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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Berufsvornnmdschaft als Vrgcmiscitionsform des Amderschutzes

Schon heute finden wir Berufsvornumdschaft für jedes einzelne dieser
Gebiete in verschiedensten Formen im Deutschen Reiche wie in Österreich. Die
öffentlichen Kinderpflegeanstalten Frankreichs, die Ko8picL8, wie sie in den
Rheinlanden z. B. zur Zeit der französischen Herrschaft errichtet wurden, behielten
auch, als sie wieder preußisch geworden, die gesetzliche Vormundschaft für die
von ihnen versorgten Kinder. Sie hatten ursprünglich nach französischem Recht
die ganze Fürsorge für Armenkinder umfaßt. Als dann diese in Preußen mehr
und mehr mit der anderen Armenpflege verschmolz, blieben sie nur Anstalten
für einen Teil dieser Kinder. Dem Recht wie der Verwaltung ging die
Erinnerung an den Ursprung der Einrichtung verloren und so kamen wir zu
einer Berufsvormundschaft der öffentlichen Anstalten über die von ihnen ver¬
pflegten Kinder. Diese Anstaltsvormundschaften, die in mancherlei besonderen
Formen bestehen, z. B. in Württemberg nur für die in den Anstalten unter¬
gebrachten Zwangszöglinge, finden sich heute noch in großer Zahl; manche von
ihnen bevormunden bis zu sechshundert Kinder. Wir sehen also auch hier
wieder die große Organisation als moderne Form der Vormundschaft, als
Berufsvormundschaft.

Neben mehreren Hundert Berufsvormundschaften von Städten und größeren
Kommunalverbänden, teils für ihre Armenkinder allein, teils nur für uneheliche
Kinder -- letztere meist als Sammelvormundschaft -- finden wir Berufsvor-
mundschaften auch als Einrichtungen von freien Vereinen. Die Vereine, die
sich der Verbesserung des Vormundschaftswesens, im besonderen durch Heran¬
ziehen von Frauen widmen, haben eine Zeitlang geschwankt, ob sie für Einzel¬
vormundschaft oder Berufsvormundschaft eintreten sollten. Sobald sie in die
praktische Arbeit eintraten, haben sie sich rasch überzeugen müssen, daß der ver¬
einzelte Vormund alter Art seinen Aufgaben beim besten Willen nicht mehr
gewachsen ist, da er sich unbedingt organisieren muß. Sie haben daher auch
die organisierte Vormundschaft, also die Berufsvormundschaft, auf ihre Fahne
geschrieben. Diese Vereinsarbeit wird entweder in der Art eingerichtet, daß
eine Person, der Vereinsleiter, durch Bestallung von Fall zu Fall eine
größere Zahl, bis zu mehreren Tausend Vormundschaften als Berufsvormundschaft
sammelt, während der Verein ihm die erforderlichen Mitarbeiter, die nötige
Organisation -- Rechtsvertreter, Arzt, geschulte Pflegerin -- zur Verfügung
stellt, wobei die freiwillige Mitarbeit von Frauen und Männern keine geringe
Rolle spielt. Die Vereinsberufsvormundschaft kann auch so entstehen, daß die
tätigen Vereinsmitglieder jeder für eine kleine Zahl von Mündeln verpflichtet
wird, daß sie aber ihre Vormundschaft unter Unterstützung und Aufsicht der
Vereinigung, die sie selbst bilden, führen, daß diese Vereinigung wieder ihnen
als Hilfe Mittel organisierter Vormundschaft zur Seite stellt. Beide Formen
sind ihrem Wesen nach viel näher verwandt, als manche Vorkämpfer der einen
oder anderen Form glauben, beide sind nicht eine Abart der alten Einzel¬
vormundschaft, fondern Formen der neuen Berufsvormundschaft. Es ist nicht


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Die Berufsvornnmdschaft als Vrgcmiscitionsform des Amderschutzes

Schon heute finden wir Berufsvornumdschaft für jedes einzelne dieser
Gebiete in verschiedensten Formen im Deutschen Reiche wie in Österreich. Die
öffentlichen Kinderpflegeanstalten Frankreichs, die Ko8picL8, wie sie in den
Rheinlanden z. B. zur Zeit der französischen Herrschaft errichtet wurden, behielten
auch, als sie wieder preußisch geworden, die gesetzliche Vormundschaft für die
von ihnen versorgten Kinder. Sie hatten ursprünglich nach französischem Recht
die ganze Fürsorge für Armenkinder umfaßt. Als dann diese in Preußen mehr
und mehr mit der anderen Armenpflege verschmolz, blieben sie nur Anstalten
für einen Teil dieser Kinder. Dem Recht wie der Verwaltung ging die
Erinnerung an den Ursprung der Einrichtung verloren und so kamen wir zu
einer Berufsvormundschaft der öffentlichen Anstalten über die von ihnen ver¬
pflegten Kinder. Diese Anstaltsvormundschaften, die in mancherlei besonderen
Formen bestehen, z. B. in Württemberg nur für die in den Anstalten unter¬
gebrachten Zwangszöglinge, finden sich heute noch in großer Zahl; manche von
ihnen bevormunden bis zu sechshundert Kinder. Wir sehen also auch hier
wieder die große Organisation als moderne Form der Vormundschaft, als
Berufsvormundschaft.

Neben mehreren Hundert Berufsvormundschaften von Städten und größeren
Kommunalverbänden, teils für ihre Armenkinder allein, teils nur für uneheliche
Kinder — letztere meist als Sammelvormundschaft — finden wir Berufsvor-
mundschaften auch als Einrichtungen von freien Vereinen. Die Vereine, die
sich der Verbesserung des Vormundschaftswesens, im besonderen durch Heran¬
ziehen von Frauen widmen, haben eine Zeitlang geschwankt, ob sie für Einzel¬
vormundschaft oder Berufsvormundschaft eintreten sollten. Sobald sie in die
praktische Arbeit eintraten, haben sie sich rasch überzeugen müssen, daß der ver¬
einzelte Vormund alter Art seinen Aufgaben beim besten Willen nicht mehr
gewachsen ist, da er sich unbedingt organisieren muß. Sie haben daher auch
die organisierte Vormundschaft, also die Berufsvormundschaft, auf ihre Fahne
geschrieben. Diese Vereinsarbeit wird entweder in der Art eingerichtet, daß
eine Person, der Vereinsleiter, durch Bestallung von Fall zu Fall eine
größere Zahl, bis zu mehreren Tausend Vormundschaften als Berufsvormundschaft
sammelt, während der Verein ihm die erforderlichen Mitarbeiter, die nötige
Organisation — Rechtsvertreter, Arzt, geschulte Pflegerin — zur Verfügung
stellt, wobei die freiwillige Mitarbeit von Frauen und Männern keine geringe
Rolle spielt. Die Vereinsberufsvormundschaft kann auch so entstehen, daß die
tätigen Vereinsmitglieder jeder für eine kleine Zahl von Mündeln verpflichtet
wird, daß sie aber ihre Vormundschaft unter Unterstützung und Aufsicht der
Vereinigung, die sie selbst bilden, führen, daß diese Vereinigung wieder ihnen
als Hilfe Mittel organisierter Vormundschaft zur Seite stellt. Beide Formen
sind ihrem Wesen nach viel näher verwandt, als manche Vorkämpfer der einen
oder anderen Form glauben, beide sind nicht eine Abart der alten Einzel¬
vormundschaft, fondern Formen der neuen Berufsvormundschaft. Es ist nicht


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[0279] Die Berufsvornnmdschaft als Vrgcmiscitionsform des Amderschutzes Schon heute finden wir Berufsvornumdschaft für jedes einzelne dieser Gebiete in verschiedensten Formen im Deutschen Reiche wie in Österreich. Die öffentlichen Kinderpflegeanstalten Frankreichs, die Ko8picL8, wie sie in den Rheinlanden z. B. zur Zeit der französischen Herrschaft errichtet wurden, behielten auch, als sie wieder preußisch geworden, die gesetzliche Vormundschaft für die von ihnen versorgten Kinder. Sie hatten ursprünglich nach französischem Recht die ganze Fürsorge für Armenkinder umfaßt. Als dann diese in Preußen mehr und mehr mit der anderen Armenpflege verschmolz, blieben sie nur Anstalten für einen Teil dieser Kinder. Dem Recht wie der Verwaltung ging die Erinnerung an den Ursprung der Einrichtung verloren und so kamen wir zu einer Berufsvormundschaft der öffentlichen Anstalten über die von ihnen ver¬ pflegten Kinder. Diese Anstaltsvormundschaften, die in mancherlei besonderen Formen bestehen, z. B. in Württemberg nur für die in den Anstalten unter¬ gebrachten Zwangszöglinge, finden sich heute noch in großer Zahl; manche von ihnen bevormunden bis zu sechshundert Kinder. Wir sehen also auch hier wieder die große Organisation als moderne Form der Vormundschaft, als Berufsvormundschaft. Neben mehreren Hundert Berufsvormundschaften von Städten und größeren Kommunalverbänden, teils für ihre Armenkinder allein, teils nur für uneheliche Kinder — letztere meist als Sammelvormundschaft — finden wir Berufsvor- mundschaften auch als Einrichtungen von freien Vereinen. Die Vereine, die sich der Verbesserung des Vormundschaftswesens, im besonderen durch Heran¬ ziehen von Frauen widmen, haben eine Zeitlang geschwankt, ob sie für Einzel¬ vormundschaft oder Berufsvormundschaft eintreten sollten. Sobald sie in die praktische Arbeit eintraten, haben sie sich rasch überzeugen müssen, daß der ver¬ einzelte Vormund alter Art seinen Aufgaben beim besten Willen nicht mehr gewachsen ist, da er sich unbedingt organisieren muß. Sie haben daher auch die organisierte Vormundschaft, also die Berufsvormundschaft, auf ihre Fahne geschrieben. Diese Vereinsarbeit wird entweder in der Art eingerichtet, daß eine Person, der Vereinsleiter, durch Bestallung von Fall zu Fall eine größere Zahl, bis zu mehreren Tausend Vormundschaften als Berufsvormundschaft sammelt, während der Verein ihm die erforderlichen Mitarbeiter, die nötige Organisation — Rechtsvertreter, Arzt, geschulte Pflegerin — zur Verfügung stellt, wobei die freiwillige Mitarbeit von Frauen und Männern keine geringe Rolle spielt. Die Vereinsberufsvormundschaft kann auch so entstehen, daß die tätigen Vereinsmitglieder jeder für eine kleine Zahl von Mündeln verpflichtet wird, daß sie aber ihre Vormundschaft unter Unterstützung und Aufsicht der Vereinigung, die sie selbst bilden, führen, daß diese Vereinigung wieder ihnen als Hilfe Mittel organisierter Vormundschaft zur Seite stellt. Beide Formen sind ihrem Wesen nach viel näher verwandt, als manche Vorkämpfer der einen oder anderen Form glauben, beide sind nicht eine Abart der alten Einzel¬ vormundschaft, fondern Formen der neuen Berufsvormundschaft. Es ist nicht 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/279>, abgerufen am 02.07.2024.