Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Seiton der Gegner wurde bisweilen demgegen¬ Braut angeschossen. Kaum ist die Tat ge¬ Der überaus vielseitige, regsame Forscher Die Sprecherlaubnis wurde erteilt und Notwendige Starrheit des heutigen Ge¬ Dr. meat. lapp-Sust i Justiz "Richten nach Recht und nach Gnade." Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet. Ü!cranlworllich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. -- Manu>lript>cnduugen und Buche werde", erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzboten in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. I ". Fernsprecher der Schrillleitung: Amt Uhland WM, des Verlags: Amt Lüyow südl). Verlag: Verlag der Grenzbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Druck: ..Der Reichsbote" G. in, d, H. in Berlin SXV, II. Deilauer Strafe M/37. Maßgebliches und Unmaßgebliches Seiton der Gegner wurde bisweilen demgegen¬ Braut angeschossen. Kaum ist die Tat ge¬ Der überaus vielseitige, regsame Forscher Die Sprecherlaubnis wurde erteilt und Notwendige Starrheit des heutigen Ge¬ Dr. meat. lapp-Sust i Justiz „Richten nach Recht und nach Gnade." Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet. Ü!cranlworllich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. — Manu>lript>cnduugen und Buche werde», erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzboten in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. I ». Fernsprecher der Schrillleitung: Amt Uhland WM, des Verlags: Amt Lüyow südl). Verlag: Verlag der Grenzbote» G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Druck: ..Der Reichsbote" G. in, d, H. in Berlin SXV, II. Deilauer Strafe M/37. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325130"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058" next="#ID_1060"> Seiton der Gegner wurde bisweilen demgegen¬<lb/> über ein zu radikales Verfahren eingeschlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1060" prev="#ID_1059"> Braut angeschossen. Kaum ist die Tat ge¬<lb/> schehen, da wirft er den rauchenden Revolver<lb/> weg und weint und klagt: „Erna, habe ich<lb/> dich getroffen?" Er wird in Untersuchungs¬<lb/> haft geführt, das Mädchen kommt ins<lb/> Krankenhaus. Sie genest rasch von dem<lb/> Streifschuß und eines Tages erscheint sie<lb/> beim Untersuchungsrichter, um den wegen<lb/> versuchten Mordes angeschuldigten Bräutigam<lb/> zu sprechen. Der Richter fragt sie, ob sie<lb/> denn angesichts der ihr widerfahrenen Be¬<lb/> handlung die Verlobung aufrecht erhalten<lb/> und so einen gefährlichen Burschen heiraten<lb/> wolle; und ganz schlicht antwortet sie: „Aber<lb/> gewiß, ich habe ihn ja lieb!" — unWider-<lb/> legliches Argument eines Kindergemütes!—</p><lb/> <p xml:id="ID_1061"> Der überaus vielseitige, regsame Forscher<lb/> Freud hat nun auch gewisse, gewöhnlich als<lb/> unerklärbare Zufälle geltenden Vorgänge des<lb/> Alltagslebens in den Bereich seiner Unter¬<lb/> suchungen gezogen und sie seiner Theorie einge¬<lb/> ordnet. So hat er in einem sehr interessanten<lb/> kleinen Buche „Zur Psychopathologie des<lb/> Alltagslebens" die Vorgänge des Versprechens,<lb/> Vergessens und andere zufällige FehlHand¬<lb/> lungen auf eine bestimmte psychologische<lb/> Gesetzmäßigkeit zurückzuführen unternommen<lb/> und schließlich auch den Witz in dem oben<lb/> angekündigten Buche einer sehr scharfsinnigen<lb/> Analyse von feinem Standpunkt aus unter¬<lb/> worfen. Dieses Buch setzt zwar große Auf¬<lb/> merksamkeit, aber, ebenso wie das vor¬<lb/> erwähnte, keine besonderen fachmännischer<lb/> Kenntnisse voraus. Kritische Leser werden<lb/> daher bei seiner Lektüre neben der Freude<lb/> an den mehr oder weniger geschmackvollen,<lb/> teils zu einseitig wienerischen Witzbeispielen<lb/> eine Vorstellung von den aktuellen Freudschen<lb/> Lehren gewinnen, einer Theorie, die trotz<lb/> ihrer wissenschaftlichen UnHaltbarkeit und<lb/> mancher Ungeheuerlichkeit, im einzelnen viele<lb/> treffende Beobachtungen und fördernde An¬<lb/> regungen in sich trägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1062"> Die Sprecherlaubnis wurde erteilt und<lb/> das Glück, als sich die beiden wiedersahen,<lb/> war namenlos. Ich habe den Eindruck ge¬<lb/> habt, das Mädchen wartet wirklich auf den<lb/> Mann, bis er die längere Freiheitsstrafe, die<lb/> ihm bevorsteht, abgesessen haben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1063"> Notwendige Starrheit des heutigen Ge¬<lb/> setzes! Wieviel gemütvoller und Poesie-<lb/> umwobener war das deutsche Recht des<lb/> Mittelalters, da die Erklärung eines Mädchens,<lb/> sie wolle den Verurteilten heiraten, den Delin¬<lb/> quenten noch vom Schafott, noch von der<lb/> Galgenleiter herunter befreite. Der Richter<lb/> richtete dann nicht „nach Recht", sondern<lb/> „nach Gnade" und sprach den Verbrecher von<lb/> Strafe und Schuld los und ledig, den ein<lb/> Mädchen mit ihrer Liebe loszukaufen bereit<lb/><note type="byline"> Landrichter Dr. Sontag </note> war. in</p><lb/> <note type="byline"> Dr. meat. lapp-Sust i</note><lb/> </div> <div n="2"> <head> Justiz</head><lb/> <p xml:id="ID_1064"> „Richten nach Recht und nach Gnade."<lb/> Ein unbescholtener junger Handwerker hat, von<lb/> Alkohol und Eifersucht aufgestachelt, seine</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.<lb/> Ü!cranlworllich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. — Manu>lript>cnduugen und Buche werde»,<lb/> erbeten unter der Adresse:<lb/> An den Herausgeber der Grenzboten in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. 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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Seiton der Gegner wurde bisweilen demgegen¬
über ein zu radikales Verfahren eingeschlagen.
Braut angeschossen. Kaum ist die Tat ge¬
schehen, da wirft er den rauchenden Revolver
weg und weint und klagt: „Erna, habe ich
dich getroffen?" Er wird in Untersuchungs¬
haft geführt, das Mädchen kommt ins
Krankenhaus. Sie genest rasch von dem
Streifschuß und eines Tages erscheint sie
beim Untersuchungsrichter, um den wegen
versuchten Mordes angeschuldigten Bräutigam
zu sprechen. Der Richter fragt sie, ob sie
denn angesichts der ihr widerfahrenen Be¬
handlung die Verlobung aufrecht erhalten
und so einen gefährlichen Burschen heiraten
wolle; und ganz schlicht antwortet sie: „Aber
gewiß, ich habe ihn ja lieb!" — unWider-
legliches Argument eines Kindergemütes!—
Der überaus vielseitige, regsame Forscher
Freud hat nun auch gewisse, gewöhnlich als
unerklärbare Zufälle geltenden Vorgänge des
Alltagslebens in den Bereich seiner Unter¬
suchungen gezogen und sie seiner Theorie einge¬
ordnet. So hat er in einem sehr interessanten
kleinen Buche „Zur Psychopathologie des
Alltagslebens" die Vorgänge des Versprechens,
Vergessens und andere zufällige FehlHand¬
lungen auf eine bestimmte psychologische
Gesetzmäßigkeit zurückzuführen unternommen
und schließlich auch den Witz in dem oben
angekündigten Buche einer sehr scharfsinnigen
Analyse von feinem Standpunkt aus unter¬
worfen. Dieses Buch setzt zwar große Auf¬
merksamkeit, aber, ebenso wie das vor¬
erwähnte, keine besonderen fachmännischer
Kenntnisse voraus. Kritische Leser werden
daher bei seiner Lektüre neben der Freude
an den mehr oder weniger geschmackvollen,
teils zu einseitig wienerischen Witzbeispielen
eine Vorstellung von den aktuellen Freudschen
Lehren gewinnen, einer Theorie, die trotz
ihrer wissenschaftlichen UnHaltbarkeit und
mancher Ungeheuerlichkeit, im einzelnen viele
treffende Beobachtungen und fördernde An¬
regungen in sich trägt.
Die Sprecherlaubnis wurde erteilt und
das Glück, als sich die beiden wiedersahen,
war namenlos. Ich habe den Eindruck ge¬
habt, das Mädchen wartet wirklich auf den
Mann, bis er die längere Freiheitsstrafe, die
ihm bevorsteht, abgesessen haben wird.
Notwendige Starrheit des heutigen Ge¬
setzes! Wieviel gemütvoller und Poesie-
umwobener war das deutsche Recht des
Mittelalters, da die Erklärung eines Mädchens,
sie wolle den Verurteilten heiraten, den Delin¬
quenten noch vom Schafott, noch von der
Galgenleiter herunter befreite. Der Richter
richtete dann nicht „nach Recht", sondern
„nach Gnade" und sprach den Verbrecher von
Strafe und Schuld los und ledig, den ein
Mädchen mit ihrer Liebe loszukaufen bereit
Landrichter Dr. Sontag war. in
Dr. meat. lapp-Sust i
Justiz
„Richten nach Recht und nach Gnade."
Ein unbescholtener junger Handwerker hat, von
Alkohol und Eifersucht aufgestachelt, seine
Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.
Ü!cranlworllich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg. — Manu>lript>cnduugen und Buche werde»,
erbeten unter der Adresse:
An den Herausgeber der Grenzboten in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. I ».
Fernsprecher der Schrillleitung: Amt Uhland WM, des Verlags: Amt Lüyow südl).
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