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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Der Vater ist einsilbig. Er hat nicht das an sich, was wir übertünchten
Europäer als Lebensart bezeichnen. Er raucht seine Pfeife sachte weiter. Doch
ist er nicht unfreundlich. Es haftet vielmehr an ihm eine gewisse Verlegenheit,
eine Art beklommener Scheu, wie sie die kleinen Leute vor uns "Gelehrten"
bisweilen empfinden.

Ich sage ihm, daß Paul ein ungemein begabter kleiner Mensch ist.

Da lächelt er: "Das hat er von mine Fru. Die is auch nicht auf'n Kopp
gefallen."

"Nu nee, Vater," meint sie, "ein bißchen Pfiffigkeit hat noch keinem
Menschen nich geschabt."

"Darf man nich zu viel werden. Was soll'n Torfstecher mit so'n offenen
Kopp. Alle, die soviel gelernt haben, sind nachher bloß unzufrieden."

"Je nun, Vater Ewert," werfe ich ein, "was einer vom lieben Gott hat,
das hat er nun mal. Wer wird sich die Augen verbinden, wenn er hell in
die Weite sehen kann!"

"Der Junge ist immer beim Erfinden," meint die Mutter. "Nu hat er
'ne neue Torfstechmaschine vor. -- Zeig mal her, Paul!"

Langsam und vorsichtig dreht sich Paul auf die Seite, langt unter das
Bett und holt sein Holzmodell hervor. Begeistert erklärt er mir, wie das Ding
arbeiten soll. Der Torf, sagt er. muß noch viel tiefer herausgestochen werden.
Ganz unten sitzt der beste, und wenn man noch weiter hinab könnte, würde
man zuletzt auf Kohlen stoßen.

Während des Gesprächs gleiten meine Blicke wiederholt durch die Stube,
und es lichtet sich mir allmählich in den dunklen Winkeln.

Wie behaglich doch diese ungewollte Natürlichkeit wirkt! -- Auf der Fenster¬
bank stehen Blumen, die wohl Anna pflegt. Auf dem Ofensims prangt ein
großer, blanker Messingmörser, und an der Wand hinter mir, neben der Tür,
tickt, würdevoll pendelnd, die alte große Standuhr. Überall Sauberkeit und
Ordnung.

Am liebsten aber schicke ich heimlich zu dem stummen Mädchen hinüber.

Ihre.fleißigen Hände ziehen Faden um Faden durch das grobmaschige
Strumpfgeflecht. Das schwere schwarze Haar ist glatt gescheitelt. Nur ein paar
lose Löckchen fallen liebkosend über die klare Stirn. In dem lieblich rosigen
Angesicht stehen ein paar große dunkelblaue Augen unter kräftig gezogenen
Wimpern, und in ihnen liegt etwas schelmisches.

Wie alt sie wohl sein mag? -- Zwanzig höchstens, schätze ich.

In bescheidener Zurückhaltung schweigt sie zu allem, was gesprochen wird.
Und ich hätte so gerne auch von ihr ein Wort gehört.

Es fällt mir ein, daß Paul des öfteren von seiner großen Schwester
gesprochen hat. -- Was wars doch nur? -- Ach so, ja, daß er ihr immer
seine Aufsätze vorliest, und daß sie seine Anzüge so sauber in Ordnung hält.


Briefe aus Trebeldorf

Der Vater ist einsilbig. Er hat nicht das an sich, was wir übertünchten
Europäer als Lebensart bezeichnen. Er raucht seine Pfeife sachte weiter. Doch
ist er nicht unfreundlich. Es haftet vielmehr an ihm eine gewisse Verlegenheit,
eine Art beklommener Scheu, wie sie die kleinen Leute vor uns „Gelehrten"
bisweilen empfinden.

Ich sage ihm, daß Paul ein ungemein begabter kleiner Mensch ist.

Da lächelt er: „Das hat er von mine Fru. Die is auch nicht auf'n Kopp
gefallen."

„Nu nee, Vater," meint sie, „ein bißchen Pfiffigkeit hat noch keinem
Menschen nich geschabt."

„Darf man nich zu viel werden. Was soll'n Torfstecher mit so'n offenen
Kopp. Alle, die soviel gelernt haben, sind nachher bloß unzufrieden."

„Je nun, Vater Ewert," werfe ich ein, „was einer vom lieben Gott hat,
das hat er nun mal. Wer wird sich die Augen verbinden, wenn er hell in
die Weite sehen kann!"

„Der Junge ist immer beim Erfinden," meint die Mutter. „Nu hat er
'ne neue Torfstechmaschine vor. — Zeig mal her, Paul!"

Langsam und vorsichtig dreht sich Paul auf die Seite, langt unter das
Bett und holt sein Holzmodell hervor. Begeistert erklärt er mir, wie das Ding
arbeiten soll. Der Torf, sagt er. muß noch viel tiefer herausgestochen werden.
Ganz unten sitzt der beste, und wenn man noch weiter hinab könnte, würde
man zuletzt auf Kohlen stoßen.

Während des Gesprächs gleiten meine Blicke wiederholt durch die Stube,
und es lichtet sich mir allmählich in den dunklen Winkeln.

Wie behaglich doch diese ungewollte Natürlichkeit wirkt! — Auf der Fenster¬
bank stehen Blumen, die wohl Anna pflegt. Auf dem Ofensims prangt ein
großer, blanker Messingmörser, und an der Wand hinter mir, neben der Tür,
tickt, würdevoll pendelnd, die alte große Standuhr. Überall Sauberkeit und
Ordnung.

Am liebsten aber schicke ich heimlich zu dem stummen Mädchen hinüber.

Ihre.fleißigen Hände ziehen Faden um Faden durch das grobmaschige
Strumpfgeflecht. Das schwere schwarze Haar ist glatt gescheitelt. Nur ein paar
lose Löckchen fallen liebkosend über die klare Stirn. In dem lieblich rosigen
Angesicht stehen ein paar große dunkelblaue Augen unter kräftig gezogenen
Wimpern, und in ihnen liegt etwas schelmisches.

Wie alt sie wohl sein mag? — Zwanzig höchstens, schätze ich.

In bescheidener Zurückhaltung schweigt sie zu allem, was gesprochen wird.
Und ich hätte so gerne auch von ihr ein Wort gehört.

Es fällt mir ein, daß Paul des öfteren von seiner großen Schwester
gesprochen hat. — Was wars doch nur? — Ach so, ja, daß er ihr immer
seine Aufsätze vorliest, und daß sie seine Anzüge so sauber in Ordnung hält.


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[0288] Briefe aus Trebeldorf Der Vater ist einsilbig. Er hat nicht das an sich, was wir übertünchten Europäer als Lebensart bezeichnen. Er raucht seine Pfeife sachte weiter. Doch ist er nicht unfreundlich. Es haftet vielmehr an ihm eine gewisse Verlegenheit, eine Art beklommener Scheu, wie sie die kleinen Leute vor uns „Gelehrten" bisweilen empfinden. Ich sage ihm, daß Paul ein ungemein begabter kleiner Mensch ist. Da lächelt er: „Das hat er von mine Fru. Die is auch nicht auf'n Kopp gefallen." „Nu nee, Vater," meint sie, „ein bißchen Pfiffigkeit hat noch keinem Menschen nich geschabt." „Darf man nich zu viel werden. Was soll'n Torfstecher mit so'n offenen Kopp. Alle, die soviel gelernt haben, sind nachher bloß unzufrieden." „Je nun, Vater Ewert," werfe ich ein, „was einer vom lieben Gott hat, das hat er nun mal. Wer wird sich die Augen verbinden, wenn er hell in die Weite sehen kann!" „Der Junge ist immer beim Erfinden," meint die Mutter. „Nu hat er 'ne neue Torfstechmaschine vor. — Zeig mal her, Paul!" Langsam und vorsichtig dreht sich Paul auf die Seite, langt unter das Bett und holt sein Holzmodell hervor. Begeistert erklärt er mir, wie das Ding arbeiten soll. Der Torf, sagt er. muß noch viel tiefer herausgestochen werden. Ganz unten sitzt der beste, und wenn man noch weiter hinab könnte, würde man zuletzt auf Kohlen stoßen. Während des Gesprächs gleiten meine Blicke wiederholt durch die Stube, und es lichtet sich mir allmählich in den dunklen Winkeln. Wie behaglich doch diese ungewollte Natürlichkeit wirkt! — Auf der Fenster¬ bank stehen Blumen, die wohl Anna pflegt. Auf dem Ofensims prangt ein großer, blanker Messingmörser, und an der Wand hinter mir, neben der Tür, tickt, würdevoll pendelnd, die alte große Standuhr. Überall Sauberkeit und Ordnung. Am liebsten aber schicke ich heimlich zu dem stummen Mädchen hinüber. Ihre.fleißigen Hände ziehen Faden um Faden durch das grobmaschige Strumpfgeflecht. Das schwere schwarze Haar ist glatt gescheitelt. Nur ein paar lose Löckchen fallen liebkosend über die klare Stirn. In dem lieblich rosigen Angesicht stehen ein paar große dunkelblaue Augen unter kräftig gezogenen Wimpern, und in ihnen liegt etwas schelmisches. Wie alt sie wohl sein mag? — Zwanzig höchstens, schätze ich. In bescheidener Zurückhaltung schweigt sie zu allem, was gesprochen wird. Und ich hätte so gerne auch von ihr ein Wort gehört. Es fällt mir ein, daß Paul des öfteren von seiner großen Schwester gesprochen hat. — Was wars doch nur? — Ach so, ja, daß er ihr immer seine Aufsätze vorliest, und daß sie seine Anzüge so sauber in Ordnung hält.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/288>, abgerufen am 24.07.2024.