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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gelangt zu dem Ergebnis, daß die unter¬
suchten hundertundzwanzig Jugendlichen, die
in der Mehrzahl der Fälle wegen Diebstahls
angeklagt waren, allgemein nur wenig
sozialethische Vorstellungen besaßen. Bei
Zwölf- bis Dreizehnjährigen spielen sozial¬
ethische Erwägungen äußerst selten eine Rolle,
ihre Zahl steigt dann aber fortgesetzt und
erreicht auf der Altersstufe von sechzehnundein-
halb bis achtzehn Jahren ein Maximum.
Hier ließen sich nämlich 52 Prozent sozial¬
ethische Motivierungen dafür gewinnen, daß
trotz günstiger Gelegenheit eine neue Straf¬
tat nicht verübt werden würde. Ein Viertel
aller Prüflinge waren "Reine Egoisten", d. h.
sie kannten keinen anderen Beweggrund als
Furcht vor Strafe oder Schaden für die
eigene Person. Auch hier spielt das Alter
eine Rolle: je jünger desto größer die Zahl
der reinen Egoisten. Religiöse Motivierungen
traten nur ausnahmsweise zutage.

Diese Ergebnisse, die beim Lesen der sehr
interessanten Arbeit natürlich an Leben ge¬
winnen, enthalten zweifellos einen deutlichen
Hinweis auf die Abhängigkeit des sozial¬
ethischen Verständnisses vom Alter und der
ihm entsprechenden Lebenserfahrung, und
zwar in dem Sinn, daß die jüngeren Jahr¬
gänge auch bei guter Intelligenz tatsächlich
nicht in der Lage sind, den theoretischen Vor¬
aussetzungen der strafrechtlichen Zurechnungs¬
fähigkeit zu genügen. Für die höheren Alters¬
stufen aber fordert der Verfasser auf Grund
seiner Ergebnisse und in Übereinstimmung
mit den neuen amtlichen Vorschlägen zum
künftigen Strafgesetzbuch, Berücksichtigung des
Gefühls- und Willenslebens, wie sie der
geltende und durch den vorliegenden Entwurf
betreffend das Verfahren gegen Jugendliche
nicht berührte § 66 des Strafrechts leider
vermissen läßt.

Zweifellos neigen wir immer zu allzu
intellektualistischen Anschauungen. Das soziale
Verhalten ist aber sehr wesentlich von gefühls¬
mäßigen Faktoren mitbestimmt. Ihnen in
gebührender Weise Rechnung zu tragen sollte
die Aufgabe sowohl der wissenschaftlichen
Forschung, als auch der praktischen Ma߬
nahmen innerhalb des Gesellschaftslebens
sein " . , ,

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Schöne Literatur

Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen,
sind seit der Geburt Otto Ludwigs hundert
Jahre verflossen. Wir Pflegen an Geburts¬
tagen rückschauend die Zukunft in Hoffen und
Wünschen zu gestalten, und so mag uns denn
auch der 12. Februar das Schaffen dieses
Heimatdichters deutlich vor die Seele führen,
auf daß seine Spuren in ferne Zeiten ge¬
tragen werden.

Die Werke Otto Ludwigs haben im deut¬
schen Volke beim haftenden Schreiten des
modernen Lebens nicht unbeschränkte Ver¬
breitung, und doch sollte diese bodenständige
Kunst viel und andächtig genossen werden.
Sie ist aus Heimatliebe und Musik geboren.
Dem Thüringer Land ist Otto Ludwig
treu geblieben bis zuletzt, und musikalische
Stimmungen waren es, die ihn zu Poetischen
Schaffen drängten. In keinem seiner Werke
hat er aber so viel von seinem eigenen Wesen
offenbart, wie in dem Roman "Zwischen
Himmel und Erde", ja im Helden erkennen
wir Züge seiner eigenen Persönlichkeit. Wir
ehren das Andenken des Dichters, indem wir
an seinem hundertsten Geburtstag an den
Aufsätzen schlichter Arbeiter über diesen tief¬
gründigen Roman (siehe S. 313) zeigen, wie
seine Kunst sich im Geiste Mühseliger und
Beladener spiegelt. Wir wollen an diesem
Tage auch ein ansprechendes, von herzlicher
Verehrung für den Dichter getragenes kleines
Buch von Wilhelm Greiner, das soeben unter
dem Titel "Otto Ludwig als Thüringer in
seinem Leben und seinen Werken" (Verlag
von Gustav Moritz, Halle a. d. S. 1913,
Pr. 3 M.) gern begrüßen, denn es setzt sich
ganz besonders als Ziel, den Lehrern, für
deren Beruf Otto Ludwig immer eine aus¬
gesprochene Vorliebe hatte, Anregung und
Stoff zu bieten, um die heranwachsende
Jugend für das Lebenswerk dieses wahrhaft
d ", eutschen Dichters zu begeistern.

Wiltfeber, der ewige Deutsche. Die
Geschichte eines Heimatsuchers. Von Hermann
Bürde. Leipzig, Gideon Karl Sarasin, 1912.
Der Mann, der hier seine Heimat sucht und
das, was er gesucht hat, nicht findet, sucht
in der Heimat den unverstellten, echten

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gelangt zu dem Ergebnis, daß die unter¬
suchten hundertundzwanzig Jugendlichen, die
in der Mehrzahl der Fälle wegen Diebstahls
angeklagt waren, allgemein nur wenig
sozialethische Vorstellungen besaßen. Bei
Zwölf- bis Dreizehnjährigen spielen sozial¬
ethische Erwägungen äußerst selten eine Rolle,
ihre Zahl steigt dann aber fortgesetzt und
erreicht auf der Altersstufe von sechzehnundein-
halb bis achtzehn Jahren ein Maximum.
Hier ließen sich nämlich 52 Prozent sozial¬
ethische Motivierungen dafür gewinnen, daß
trotz günstiger Gelegenheit eine neue Straf¬
tat nicht verübt werden würde. Ein Viertel
aller Prüflinge waren „Reine Egoisten", d. h.
sie kannten keinen anderen Beweggrund als
Furcht vor Strafe oder Schaden für die
eigene Person. Auch hier spielt das Alter
eine Rolle: je jünger desto größer die Zahl
der reinen Egoisten. Religiöse Motivierungen
traten nur ausnahmsweise zutage.

Diese Ergebnisse, die beim Lesen der sehr
interessanten Arbeit natürlich an Leben ge¬
winnen, enthalten zweifellos einen deutlichen
Hinweis auf die Abhängigkeit des sozial¬
ethischen Verständnisses vom Alter und der
ihm entsprechenden Lebenserfahrung, und
zwar in dem Sinn, daß die jüngeren Jahr¬
gänge auch bei guter Intelligenz tatsächlich
nicht in der Lage sind, den theoretischen Vor¬
aussetzungen der strafrechtlichen Zurechnungs¬
fähigkeit zu genügen. Für die höheren Alters¬
stufen aber fordert der Verfasser auf Grund
seiner Ergebnisse und in Übereinstimmung
mit den neuen amtlichen Vorschlägen zum
künftigen Strafgesetzbuch, Berücksichtigung des
Gefühls- und Willenslebens, wie sie der
geltende und durch den vorliegenden Entwurf
betreffend das Verfahren gegen Jugendliche
nicht berührte § 66 des Strafrechts leider
vermissen läßt.

Zweifellos neigen wir immer zu allzu
intellektualistischen Anschauungen. Das soziale
Verhalten ist aber sehr wesentlich von gefühls¬
mäßigen Faktoren mitbestimmt. Ihnen in
gebührender Weise Rechnung zu tragen sollte
die Aufgabe sowohl der wissenschaftlichen
Forschung, als auch der praktischen Ma߬
nahmen innerhalb des Gesellschaftslebens
sein « . , ,

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Schöne Literatur

Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen,
sind seit der Geburt Otto Ludwigs hundert
Jahre verflossen. Wir Pflegen an Geburts¬
tagen rückschauend die Zukunft in Hoffen und
Wünschen zu gestalten, und so mag uns denn
auch der 12. Februar das Schaffen dieses
Heimatdichters deutlich vor die Seele führen,
auf daß seine Spuren in ferne Zeiten ge¬
tragen werden.

Die Werke Otto Ludwigs haben im deut¬
schen Volke beim haftenden Schreiten des
modernen Lebens nicht unbeschränkte Ver¬
breitung, und doch sollte diese bodenständige
Kunst viel und andächtig genossen werden.
Sie ist aus Heimatliebe und Musik geboren.
Dem Thüringer Land ist Otto Ludwig
treu geblieben bis zuletzt, und musikalische
Stimmungen waren es, die ihn zu Poetischen
Schaffen drängten. In keinem seiner Werke
hat er aber so viel von seinem eigenen Wesen
offenbart, wie in dem Roman „Zwischen
Himmel und Erde", ja im Helden erkennen
wir Züge seiner eigenen Persönlichkeit. Wir
ehren das Andenken des Dichters, indem wir
an seinem hundertsten Geburtstag an den
Aufsätzen schlichter Arbeiter über diesen tief¬
gründigen Roman (siehe S. 313) zeigen, wie
seine Kunst sich im Geiste Mühseliger und
Beladener spiegelt. Wir wollen an diesem
Tage auch ein ansprechendes, von herzlicher
Verehrung für den Dichter getragenes kleines
Buch von Wilhelm Greiner, das soeben unter
dem Titel „Otto Ludwig als Thüringer in
seinem Leben und seinen Werken" (Verlag
von Gustav Moritz, Halle a. d. S. 1913,
Pr. 3 M.) gern begrüßen, denn es setzt sich
ganz besonders als Ziel, den Lehrern, für
deren Beruf Otto Ludwig immer eine aus¬
gesprochene Vorliebe hatte, Anregung und
Stoff zu bieten, um die heranwachsende
Jugend für das Lebenswerk dieses wahrhaft
d «, eutschen Dichters zu begeistern.

Wiltfeber, der ewige Deutsche. Die
Geschichte eines Heimatsuchers. Von Hermann
Bürde. Leipzig, Gideon Karl Sarasin, 1912.
Der Mann, der hier seine Heimat sucht und
das, was er gesucht hat, nicht findet, sucht
in der Heimat den unverstellten, echten

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[0355] Maßgebliches und Unmaßgebliches gelangt zu dem Ergebnis, daß die unter¬ suchten hundertundzwanzig Jugendlichen, die in der Mehrzahl der Fälle wegen Diebstahls angeklagt waren, allgemein nur wenig sozialethische Vorstellungen besaßen. Bei Zwölf- bis Dreizehnjährigen spielen sozial¬ ethische Erwägungen äußerst selten eine Rolle, ihre Zahl steigt dann aber fortgesetzt und erreicht auf der Altersstufe von sechzehnundein- halb bis achtzehn Jahren ein Maximum. Hier ließen sich nämlich 52 Prozent sozial¬ ethische Motivierungen dafür gewinnen, daß trotz günstiger Gelegenheit eine neue Straf¬ tat nicht verübt werden würde. Ein Viertel aller Prüflinge waren „Reine Egoisten", d. h. sie kannten keinen anderen Beweggrund als Furcht vor Strafe oder Schaden für die eigene Person. Auch hier spielt das Alter eine Rolle: je jünger desto größer die Zahl der reinen Egoisten. Religiöse Motivierungen traten nur ausnahmsweise zutage. Diese Ergebnisse, die beim Lesen der sehr interessanten Arbeit natürlich an Leben ge¬ winnen, enthalten zweifellos einen deutlichen Hinweis auf die Abhängigkeit des sozial¬ ethischen Verständnisses vom Alter und der ihm entsprechenden Lebenserfahrung, und zwar in dem Sinn, daß die jüngeren Jahr¬ gänge auch bei guter Intelligenz tatsächlich nicht in der Lage sind, den theoretischen Vor¬ aussetzungen der strafrechtlichen Zurechnungs¬ fähigkeit zu genügen. Für die höheren Alters¬ stufen aber fordert der Verfasser auf Grund seiner Ergebnisse und in Übereinstimmung mit den neuen amtlichen Vorschlägen zum künftigen Strafgesetzbuch, Berücksichtigung des Gefühls- und Willenslebens, wie sie der geltende und durch den vorliegenden Entwurf betreffend das Verfahren gegen Jugendliche nicht berührte § 66 des Strafrechts leider vermissen läßt. Zweifellos neigen wir immer zu allzu intellektualistischen Anschauungen. Das soziale Verhalten ist aber sehr wesentlich von gefühls¬ mäßigen Faktoren mitbestimmt. Ihnen in gebührender Weise Rechnung zu tragen sollte die Aufgabe sowohl der wissenschaftlichen Forschung, als auch der praktischen Ma߬ nahmen innerhalb des Gesellschaftslebens sein « . , , Schöne Literatur Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, sind seit der Geburt Otto Ludwigs hundert Jahre verflossen. Wir Pflegen an Geburts¬ tagen rückschauend die Zukunft in Hoffen und Wünschen zu gestalten, und so mag uns denn auch der 12. Februar das Schaffen dieses Heimatdichters deutlich vor die Seele führen, auf daß seine Spuren in ferne Zeiten ge¬ tragen werden. Die Werke Otto Ludwigs haben im deut¬ schen Volke beim haftenden Schreiten des modernen Lebens nicht unbeschränkte Ver¬ breitung, und doch sollte diese bodenständige Kunst viel und andächtig genossen werden. Sie ist aus Heimatliebe und Musik geboren. Dem Thüringer Land ist Otto Ludwig treu geblieben bis zuletzt, und musikalische Stimmungen waren es, die ihn zu Poetischen Schaffen drängten. In keinem seiner Werke hat er aber so viel von seinem eigenen Wesen offenbart, wie in dem Roman „Zwischen Himmel und Erde", ja im Helden erkennen wir Züge seiner eigenen Persönlichkeit. Wir ehren das Andenken des Dichters, indem wir an seinem hundertsten Geburtstag an den Aufsätzen schlichter Arbeiter über diesen tief¬ gründigen Roman (siehe S. 313) zeigen, wie seine Kunst sich im Geiste Mühseliger und Beladener spiegelt. Wir wollen an diesem Tage auch ein ansprechendes, von herzlicher Verehrung für den Dichter getragenes kleines Buch von Wilhelm Greiner, das soeben unter dem Titel „Otto Ludwig als Thüringer in seinem Leben und seinen Werken" (Verlag von Gustav Moritz, Halle a. d. S. 1913, Pr. 3 M.) gern begrüßen, denn es setzt sich ganz besonders als Ziel, den Lehrern, für deren Beruf Otto Ludwig immer eine aus¬ gesprochene Vorliebe hatte, Anregung und Stoff zu bieten, um die heranwachsende Jugend für das Lebenswerk dieses wahrhaft d «, eutschen Dichters zu begeistern. Wiltfeber, der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers. Von Hermann Bürde. Leipzig, Gideon Karl Sarasin, 1912. Der Mann, der hier seine Heimat sucht und das, was er gesucht hat, nicht findet, sucht in der Heimat den unverstellten, echten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/355>, abgerufen am 29.06.2024.