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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Handle oder stirb I

Das Schicksal der Reichsbodennormaltaxe sieht deshalb vielleicht nicht so
ungünstig aus, wie es nach dem Vorgang der öffentlichen Taxen früherer Jahr¬
hunderte anzunehmen wäre, die ja auch ganz andere Gegenstände, zünftige
Produkte, Lebensmittel, also beliebiger Vermehrung ausgesetzte Dinge, betrafen
und deshalb der freien Konkurrenz weichen mußten.




Diese kurze Skizze läßt die ungeheure Schwierigkeit einigermaßen erkennen,
die sich einem Überblick über die Konsequenzen der Einführung einer Boden¬
normaltaxe entgegenstellen. Aber ohne die Überwindung solcher Schwierigkeiten
wird kein entscheidender Schritt auf dem allgemein für notwendig erkannten
Wege getan werden können. Das Internationale der Teuerungserscheinung
beweist noch nicht die Gleichheit der Ursachen oder gar unsere individuelle
Machtlosigkeit ihr gegenüber. Die zukünftige Bedeutung der Bodennormaltaxe
wird man am besten ersehen, wenn man mit der Fiktion rückwärts blickt, daß
sie bereits vor fünfzig Jahren eingeführt worden wäre. Wie "billig" würde
heute im Verhältnis zu der allgemein gestiegenen Wohlhabenheit der Grund
und Boden sein, welcher Segen würde daraus fließen, wie würden beispiels¬
weise, um das Gebiet der großen Politik zu berühren, die Resultate der mit
Polen ringenden Ansiedlungspolitik heute aussehen können I Die wissenschaft¬
liche Durchdringung des gesamten Gebietes, das zur Beantwortung unserer
Frage beherrscht werden muß, ist dem Verfasser nach seiner Lebensstellung nicht
möglich. Sie würde eine Lebensaufgabe für sich sein und die Antwort könnte
doch nur durch das Zusammenwirken vieler Gelehrter und Praktiker gefunden
werden. Hier konnte nur der Versuch einer Begründung und Abwehr unter¬
nommen werden, der auf alle Fälle wissenschaftlich anregend wirken können dürfte.

Eine Gefahr wird vielleicht daraus erwachsen, daß man den Gedanken
auf andere Gebiete übertragen wollen wird. Man wird, wie bei der Beratung
des Zuwachssteuergesetzes geschehen, nach den Wertpapieren, besonders den Aktien,
hinüberschielen und in bezug auf sie ähnliche Maßregeln fordern. Und in der
Tat liegen die Verhältnisse dort ähnlich insofern, als auch von den Aktionären
mühelos Kursgewinne gemacht werden und insofern, als auch hier ein wesent¬
licher Faktor für den mühelosem Gewinn die Kraft und Stärke des Allgemein¬
wesens ist. Aber die Wirkungen der Kurssteigerungen sind bei Aktien und
anderen Wertpapieren auf einen freiwillig daran teilnehmenden Kreis von
Personen beschränkt, sie beschweren auch nicht, wie die Bodenwertsteigerung,
die Lebenshaltung der ganzen Nation mit Notwendigkeit und deswegen besteht
nicht entfernt ein gleiches Interesse und eine gleiche Befugnis der Allgemein¬
heit zu gesetzlichem Eingreifen. An sich denkbar wäre es ja wohl, den Kurs¬
stand neuer Aktien gesetzlich auf dem Ausgabekursstand festzuhalten. Der
niühelose Kursgewinn fiele dann fort, die Aktionäre hätten höhere Verzinsungen,
als wenn sie später teuer gekauft hätten, sie behielten viel Geld für andere


Handle oder stirb I

Das Schicksal der Reichsbodennormaltaxe sieht deshalb vielleicht nicht so
ungünstig aus, wie es nach dem Vorgang der öffentlichen Taxen früherer Jahr¬
hunderte anzunehmen wäre, die ja auch ganz andere Gegenstände, zünftige
Produkte, Lebensmittel, also beliebiger Vermehrung ausgesetzte Dinge, betrafen
und deshalb der freien Konkurrenz weichen mußten.




Diese kurze Skizze läßt die ungeheure Schwierigkeit einigermaßen erkennen,
die sich einem Überblick über die Konsequenzen der Einführung einer Boden¬
normaltaxe entgegenstellen. Aber ohne die Überwindung solcher Schwierigkeiten
wird kein entscheidender Schritt auf dem allgemein für notwendig erkannten
Wege getan werden können. Das Internationale der Teuerungserscheinung
beweist noch nicht die Gleichheit der Ursachen oder gar unsere individuelle
Machtlosigkeit ihr gegenüber. Die zukünftige Bedeutung der Bodennormaltaxe
wird man am besten ersehen, wenn man mit der Fiktion rückwärts blickt, daß
sie bereits vor fünfzig Jahren eingeführt worden wäre. Wie „billig" würde
heute im Verhältnis zu der allgemein gestiegenen Wohlhabenheit der Grund
und Boden sein, welcher Segen würde daraus fließen, wie würden beispiels¬
weise, um das Gebiet der großen Politik zu berühren, die Resultate der mit
Polen ringenden Ansiedlungspolitik heute aussehen können I Die wissenschaft¬
liche Durchdringung des gesamten Gebietes, das zur Beantwortung unserer
Frage beherrscht werden muß, ist dem Verfasser nach seiner Lebensstellung nicht
möglich. Sie würde eine Lebensaufgabe für sich sein und die Antwort könnte
doch nur durch das Zusammenwirken vieler Gelehrter und Praktiker gefunden
werden. Hier konnte nur der Versuch einer Begründung und Abwehr unter¬
nommen werden, der auf alle Fälle wissenschaftlich anregend wirken können dürfte.

Eine Gefahr wird vielleicht daraus erwachsen, daß man den Gedanken
auf andere Gebiete übertragen wollen wird. Man wird, wie bei der Beratung
des Zuwachssteuergesetzes geschehen, nach den Wertpapieren, besonders den Aktien,
hinüberschielen und in bezug auf sie ähnliche Maßregeln fordern. Und in der
Tat liegen die Verhältnisse dort ähnlich insofern, als auch von den Aktionären
mühelos Kursgewinne gemacht werden und insofern, als auch hier ein wesent¬
licher Faktor für den mühelosem Gewinn die Kraft und Stärke des Allgemein¬
wesens ist. Aber die Wirkungen der Kurssteigerungen sind bei Aktien und
anderen Wertpapieren auf einen freiwillig daran teilnehmenden Kreis von
Personen beschränkt, sie beschweren auch nicht, wie die Bodenwertsteigerung,
die Lebenshaltung der ganzen Nation mit Notwendigkeit und deswegen besteht
nicht entfernt ein gleiches Interesse und eine gleiche Befugnis der Allgemein¬
heit zu gesetzlichem Eingreifen. An sich denkbar wäre es ja wohl, den Kurs¬
stand neuer Aktien gesetzlich auf dem Ausgabekursstand festzuhalten. Der
niühelose Kursgewinn fiele dann fort, die Aktionäre hätten höhere Verzinsungen,
als wenn sie später teuer gekauft hätten, sie behielten viel Geld für andere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/26>, abgerufen am 29.06.2024.