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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Schule und Kunsterziehung

ahnte. Aber über das Ahnen wird kein Mensch hinaus können, der nicht
die Qualität der Steinbearbeitung, die Konsistenz des Materials, den Kontrast
gegen den südlichen Himmel, den Zusammenklang von Architektur und Land¬
schaft wirklich gesehen und aufgenommen hat. Und dieser Fall steht gewiß für
viele. Aus diesem Grunde kann ich es auch nicht billigen, daß die Schüler
nach Gipsabgüssen antiker Kapitale oder Abbildungen, und seien es die besten
Photographien, kopieren sollen, um Verständnis zu gewinnen. Gewiß können
sie damit zur Aufmerksamkeit auf Einzelheiten geführt werden, aber anderseits
kämen sie, wie auch die der Broschüre beigegebenen, äußerlich recht sauberen Zeich¬
nungen deutlich und warnend erkennen lassen, in einen öden Akademismus hinein.
Die Aufgabe des Geschichtslehrers sodann wird nach dem oben Angedeuteten hin¬
fällig. In den mitgeteilten Aufsätzen und Vorträgen aber zeigt sich die ganze
Schädlichkeit des Verfahrens bei von Haus aus vortrefflichen Bestrebungen.
Die Sätze der Schüler klingen nicht ehrlich, sondern auswendig gelernt. Sie plappern
nach und geben nichts Eigenes, bringen nur fremde Gedanken in stilistische
Ordnung, anstatt selbst Verarbeitetes, wenn auch mühevoll, auszudrücken. Was
mich in dieser Auffassung, deren Richtigkeit ich an den jungen Leuten natürlich
nicht nachprüfen kann, bestärkt, sind ein paar charakteristische Einzelheiten. Da
berichtet z. B. ein Untersekundaner, daß er auf dem Münchener Königsplatz
(vor den Propyläen) "die täglichen Sorgen des eilenden Lebens" vergißt, und
ein anderer empfindet es als wohltuend, wenn er "von dem Straßenleben und
dem Getriebe der Großstadt gehetzt" (im friedlichen, sonnigen und gemütlichen
München! I) über diesen Platz gehen kann. Korrekturvermerke der Lehrer sind
mit verzeichnet, bei diesen Phrasen aber steht keine Korrektur, ein Beweis, daß
ein Gefühl für Ehrlichkeit bet den Korrigierenden nicht bestand. Und wer
bürgt mir nun dafür, daß die anderen "Beobachtungen" nicht auch Phrasen
find? Das kann der richtige Weg nicht sein. Sehen wir zu, ob nicht ein
anderer möglich ist.

Wenn wir einmal von den oben gestreiften kunstgeschichtsphisophischen
Begriffen absehen wollen, so ist kein Grund vorhanden, weshalb denn absolut
historisch vorgegangen werden muß. Ist es nicht einfacher, wenn wir schon bei
der Baukunst bleiben wollen, an ein Original, irgendein gutes ist ja wohl in
in jeder Stadt, anzuknüpfen? Man macht dem Schüler zunächst die Aufgabe
klar. Was muß geschehen, wenn ich ein Haus baue? Zunächst eine Blockhütte,
dann mehrere Zimmer. Welche Forderungen stellt dieses Material, welche
jenes? Wie baue ich die Decke, wie eine Wölbung, wie eine Kuppel? Wie
spare ich an Material, wie mache ich den Bau ausdrucksvoll? Alles aus dem
Einfachsten entwickelnd, mit Rücksicht auf den Bau. der zunächst betrachtet
werden soll. Nach Klarlegung dieser technischen und konstruktiven Erforder¬
nisse kommen die realen Bedürfnisse der Zeit. Ein zahlreicher Klerus z. B.
fordert Vergrößerung des Chors usw. Und dann den wirklichen Ban vom
Grundriß bis zum kleinsten Ornament methodisch geordnet und genau durch-


Schule und Kunsterziehung

ahnte. Aber über das Ahnen wird kein Mensch hinaus können, der nicht
die Qualität der Steinbearbeitung, die Konsistenz des Materials, den Kontrast
gegen den südlichen Himmel, den Zusammenklang von Architektur und Land¬
schaft wirklich gesehen und aufgenommen hat. Und dieser Fall steht gewiß für
viele. Aus diesem Grunde kann ich es auch nicht billigen, daß die Schüler
nach Gipsabgüssen antiker Kapitale oder Abbildungen, und seien es die besten
Photographien, kopieren sollen, um Verständnis zu gewinnen. Gewiß können
sie damit zur Aufmerksamkeit auf Einzelheiten geführt werden, aber anderseits
kämen sie, wie auch die der Broschüre beigegebenen, äußerlich recht sauberen Zeich¬
nungen deutlich und warnend erkennen lassen, in einen öden Akademismus hinein.
Die Aufgabe des Geschichtslehrers sodann wird nach dem oben Angedeuteten hin¬
fällig. In den mitgeteilten Aufsätzen und Vorträgen aber zeigt sich die ganze
Schädlichkeit des Verfahrens bei von Haus aus vortrefflichen Bestrebungen.
Die Sätze der Schüler klingen nicht ehrlich, sondern auswendig gelernt. Sie plappern
nach und geben nichts Eigenes, bringen nur fremde Gedanken in stilistische
Ordnung, anstatt selbst Verarbeitetes, wenn auch mühevoll, auszudrücken. Was
mich in dieser Auffassung, deren Richtigkeit ich an den jungen Leuten natürlich
nicht nachprüfen kann, bestärkt, sind ein paar charakteristische Einzelheiten. Da
berichtet z. B. ein Untersekundaner, daß er auf dem Münchener Königsplatz
(vor den Propyläen) „die täglichen Sorgen des eilenden Lebens" vergißt, und
ein anderer empfindet es als wohltuend, wenn er „von dem Straßenleben und
dem Getriebe der Großstadt gehetzt" (im friedlichen, sonnigen und gemütlichen
München! I) über diesen Platz gehen kann. Korrekturvermerke der Lehrer sind
mit verzeichnet, bei diesen Phrasen aber steht keine Korrektur, ein Beweis, daß
ein Gefühl für Ehrlichkeit bet den Korrigierenden nicht bestand. Und wer
bürgt mir nun dafür, daß die anderen „Beobachtungen" nicht auch Phrasen
find? Das kann der richtige Weg nicht sein. Sehen wir zu, ob nicht ein
anderer möglich ist.

Wenn wir einmal von den oben gestreiften kunstgeschichtsphisophischen
Begriffen absehen wollen, so ist kein Grund vorhanden, weshalb denn absolut
historisch vorgegangen werden muß. Ist es nicht einfacher, wenn wir schon bei
der Baukunst bleiben wollen, an ein Original, irgendein gutes ist ja wohl in
in jeder Stadt, anzuknüpfen? Man macht dem Schüler zunächst die Aufgabe
klar. Was muß geschehen, wenn ich ein Haus baue? Zunächst eine Blockhütte,
dann mehrere Zimmer. Welche Forderungen stellt dieses Material, welche
jenes? Wie baue ich die Decke, wie eine Wölbung, wie eine Kuppel? Wie
spare ich an Material, wie mache ich den Bau ausdrucksvoll? Alles aus dem
Einfachsten entwickelnd, mit Rücksicht auf den Bau. der zunächst betrachtet
werden soll. Nach Klarlegung dieser technischen und konstruktiven Erforder¬
nisse kommen die realen Bedürfnisse der Zeit. Ein zahlreicher Klerus z. B.
fordert Vergrößerung des Chors usw. Und dann den wirklichen Ban vom
Grundriß bis zum kleinsten Ornament methodisch geordnet und genau durch-


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[0369] Schule und Kunsterziehung ahnte. Aber über das Ahnen wird kein Mensch hinaus können, der nicht die Qualität der Steinbearbeitung, die Konsistenz des Materials, den Kontrast gegen den südlichen Himmel, den Zusammenklang von Architektur und Land¬ schaft wirklich gesehen und aufgenommen hat. Und dieser Fall steht gewiß für viele. Aus diesem Grunde kann ich es auch nicht billigen, daß die Schüler nach Gipsabgüssen antiker Kapitale oder Abbildungen, und seien es die besten Photographien, kopieren sollen, um Verständnis zu gewinnen. Gewiß können sie damit zur Aufmerksamkeit auf Einzelheiten geführt werden, aber anderseits kämen sie, wie auch die der Broschüre beigegebenen, äußerlich recht sauberen Zeich¬ nungen deutlich und warnend erkennen lassen, in einen öden Akademismus hinein. Die Aufgabe des Geschichtslehrers sodann wird nach dem oben Angedeuteten hin¬ fällig. In den mitgeteilten Aufsätzen und Vorträgen aber zeigt sich die ganze Schädlichkeit des Verfahrens bei von Haus aus vortrefflichen Bestrebungen. Die Sätze der Schüler klingen nicht ehrlich, sondern auswendig gelernt. Sie plappern nach und geben nichts Eigenes, bringen nur fremde Gedanken in stilistische Ordnung, anstatt selbst Verarbeitetes, wenn auch mühevoll, auszudrücken. Was mich in dieser Auffassung, deren Richtigkeit ich an den jungen Leuten natürlich nicht nachprüfen kann, bestärkt, sind ein paar charakteristische Einzelheiten. Da berichtet z. B. ein Untersekundaner, daß er auf dem Münchener Königsplatz (vor den Propyläen) „die täglichen Sorgen des eilenden Lebens" vergißt, und ein anderer empfindet es als wohltuend, wenn er „von dem Straßenleben und dem Getriebe der Großstadt gehetzt" (im friedlichen, sonnigen und gemütlichen München! I) über diesen Platz gehen kann. Korrekturvermerke der Lehrer sind mit verzeichnet, bei diesen Phrasen aber steht keine Korrektur, ein Beweis, daß ein Gefühl für Ehrlichkeit bet den Korrigierenden nicht bestand. Und wer bürgt mir nun dafür, daß die anderen „Beobachtungen" nicht auch Phrasen find? Das kann der richtige Weg nicht sein. Sehen wir zu, ob nicht ein anderer möglich ist. Wenn wir einmal von den oben gestreiften kunstgeschichtsphisophischen Begriffen absehen wollen, so ist kein Grund vorhanden, weshalb denn absolut historisch vorgegangen werden muß. Ist es nicht einfacher, wenn wir schon bei der Baukunst bleiben wollen, an ein Original, irgendein gutes ist ja wohl in in jeder Stadt, anzuknüpfen? Man macht dem Schüler zunächst die Aufgabe klar. Was muß geschehen, wenn ich ein Haus baue? Zunächst eine Blockhütte, dann mehrere Zimmer. Welche Forderungen stellt dieses Material, welche jenes? Wie baue ich die Decke, wie eine Wölbung, wie eine Kuppel? Wie spare ich an Material, wie mache ich den Bau ausdrucksvoll? Alles aus dem Einfachsten entwickelnd, mit Rücksicht auf den Bau. der zunächst betrachtet werden soll. Nach Klarlegung dieser technischen und konstruktiven Erforder¬ nisse kommen die realen Bedürfnisse der Zeit. Ein zahlreicher Klerus z. B. fordert Vergrößerung des Chors usw. Und dann den wirklichen Ban vom Grundriß bis zum kleinsten Ornament methodisch geordnet und genau durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/369>, abgerufen am 22.07.2024.