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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

das in der Stille den Weg zu sich selber
sucht:

Und gingen abseits, wenn sein Jubel kam.
Je tiefer und ruhiger man in des Dichters
Art eingeht, um so reiner erkennt man seine
edle Kunst, die freilich niemals auf allge¬
meine Wirkung wird rechnen können. Aber
darin liegt für jeden Kundigen nur ein Lob
und Verdienst beschlossen. Ein gesammeltes,
reifes Buch, wenn auch kein starkes.

"Gewalten" heißt ein Balladenbuch von
Franz Theodor Csokor (Axel Juncker, Berlin-
Charlottenburg, 2.50 M.). Es ist darin viel
stürmende, gärende, ausholende Jugend.
Darum erscheint mir auch der Titel etwas
verfrüht. Richt Gewalten bestimmen und
meißeln die Verse; sondern Ungestüm wirft
sie keck auf das Papier. Aber gerade diese
Frische berührt wohltuend und verheißungs¬
voll. Noch zerflattern viele Bilder und
lassen die Prägnanz vermissen; aber manche
packende Strophen zeigen eine werdende
Kraft und verlieren sich nicht leicht aus dem
Gedächtnis.

Karl Stuart harrt auf die Hinrichtung:

,
Manche Balladen geben zuviel Schilde¬
rung, zu wenig Anschauung, Bewegtheit ("Die
Weinsberger Hatz"); auch provinzielle Aus¬
drücke werden etwas sorglos eingewoben,
ohne sich rechtfertigen zu lassen. Jedenfalls
erweckt dieser Anfang Verlangen nach dem
Kommenden, dem nur mehr Reife, Zusammen¬
fassung zu wünschen ist. Ballade ist nicht
Darstellung, sondern Konzentration; hier gilt
nicht das große, sondern das starke Wort.

[Spaltenumbruch]

Sehr ungleichmäßig berührte mich das
Buch von Otto Pick "Freundliches Erleben"
(Axel Juncker, Berlin-Charlottenburg, 2 M.).
Ziemlich sorglos sind die Gedichte geformt,
sie wiegen nicht schwer, verraten aber doch
hin und wieder eine gewisse Eigenart, zu
welcher sich der Verfasser nicht völlig durch¬
gerungen hat. Die Beobachtungen werden
in Versen gleichsam nur registriert, ohne in
des Dichters Tiefe eingedrungen zu sein oder
seine Art widerzuspiegeln ("Sonntagsbummel
in der Kleinstadt", "Trüber Sonntag",
"Einmarsch in die Stadt"). Man findet
viel gut gesehene Einzelheiten, die sich noch
nicht zum Ganzen runden. Wo es aber ge¬
lungen ist, da sind einige frische, seine Stücke
entstanden, wie "Der Posten vor dem Ge¬
fängnis", "Der Städter im Dorfe". Die
stillen Naturbilder und schlichten Lieder
muteten mich am erfreulichsten an ("Fern
von ihr", "Wandlung", "Der Spaziergang",
"Frühling"); hier wird der Weg sein, welchen
Otto Pick verfolgen nutz.

Viel Schönes fand ich bei Anton Wild¬
gans, dessen "Herbstfrühling" wirklich Be¬
achtung verdient (Axel Juncker, br. 3 M.,
geb. 4 M.). Seine Verse sind voll Melodie,
die sich sanft ins Ohr schmeichelt. Aber
nirgends will er üutzerliche Klangwirkungen,
leeres Wortgeprunk. Er versucht vielmehr,
umrißklare Bilder zu zeichnen und Gestalten
zu schaffen. "Die Frau des Alternden" geht
leisen Seelenrogungen nach; "Die Lahmen",
"Lastenstraße", "Dirnen" rühren an soziale
Probleme, die ohne innere Wucht, aber mit
gütigem Verstehen dargetan werden. Reicher,
ausgeglichener sind die rein lyrischen Stim¬
mungen: "Herbstfrühling", "Verlorene
Stunden", "DaS ist die Dämmerung". Das
ehrliche, treue Ringen, das in diesen Versen
offenbar wird, läßt uns auch schrille Töne,
wie "Kind der Liebe", "Letzter Wille" ernst
nehmen; doch glaube ich, daß gerade das Ver¬
haltene, Stille das Wesen dieses feinen
Dichters bestimmt. Er kennt selbst die
Grenzen seiner Begabung:

Alle Bücher, die ich bisher nannte --
und ich wählte aus dem mir zur Verfügung
gestellten Material nur das Wichtigste, Wür-

[Ende Spaltensatz]
"Krieg!" Es springt über Bühel und
Berge,
Straßen funkeln in Wehr und Wacht;
Zagende Hände zupfen am Werge,
Felder harren wie lauernde Särge,
Brände gießen Blut in die Nacht.
Die Pest zieht ins Land:
Nach Straßburg kam der schwarze Tod
vom Hansameer den Rhein herab;
wie Würmer kroch er in das Brot
und zog den Trunk dem Zecher ab;
an die er rührte, fielen um
und wurden blau und waren stumm.

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

das in der Stille den Weg zu sich selber
sucht:

Und gingen abseits, wenn sein Jubel kam.
Je tiefer und ruhiger man in des Dichters
Art eingeht, um so reiner erkennt man seine
edle Kunst, die freilich niemals auf allge¬
meine Wirkung wird rechnen können. Aber
darin liegt für jeden Kundigen nur ein Lob
und Verdienst beschlossen. Ein gesammeltes,
reifes Buch, wenn auch kein starkes.

„Gewalten" heißt ein Balladenbuch von
Franz Theodor Csokor (Axel Juncker, Berlin-
Charlottenburg, 2.50 M.). Es ist darin viel
stürmende, gärende, ausholende Jugend.
Darum erscheint mir auch der Titel etwas
verfrüht. Richt Gewalten bestimmen und
meißeln die Verse; sondern Ungestüm wirft
sie keck auf das Papier. Aber gerade diese
Frische berührt wohltuend und verheißungs¬
voll. Noch zerflattern viele Bilder und
lassen die Prägnanz vermissen; aber manche
packende Strophen zeigen eine werdende
Kraft und verlieren sich nicht leicht aus dem
Gedächtnis.

Karl Stuart harrt auf die Hinrichtung:

,
Manche Balladen geben zuviel Schilde¬
rung, zu wenig Anschauung, Bewegtheit („Die
Weinsberger Hatz"); auch provinzielle Aus¬
drücke werden etwas sorglos eingewoben,
ohne sich rechtfertigen zu lassen. Jedenfalls
erweckt dieser Anfang Verlangen nach dem
Kommenden, dem nur mehr Reife, Zusammen¬
fassung zu wünschen ist. Ballade ist nicht
Darstellung, sondern Konzentration; hier gilt
nicht das große, sondern das starke Wort.

[Spaltenumbruch]

Sehr ungleichmäßig berührte mich das
Buch von Otto Pick „Freundliches Erleben"
(Axel Juncker, Berlin-Charlottenburg, 2 M.).
Ziemlich sorglos sind die Gedichte geformt,
sie wiegen nicht schwer, verraten aber doch
hin und wieder eine gewisse Eigenart, zu
welcher sich der Verfasser nicht völlig durch¬
gerungen hat. Die Beobachtungen werden
in Versen gleichsam nur registriert, ohne in
des Dichters Tiefe eingedrungen zu sein oder
seine Art widerzuspiegeln („Sonntagsbummel
in der Kleinstadt", „Trüber Sonntag",
„Einmarsch in die Stadt"). Man findet
viel gut gesehene Einzelheiten, die sich noch
nicht zum Ganzen runden. Wo es aber ge¬
lungen ist, da sind einige frische, seine Stücke
entstanden, wie „Der Posten vor dem Ge¬
fängnis", „Der Städter im Dorfe". Die
stillen Naturbilder und schlichten Lieder
muteten mich am erfreulichsten an („Fern
von ihr", „Wandlung", „Der Spaziergang",
„Frühling"); hier wird der Weg sein, welchen
Otto Pick verfolgen nutz.

Viel Schönes fand ich bei Anton Wild¬
gans, dessen „Herbstfrühling" wirklich Be¬
achtung verdient (Axel Juncker, br. 3 M.,
geb. 4 M.). Seine Verse sind voll Melodie,
die sich sanft ins Ohr schmeichelt. Aber
nirgends will er üutzerliche Klangwirkungen,
leeres Wortgeprunk. Er versucht vielmehr,
umrißklare Bilder zu zeichnen und Gestalten
zu schaffen. „Die Frau des Alternden" geht
leisen Seelenrogungen nach; „Die Lahmen",
„Lastenstraße", „Dirnen" rühren an soziale
Probleme, die ohne innere Wucht, aber mit
gütigem Verstehen dargetan werden. Reicher,
ausgeglichener sind die rein lyrischen Stim¬
mungen: „Herbstfrühling", „Verlorene
Stunden", „DaS ist die Dämmerung". Das
ehrliche, treue Ringen, das in diesen Versen
offenbar wird, läßt uns auch schrille Töne,
wie „Kind der Liebe", „Letzter Wille" ernst
nehmen; doch glaube ich, daß gerade das Ver¬
haltene, Stille das Wesen dieses feinen
Dichters bestimmt. Er kennt selbst die
Grenzen seiner Begabung:

Alle Bücher, die ich bisher nannte —
und ich wählte aus dem mir zur Verfügung
gestellten Material nur das Wichtigste, Wür-

[Ende Spaltensatz]
„Krieg!" Es springt über Bühel und
Berge,
Straßen funkeln in Wehr und Wacht;
Zagende Hände zupfen am Werge,
Felder harren wie lauernde Särge,
Brände gießen Blut in die Nacht.
Die Pest zieht ins Land:
Nach Straßburg kam der schwarze Tod
vom Hansameer den Rhein herab;
wie Würmer kroch er in das Brot
und zog den Trunk dem Zecher ab;
an die er rührte, fielen um
und wurden blau und waren stumm.

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[0306] Maßgebliches und Unmaßgebliches das in der Stille den Weg zu sich selber sucht: Und gingen abseits, wenn sein Jubel kam. Je tiefer und ruhiger man in des Dichters Art eingeht, um so reiner erkennt man seine edle Kunst, die freilich niemals auf allge¬ meine Wirkung wird rechnen können. Aber darin liegt für jeden Kundigen nur ein Lob und Verdienst beschlossen. Ein gesammeltes, reifes Buch, wenn auch kein starkes. „Gewalten" heißt ein Balladenbuch von Franz Theodor Csokor (Axel Juncker, Berlin- Charlottenburg, 2.50 M.). Es ist darin viel stürmende, gärende, ausholende Jugend. Darum erscheint mir auch der Titel etwas verfrüht. Richt Gewalten bestimmen und meißeln die Verse; sondern Ungestüm wirft sie keck auf das Papier. Aber gerade diese Frische berührt wohltuend und verheißungs¬ voll. Noch zerflattern viele Bilder und lassen die Prägnanz vermissen; aber manche packende Strophen zeigen eine werdende Kraft und verlieren sich nicht leicht aus dem Gedächtnis. Karl Stuart harrt auf die Hinrichtung: , Manche Balladen geben zuviel Schilde¬ rung, zu wenig Anschauung, Bewegtheit („Die Weinsberger Hatz"); auch provinzielle Aus¬ drücke werden etwas sorglos eingewoben, ohne sich rechtfertigen zu lassen. Jedenfalls erweckt dieser Anfang Verlangen nach dem Kommenden, dem nur mehr Reife, Zusammen¬ fassung zu wünschen ist. Ballade ist nicht Darstellung, sondern Konzentration; hier gilt nicht das große, sondern das starke Wort. Sehr ungleichmäßig berührte mich das Buch von Otto Pick „Freundliches Erleben" (Axel Juncker, Berlin-Charlottenburg, 2 M.). Ziemlich sorglos sind die Gedichte geformt, sie wiegen nicht schwer, verraten aber doch hin und wieder eine gewisse Eigenart, zu welcher sich der Verfasser nicht völlig durch¬ gerungen hat. Die Beobachtungen werden in Versen gleichsam nur registriert, ohne in des Dichters Tiefe eingedrungen zu sein oder seine Art widerzuspiegeln („Sonntagsbummel in der Kleinstadt", „Trüber Sonntag", „Einmarsch in die Stadt"). Man findet viel gut gesehene Einzelheiten, die sich noch nicht zum Ganzen runden. Wo es aber ge¬ lungen ist, da sind einige frische, seine Stücke entstanden, wie „Der Posten vor dem Ge¬ fängnis", „Der Städter im Dorfe". Die stillen Naturbilder und schlichten Lieder muteten mich am erfreulichsten an („Fern von ihr", „Wandlung", „Der Spaziergang", „Frühling"); hier wird der Weg sein, welchen Otto Pick verfolgen nutz. Viel Schönes fand ich bei Anton Wild¬ gans, dessen „Herbstfrühling" wirklich Be¬ achtung verdient (Axel Juncker, br. 3 M., geb. 4 M.). Seine Verse sind voll Melodie, die sich sanft ins Ohr schmeichelt. Aber nirgends will er üutzerliche Klangwirkungen, leeres Wortgeprunk. Er versucht vielmehr, umrißklare Bilder zu zeichnen und Gestalten zu schaffen. „Die Frau des Alternden" geht leisen Seelenrogungen nach; „Die Lahmen", „Lastenstraße", „Dirnen" rühren an soziale Probleme, die ohne innere Wucht, aber mit gütigem Verstehen dargetan werden. Reicher, ausgeglichener sind die rein lyrischen Stim¬ mungen: „Herbstfrühling", „Verlorene Stunden", „DaS ist die Dämmerung". Das ehrliche, treue Ringen, das in diesen Versen offenbar wird, läßt uns auch schrille Töne, wie „Kind der Liebe", „Letzter Wille" ernst nehmen; doch glaube ich, daß gerade das Ver¬ haltene, Stille das Wesen dieses feinen Dichters bestimmt. Er kennt selbst die Grenzen seiner Begabung: Alle Bücher, die ich bisher nannte — und ich wählte aus dem mir zur Verfügung gestellten Material nur das Wichtigste, Wür- „Krieg!" Es springt über Bühel und Berge, Straßen funkeln in Wehr und Wacht; Zagende Hände zupfen am Werge, Felder harren wie lauernde Särge, Brände gießen Blut in die Nacht. Die Pest zieht ins Land: Nach Straßburg kam der schwarze Tod vom Hansameer den Rhein herab; wie Würmer kroch er in das Brot und zog den Trunk dem Zecher ab; an die er rührte, fielen um und wurden blau und waren stumm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/306>, abgerufen am 22.12.2024.