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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Neue Moliöre-Übersetzungen

Edelmann" wurden in Berlin gespielt, und der Erfolg des "Eingebildeten
Kranken" konnte selbst durch eine zweck- und heillose Herrichtung nicht beein¬
trächtigt werden. Der Boden für eine neue Moliöre-Übersetzung ist also gut
vorbereitet. Daß die älteren nicht mehr genügen, steht außer Frage, zumal
gerade die besseren, wie die von Baudissin nicht vollständig ist, die von Fulda
nur wenige ausgewählte Stücke umfaßt. Das Bedürfnis nach einer neuen
Verdeutschung ist also vorhanden. Daß es gleich dreifach befriedigt worden ist,
bedeutet ein für den Moliöristen allerdings erfreuliches Übermaß des Guten.
Philipp August Becker hat den alten Baudissinschen Text revidiert und die
fehlenden Stücke ergänzt, über ihn hinaus gehen zwei Versuche, der eine im
Verlag von Alexander Duncker*). der andere in dem von Georg Müller**), die
beide eine völlig neue Übertragung beabsichtigen. Ander ersten sind drei Über¬
setzer beteiligt, an der zweiten deren sechs, von denen allerdings nur zwei in
dem bisher erschienenen Bande zu Worte kommen. Die Gemeinschaft mehrerer
Verfasser unterliegt natürlich gewissen Bedenken, da die Einheit der Wiedergabe
darunter leiden muß, aber dieser Fehler wird durch den Vorzug einer rascheren
Vollendung des Werkes zum Teil ausgeglichen. Ein vollständiger Molisre
übersteigt die Kräfte eines einzelnen, und mit der Vollständigkeit ist es beiden
Ausgaben bitterer Ernst; selbst die Zwischenspiele und die oft recht unerfreu¬
lichen Hofstücke sollen übertragen werden. Dafür gebührt den Übersetzern und
den Verlegern besonderer Dank und Anerkennung, denn ein Dichter kann nur
aus der Totalität seines Schaffens wirklich verstanden werden. Auch in der
Ausstattung ist nichts gespart, so daß Moliöre uns in einem würdigen Gewände
entgegentritt.

Dagegen muß ich bedauern, daß beide Übersetzungen in der Einteilung
der Szenen nicht Despois-Mesnard folgen. Wenn eine derartige Standard-
Ausgabe wie die der Qranäs Lcrivairi8 ac la k^auch vorliegt, soll man ohne
zwingenden Grund nicht von ihrer Textgestaltung abweichen. Dem Publikum
ist es ja gleichgültig, ob ein AK in acht oder zwölf Szenen zerlegt ist, aber
die wissenschaftliche Gebrauchsfähigkeit einer Übersetzung leidet darunter, wenn
sie nicht mit dem Original übereinstimmt, das jeder Forscher benutzt und
benutzen muß. Daß Heinrich Comad darüber hinaus sogar die Akteinteilung
des "Bürgerlichen Edelmanns" verändert und die fünf Aufzüge des Originals
in drei zusammengezogen hat, ist eine Verkennung seiner Aufgabe. Solche
Künste, bei denen es ohne sachliche Eingriffe nicht abgehen kann, müssen den
Bühnenbearbeitern überlassen bleiben. Der Übersetzer soll sich möglichst getreu
an seine Vorlage halten. Eine Schwierigkeit, die beide Verdeutschungen nicht
überwunden haben, bilden die französischen Personenbenennungen. (Monte.




*) Moliöre in deutscher Sprache. Übersetzt von Otto Hauser, Udo Gaede und Erich
Meyer. Band I, Berlin 1911. .....
, **) Moliöres sämtliche Werke in 6 Bänden. Herausgegeben von Eugen Neresheimer.
Band V. München und Leipzig o. I.
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Neue Moliöre-Übersetzungen

Edelmann" wurden in Berlin gespielt, und der Erfolg des „Eingebildeten
Kranken" konnte selbst durch eine zweck- und heillose Herrichtung nicht beein¬
trächtigt werden. Der Boden für eine neue Moliöre-Übersetzung ist also gut
vorbereitet. Daß die älteren nicht mehr genügen, steht außer Frage, zumal
gerade die besseren, wie die von Baudissin nicht vollständig ist, die von Fulda
nur wenige ausgewählte Stücke umfaßt. Das Bedürfnis nach einer neuen
Verdeutschung ist also vorhanden. Daß es gleich dreifach befriedigt worden ist,
bedeutet ein für den Moliöristen allerdings erfreuliches Übermaß des Guten.
Philipp August Becker hat den alten Baudissinschen Text revidiert und die
fehlenden Stücke ergänzt, über ihn hinaus gehen zwei Versuche, der eine im
Verlag von Alexander Duncker*). der andere in dem von Georg Müller**), die
beide eine völlig neue Übertragung beabsichtigen. Ander ersten sind drei Über¬
setzer beteiligt, an der zweiten deren sechs, von denen allerdings nur zwei in
dem bisher erschienenen Bande zu Worte kommen. Die Gemeinschaft mehrerer
Verfasser unterliegt natürlich gewissen Bedenken, da die Einheit der Wiedergabe
darunter leiden muß, aber dieser Fehler wird durch den Vorzug einer rascheren
Vollendung des Werkes zum Teil ausgeglichen. Ein vollständiger Molisre
übersteigt die Kräfte eines einzelnen, und mit der Vollständigkeit ist es beiden
Ausgaben bitterer Ernst; selbst die Zwischenspiele und die oft recht unerfreu¬
lichen Hofstücke sollen übertragen werden. Dafür gebührt den Übersetzern und
den Verlegern besonderer Dank und Anerkennung, denn ein Dichter kann nur
aus der Totalität seines Schaffens wirklich verstanden werden. Auch in der
Ausstattung ist nichts gespart, so daß Moliöre uns in einem würdigen Gewände
entgegentritt.

Dagegen muß ich bedauern, daß beide Übersetzungen in der Einteilung
der Szenen nicht Despois-Mesnard folgen. Wenn eine derartige Standard-
Ausgabe wie die der Qranäs Lcrivairi8 ac la k^auch vorliegt, soll man ohne
zwingenden Grund nicht von ihrer Textgestaltung abweichen. Dem Publikum
ist es ja gleichgültig, ob ein AK in acht oder zwölf Szenen zerlegt ist, aber
die wissenschaftliche Gebrauchsfähigkeit einer Übersetzung leidet darunter, wenn
sie nicht mit dem Original übereinstimmt, das jeder Forscher benutzt und
benutzen muß. Daß Heinrich Comad darüber hinaus sogar die Akteinteilung
des „Bürgerlichen Edelmanns" verändert und die fünf Aufzüge des Originals
in drei zusammengezogen hat, ist eine Verkennung seiner Aufgabe. Solche
Künste, bei denen es ohne sachliche Eingriffe nicht abgehen kann, müssen den
Bühnenbearbeitern überlassen bleiben. Der Übersetzer soll sich möglichst getreu
an seine Vorlage halten. Eine Schwierigkeit, die beide Verdeutschungen nicht
überwunden haben, bilden die französischen Personenbenennungen. (Monte.




*) Moliöre in deutscher Sprache. Übersetzt von Otto Hauser, Udo Gaede und Erich
Meyer. Band I, Berlin 1911. .....
, **) Moliöres sämtliche Werke in 6 Bänden. Herausgegeben von Eugen Neresheimer.
Band V. München und Leipzig o. I.
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[0343] Neue Moliöre-Übersetzungen Edelmann" wurden in Berlin gespielt, und der Erfolg des „Eingebildeten Kranken" konnte selbst durch eine zweck- und heillose Herrichtung nicht beein¬ trächtigt werden. Der Boden für eine neue Moliöre-Übersetzung ist also gut vorbereitet. Daß die älteren nicht mehr genügen, steht außer Frage, zumal gerade die besseren, wie die von Baudissin nicht vollständig ist, die von Fulda nur wenige ausgewählte Stücke umfaßt. Das Bedürfnis nach einer neuen Verdeutschung ist also vorhanden. Daß es gleich dreifach befriedigt worden ist, bedeutet ein für den Moliöristen allerdings erfreuliches Übermaß des Guten. Philipp August Becker hat den alten Baudissinschen Text revidiert und die fehlenden Stücke ergänzt, über ihn hinaus gehen zwei Versuche, der eine im Verlag von Alexander Duncker*). der andere in dem von Georg Müller**), die beide eine völlig neue Übertragung beabsichtigen. Ander ersten sind drei Über¬ setzer beteiligt, an der zweiten deren sechs, von denen allerdings nur zwei in dem bisher erschienenen Bande zu Worte kommen. Die Gemeinschaft mehrerer Verfasser unterliegt natürlich gewissen Bedenken, da die Einheit der Wiedergabe darunter leiden muß, aber dieser Fehler wird durch den Vorzug einer rascheren Vollendung des Werkes zum Teil ausgeglichen. Ein vollständiger Molisre übersteigt die Kräfte eines einzelnen, und mit der Vollständigkeit ist es beiden Ausgaben bitterer Ernst; selbst die Zwischenspiele und die oft recht unerfreu¬ lichen Hofstücke sollen übertragen werden. Dafür gebührt den Übersetzern und den Verlegern besonderer Dank und Anerkennung, denn ein Dichter kann nur aus der Totalität seines Schaffens wirklich verstanden werden. Auch in der Ausstattung ist nichts gespart, so daß Moliöre uns in einem würdigen Gewände entgegentritt. Dagegen muß ich bedauern, daß beide Übersetzungen in der Einteilung der Szenen nicht Despois-Mesnard folgen. Wenn eine derartige Standard- Ausgabe wie die der Qranäs Lcrivairi8 ac la k^auch vorliegt, soll man ohne zwingenden Grund nicht von ihrer Textgestaltung abweichen. Dem Publikum ist es ja gleichgültig, ob ein AK in acht oder zwölf Szenen zerlegt ist, aber die wissenschaftliche Gebrauchsfähigkeit einer Übersetzung leidet darunter, wenn sie nicht mit dem Original übereinstimmt, das jeder Forscher benutzt und benutzen muß. Daß Heinrich Comad darüber hinaus sogar die Akteinteilung des „Bürgerlichen Edelmanns" verändert und die fünf Aufzüge des Originals in drei zusammengezogen hat, ist eine Verkennung seiner Aufgabe. Solche Künste, bei denen es ohne sachliche Eingriffe nicht abgehen kann, müssen den Bühnenbearbeitern überlassen bleiben. Der Übersetzer soll sich möglichst getreu an seine Vorlage halten. Eine Schwierigkeit, die beide Verdeutschungen nicht überwunden haben, bilden die französischen Personenbenennungen. (Monte. *) Moliöre in deutscher Sprache. Übersetzt von Otto Hauser, Udo Gaede und Erich Meyer. Band I, Berlin 1911. ..... , **) Moliöres sämtliche Werke in 6 Bänden. Herausgegeben von Eugen Neresheimer. Band V. München und Leipzig o. I. 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/343>, abgerufen am 22.12.2024.