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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Für oder wider die innere Kolonisation?

Ende 1912 insgesamt 29716 Hektar Domänen zu Besiedlungszwecken bereit
gestellt worden. Die Angaben von 1912 lassen im Vergleich zum Vorjahre
deutlich erkennen, daß sich die Domänenverwaltung die Förderung der inneren
Kolonisation durch Abgabe von Domänen neuerdings in erhöhtem Maße an¬
gelegen sein läßt. Im Vorjahre wurden 24 Domänen einschließlich derjenigen
für die noch die allerhöchste Genehmigung fehlt, zur Verfügung gestellt. Selbst¬
verständlich kann in dem Umfange nicht alljährlich abgegeben werden, aber
jedenfalls beweist doch das Vorgehen der Staatsregierung, daß sie ernstlich
gewillt ist auch von feiten der Domänenverwaltung aus das Werk der inneren
Kolonisation durch Landhergabe nach besten Kräften zu unterstützen.

Der in Gegenwart des Kaisers an den Landwirtschaftsminister gerichtete
Appell bedeutet also nichts anderes, als die im Flusse befindliche Bewegung
zurückzuschrauben. Anhänger der inneren Kolonisation sind froh darüber,
wenn -- im Bilde gesprochen -- die Bahnstrecke und Gleisanlagen der inneren
Kolonisation stetig weiter ausgebaut werden, Herrn von Oldenburgs einzige
Sorge geht dahin, wirksame Bremsvorrichtungen und Haltesignale aufzustellen.
Anders konnten und sollten wohl seine Ausführungen nicht gedacht sein.

Herr von Oldenburg scheint die rein wirtschaftliche Bedeutung der inneren
Kolonisation in Zweifel zu ziehen, trotz der klaren Ausführungen Professor Serings.
Einwandsfrei steht aber doch fest, daß die Vermehrung der Landbevölkerung
und die Steigerung des Viehbestandes unmittelbar nach der Aufteilung in
Erscheinung treten. Wir verweisen beispielsweise auf amtliche Zusammen¬
stellungen, die in dieser Beziehung die Wirkungen der Siedlungstätigkeit inner¬
halb der bisher ausgeteilten Güter des Kreises Osterode in Ostpreußen zahlen¬
mäßig erläutern. Während auf den ehemaligen Gütern 393 Familien lebten,
zählen die neuen Bauerngemeinden 684 Familien. Die Aufteilung bedeutet
also für den Kreis einen Zuwachs von rund 300 mit der Scholle verbundenen
Familien. Der Viehstand hat durch die Begründung neuer Bauerngemeinden
ungefähr eine Verdoppelung erfahren. Der Rindviehbestand vermehrte sich
von 1330 auf 2172, der Schweinebestand von 1346 auf 3610. Auch der
Pferdebestand weist eine erhebliche Vermehrung auf. Nur der Schafbestand
verringerte sich naturgemäß. Es handelt sich bei dieser Zusammenstellung, die
übrigens im letzten Dezemberheft des Archives veröffentlicht ist, nicht um eine
einzelne Ansiedlung, sondern um sieben verschiedene Kolonien. Also um ein
Durchschnittsbild. Die Behauptung des Herrn von Oldenburg, wenn die Vieh-
Produktion gesteigert würde, müsse naturgemäß die Getreideproduktion leiden,
ist durchaus nicht erwiesen. Im Gegenteil, Erfahrungen der inneren Koloni¬
sation stehen dem durchaus entgegen. In dem vorerwähnten Archiv für innere
Kolonisation (Band III Heft 1) behandelte Herr Regierungsrat Rail-Kolberg
in sehr eingehender Weise die Umwandlung des Rittergutes Rützow i. Poa.
in eine Bauerngemeinve. sein Gesamturteil am Schlüsse dahin zusammen¬
fassend :


Für oder wider die innere Kolonisation?

Ende 1912 insgesamt 29716 Hektar Domänen zu Besiedlungszwecken bereit
gestellt worden. Die Angaben von 1912 lassen im Vergleich zum Vorjahre
deutlich erkennen, daß sich die Domänenverwaltung die Förderung der inneren
Kolonisation durch Abgabe von Domänen neuerdings in erhöhtem Maße an¬
gelegen sein läßt. Im Vorjahre wurden 24 Domänen einschließlich derjenigen
für die noch die allerhöchste Genehmigung fehlt, zur Verfügung gestellt. Selbst¬
verständlich kann in dem Umfange nicht alljährlich abgegeben werden, aber
jedenfalls beweist doch das Vorgehen der Staatsregierung, daß sie ernstlich
gewillt ist auch von feiten der Domänenverwaltung aus das Werk der inneren
Kolonisation durch Landhergabe nach besten Kräften zu unterstützen.

Der in Gegenwart des Kaisers an den Landwirtschaftsminister gerichtete
Appell bedeutet also nichts anderes, als die im Flusse befindliche Bewegung
zurückzuschrauben. Anhänger der inneren Kolonisation sind froh darüber,
wenn — im Bilde gesprochen — die Bahnstrecke und Gleisanlagen der inneren
Kolonisation stetig weiter ausgebaut werden, Herrn von Oldenburgs einzige
Sorge geht dahin, wirksame Bremsvorrichtungen und Haltesignale aufzustellen.
Anders konnten und sollten wohl seine Ausführungen nicht gedacht sein.

Herr von Oldenburg scheint die rein wirtschaftliche Bedeutung der inneren
Kolonisation in Zweifel zu ziehen, trotz der klaren Ausführungen Professor Serings.
Einwandsfrei steht aber doch fest, daß die Vermehrung der Landbevölkerung
und die Steigerung des Viehbestandes unmittelbar nach der Aufteilung in
Erscheinung treten. Wir verweisen beispielsweise auf amtliche Zusammen¬
stellungen, die in dieser Beziehung die Wirkungen der Siedlungstätigkeit inner¬
halb der bisher ausgeteilten Güter des Kreises Osterode in Ostpreußen zahlen¬
mäßig erläutern. Während auf den ehemaligen Gütern 393 Familien lebten,
zählen die neuen Bauerngemeinden 684 Familien. Die Aufteilung bedeutet
also für den Kreis einen Zuwachs von rund 300 mit der Scholle verbundenen
Familien. Der Viehstand hat durch die Begründung neuer Bauerngemeinden
ungefähr eine Verdoppelung erfahren. Der Rindviehbestand vermehrte sich
von 1330 auf 2172, der Schweinebestand von 1346 auf 3610. Auch der
Pferdebestand weist eine erhebliche Vermehrung auf. Nur der Schafbestand
verringerte sich naturgemäß. Es handelt sich bei dieser Zusammenstellung, die
übrigens im letzten Dezemberheft des Archives veröffentlicht ist, nicht um eine
einzelne Ansiedlung, sondern um sieben verschiedene Kolonien. Also um ein
Durchschnittsbild. Die Behauptung des Herrn von Oldenburg, wenn die Vieh-
Produktion gesteigert würde, müsse naturgemäß die Getreideproduktion leiden,
ist durchaus nicht erwiesen. Im Gegenteil, Erfahrungen der inneren Koloni¬
sation stehen dem durchaus entgegen. In dem vorerwähnten Archiv für innere
Kolonisation (Band III Heft 1) behandelte Herr Regierungsrat Rail-Kolberg
in sehr eingehender Weise die Umwandlung des Rittergutes Rützow i. Poa.
in eine Bauerngemeinve. sein Gesamturteil am Schlüsse dahin zusammen¬
fassend :


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[0374] Für oder wider die innere Kolonisation? Ende 1912 insgesamt 29716 Hektar Domänen zu Besiedlungszwecken bereit gestellt worden. Die Angaben von 1912 lassen im Vergleich zum Vorjahre deutlich erkennen, daß sich die Domänenverwaltung die Förderung der inneren Kolonisation durch Abgabe von Domänen neuerdings in erhöhtem Maße an¬ gelegen sein läßt. Im Vorjahre wurden 24 Domänen einschließlich derjenigen für die noch die allerhöchste Genehmigung fehlt, zur Verfügung gestellt. Selbst¬ verständlich kann in dem Umfange nicht alljährlich abgegeben werden, aber jedenfalls beweist doch das Vorgehen der Staatsregierung, daß sie ernstlich gewillt ist auch von feiten der Domänenverwaltung aus das Werk der inneren Kolonisation durch Landhergabe nach besten Kräften zu unterstützen. Der in Gegenwart des Kaisers an den Landwirtschaftsminister gerichtete Appell bedeutet also nichts anderes, als die im Flusse befindliche Bewegung zurückzuschrauben. Anhänger der inneren Kolonisation sind froh darüber, wenn — im Bilde gesprochen — die Bahnstrecke und Gleisanlagen der inneren Kolonisation stetig weiter ausgebaut werden, Herrn von Oldenburgs einzige Sorge geht dahin, wirksame Bremsvorrichtungen und Haltesignale aufzustellen. Anders konnten und sollten wohl seine Ausführungen nicht gedacht sein. Herr von Oldenburg scheint die rein wirtschaftliche Bedeutung der inneren Kolonisation in Zweifel zu ziehen, trotz der klaren Ausführungen Professor Serings. Einwandsfrei steht aber doch fest, daß die Vermehrung der Landbevölkerung und die Steigerung des Viehbestandes unmittelbar nach der Aufteilung in Erscheinung treten. Wir verweisen beispielsweise auf amtliche Zusammen¬ stellungen, die in dieser Beziehung die Wirkungen der Siedlungstätigkeit inner¬ halb der bisher ausgeteilten Güter des Kreises Osterode in Ostpreußen zahlen¬ mäßig erläutern. Während auf den ehemaligen Gütern 393 Familien lebten, zählen die neuen Bauerngemeinden 684 Familien. Die Aufteilung bedeutet also für den Kreis einen Zuwachs von rund 300 mit der Scholle verbundenen Familien. Der Viehstand hat durch die Begründung neuer Bauerngemeinden ungefähr eine Verdoppelung erfahren. Der Rindviehbestand vermehrte sich von 1330 auf 2172, der Schweinebestand von 1346 auf 3610. Auch der Pferdebestand weist eine erhebliche Vermehrung auf. Nur der Schafbestand verringerte sich naturgemäß. Es handelt sich bei dieser Zusammenstellung, die übrigens im letzten Dezemberheft des Archives veröffentlicht ist, nicht um eine einzelne Ansiedlung, sondern um sieben verschiedene Kolonien. Also um ein Durchschnittsbild. Die Behauptung des Herrn von Oldenburg, wenn die Vieh- Produktion gesteigert würde, müsse naturgemäß die Getreideproduktion leiden, ist durchaus nicht erwiesen. Im Gegenteil, Erfahrungen der inneren Koloni¬ sation stehen dem durchaus entgegen. In dem vorerwähnten Archiv für innere Kolonisation (Band III Heft 1) behandelte Herr Regierungsrat Rail-Kolberg in sehr eingehender Weise die Umwandlung des Rittergutes Rützow i. Poa. in eine Bauerngemeinve. sein Gesamturteil am Schlüsse dahin zusammen¬ fassend :

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/374>, abgerufen am 26.06.2024.