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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

statt dessen sich aber selbst an dem Türhaken aufhängte und den Überzieher ins
Bett packte und warm zudeckte.

Nach dieser unterhaltsamer und lehrreichen Geschichte, der allgemeiner
Beifall gespendet ward, erklärte man meinen Einsprung in die Liga der Pipen-
brüder für zünftig vollzogen und gesetzlich zu Recht bestehend.

Die Gefährten drängten sich herzu, schüttelten mir mit Kraft und Biederbigkeit
die Hand, beglückwünschten mich mit Wärme, flehten den Segen ihres Schutz¬
heiligen Sanktus Schmökerinus auf mein Haupt herab und deckten es mit der
roten Troddelmütze zu.

Die nun sich entspinnende allgemeine Unterhaltung war mit Debatten und
Stichelreden mancherlei Art durchwürzt. --

Nachdem man dem Drogisten auch in dieser Runde den moralischen Fu߬
tritt gegeben hatte, wurde mit allem Eifer, den die Sache erheischt, die Frage
erörtert, ob man bei dem bevorstehenden Einzuge des neuen Landrath vor dem
Rathause zwei Fahnenmasten aufrichten müsse, oder ob ihrer vier ihm den
Empfangsgruß der Stadt zuwimpeln sollten. Auch in der letzten Magistrats¬
sitzung sind darob die Gemüter heftig aufeinander geplatzt, und der Kämmerer
hat sogar mit der Faust auf den Tisch gehauen.

Unter dem weiblichen Geschlecht sind diesmal vulkanische Ausbrüche glücklich
vermieden worden, weil in allen wichtigen Fragen das Los entschieden hat. --
Auf diese Weise sind die zehn Ehrenjungfern gekürt worden, und unter ihnen
wieder ist Josepha Pluderig die vom Schicksal Erkorene, die den Willkomm¬
spruch deklamieren wird.

"Die paßt auch am besten dazu," meinte Seine Korpulenz, der Tierarzt.

"Erlauben Sie gütigst, die lispelt ja," warf der Torfstechmaschinenagent
Marci ein.

"Na, mehr als Sie doch wohl auch nicht," sprach der Kaufmann Fredrich.

"Kinderrr, Kinderrr, keine Unstimmigkeit!" begütigte der Königliche Präpa-
randenanstaltsoorsteher. "Die Josepha ist jedenfalls ein stolzes Gebäude."

"Jawohl, eine überragende Gestalt," versicherte der gutmütige Senator
Schulz.

"Stimmt, Senator, eine reckenhafte Erscheinung," pflichtete der "Herr
Vorsteher" von der Kaiserlichen Reichspost bei.

"Hihihihi!" meckerte der beeidigte Rendant Pümpel dazwischen, "recken¬
haft? Überragende Gestalt? Stolzes Gebäude? Die Josepha? Hihihihi!
-- Jawohl, eine Stange ist sie, breit und platt gewälzt wie'n Fastnachtsfladen."

"Das ist nun doch der reine Quatsch mit Tunke," fuhr der Hagelversiche¬
rungsinspektor Küster gegen ihn auf. "Aus Ihnen spricht der blasse Neid, lieber
Rendant. -- Sie denken an Ihre kleine pummelige Veronika. -- Für die hätten
wir aber erst 'ne Kanzel aufbauen müssen."

"Silentium!" donnerte der Tierarzt. "Ich will mal den Willkommspruch
vorlesen. Hab ihn zufällig bei mir. Meine Ehehälfte hat ihn gedichtet."


Briefe aus Trebeldorf

statt dessen sich aber selbst an dem Türhaken aufhängte und den Überzieher ins
Bett packte und warm zudeckte.

Nach dieser unterhaltsamer und lehrreichen Geschichte, der allgemeiner
Beifall gespendet ward, erklärte man meinen Einsprung in die Liga der Pipen-
brüder für zünftig vollzogen und gesetzlich zu Recht bestehend.

Die Gefährten drängten sich herzu, schüttelten mir mit Kraft und Biederbigkeit
die Hand, beglückwünschten mich mit Wärme, flehten den Segen ihres Schutz¬
heiligen Sanktus Schmökerinus auf mein Haupt herab und deckten es mit der
roten Troddelmütze zu.

Die nun sich entspinnende allgemeine Unterhaltung war mit Debatten und
Stichelreden mancherlei Art durchwürzt. —

Nachdem man dem Drogisten auch in dieser Runde den moralischen Fu߬
tritt gegeben hatte, wurde mit allem Eifer, den die Sache erheischt, die Frage
erörtert, ob man bei dem bevorstehenden Einzuge des neuen Landrath vor dem
Rathause zwei Fahnenmasten aufrichten müsse, oder ob ihrer vier ihm den
Empfangsgruß der Stadt zuwimpeln sollten. Auch in der letzten Magistrats¬
sitzung sind darob die Gemüter heftig aufeinander geplatzt, und der Kämmerer
hat sogar mit der Faust auf den Tisch gehauen.

Unter dem weiblichen Geschlecht sind diesmal vulkanische Ausbrüche glücklich
vermieden worden, weil in allen wichtigen Fragen das Los entschieden hat. —
Auf diese Weise sind die zehn Ehrenjungfern gekürt worden, und unter ihnen
wieder ist Josepha Pluderig die vom Schicksal Erkorene, die den Willkomm¬
spruch deklamieren wird.

„Die paßt auch am besten dazu," meinte Seine Korpulenz, der Tierarzt.

„Erlauben Sie gütigst, die lispelt ja," warf der Torfstechmaschinenagent
Marci ein.

„Na, mehr als Sie doch wohl auch nicht," sprach der Kaufmann Fredrich.

„Kinderrr, Kinderrr, keine Unstimmigkeit!" begütigte der Königliche Präpa-
randenanstaltsoorsteher. „Die Josepha ist jedenfalls ein stolzes Gebäude."

„Jawohl, eine überragende Gestalt," versicherte der gutmütige Senator
Schulz.

„Stimmt, Senator, eine reckenhafte Erscheinung," pflichtete der „Herr
Vorsteher" von der Kaiserlichen Reichspost bei.

„Hihihihi!" meckerte der beeidigte Rendant Pümpel dazwischen, „recken¬
haft? Überragende Gestalt? Stolzes Gebäude? Die Josepha? Hihihihi!
— Jawohl, eine Stange ist sie, breit und platt gewälzt wie'n Fastnachtsfladen."

„Das ist nun doch der reine Quatsch mit Tunke," fuhr der Hagelversiche¬
rungsinspektor Küster gegen ihn auf. „Aus Ihnen spricht der blasse Neid, lieber
Rendant. — Sie denken an Ihre kleine pummelige Veronika. — Für die hätten
wir aber erst 'ne Kanzel aufbauen müssen."

„Silentium!" donnerte der Tierarzt. „Ich will mal den Willkommspruch
vorlesen. Hab ihn zufällig bei mir. Meine Ehehälfte hat ihn gedichtet."


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[0339] Briefe aus Trebeldorf statt dessen sich aber selbst an dem Türhaken aufhängte und den Überzieher ins Bett packte und warm zudeckte. Nach dieser unterhaltsamer und lehrreichen Geschichte, der allgemeiner Beifall gespendet ward, erklärte man meinen Einsprung in die Liga der Pipen- brüder für zünftig vollzogen und gesetzlich zu Recht bestehend. Die Gefährten drängten sich herzu, schüttelten mir mit Kraft und Biederbigkeit die Hand, beglückwünschten mich mit Wärme, flehten den Segen ihres Schutz¬ heiligen Sanktus Schmökerinus auf mein Haupt herab und deckten es mit der roten Troddelmütze zu. Die nun sich entspinnende allgemeine Unterhaltung war mit Debatten und Stichelreden mancherlei Art durchwürzt. — Nachdem man dem Drogisten auch in dieser Runde den moralischen Fu߬ tritt gegeben hatte, wurde mit allem Eifer, den die Sache erheischt, die Frage erörtert, ob man bei dem bevorstehenden Einzuge des neuen Landrath vor dem Rathause zwei Fahnenmasten aufrichten müsse, oder ob ihrer vier ihm den Empfangsgruß der Stadt zuwimpeln sollten. Auch in der letzten Magistrats¬ sitzung sind darob die Gemüter heftig aufeinander geplatzt, und der Kämmerer hat sogar mit der Faust auf den Tisch gehauen. Unter dem weiblichen Geschlecht sind diesmal vulkanische Ausbrüche glücklich vermieden worden, weil in allen wichtigen Fragen das Los entschieden hat. — Auf diese Weise sind die zehn Ehrenjungfern gekürt worden, und unter ihnen wieder ist Josepha Pluderig die vom Schicksal Erkorene, die den Willkomm¬ spruch deklamieren wird. „Die paßt auch am besten dazu," meinte Seine Korpulenz, der Tierarzt. „Erlauben Sie gütigst, die lispelt ja," warf der Torfstechmaschinenagent Marci ein. „Na, mehr als Sie doch wohl auch nicht," sprach der Kaufmann Fredrich. „Kinderrr, Kinderrr, keine Unstimmigkeit!" begütigte der Königliche Präpa- randenanstaltsoorsteher. „Die Josepha ist jedenfalls ein stolzes Gebäude." „Jawohl, eine überragende Gestalt," versicherte der gutmütige Senator Schulz. „Stimmt, Senator, eine reckenhafte Erscheinung," pflichtete der „Herr Vorsteher" von der Kaiserlichen Reichspost bei. „Hihihihi!" meckerte der beeidigte Rendant Pümpel dazwischen, „recken¬ haft? Überragende Gestalt? Stolzes Gebäude? Die Josepha? Hihihihi! — Jawohl, eine Stange ist sie, breit und platt gewälzt wie'n Fastnachtsfladen." „Das ist nun doch der reine Quatsch mit Tunke," fuhr der Hagelversiche¬ rungsinspektor Küster gegen ihn auf. „Aus Ihnen spricht der blasse Neid, lieber Rendant. — Sie denken an Ihre kleine pummelige Veronika. — Für die hätten wir aber erst 'ne Kanzel aufbauen müssen." „Silentium!" donnerte der Tierarzt. „Ich will mal den Willkommspruch vorlesen. Hab ihn zufällig bei mir. Meine Ehehälfte hat ihn gedichtet."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/339>, abgerufen am 25.08.2024.