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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Carl Jentsch

ließ sie sich von dem Knaben katholische Schriften vorlesen, die durch den
katholischen Pfarrer Klopsch, der dem Vater Jentsch seine Bücher zum Binden
gab, ins Haus kamen, und ihre mündlichen Belehrungen trugen dazu bei, den
Jungen zum überzeugten Katholiken zu machen, allerdings meint Jentsch, habe
diese katholische Überzeugung in seinem Gemüt damals keine Wurzeln gehabt.
Er begleitete seine Mutter in die katholische Kirche, weil sie es wünschte. Die
Schule hat ihn: keine religiösen Eindrücke vermittelt. Ein protestantischer
Diakonus reizte ihn durch geschmacklose Ausfälle auf den Katholizismus. Auch
die Art der Behandlung des Mittelalters durch den Geschichtslehrer, wobei
natürlich von Päpsten und Mönchen die Rede war, gab zu Kränkungen Ver¬
anlassung. Carl Jentsch hatte schon damals den Entschluß gefaßt, Priester zu
werden. Eine Verspottung durch seine Kameraden führte zu einer Auseinander¬
setzung mit dem Rektor, die dieser mit den zornigen Worten abschnitt: "Was
deine Mutter an Dir getan hat, das wird ihr beim Sterben auf der Seele
brennen. Du aber bist noch nicht vierzehn Jahre, Dich werden wir
zwingen." Zwingen? sagte sich Carl Jentsch. Nun gerade nicht! Von jenem
Tage an ging er nicht mehr in die Schule, bis er nach Glatz ins Gymnasium
gebracht wurde. Er ist seinem Entschluß treu geblieben und ist Priester ge¬
worden. Wie sich sein Leben später gestaltet hat, welche Kämpfe er führen
mußte, wie die katholische Kirche den gläubigen Katholiken von sich stieß und
ihn veranlaßte, sich den Altkatholiken anzuschließen, dies und seinen ganzen
Entwicklungsgang finden wir in seinen "Wandlungen" (zwei Bände bei Friedr.
Wilh. Grunow) lebhaft und geistvoll geschildert. Wie Jentsch heute denkt, das
sagt er im folgenden selber. Wir aber wünschen ihm auch fernerhin im an¬
mutigen Städtchen Reiße einen behaglichen Lebensabend.




"Der Sieg des Ultramontanismus auf dem Vatikanischen Konzil hatte,
wie viele andere katholische Geistliche, auch mich innerlich revolutioniert. Nach
längerem Schwanken schloß ich mich den Altkatholiken an. Doch erwies sich
die Stellung eines altkatholischen Pfarrers als prekär in mehreren Beziehungen,
und zudem machte mich zunehmende Schwerhörigkeit in Verbindung mit hoch¬
gradiger Kurzsichtigkeit unfähig für die meisten geistlichen Funktionen. Ich
resignierte deshalb auf mein Amt und übernahm 1882 die Redaktion eines
Lokalblättchens. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es mir auch, mit
einigen Zeitungen und Zeitschriften Verbindungen anzuknüpfen, so daß ich nicht
gerade in der Luft schwebte, als mir Ende 1888 meine Stelle gekündigt wurde.
Zu einem festen Verhältnis verhalf mir eine kleine pädagogische Glosse, die ich
im März 1889 den Grenzboten einsandte. Johannes Grunow nahm sie mit
den Worten an: "Sie sind der geborene Grenzbotenmitarbeiter, schicken Sie mehr!"

Als Ersatz für mein erstes, zerronnenes Lebensideal, die pfarramtliche
Wirksamkeit, hatte sich ein zweites noch nicht gefunden. Ich wollte vorderhand
weiter nichts, als mich mit publizistischer Tätigkeit durchschlagen, in der selbst-


Carl Jentsch

ließ sie sich von dem Knaben katholische Schriften vorlesen, die durch den
katholischen Pfarrer Klopsch, der dem Vater Jentsch seine Bücher zum Binden
gab, ins Haus kamen, und ihre mündlichen Belehrungen trugen dazu bei, den
Jungen zum überzeugten Katholiken zu machen, allerdings meint Jentsch, habe
diese katholische Überzeugung in seinem Gemüt damals keine Wurzeln gehabt.
Er begleitete seine Mutter in die katholische Kirche, weil sie es wünschte. Die
Schule hat ihn: keine religiösen Eindrücke vermittelt. Ein protestantischer
Diakonus reizte ihn durch geschmacklose Ausfälle auf den Katholizismus. Auch
die Art der Behandlung des Mittelalters durch den Geschichtslehrer, wobei
natürlich von Päpsten und Mönchen die Rede war, gab zu Kränkungen Ver¬
anlassung. Carl Jentsch hatte schon damals den Entschluß gefaßt, Priester zu
werden. Eine Verspottung durch seine Kameraden führte zu einer Auseinander¬
setzung mit dem Rektor, die dieser mit den zornigen Worten abschnitt: „Was
deine Mutter an Dir getan hat, das wird ihr beim Sterben auf der Seele
brennen. Du aber bist noch nicht vierzehn Jahre, Dich werden wir
zwingen." Zwingen? sagte sich Carl Jentsch. Nun gerade nicht! Von jenem
Tage an ging er nicht mehr in die Schule, bis er nach Glatz ins Gymnasium
gebracht wurde. Er ist seinem Entschluß treu geblieben und ist Priester ge¬
worden. Wie sich sein Leben später gestaltet hat, welche Kämpfe er führen
mußte, wie die katholische Kirche den gläubigen Katholiken von sich stieß und
ihn veranlaßte, sich den Altkatholiken anzuschließen, dies und seinen ganzen
Entwicklungsgang finden wir in seinen „Wandlungen" (zwei Bände bei Friedr.
Wilh. Grunow) lebhaft und geistvoll geschildert. Wie Jentsch heute denkt, das
sagt er im folgenden selber. Wir aber wünschen ihm auch fernerhin im an¬
mutigen Städtchen Reiße einen behaglichen Lebensabend.




„Der Sieg des Ultramontanismus auf dem Vatikanischen Konzil hatte,
wie viele andere katholische Geistliche, auch mich innerlich revolutioniert. Nach
längerem Schwanken schloß ich mich den Altkatholiken an. Doch erwies sich
die Stellung eines altkatholischen Pfarrers als prekär in mehreren Beziehungen,
und zudem machte mich zunehmende Schwerhörigkeit in Verbindung mit hoch¬
gradiger Kurzsichtigkeit unfähig für die meisten geistlichen Funktionen. Ich
resignierte deshalb auf mein Amt und übernahm 1882 die Redaktion eines
Lokalblättchens. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es mir auch, mit
einigen Zeitungen und Zeitschriften Verbindungen anzuknüpfen, so daß ich nicht
gerade in der Luft schwebte, als mir Ende 1888 meine Stelle gekündigt wurde.
Zu einem festen Verhältnis verhalf mir eine kleine pädagogische Glosse, die ich
im März 1889 den Grenzboten einsandte. Johannes Grunow nahm sie mit
den Worten an: „Sie sind der geborene Grenzbotenmitarbeiter, schicken Sie mehr!"

Als Ersatz für mein erstes, zerronnenes Lebensideal, die pfarramtliche
Wirksamkeit, hatte sich ein zweites noch nicht gefunden. Ich wollte vorderhand
weiter nichts, als mich mit publizistischer Tätigkeit durchschlagen, in der selbst-


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[0266] Carl Jentsch ließ sie sich von dem Knaben katholische Schriften vorlesen, die durch den katholischen Pfarrer Klopsch, der dem Vater Jentsch seine Bücher zum Binden gab, ins Haus kamen, und ihre mündlichen Belehrungen trugen dazu bei, den Jungen zum überzeugten Katholiken zu machen, allerdings meint Jentsch, habe diese katholische Überzeugung in seinem Gemüt damals keine Wurzeln gehabt. Er begleitete seine Mutter in die katholische Kirche, weil sie es wünschte. Die Schule hat ihn: keine religiösen Eindrücke vermittelt. Ein protestantischer Diakonus reizte ihn durch geschmacklose Ausfälle auf den Katholizismus. Auch die Art der Behandlung des Mittelalters durch den Geschichtslehrer, wobei natürlich von Päpsten und Mönchen die Rede war, gab zu Kränkungen Ver¬ anlassung. Carl Jentsch hatte schon damals den Entschluß gefaßt, Priester zu werden. Eine Verspottung durch seine Kameraden führte zu einer Auseinander¬ setzung mit dem Rektor, die dieser mit den zornigen Worten abschnitt: „Was deine Mutter an Dir getan hat, das wird ihr beim Sterben auf der Seele brennen. Du aber bist noch nicht vierzehn Jahre, Dich werden wir zwingen." Zwingen? sagte sich Carl Jentsch. Nun gerade nicht! Von jenem Tage an ging er nicht mehr in die Schule, bis er nach Glatz ins Gymnasium gebracht wurde. Er ist seinem Entschluß treu geblieben und ist Priester ge¬ worden. Wie sich sein Leben später gestaltet hat, welche Kämpfe er führen mußte, wie die katholische Kirche den gläubigen Katholiken von sich stieß und ihn veranlaßte, sich den Altkatholiken anzuschließen, dies und seinen ganzen Entwicklungsgang finden wir in seinen „Wandlungen" (zwei Bände bei Friedr. Wilh. Grunow) lebhaft und geistvoll geschildert. Wie Jentsch heute denkt, das sagt er im folgenden selber. Wir aber wünschen ihm auch fernerhin im an¬ mutigen Städtchen Reiße einen behaglichen Lebensabend. „Der Sieg des Ultramontanismus auf dem Vatikanischen Konzil hatte, wie viele andere katholische Geistliche, auch mich innerlich revolutioniert. Nach längerem Schwanken schloß ich mich den Altkatholiken an. Doch erwies sich die Stellung eines altkatholischen Pfarrers als prekär in mehreren Beziehungen, und zudem machte mich zunehmende Schwerhörigkeit in Verbindung mit hoch¬ gradiger Kurzsichtigkeit unfähig für die meisten geistlichen Funktionen. Ich resignierte deshalb auf mein Amt und übernahm 1882 die Redaktion eines Lokalblättchens. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es mir auch, mit einigen Zeitungen und Zeitschriften Verbindungen anzuknüpfen, so daß ich nicht gerade in der Luft schwebte, als mir Ende 1888 meine Stelle gekündigt wurde. Zu einem festen Verhältnis verhalf mir eine kleine pädagogische Glosse, die ich im März 1889 den Grenzboten einsandte. Johannes Grunow nahm sie mit den Worten an: „Sie sind der geborene Grenzbotenmitarbeiter, schicken Sie mehr!" Als Ersatz für mein erstes, zerronnenes Lebensideal, die pfarramtliche Wirksamkeit, hatte sich ein zweites noch nicht gefunden. Ich wollte vorderhand weiter nichts, als mich mit publizistischer Tätigkeit durchschlagen, in der selbst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/266>, abgerufen am 29.06.2024.