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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Träger des Volks - Schillerpreises

so wundervoll enthält) und ist entstellt durch ein zusammenhangloses Zwischen¬
spiel, das, von einigen guten Witzen abgesehen, nicht Shakespearisch, nicht Eulen-
bergisch, sondern nur gemacht und gewollt ist. Gewiß, einem Talent, das nur
groteske Begabung hat und sich durchaus an poetische Stoffe macht, dem soll
man raten: such dir deine besondere Gattung; aber einen Charakterkopf, dessen
erste schöne Leistungen bereits durch Überpersönliches gefährdet waren, den soll
man warnen, das Eigenartige ja nicht zum Fratzenhaften werden zu lassen.
Wohl existiert ein Gegensatz zwischen Kleist und Eulenberg, und zu einem
objektiven, bis zum Schlußwort klaren Schauspiel wie dem "Prinzen von Hom¬
burg" wird der letztere es vielleicht nie bringen können. Aber ein noch größerer
Unterschied besteht von Natur zwischen Eulenberg und Wedekind. Eulenberg
ist ein Dichter, kein Halb- oder Viertelsdichter, kein Verfasser von wuchtigen
Grotesken wie Wedekind, dessen Schöpfungen sich nur hie und da mit dichte¬
rischer Gestaltung berühren. Die Entwicklung, die wir Eulenberg wünschen,
ist die des Reinpoetischen seiner (gottlob) meisten Dramen. Ein Stück Quer¬
kopf wird er wohl trotzdem ewig bleiben, aber er sollte es zurückzudrängen
suchen, nicht hervortreiben!

Vor etwa einem Jahre (1911, Heft 42) ist in diesen Blättern schon einmal
über Eulenbergs Schaffen geurteilt worden, zum Teil sehr treffend, in der
Hauptsache aber meines Erachtens allzu schroff. Denn damals wurde die
Mehrzahl aller Dramen Eulenbergs als gemacht und forciert abgelehnt. Schon
"Anna Walewska" (das zweite, nicht das fünfte der Eulenbergschen Dramen)
wurde als Ausgeburt eines Kopfes, der ungangbare Seitenwege liebe, als
lebensfremde Schreibtischkonstruktion bezeichnet, und es galten im Grunde nur
"Dogenglück", "Leidenschaft", "Ein halber Held".

Mit der Tragödie "Dogenglück" (entstanden 1898) begann Eulenberg. Ich
urteile auch über Vorzüge und Schattenseiten dieses Stückes nur teilweise ähnlich
wie mein Vorgänger in diesen Blättern. Dies Werk des damals zweiundzwanzig-
jährigen Eulenberg ist selbst unter seinen eigenen Dramen das Sturm- und
Drangstück als solches. Wie der junge Klinger folgt Eulenberg Shakespeare.
Da wimmelt es von übertreibender und überflüssigen Shakespeare-Reminiszenzen
auch in der Diktion, so daß ein naturalistisch geschulter Leser das Buch leicht
als Bombast beiseite legen kann. Und als ob man in Klingers "Zwillingen"
läse -- in diesem Drama Eulenbergs, das von einem Dogen Falieri und
seinem Feinde Steno handelt, wird zeitlos von Flintenschüssen und Zigarren
gesprochen! Da haben wir endlich einen Schlußakt im Narrenhause, der wie
ein übertriebenes Gemenge aus den Wahnsinnsszenen in Shakespeares "Hamlet",
Klingers "Otto" und Bonaventuras "Nachtwachen" aussieht. Und doch -- in
jedem Akt ist mindestens eine wundervolle, bildhafte Szene: am Schluß des
ersten der schwermütig dunkle Hochzeitsabend des alten Dogen Falieri und der
jungen Dogaressa, im zweiten die geniale Szene, in der die einst so unschuldige
Dogaressa den Jugendgeliebten Steno um seine Zukunft betrügt und wie eine


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so wundervoll enthält) und ist entstellt durch ein zusammenhangloses Zwischen¬
spiel, das, von einigen guten Witzen abgesehen, nicht Shakespearisch, nicht Eulen-
bergisch, sondern nur gemacht und gewollt ist. Gewiß, einem Talent, das nur
groteske Begabung hat und sich durchaus an poetische Stoffe macht, dem soll
man raten: such dir deine besondere Gattung; aber einen Charakterkopf, dessen
erste schöne Leistungen bereits durch Überpersönliches gefährdet waren, den soll
man warnen, das Eigenartige ja nicht zum Fratzenhaften werden zu lassen.
Wohl existiert ein Gegensatz zwischen Kleist und Eulenberg, und zu einem
objektiven, bis zum Schlußwort klaren Schauspiel wie dem „Prinzen von Hom¬
burg" wird der letztere es vielleicht nie bringen können. Aber ein noch größerer
Unterschied besteht von Natur zwischen Eulenberg und Wedekind. Eulenberg
ist ein Dichter, kein Halb- oder Viertelsdichter, kein Verfasser von wuchtigen
Grotesken wie Wedekind, dessen Schöpfungen sich nur hie und da mit dichte¬
rischer Gestaltung berühren. Die Entwicklung, die wir Eulenberg wünschen,
ist die des Reinpoetischen seiner (gottlob) meisten Dramen. Ein Stück Quer¬
kopf wird er wohl trotzdem ewig bleiben, aber er sollte es zurückzudrängen
suchen, nicht hervortreiben!

Vor etwa einem Jahre (1911, Heft 42) ist in diesen Blättern schon einmal
über Eulenbergs Schaffen geurteilt worden, zum Teil sehr treffend, in der
Hauptsache aber meines Erachtens allzu schroff. Denn damals wurde die
Mehrzahl aller Dramen Eulenbergs als gemacht und forciert abgelehnt. Schon
„Anna Walewska" (das zweite, nicht das fünfte der Eulenbergschen Dramen)
wurde als Ausgeburt eines Kopfes, der ungangbare Seitenwege liebe, als
lebensfremde Schreibtischkonstruktion bezeichnet, und es galten im Grunde nur
„Dogenglück", „Leidenschaft", „Ein halber Held".

Mit der Tragödie „Dogenglück" (entstanden 1898) begann Eulenberg. Ich
urteile auch über Vorzüge und Schattenseiten dieses Stückes nur teilweise ähnlich
wie mein Vorgänger in diesen Blättern. Dies Werk des damals zweiundzwanzig-
jährigen Eulenberg ist selbst unter seinen eigenen Dramen das Sturm- und
Drangstück als solches. Wie der junge Klinger folgt Eulenberg Shakespeare.
Da wimmelt es von übertreibender und überflüssigen Shakespeare-Reminiszenzen
auch in der Diktion, so daß ein naturalistisch geschulter Leser das Buch leicht
als Bombast beiseite legen kann. Und als ob man in Klingers „Zwillingen"
läse — in diesem Drama Eulenbergs, das von einem Dogen Falieri und
seinem Feinde Steno handelt, wird zeitlos von Flintenschüssen und Zigarren
gesprochen! Da haben wir endlich einen Schlußakt im Narrenhause, der wie
ein übertriebenes Gemenge aus den Wahnsinnsszenen in Shakespeares „Hamlet",
Klingers „Otto" und Bonaventuras „Nachtwachen" aussieht. Und doch — in
jedem Akt ist mindestens eine wundervolle, bildhafte Szene: am Schluß des
ersten der schwermütig dunkle Hochzeitsabend des alten Dogen Falieri und der
jungen Dogaressa, im zweiten die geniale Szene, in der die einst so unschuldige
Dogaressa den Jugendgeliebten Steno um seine Zukunft betrügt und wie eine


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[0292] Der neue Träger des Volks - Schillerpreises so wundervoll enthält) und ist entstellt durch ein zusammenhangloses Zwischen¬ spiel, das, von einigen guten Witzen abgesehen, nicht Shakespearisch, nicht Eulen- bergisch, sondern nur gemacht und gewollt ist. Gewiß, einem Talent, das nur groteske Begabung hat und sich durchaus an poetische Stoffe macht, dem soll man raten: such dir deine besondere Gattung; aber einen Charakterkopf, dessen erste schöne Leistungen bereits durch Überpersönliches gefährdet waren, den soll man warnen, das Eigenartige ja nicht zum Fratzenhaften werden zu lassen. Wohl existiert ein Gegensatz zwischen Kleist und Eulenberg, und zu einem objektiven, bis zum Schlußwort klaren Schauspiel wie dem „Prinzen von Hom¬ burg" wird der letztere es vielleicht nie bringen können. Aber ein noch größerer Unterschied besteht von Natur zwischen Eulenberg und Wedekind. Eulenberg ist ein Dichter, kein Halb- oder Viertelsdichter, kein Verfasser von wuchtigen Grotesken wie Wedekind, dessen Schöpfungen sich nur hie und da mit dichte¬ rischer Gestaltung berühren. Die Entwicklung, die wir Eulenberg wünschen, ist die des Reinpoetischen seiner (gottlob) meisten Dramen. Ein Stück Quer¬ kopf wird er wohl trotzdem ewig bleiben, aber er sollte es zurückzudrängen suchen, nicht hervortreiben! Vor etwa einem Jahre (1911, Heft 42) ist in diesen Blättern schon einmal über Eulenbergs Schaffen geurteilt worden, zum Teil sehr treffend, in der Hauptsache aber meines Erachtens allzu schroff. Denn damals wurde die Mehrzahl aller Dramen Eulenbergs als gemacht und forciert abgelehnt. Schon „Anna Walewska" (das zweite, nicht das fünfte der Eulenbergschen Dramen) wurde als Ausgeburt eines Kopfes, der ungangbare Seitenwege liebe, als lebensfremde Schreibtischkonstruktion bezeichnet, und es galten im Grunde nur „Dogenglück", „Leidenschaft", „Ein halber Held". Mit der Tragödie „Dogenglück" (entstanden 1898) begann Eulenberg. Ich urteile auch über Vorzüge und Schattenseiten dieses Stückes nur teilweise ähnlich wie mein Vorgänger in diesen Blättern. Dies Werk des damals zweiundzwanzig- jährigen Eulenberg ist selbst unter seinen eigenen Dramen das Sturm- und Drangstück als solches. Wie der junge Klinger folgt Eulenberg Shakespeare. Da wimmelt es von übertreibender und überflüssigen Shakespeare-Reminiszenzen auch in der Diktion, so daß ein naturalistisch geschulter Leser das Buch leicht als Bombast beiseite legen kann. Und als ob man in Klingers „Zwillingen" läse — in diesem Drama Eulenbergs, das von einem Dogen Falieri und seinem Feinde Steno handelt, wird zeitlos von Flintenschüssen und Zigarren gesprochen! Da haben wir endlich einen Schlußakt im Narrenhause, der wie ein übertriebenes Gemenge aus den Wahnsinnsszenen in Shakespeares „Hamlet", Klingers „Otto" und Bonaventuras „Nachtwachen" aussieht. Und doch — in jedem Akt ist mindestens eine wundervolle, bildhafte Szene: am Schluß des ersten der schwermütig dunkle Hochzeitsabend des alten Dogen Falieri und der jungen Dogaressa, im zweiten die geniale Szene, in der die einst so unschuldige Dogaressa den Jugendgeliebten Steno um seine Zukunft betrügt und wie eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/292>, abgerufen am 22.07.2024.