Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Wie stärkt dieses Kraftgefühl, das dem mo¬ Selten nur verliert sich der Dichter einmal Ein anderer ist Wilhelm von Scholz. merlicht, alle Dinge verlieren die schroffen Überall ein Sehnen, Ringen. Die Sprache "Die Dämmerung" wird so erlebt: Zwischen den Dächern dunkelt das Blau über Firste, Dachrinnen, Essen windstill hin. Vom Licht schon vergessen ist der Gasse steinernes Grau. Doch im Tordunkel stehn helle Frauen, Frauen lehnen aus Fenstertiefe heraus. Heimkehrende bringen das Ergrauen des Lands. Da schwinden sie Haus für Haus. -- Scholz beweist mit diesem neuen Buche Nachdruck sämtlicher Aussähe nur mit ausdliicklichcr Erlaubnis des Verlag" gestattet, verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. -- Mmiusrnptsendungcil "ut Briese werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzboten in Frieden"" bei Berlin, Hcdwigstr. 1". Fernsprecher der Schnstleitung: Amt Uhland SW0, des Verlags: Amt Lü"vo KS1D. Verlag: Verlag der Grenzboten "S. in. b. H. in Berlin SV. 11. Druck: .Der Rcichslwte" G. in. ". H. in Berlin SW. N, Dessauer Stwi-s M/N- Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Wie stärkt dieses Kraftgefühl, das dem mo¬ Selten nur verliert sich der Dichter einmal Ein anderer ist Wilhelm von Scholz. merlicht, alle Dinge verlieren die schroffen Überall ein Sehnen, Ringen. Die Sprache „Die Dämmerung" wird so erlebt: Zwischen den Dächern dunkelt das Blau über Firste, Dachrinnen, Essen windstill hin. Vom Licht schon vergessen ist der Gasse steinernes Grau. Doch im Tordunkel stehn helle Frauen, Frauen lehnen aus Fenstertiefe heraus. Heimkehrende bringen das Ergrauen des Lands. Da schwinden sie Haus für Haus. — Scholz beweist mit diesem neuen Buche Nachdruck sämtlicher Aussähe nur mit ausdliicklichcr Erlaubnis des Verlag» gestattet, verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. — Mmiusrnptsendungcil »ut Briese werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzboten in Frieden«» bei Berlin, Hcdwigstr. 1». Fernsprecher der Schnstleitung: Amt Uhland SW0, des Verlags: Amt Lü«vo KS1D. Verlag: Verlag der Grenzboten «S. in. b. H. in Berlin SV. 11. Druck: .Der Rcichslwte" G. in. ». H. in Berlin SW. N, Dessauer Stwi-s M/N- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325178"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l/> </lg> <p xml:id="ID_1276"> Wie stärkt dieses Kraftgefühl, das dem mo¬<lb/> dernen Leben Gelassenheit entgegenbringt, das<lb/> sich nicht verwirren läßt, sondern sich an ihm<lb/> stählt, an ihm wächst I Und solche Kunst wurzelt<lb/> doch in der Einsamkeit, in welcher all die<lb/> wechselnden Erscheinungen in eine ruhige<lb/> Einheit verschmelzen und sich langsam, sicher<lb/> gestalten können.</p> <p xml:id="ID_1277"> Selten nur verliert sich der Dichter einmal<lb/> in zuviel Worte (wie in den Hymnen an<lb/> Beethoven, Bach, Bruckner), aber auch da<lb/> bleibt stets ein plastisches Bild zurück, irgend¬<lb/> eine zusammenfassende, wundervoll kräftige<lb/> Zeile. Wie ein Ährenfeld im Sommerleuchten<lb/> wogt, schwer von Segen, so ist auch dieses<lb/> Buch reif und voll Sonne. Lisscmer ist eine<lb/> neue, seltene Hoffnung. Sein Spruch „Ver¬<lb/> trauen" gilt auch ihm selbst als Lob und<lb/> Mahnung:</p> <lg xml:id="POEMID_12" type="poem"> <l/> </lg> <p xml:id="ID_1278" next="#ID_1279"> Ein anderer ist Wilhelm von Scholz.<lb/> Er ist ein Grübler, ein Hieronymus. Die<lb/> „Neuen Gedichte" (Georg Müller, München)<lb/> schließen sich unmittelbar seinem früheren<lb/> Versbande „Der Spiegel" an. Seine Lyrik<lb/> schwebt nicht wie Wolken und Winde, sie<lb/> gleicht einem dunklen, einsamen, schaltenden<lb/> Baume, dessen Zweige ahnungsreiche Me¬<lb/> lodien rauschen. Sie ist schwer, ein wenig<lb/> hart und streng mitunter (in der Form). Aber<lb/> doch wieder umfängt uns ein sanftes Däm¬</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1279" prev="#ID_1278"> merlicht, alle Dinge verlieren die schroffen<lb/> Ecken und zerfließen zu weichen Gebilden.<lb/> Ein echt deutscher, mittelalterlich mystischer<lb/> Pantheismus raunt in den Versen, die manch¬<lb/> mal noch etwas von der chaotischen Fülle der<lb/> Inbrunst in sich tragen, aus welcher sie sich<lb/> emporgerungen haben.</p> <lg xml:id="POEMID_13" type="poem"> <l/> </lg> <p xml:id="ID_1280"> Überall ein Sehnen, Ringen. Die Sprache<lb/> sucht nach äquivalenten Lauten; bezeichnend<lb/> dünken mich die doppelten Adjektiv«: hauch¬<lb/> kühl, rauchdunkel, abendbraun, raumgrau.<lb/> Es ist ein bitterernstes Buch voll inneren<lb/> Gleichgewichts. Die Visionen des Dichters<lb/> (man darf gerade bei Scholz dieses Wort<lb/> nennen) sind gebannt und geformt, und man<lb/> fühlt es, wie tief diese Verse die Eigenart<lb/> ihres Schöpfers offenbaren. Unverlierbare<lb/> Bilder werden mit grandioser Einfachheit<lb/> gemalt. Ein Blinder lauscht den Schritten<lb/> eines Vorübergehenden:</p> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem"> <l/> </lg> <p xml:id="ID_1281"> „Die Dämmerung" wird so erlebt:</p> <lg xml:id="POEMID_15" type="poem"> <l> Zwischen den Dächern dunkelt das Blau<lb/> über Firste, Dachrinnen, Essen<lb/> windstill hin. Vom Licht schon vergessen<lb/> ist der Gasse steinernes Grau.</l> <l> Doch im Tordunkel stehn helle Frauen,<lb/> Frauen lehnen aus Fenstertiefe heraus.<lb/> Heimkehrende bringen das Ergrauen<lb/> des Lands. 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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Wie stärkt dieses Kraftgefühl, das dem mo¬
dernen Leben Gelassenheit entgegenbringt, das
sich nicht verwirren läßt, sondern sich an ihm
stählt, an ihm wächst I Und solche Kunst wurzelt
doch in der Einsamkeit, in welcher all die
wechselnden Erscheinungen in eine ruhige
Einheit verschmelzen und sich langsam, sicher
gestalten können.
Selten nur verliert sich der Dichter einmal
in zuviel Worte (wie in den Hymnen an
Beethoven, Bach, Bruckner), aber auch da
bleibt stets ein plastisches Bild zurück, irgend¬
eine zusammenfassende, wundervoll kräftige
Zeile. Wie ein Ährenfeld im Sommerleuchten
wogt, schwer von Segen, so ist auch dieses
Buch reif und voll Sonne. Lisscmer ist eine
neue, seltene Hoffnung. Sein Spruch „Ver¬
trauen" gilt auch ihm selbst als Lob und
Mahnung:
Ein anderer ist Wilhelm von Scholz.
Er ist ein Grübler, ein Hieronymus. Die
„Neuen Gedichte" (Georg Müller, München)
schließen sich unmittelbar seinem früheren
Versbande „Der Spiegel" an. Seine Lyrik
schwebt nicht wie Wolken und Winde, sie
gleicht einem dunklen, einsamen, schaltenden
Baume, dessen Zweige ahnungsreiche Me¬
lodien rauschen. Sie ist schwer, ein wenig
hart und streng mitunter (in der Form). Aber
doch wieder umfängt uns ein sanftes Däm¬
merlicht, alle Dinge verlieren die schroffen
Ecken und zerfließen zu weichen Gebilden.
Ein echt deutscher, mittelalterlich mystischer
Pantheismus raunt in den Versen, die manch¬
mal noch etwas von der chaotischen Fülle der
Inbrunst in sich tragen, aus welcher sie sich
emporgerungen haben.
Überall ein Sehnen, Ringen. Die Sprache
sucht nach äquivalenten Lauten; bezeichnend
dünken mich die doppelten Adjektiv«: hauch¬
kühl, rauchdunkel, abendbraun, raumgrau.
Es ist ein bitterernstes Buch voll inneren
Gleichgewichts. Die Visionen des Dichters
(man darf gerade bei Scholz dieses Wort
nennen) sind gebannt und geformt, und man
fühlt es, wie tief diese Verse die Eigenart
ihres Schöpfers offenbaren. Unverlierbare
Bilder werden mit grandioser Einfachheit
gemalt. Ein Blinder lauscht den Schritten
eines Vorübergehenden:
„Die Dämmerung" wird so erlebt:
Zwischen den Dächern dunkelt das Blau
über Firste, Dachrinnen, Essen
windstill hin. Vom Licht schon vergessen
ist der Gasse steinernes Grau. Doch im Tordunkel stehn helle Frauen,
Frauen lehnen aus Fenstertiefe heraus.
Heimkehrende bringen das Ergrauen
des Lands. Da schwinden sie Haus für
Haus. —
Scholz beweist mit diesem neuen Buche
das alte Hamletwort: Reifsein ist alles!
Ernst Ludwig Schellenberg
Nachdruck sämtlicher Aussähe nur mit ausdliicklichcr Erlaubnis des Verlag» gestattet,
verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. — Mmiusrnptsendungcil »ut Briese werden
erbeten unter der Adresse:
An den Herausgeber der Grenzboten in Frieden«» bei Berlin, Hcdwigstr. 1».
Fernsprecher der Schnstleitung: Amt Uhland SW0, des Verlags: Amt Lü«vo KS1D.
Verlag: Verlag der Grenzboten «S. in. b. H. in Berlin SV. 11.
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