und Angsttropfen stehen auf seiner Stirn.

Da schlägt es vier Uhr. Gleich darauf rumpelt die Postkutsche in das
Tor. Sie hält an. Ein feierlicher Choral, von der Schuljugend gesungen,
braust durch die sonnenklare Luft zum Himmel empor. Der Senator primanus
tritt dicht an den Wagen heran und redet in das eine der geöffneten Fenster hinein.

Aus dem anderen schaut mit dem Ausdruck maßlosen Erstaunens eine
runzelige alte Frau. Sie weiß nicht, was sie aus der Sache machen soll.
Einen Augenblick geht ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann aber, als sie sich
weiter hinauslehnt und das ungeheure Menschengewühl erst richtig überblickt,
wird sie von gräßlicher Angst gepackt. Mit einem Ruck stößt sie von innen die
Tür hinten am Wagen auf. Ein Sprung hinaus, und fort ist sie. In fliegender
Hast stürzt sie links um die Ecke an der äußeren Stadtmauer davon. Sie denkt,
die Leute in Trebeldorf find samt und sonders verrückt geworden, denn sie hat
keine Ahnung, daß das alles dem Bürgermeister gelten soll, und daß das der
Mann ist, der bis vor einer Meile etwa mit ihr zusammen im Wagen gesessen
und geschnarcht hat. Dann ist er, von einem inneren Drange getrieben, während
der langsamen Fahrt plötzlich ausgestiegen und nicht wiedergekommen. Er hat
zwar dem Postillon zugerufen, er solle in noch gemäßigteren Tempo weiter¬
fahren. Der aber hat gar nichts gemerkt und besitzt keine entfernte Wissenschaft
davon, daß sein Passagier nicht mehr im Kasten hockt.

Festmahl und Ball haben trotzdem stattgefunden. Der Bürgermeister aber
hat erst sein Räuschlein im Dorfkruge überschlummert und ist am nächsten
Morgen still und beschämt zu Fuß nachgekommen. -- Das war der erste Streich.

Auch das Geheimnis von der Elfe - Musch hat sich mir mitten im
Qualmgewölk des Pipenklubs entschleiert.


Briefe aus Trcbeldorf

Der Einzug freilich, den hier vor fünfzehn Jahren der Bürgermeister
gehalten hat, steht einzig da als eine der denkwürdigsten Tatsachen der Welt¬
geschichte.

Er schickt eine Drahtmeldung voraus, daß er am festgesetzten Tage des
Nachmittags um vier Uhr mit der kaiserlichen Reichspost eintrifft. „Tausend
fleißige Hände regen, helfen sich in munterm Bund." Das ganze Städtchen
leuchtet im Festgewand, alle Häuser sind beflaggt und bewimpelt, der Schul¬
unterricht ist für den vollen Tag ausgesetzt, feierlich läuten die Glocken ihren
Empfangsgruß; kurz, ganz Trcbeldorf ist ein Trubeldorf.

Bei Holzberg ist das Ehrenmahl gerüstet. Die Guts- und Ritterguts¬
besitzer mit und ohne „von" sind geladen aus der ganzen Umgegend. Ein
glänzender Ball soll stattfinden. Die Damen machen große Toilette, und der
Magistrat steht schwarz befrackt und weiß behandschuht vollzählig und pünktlich
am Tore.

Auf goldbesticktem Sammetkissen hält der älteste Senator die Schlüssel der
Stadt, um sie nach altehrwürdigen Brauch dem neuen Oberhaupt mit einer
Ansprache zu überreichen. Beklommen trippelt er von einem Fuß auf den
andern, und Angsttropfen stehen auf seiner Stirn.

Da schlägt es vier Uhr. Gleich darauf rumpelt die Postkutsche in das
Tor. Sie hält an. Ein feierlicher Choral, von der Schuljugend gesungen,
braust durch die sonnenklare Luft zum Himmel empor. Der Senator primanus
tritt dicht an den Wagen heran und redet in das eine der geöffneten Fenster hinein.

Aus dem anderen schaut mit dem Ausdruck maßlosen Erstaunens eine
runzelige alte Frau. Sie weiß nicht, was sie aus der Sache machen soll.
Einen Augenblick geht ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann aber, als sie sich
weiter hinauslehnt und das ungeheure Menschengewühl erst richtig überblickt,
wird sie von gräßlicher Angst gepackt. Mit einem Ruck stößt sie von innen die
Tür hinten am Wagen auf. Ein Sprung hinaus, und fort ist sie. In fliegender
Hast stürzt sie links um die Ecke an der äußeren Stadtmauer davon. Sie denkt,
die Leute in Trebeldorf find samt und sonders verrückt geworden, denn sie hat
keine Ahnung, daß das alles dem Bürgermeister gelten soll, und daß das der
Mann ist, der bis vor einer Meile etwa mit ihr zusammen im Wagen gesessen
und geschnarcht hat. Dann ist er, von einem inneren Drange getrieben, während
der langsamen Fahrt plötzlich ausgestiegen und nicht wiedergekommen. Er hat
zwar dem Postillon zugerufen, er solle in noch gemäßigteren Tempo weiter¬
fahren. Der aber hat gar nichts gemerkt und besitzt keine entfernte Wissenschaft
davon, daß sein Passagier nicht mehr im Kasten hockt.

Festmahl und Ball haben trotzdem stattgefunden. Der Bürgermeister aber
hat erst sein Räuschlein im Dorfkruge überschlummert und ist am nächsten
Morgen still und beschämt zu Fuß nachgekommen. — Das war der erste Streich.

Auch das Geheimnis von der Elfe - Musch hat sich mir mitten im
Qualmgewölk des Pipenklubs entschleiert.


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[0383] Briefe aus Trcbeldorf Der Einzug freilich, den hier vor fünfzehn Jahren der Bürgermeister gehalten hat, steht einzig da als eine der denkwürdigsten Tatsachen der Welt¬ geschichte. Er schickt eine Drahtmeldung voraus, daß er am festgesetzten Tage des Nachmittags um vier Uhr mit der kaiserlichen Reichspost eintrifft. „Tausend fleißige Hände regen, helfen sich in munterm Bund." Das ganze Städtchen leuchtet im Festgewand, alle Häuser sind beflaggt und bewimpelt, der Schul¬ unterricht ist für den vollen Tag ausgesetzt, feierlich läuten die Glocken ihren Empfangsgruß; kurz, ganz Trcbeldorf ist ein Trubeldorf. Bei Holzberg ist das Ehrenmahl gerüstet. Die Guts- und Ritterguts¬ besitzer mit und ohne „von" sind geladen aus der ganzen Umgegend. Ein glänzender Ball soll stattfinden. Die Damen machen große Toilette, und der Magistrat steht schwarz befrackt und weiß behandschuht vollzählig und pünktlich am Tore. Auf goldbesticktem Sammetkissen hält der älteste Senator die Schlüssel der Stadt, um sie nach altehrwürdigen Brauch dem neuen Oberhaupt mit einer Ansprache zu überreichen. Beklommen trippelt er von einem Fuß auf den andern, und Angsttropfen stehen auf seiner Stirn. Da schlägt es vier Uhr. Gleich darauf rumpelt die Postkutsche in das Tor. Sie hält an. Ein feierlicher Choral, von der Schuljugend gesungen, braust durch die sonnenklare Luft zum Himmel empor. Der Senator primanus tritt dicht an den Wagen heran und redet in das eine der geöffneten Fenster hinein. Aus dem anderen schaut mit dem Ausdruck maßlosen Erstaunens eine runzelige alte Frau. Sie weiß nicht, was sie aus der Sache machen soll. Einen Augenblick geht ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann aber, als sie sich weiter hinauslehnt und das ungeheure Menschengewühl erst richtig überblickt, wird sie von gräßlicher Angst gepackt. Mit einem Ruck stößt sie von innen die Tür hinten am Wagen auf. Ein Sprung hinaus, und fort ist sie. In fliegender Hast stürzt sie links um die Ecke an der äußeren Stadtmauer davon. Sie denkt, die Leute in Trebeldorf find samt und sonders verrückt geworden, denn sie hat keine Ahnung, daß das alles dem Bürgermeister gelten soll, und daß das der Mann ist, der bis vor einer Meile etwa mit ihr zusammen im Wagen gesessen und geschnarcht hat. Dann ist er, von einem inneren Drange getrieben, während der langsamen Fahrt plötzlich ausgestiegen und nicht wiedergekommen. Er hat zwar dem Postillon zugerufen, er solle in noch gemäßigteren Tempo weiter¬ fahren. Der aber hat gar nichts gemerkt und besitzt keine entfernte Wissenschaft davon, daß sein Passagier nicht mehr im Kasten hockt. Festmahl und Ball haben trotzdem stattgefunden. Der Bürgermeister aber hat erst sein Räuschlein im Dorfkruge überschlummert und ist am nächsten Morgen still und beschämt zu Fuß nachgekommen. — Das war der erste Streich. Auch das Geheimnis von der Elfe - Musch hat sich mir mitten im Qualmgewölk des Pipenklubs entschleiert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/383>, abgerufen am 22.07.2024.