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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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T>le Berufsvormundschaft als Grganisationsform des lliuderschutzes

bloß die Menge der zuschützenden Kinder, sondern wieder die Schwierigkeit
der Probleme der Erziehungsleitung, die zur Organisation, zur Berufsvormund¬
schaft drängt.

Diese Berufsvormundschaften sind von Humanitären wie von konfessionellen
Vereinen ins Leben gerufen; sie sorgen teils für uneheliche Kinder, teils für
verwahrloste und gefährdete Kinder und Jugendliche. Je nach dem Arbeits¬
gebiet oder der Art ihrer Mitarbeiter bevorzugen sie die eine oder die andere
Gestaltung der Vormundschaft. Es gibt Vereinsvormundschaften, die mehrere
Tausend Kinder umfassen.

Besonders viel erörtert wurde in letzter Zeit die Frage, wie weit solche
freie Berufsvormundschaften von Vereinen neben den öffentlichen Berufsvor¬
mundschaften bestehen bleiben könnten. Nachdem man sachlich bezüglich der
Notwendigkeit der Organisation der Berufsvormundschaft einig ist, handelt es
sich in: ganzen um ein Zukunftsproblem, denn zurzeit sind wir noch weit davon
entfernt, daß die öffentliche Berufsvormundschaft schon wirklich alle die Kinder
bevormunden und versorgen könnte, die diesen Schutz nötig hab?". Es gilt
vorerst eine geordnete Vormundschaft durchzuführen, und später bleibt bei jeder
Form der Entwicklung der freien Vereinstätigkeit noch eine Fülle von Auf¬
gaben übrig. Allein darüber sollen wir uns heute doch nicht täuschen, daß
die Frage einmal sachlich entschieden werden muß, wie weit die öffentliche
Fürsorge gehen soll und welche Gebiete der Privatfürsorge freibleiben müssen.
Dieses Problem kann aber nicht für die Vormundschaft allein gelöst werden,
auch nicht allein für sich auf dem Gebiete der Fürsorge, sondern die Entscheidung
hierüber wird verschieden ausfallen, je nachdem wir uns überhaupt berechtigt
glauben, die staatliche Tätigkeit auszudehnen. Eine Zeit, die der freien Be¬
wegung des einzelnen wie der freien organisierten bürgerlichen Tätigkeit die
erste Rolle zuschreibt, wird hierüber ganz anders urteilen, als wie z. B. wir in
den letzten zwei bis drei Jahrzehnten, wo wir die Staatstätigkeit überall mehr
und mehr ausgedehnt haben, so daß schließlich ziemlich alle Parteien in einer
mehr oder weniger offenen Begeisterung für die Leistungsfähigkeit des Staates
oder staatlicher Organe auf allen Gebieten einig zu sein scheinen. Mit diesem
großen politischen Problem wird auch das kleinere, wie weit öffentliche und wie
weit private Berufsvormundschaft gelten soll, entschieden werden. Für unsere
Beurteilung kann es sich zunächst nur darum handeln, festzustellen, wo sür die
Wahl der einen oder anderen Form besondere Gründe vorhanden find. Die
Vorzüge einer einheitlichen und gleichmüßigen Rechtsvertretung wie einer geord¬
neten, gut geleiteten Pflegeaufsicht in den ersten Lebensjahren sprechen entschieden
für eine öffentliche Organisation der Berufsvormundschaft für die jüngeren
unehelichen Kinder, die Vereinsvormundschaft kann hier tatsächlich nur als Vor¬
arbeit für eine solche große einheitliche Organisation gedacht sein. Bezüglich
der Waisenkinder, der Armenpflegling?, sowie der Zwangszöglinge und ver¬
wahrlosten Kinder sind die Verhältnisse noch sehr unklar. Die Vereins-


T>le Berufsvormundschaft als Grganisationsform des lliuderschutzes

bloß die Menge der zuschützenden Kinder, sondern wieder die Schwierigkeit
der Probleme der Erziehungsleitung, die zur Organisation, zur Berufsvormund¬
schaft drängt.

Diese Berufsvormundschaften sind von Humanitären wie von konfessionellen
Vereinen ins Leben gerufen; sie sorgen teils für uneheliche Kinder, teils für
verwahrloste und gefährdete Kinder und Jugendliche. Je nach dem Arbeits¬
gebiet oder der Art ihrer Mitarbeiter bevorzugen sie die eine oder die andere
Gestaltung der Vormundschaft. Es gibt Vereinsvormundschaften, die mehrere
Tausend Kinder umfassen.

Besonders viel erörtert wurde in letzter Zeit die Frage, wie weit solche
freie Berufsvormundschaften von Vereinen neben den öffentlichen Berufsvor¬
mundschaften bestehen bleiben könnten. Nachdem man sachlich bezüglich der
Notwendigkeit der Organisation der Berufsvormundschaft einig ist, handelt es
sich in: ganzen um ein Zukunftsproblem, denn zurzeit sind wir noch weit davon
entfernt, daß die öffentliche Berufsvormundschaft schon wirklich alle die Kinder
bevormunden und versorgen könnte, die diesen Schutz nötig hab?». Es gilt
vorerst eine geordnete Vormundschaft durchzuführen, und später bleibt bei jeder
Form der Entwicklung der freien Vereinstätigkeit noch eine Fülle von Auf¬
gaben übrig. Allein darüber sollen wir uns heute doch nicht täuschen, daß
die Frage einmal sachlich entschieden werden muß, wie weit die öffentliche
Fürsorge gehen soll und welche Gebiete der Privatfürsorge freibleiben müssen.
Dieses Problem kann aber nicht für die Vormundschaft allein gelöst werden,
auch nicht allein für sich auf dem Gebiete der Fürsorge, sondern die Entscheidung
hierüber wird verschieden ausfallen, je nachdem wir uns überhaupt berechtigt
glauben, die staatliche Tätigkeit auszudehnen. Eine Zeit, die der freien Be¬
wegung des einzelnen wie der freien organisierten bürgerlichen Tätigkeit die
erste Rolle zuschreibt, wird hierüber ganz anders urteilen, als wie z. B. wir in
den letzten zwei bis drei Jahrzehnten, wo wir die Staatstätigkeit überall mehr
und mehr ausgedehnt haben, so daß schließlich ziemlich alle Parteien in einer
mehr oder weniger offenen Begeisterung für die Leistungsfähigkeit des Staates
oder staatlicher Organe auf allen Gebieten einig zu sein scheinen. Mit diesem
großen politischen Problem wird auch das kleinere, wie weit öffentliche und wie
weit private Berufsvormundschaft gelten soll, entschieden werden. Für unsere
Beurteilung kann es sich zunächst nur darum handeln, festzustellen, wo sür die
Wahl der einen oder anderen Form besondere Gründe vorhanden find. Die
Vorzüge einer einheitlichen und gleichmüßigen Rechtsvertretung wie einer geord¬
neten, gut geleiteten Pflegeaufsicht in den ersten Lebensjahren sprechen entschieden
für eine öffentliche Organisation der Berufsvormundschaft für die jüngeren
unehelichen Kinder, die Vereinsvormundschaft kann hier tatsächlich nur als Vor¬
arbeit für eine solche große einheitliche Organisation gedacht sein. Bezüglich
der Waisenkinder, der Armenpflegling?, sowie der Zwangszöglinge und ver¬
wahrlosten Kinder sind die Verhältnisse noch sehr unklar. Die Vereins-


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[0280] T>le Berufsvormundschaft als Grganisationsform des lliuderschutzes bloß die Menge der zuschützenden Kinder, sondern wieder die Schwierigkeit der Probleme der Erziehungsleitung, die zur Organisation, zur Berufsvormund¬ schaft drängt. Diese Berufsvormundschaften sind von Humanitären wie von konfessionellen Vereinen ins Leben gerufen; sie sorgen teils für uneheliche Kinder, teils für verwahrloste und gefährdete Kinder und Jugendliche. Je nach dem Arbeits¬ gebiet oder der Art ihrer Mitarbeiter bevorzugen sie die eine oder die andere Gestaltung der Vormundschaft. Es gibt Vereinsvormundschaften, die mehrere Tausend Kinder umfassen. Besonders viel erörtert wurde in letzter Zeit die Frage, wie weit solche freie Berufsvormundschaften von Vereinen neben den öffentlichen Berufsvor¬ mundschaften bestehen bleiben könnten. Nachdem man sachlich bezüglich der Notwendigkeit der Organisation der Berufsvormundschaft einig ist, handelt es sich in: ganzen um ein Zukunftsproblem, denn zurzeit sind wir noch weit davon entfernt, daß die öffentliche Berufsvormundschaft schon wirklich alle die Kinder bevormunden und versorgen könnte, die diesen Schutz nötig hab?». Es gilt vorerst eine geordnete Vormundschaft durchzuführen, und später bleibt bei jeder Form der Entwicklung der freien Vereinstätigkeit noch eine Fülle von Auf¬ gaben übrig. Allein darüber sollen wir uns heute doch nicht täuschen, daß die Frage einmal sachlich entschieden werden muß, wie weit die öffentliche Fürsorge gehen soll und welche Gebiete der Privatfürsorge freibleiben müssen. Dieses Problem kann aber nicht für die Vormundschaft allein gelöst werden, auch nicht allein für sich auf dem Gebiete der Fürsorge, sondern die Entscheidung hierüber wird verschieden ausfallen, je nachdem wir uns überhaupt berechtigt glauben, die staatliche Tätigkeit auszudehnen. Eine Zeit, die der freien Be¬ wegung des einzelnen wie der freien organisierten bürgerlichen Tätigkeit die erste Rolle zuschreibt, wird hierüber ganz anders urteilen, als wie z. B. wir in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten, wo wir die Staatstätigkeit überall mehr und mehr ausgedehnt haben, so daß schließlich ziemlich alle Parteien in einer mehr oder weniger offenen Begeisterung für die Leistungsfähigkeit des Staates oder staatlicher Organe auf allen Gebieten einig zu sein scheinen. Mit diesem großen politischen Problem wird auch das kleinere, wie weit öffentliche und wie weit private Berufsvormundschaft gelten soll, entschieden werden. Für unsere Beurteilung kann es sich zunächst nur darum handeln, festzustellen, wo sür die Wahl der einen oder anderen Form besondere Gründe vorhanden find. Die Vorzüge einer einheitlichen und gleichmüßigen Rechtsvertretung wie einer geord¬ neten, gut geleiteten Pflegeaufsicht in den ersten Lebensjahren sprechen entschieden für eine öffentliche Organisation der Berufsvormundschaft für die jüngeren unehelichen Kinder, die Vereinsvormundschaft kann hier tatsächlich nur als Vor¬ arbeit für eine solche große einheitliche Organisation gedacht sein. Bezüglich der Waisenkinder, der Armenpflegling?, sowie der Zwangszöglinge und ver¬ wahrlosten Kinder sind die Verhältnisse noch sehr unklar. Die Vereins-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/280>, abgerufen am 29.06.2024.