Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

kann zugleich aus Geldstrafe und Verweis er¬
kannt werden.

Irrig wäre es, hiernach anzunehmen,
daß es den mit solcher Strafgewalt aus¬
gerüsteten Vorständen der Anwaltskammern
ein leichtes sein müsse, durch schnelles und
tatkräftiges Einschreiten in jedem Falle, in
dem ein Anwalt die Standesehre gefährdet
hat, das Ansehen des Rechtsanwaltstandes
hinreichend zu schützen. Wie wäre es sonst
denkbar, daß ein Rechtsanwalt, gegen den
ein Strafverfahren wegen Betruges schwebt,
gegen den in diesem Verfahren bereits die
Anklage erhoben und sogar das Hauptver¬
fahren eröffnet ist, unbehelligt sein Amt aus¬
üben darf? Wie könnte es sonst geschehen,
daß ein Nechtsanwo.le, der durch Beschluß der
Strafkammer wegen Verdachts des Betruges
und anderer Straftaten verhaftet und sodann
gegen eine sehr hohe Kaution auf freien Fuß
gesetzt wurde, weiter seiner Praxis, wegen
deren recht bedenklicher Führung der Staats¬
anwalt die Anklage erhoben hatte, nachgehen
und sogar als Verteidiger in Strafsachen auf¬
treten darf! Nicht von Phantasiegebilden ist
hier die Rede, sondern von wahren Begeben¬
heiten jüngeren und jüngsten Datums, und
es muß der größeren Klarheit halber sogar
noch hinzugefügt werden, daß die Tatsachen,
die den Staatsanwalt zur Erhebung der An¬
klage gegen jenen Rechtsanwalt und das Ge¬
richt zu seiner Verhaftung veranlaßten, der
Anwaltskammer bereits in? Jahre 1910 durch
eine offizielle Anzeige zur Kenntnis gebracht
worden waren.

Welcher Mensch mit normalem Rechts-
gefühl vermag ob solcher Dinge den Gleich¬
mut zu bewahren? Die Anwaltskammer sah
ihnen gelassen zu, indessen -- und das ver¬
dient unterstrichen zu werden -- nicht frei¬
willig, sondern vielmehr höchst unfreiwillig,
durch des Gesetzes Macht gezwungen.
Um das zu begreifen, lese man den K 65 der
Rechtsanwaltsordnung. Hier wird bestimmt:

[Spaltenumbruch]

Die "öffentliche Klage" -- die bereits dann
erfolgt, wenn sich aus dem staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahren genügender Anlaß zum
Einschreiten ergibt, und die daher mit der
einem späteren Stadium angehörenden, der
Eröffnung des Hauptverfahrens unmittelbar
vorangehenden "Anklage" nicht zu verwechseln
ist -- hatte der Staatsanwalt in dem oben
erwähnten Falle schon etwa Mitte 1911 er¬
hoben. Von diesem Zeitpunkte ab war daher
die Ehrengerichtsbarkeit der Anwaltskammer
außer Funktion gesetzt.

Gab es denn aber, so wird man fragen,
nicht wenigstens die Möglichkeit, jenen Anwalt
einstweilen am öffentlichen Auftreten vor Ge¬
richt zu verhindern? Zu dieser Maßnahme
war weder die Anwaltskammer noch auch die
Justizbehörde befugt, denn weder in derNechts-
anwaltSordnung noch sonstwie ist die Sus¬
pension eines Rechtsanwalts vorgesehen. So
ist denn die seltsame Tatsache zu verzeichnen:
die unteren Organe der Justiz, wie z. B.
der Gerichtsdiener und der Gerichtsvollzieher,
werden, wenn sie einer strafbaren Handlung
verdächtig sind, vorläufig vom Dienste ent¬
hoben; einem so wichtigen und hervorragen¬
den Gliede der Rechtspflege wie dem Rechts¬
anwalt gegenüber ist diese dem Ansehen der
Justiz dienende Maßregel nicht anwendbar,
wie stark auch der Verdacht einer strafbaren
Handlung sein möge. Solange er in Freiheit
ist, ja sogar wenn er gegen Stellung einer
Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen
worden ist, darf er das ihm anvertraute
öffentliche Amt ausüben, und dieses Recht
steht ihm zu bis zur Rechtskraft des straf¬
gerichtlichen oder ehrengerichtlichen Urteils,
welches seinen Ausschluß von der Rechtsan¬
waltschaft nach sich zieht oder -- im ehren¬
gerichtlichen Verfahren -- ausdrücklich aus¬
spricht. Der durch die Anwaltskammer von
der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossene, seines
Amtes ganz offenbar unwürdige Anwalt kann
daher seine forensische Tätigkeit getrost weiter
betreiben, wenn er nur gegen die Entscheidung
der Anwaltskammer bei dem Ehrengerichts¬
hof, der seinen Sitz in Leipzig hat, Berufung
einlegt. Bis zur Entscheidung des Ehren¬
gerichtshofes, der aus dem Reichsgerichts¬
präsidenten, drei Mitgliedern des Reichsgerichts
und drei beim Reichsgericht zugelassenen

[Ende Spaltensatz]
"Ist gegen einen Rechtsanwalt wegen
einer strafbaren Handlung die öffentliche
Klage erhoben, so ist während der Dauer
des Strafverfahrens wegen der nämlichen
Tatsachen das ehrengerichtliche Verfahren
nicht zu eröffnen und, wenn die Eröff¬
nung stattgefunden hat, auszusetzen."

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

kann zugleich aus Geldstrafe und Verweis er¬
kannt werden.

Irrig wäre es, hiernach anzunehmen,
daß es den mit solcher Strafgewalt aus¬
gerüsteten Vorständen der Anwaltskammern
ein leichtes sein müsse, durch schnelles und
tatkräftiges Einschreiten in jedem Falle, in
dem ein Anwalt die Standesehre gefährdet
hat, das Ansehen des Rechtsanwaltstandes
hinreichend zu schützen. Wie wäre es sonst
denkbar, daß ein Rechtsanwalt, gegen den
ein Strafverfahren wegen Betruges schwebt,
gegen den in diesem Verfahren bereits die
Anklage erhoben und sogar das Hauptver¬
fahren eröffnet ist, unbehelligt sein Amt aus¬
üben darf? Wie könnte es sonst geschehen,
daß ein Nechtsanwo.le, der durch Beschluß der
Strafkammer wegen Verdachts des Betruges
und anderer Straftaten verhaftet und sodann
gegen eine sehr hohe Kaution auf freien Fuß
gesetzt wurde, weiter seiner Praxis, wegen
deren recht bedenklicher Führung der Staats¬
anwalt die Anklage erhoben hatte, nachgehen
und sogar als Verteidiger in Strafsachen auf¬
treten darf! Nicht von Phantasiegebilden ist
hier die Rede, sondern von wahren Begeben¬
heiten jüngeren und jüngsten Datums, und
es muß der größeren Klarheit halber sogar
noch hinzugefügt werden, daß die Tatsachen,
die den Staatsanwalt zur Erhebung der An¬
klage gegen jenen Rechtsanwalt und das Ge¬
richt zu seiner Verhaftung veranlaßten, der
Anwaltskammer bereits in? Jahre 1910 durch
eine offizielle Anzeige zur Kenntnis gebracht
worden waren.

Welcher Mensch mit normalem Rechts-
gefühl vermag ob solcher Dinge den Gleich¬
mut zu bewahren? Die Anwaltskammer sah
ihnen gelassen zu, indessen — und das ver¬
dient unterstrichen zu werden — nicht frei¬
willig, sondern vielmehr höchst unfreiwillig,
durch des Gesetzes Macht gezwungen.
Um das zu begreifen, lese man den K 65 der
Rechtsanwaltsordnung. Hier wird bestimmt:

[Spaltenumbruch]

Die „öffentliche Klage" — die bereits dann
erfolgt, wenn sich aus dem staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahren genügender Anlaß zum
Einschreiten ergibt, und die daher mit der
einem späteren Stadium angehörenden, der
Eröffnung des Hauptverfahrens unmittelbar
vorangehenden „Anklage" nicht zu verwechseln
ist — hatte der Staatsanwalt in dem oben
erwähnten Falle schon etwa Mitte 1911 er¬
hoben. Von diesem Zeitpunkte ab war daher
die Ehrengerichtsbarkeit der Anwaltskammer
außer Funktion gesetzt.

Gab es denn aber, so wird man fragen,
nicht wenigstens die Möglichkeit, jenen Anwalt
einstweilen am öffentlichen Auftreten vor Ge¬
richt zu verhindern? Zu dieser Maßnahme
war weder die Anwaltskammer noch auch die
Justizbehörde befugt, denn weder in derNechts-
anwaltSordnung noch sonstwie ist die Sus¬
pension eines Rechtsanwalts vorgesehen. So
ist denn die seltsame Tatsache zu verzeichnen:
die unteren Organe der Justiz, wie z. B.
der Gerichtsdiener und der Gerichtsvollzieher,
werden, wenn sie einer strafbaren Handlung
verdächtig sind, vorläufig vom Dienste ent¬
hoben; einem so wichtigen und hervorragen¬
den Gliede der Rechtspflege wie dem Rechts¬
anwalt gegenüber ist diese dem Ansehen der
Justiz dienende Maßregel nicht anwendbar,
wie stark auch der Verdacht einer strafbaren
Handlung sein möge. Solange er in Freiheit
ist, ja sogar wenn er gegen Stellung einer
Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen
worden ist, darf er das ihm anvertraute
öffentliche Amt ausüben, und dieses Recht
steht ihm zu bis zur Rechtskraft des straf¬
gerichtlichen oder ehrengerichtlichen Urteils,
welches seinen Ausschluß von der Rechtsan¬
waltschaft nach sich zieht oder — im ehren¬
gerichtlichen Verfahren — ausdrücklich aus¬
spricht. Der durch die Anwaltskammer von
der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossene, seines
Amtes ganz offenbar unwürdige Anwalt kann
daher seine forensische Tätigkeit getrost weiter
betreiben, wenn er nur gegen die Entscheidung
der Anwaltskammer bei dem Ehrengerichts¬
hof, der seinen Sitz in Leipzig hat, Berufung
einlegt. Bis zur Entscheidung des Ehren¬
gerichtshofes, der aus dem Reichsgerichts¬
präsidenten, drei Mitgliedern des Reichsgerichts
und drei beim Reichsgericht zugelassenen

[Ende Spaltensatz]
„Ist gegen einen Rechtsanwalt wegen
einer strafbaren Handlung die öffentliche
Klage erhoben, so ist während der Dauer
des Strafverfahrens wegen der nämlichen
Tatsachen das ehrengerichtliche Verfahren
nicht zu eröffnen und, wenn die Eröff¬
nung stattgefunden hat, auszusetzen."

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325223"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1526" prev="#ID_1525"> kann zugleich aus Geldstrafe und Verweis er¬<lb/>
kannt werden.</p>
            <p xml:id="ID_1527"> Irrig wäre es, hiernach anzunehmen,<lb/>
daß es den mit solcher Strafgewalt aus¬<lb/>
gerüsteten Vorständen der Anwaltskammern<lb/>
ein leichtes sein müsse, durch schnelles und<lb/>
tatkräftiges Einschreiten in jedem Falle, in<lb/>
dem ein Anwalt die Standesehre gefährdet<lb/>
hat, das Ansehen des Rechtsanwaltstandes<lb/>
hinreichend zu schützen. Wie wäre es sonst<lb/>
denkbar, daß ein Rechtsanwalt, gegen den<lb/>
ein Strafverfahren wegen Betruges schwebt,<lb/>
gegen den in diesem Verfahren bereits die<lb/>
Anklage erhoben und sogar das Hauptver¬<lb/>
fahren eröffnet ist, unbehelligt sein Amt aus¬<lb/>
üben darf? Wie könnte es sonst geschehen,<lb/>
daß ein Nechtsanwo.le, der durch Beschluß der<lb/>
Strafkammer wegen Verdachts des Betruges<lb/>
und anderer Straftaten verhaftet und sodann<lb/>
gegen eine sehr hohe Kaution auf freien Fuß<lb/>
gesetzt wurde, weiter seiner Praxis, wegen<lb/>
deren recht bedenklicher Führung der Staats¬<lb/>
anwalt die Anklage erhoben hatte, nachgehen<lb/>
und sogar als Verteidiger in Strafsachen auf¬<lb/>
treten darf! Nicht von Phantasiegebilden ist<lb/>
hier die Rede, sondern von wahren Begeben¬<lb/>
heiten jüngeren und jüngsten Datums, und<lb/>
es muß der größeren Klarheit halber sogar<lb/>
noch hinzugefügt werden, daß die Tatsachen,<lb/>
die den Staatsanwalt zur Erhebung der An¬<lb/>
klage gegen jenen Rechtsanwalt und das Ge¬<lb/>
richt zu seiner Verhaftung veranlaßten, der<lb/>
Anwaltskammer bereits in? Jahre 1910 durch<lb/>
eine offizielle Anzeige zur Kenntnis gebracht<lb/>
worden waren.</p>
            <p xml:id="ID_1528"> Welcher Mensch mit normalem Rechts-<lb/>
gefühl vermag ob solcher Dinge den Gleich¬<lb/>
mut zu bewahren? Die Anwaltskammer sah<lb/>
ihnen gelassen zu, indessen &#x2014; und das ver¬<lb/>
dient unterstrichen zu werden &#x2014; nicht frei¬<lb/>
willig, sondern vielmehr höchst unfreiwillig,<lb/>
durch des Gesetzes Macht gezwungen.<lb/>
Um das zu begreifen, lese man den K 65 der<lb/>
Rechtsanwaltsordnung. Hier wird bestimmt:</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1529"> Die &#x201E;öffentliche Klage" &#x2014; die bereits dann<lb/>
erfolgt, wenn sich aus dem staatsanwaltlichen<lb/>
Ermittlungsverfahren genügender Anlaß zum<lb/>
Einschreiten ergibt, und die daher mit der<lb/>
einem späteren Stadium angehörenden, der<lb/>
Eröffnung des Hauptverfahrens unmittelbar<lb/>
vorangehenden &#x201E;Anklage" nicht zu verwechseln<lb/>
ist &#x2014; hatte der Staatsanwalt in dem oben<lb/>
erwähnten Falle schon etwa Mitte 1911 er¬<lb/>
hoben. Von diesem Zeitpunkte ab war daher<lb/>
die Ehrengerichtsbarkeit der Anwaltskammer<lb/>
außer Funktion gesetzt.</p>
            <p xml:id="ID_1530" next="#ID_1531"> Gab es denn aber, so wird man fragen,<lb/>
nicht wenigstens die Möglichkeit, jenen Anwalt<lb/>
einstweilen am öffentlichen Auftreten vor Ge¬<lb/>
richt zu verhindern? Zu dieser Maßnahme<lb/>
war weder die Anwaltskammer noch auch die<lb/>
Justizbehörde befugt, denn weder in derNechts-<lb/>
anwaltSordnung noch sonstwie ist die Sus¬<lb/>
pension eines Rechtsanwalts vorgesehen. So<lb/>
ist denn die seltsame Tatsache zu verzeichnen:<lb/>
die unteren Organe der Justiz, wie z. B.<lb/>
der Gerichtsdiener und der Gerichtsvollzieher,<lb/>
werden, wenn sie einer strafbaren Handlung<lb/>
verdächtig sind, vorläufig vom Dienste ent¬<lb/>
hoben; einem so wichtigen und hervorragen¬<lb/>
den Gliede der Rechtspflege wie dem Rechts¬<lb/>
anwalt gegenüber ist diese dem Ansehen der<lb/>
Justiz dienende Maßregel nicht anwendbar,<lb/>
wie stark auch der Verdacht einer strafbaren<lb/>
Handlung sein möge. Solange er in Freiheit<lb/>
ist, ja sogar wenn er gegen Stellung einer<lb/>
Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen<lb/>
worden ist, darf er das ihm anvertraute<lb/>
öffentliche Amt ausüben, und dieses Recht<lb/>
steht ihm zu bis zur Rechtskraft des straf¬<lb/>
gerichtlichen oder ehrengerichtlichen Urteils,<lb/>
welches seinen Ausschluß von der Rechtsan¬<lb/>
waltschaft nach sich zieht oder &#x2014; im ehren¬<lb/>
gerichtlichen Verfahren &#x2014; ausdrücklich aus¬<lb/>
spricht. Der durch die Anwaltskammer von<lb/>
der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossene, seines<lb/>
Amtes ganz offenbar unwürdige Anwalt kann<lb/>
daher seine forensische Tätigkeit getrost weiter<lb/>
betreiben, wenn er nur gegen die Entscheidung<lb/>
der Anwaltskammer bei dem Ehrengerichts¬<lb/>
hof, der seinen Sitz in Leipzig hat, Berufung<lb/>
einlegt. Bis zur Entscheidung des Ehren¬<lb/>
gerichtshofes, der aus dem Reichsgerichts¬<lb/>
präsidenten, drei Mitgliedern des Reichsgerichts<lb/>
und drei beim Reichsgericht zugelassenen</p>
            <cb type="end"/><lb/>
            <quote> &#x201E;Ist gegen einen Rechtsanwalt wegen<lb/>
einer strafbaren Handlung die öffentliche<lb/>
Klage erhoben, so ist während der Dauer<lb/>
des Strafverfahrens wegen der nämlichen<lb/>
Tatsachen das ehrengerichtliche Verfahren<lb/>
nicht zu eröffnen und, wenn die Eröff¬<lb/>
nung stattgefunden hat, auszusetzen."</quote><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] Maßgebliches und Unmaßgebliches kann zugleich aus Geldstrafe und Verweis er¬ kannt werden. Irrig wäre es, hiernach anzunehmen, daß es den mit solcher Strafgewalt aus¬ gerüsteten Vorständen der Anwaltskammern ein leichtes sein müsse, durch schnelles und tatkräftiges Einschreiten in jedem Falle, in dem ein Anwalt die Standesehre gefährdet hat, das Ansehen des Rechtsanwaltstandes hinreichend zu schützen. Wie wäre es sonst denkbar, daß ein Rechtsanwalt, gegen den ein Strafverfahren wegen Betruges schwebt, gegen den in diesem Verfahren bereits die Anklage erhoben und sogar das Hauptver¬ fahren eröffnet ist, unbehelligt sein Amt aus¬ üben darf? Wie könnte es sonst geschehen, daß ein Nechtsanwo.le, der durch Beschluß der Strafkammer wegen Verdachts des Betruges und anderer Straftaten verhaftet und sodann gegen eine sehr hohe Kaution auf freien Fuß gesetzt wurde, weiter seiner Praxis, wegen deren recht bedenklicher Führung der Staats¬ anwalt die Anklage erhoben hatte, nachgehen und sogar als Verteidiger in Strafsachen auf¬ treten darf! Nicht von Phantasiegebilden ist hier die Rede, sondern von wahren Begeben¬ heiten jüngeren und jüngsten Datums, und es muß der größeren Klarheit halber sogar noch hinzugefügt werden, daß die Tatsachen, die den Staatsanwalt zur Erhebung der An¬ klage gegen jenen Rechtsanwalt und das Ge¬ richt zu seiner Verhaftung veranlaßten, der Anwaltskammer bereits in? Jahre 1910 durch eine offizielle Anzeige zur Kenntnis gebracht worden waren. Welcher Mensch mit normalem Rechts- gefühl vermag ob solcher Dinge den Gleich¬ mut zu bewahren? Die Anwaltskammer sah ihnen gelassen zu, indessen — und das ver¬ dient unterstrichen zu werden — nicht frei¬ willig, sondern vielmehr höchst unfreiwillig, durch des Gesetzes Macht gezwungen. Um das zu begreifen, lese man den K 65 der Rechtsanwaltsordnung. Hier wird bestimmt: Die „öffentliche Klage" — die bereits dann erfolgt, wenn sich aus dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren genügender Anlaß zum Einschreiten ergibt, und die daher mit der einem späteren Stadium angehörenden, der Eröffnung des Hauptverfahrens unmittelbar vorangehenden „Anklage" nicht zu verwechseln ist — hatte der Staatsanwalt in dem oben erwähnten Falle schon etwa Mitte 1911 er¬ hoben. Von diesem Zeitpunkte ab war daher die Ehrengerichtsbarkeit der Anwaltskammer außer Funktion gesetzt. Gab es denn aber, so wird man fragen, nicht wenigstens die Möglichkeit, jenen Anwalt einstweilen am öffentlichen Auftreten vor Ge¬ richt zu verhindern? Zu dieser Maßnahme war weder die Anwaltskammer noch auch die Justizbehörde befugt, denn weder in derNechts- anwaltSordnung noch sonstwie ist die Sus¬ pension eines Rechtsanwalts vorgesehen. So ist denn die seltsame Tatsache zu verzeichnen: die unteren Organe der Justiz, wie z. B. der Gerichtsdiener und der Gerichtsvollzieher, werden, wenn sie einer strafbaren Handlung verdächtig sind, vorläufig vom Dienste ent¬ hoben; einem so wichtigen und hervorragen¬ den Gliede der Rechtspflege wie dem Rechts¬ anwalt gegenüber ist diese dem Ansehen der Justiz dienende Maßregel nicht anwendbar, wie stark auch der Verdacht einer strafbaren Handlung sein möge. Solange er in Freiheit ist, ja sogar wenn er gegen Stellung einer Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, darf er das ihm anvertraute öffentliche Amt ausüben, und dieses Recht steht ihm zu bis zur Rechtskraft des straf¬ gerichtlichen oder ehrengerichtlichen Urteils, welches seinen Ausschluß von der Rechtsan¬ waltschaft nach sich zieht oder — im ehren¬ gerichtlichen Verfahren — ausdrücklich aus¬ spricht. Der durch die Anwaltskammer von der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossene, seines Amtes ganz offenbar unwürdige Anwalt kann daher seine forensische Tätigkeit getrost weiter betreiben, wenn er nur gegen die Entscheidung der Anwaltskammer bei dem Ehrengerichts¬ hof, der seinen Sitz in Leipzig hat, Berufung einlegt. Bis zur Entscheidung des Ehren¬ gerichtshofes, der aus dem Reichsgerichts¬ präsidenten, drei Mitgliedern des Reichsgerichts und drei beim Reichsgericht zugelassenen „Ist gegen einen Rechtsanwalt wegen einer strafbaren Handlung die öffentliche Klage erhoben, so ist während der Dauer des Strafverfahrens wegen der nämlichen Tatsachen das ehrengerichtliche Verfahren nicht zu eröffnen und, wenn die Eröff¬ nung stattgefunden hat, auszusetzen."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/353>, abgerufen am 29.06.2024.