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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

bescheiden. Doch es ist kein grollender, stumpfer Verzicht in seiner Seele, sondern
eine heitere Zufriedenheit und warme Freude am Leben. -- Welch ein Künstler
dieser Überwinder!

Vor mehr denn zwanzig Jahren ist er hier gelandet in eben diesem Trebel¬
dorf, aus dem Du Briefe eines mit seinem Schicksal Hadernden erhalten hast.
Hier lebt er seit all der Zeit im Kreise einer gleichgestimmten Familie sein
stilles Glück.

Eine goldene Seele, dieser prächtige alte Mann. Ich habe keinen, mit
dem ich mich lieber unterhielte. Er ist so offen und rein.

Das muß doch etwas Wunderbares sein, durch alle Irrungen und Wirrungen
sich schließlich hindurchzuklären zu so sonnigem Herbstesabend.

Wunschlos werden, sein altes Kindesherz an die Brust der Allmutter Natur
legen und sich geborgen fühlen! Vielleicht ist das der Sinn des Lebens. --

Und wie die Jungens dem Alten ans Herz gewachsen sind! Wie er mit
milder Strenge zu ihnen spricht, und wie sie aufschauen zu seinem reifen, klaren
Wissen, das ihm eigen geworden ist in der Reihe der Jahre, und zu seiner
durch nichts beirrten Gerechtigkeit!

Das ist ein Seltener. Den lieben sie alle.

Man kann gar nicht mutlos sein, wenn man zu dem Manne emporblickt.
Jede Verzagtheit schmilzt durch einen Blick in diese Augen. Alles kann man
ihm anvertrauen. Das macht, nichts Menschliches ist ihm fremd.

Dieser Mann hat mir abgegeben von der Art seines Wesens, und ich bin
freudiger im Amt, als das ohnehin schon der Fall war.

Du kennst meine Liebe für Kinder. Ich spreche es aus in tiefster Über¬
zeugung, daß der Beruf des Lehrers derjenige ist, für den kein Mensch als zu
gut, mancher dagegen als zu schlecht befunden werden kann.

Ich gebe meine Unterrichtsstunden mit Wärme, und in ihnen ist immer
Sonntag. Gibt es ein Gefühl der Befriedigung, das dem zu vergleichen wäre,
wenn sechsundfünfzig Jungen -- es sind nur reichlich viele -- in Frische und
lautloser Stille einem an den Lippen hängen, wenn sie einem die Worte vom
Munde haschen mit einem Eifer und einer Teilnahme, die ich niemals für
möglich gehalten hätte, die jedenfalls auf unserer Schalbank kaum zu finden war?

Glaube nicht etwa, daß ich mich hinausspielen will auf den idealen Lehrer;
es gelingt durchaus nicht immer. Auch mit der vollkommenen Ruhe hapert es
manchmal. Aber dann bin ich selbst schuld, indem ich sie durch irgendeinen
Scherz ablenke. Auch der Humor muß seine Stätte haben in der Schule. Ich
kenne nichts Kümmerlicheres als den humorlosen Lehrer, und wenn er alle
Weisheit der Welt besäße.

Eigentümlich! Am besten geht es im naturwissenschaftlichen Unterricht.

Du lächelst?

Ja freilich, wie komme ich. der staatlich abgestempelte Theologe, dazu,
gewerbsmäßig Physik und Zoologie zu verzapfen!


Grenzboten I 1913 1"
Briefe aus Trebeldorf

bescheiden. Doch es ist kein grollender, stumpfer Verzicht in seiner Seele, sondern
eine heitere Zufriedenheit und warme Freude am Leben. — Welch ein Künstler
dieser Überwinder!

Vor mehr denn zwanzig Jahren ist er hier gelandet in eben diesem Trebel¬
dorf, aus dem Du Briefe eines mit seinem Schicksal Hadernden erhalten hast.
Hier lebt er seit all der Zeit im Kreise einer gleichgestimmten Familie sein
stilles Glück.

Eine goldene Seele, dieser prächtige alte Mann. Ich habe keinen, mit
dem ich mich lieber unterhielte. Er ist so offen und rein.

Das muß doch etwas Wunderbares sein, durch alle Irrungen und Wirrungen
sich schließlich hindurchzuklären zu so sonnigem Herbstesabend.

Wunschlos werden, sein altes Kindesherz an die Brust der Allmutter Natur
legen und sich geborgen fühlen! Vielleicht ist das der Sinn des Lebens. —

Und wie die Jungens dem Alten ans Herz gewachsen sind! Wie er mit
milder Strenge zu ihnen spricht, und wie sie aufschauen zu seinem reifen, klaren
Wissen, das ihm eigen geworden ist in der Reihe der Jahre, und zu seiner
durch nichts beirrten Gerechtigkeit!

Das ist ein Seltener. Den lieben sie alle.

Man kann gar nicht mutlos sein, wenn man zu dem Manne emporblickt.
Jede Verzagtheit schmilzt durch einen Blick in diese Augen. Alles kann man
ihm anvertrauen. Das macht, nichts Menschliches ist ihm fremd.

Dieser Mann hat mir abgegeben von der Art seines Wesens, und ich bin
freudiger im Amt, als das ohnehin schon der Fall war.

Du kennst meine Liebe für Kinder. Ich spreche es aus in tiefster Über¬
zeugung, daß der Beruf des Lehrers derjenige ist, für den kein Mensch als zu
gut, mancher dagegen als zu schlecht befunden werden kann.

Ich gebe meine Unterrichtsstunden mit Wärme, und in ihnen ist immer
Sonntag. Gibt es ein Gefühl der Befriedigung, das dem zu vergleichen wäre,
wenn sechsundfünfzig Jungen — es sind nur reichlich viele — in Frische und
lautloser Stille einem an den Lippen hängen, wenn sie einem die Worte vom
Munde haschen mit einem Eifer und einer Teilnahme, die ich niemals für
möglich gehalten hätte, die jedenfalls auf unserer Schalbank kaum zu finden war?

Glaube nicht etwa, daß ich mich hinausspielen will auf den idealen Lehrer;
es gelingt durchaus nicht immer. Auch mit der vollkommenen Ruhe hapert es
manchmal. Aber dann bin ich selbst schuld, indem ich sie durch irgendeinen
Scherz ablenke. Auch der Humor muß seine Stätte haben in der Schule. Ich
kenne nichts Kümmerlicheres als den humorlosen Lehrer, und wenn er alle
Weisheit der Welt besäße.

Eigentümlich! Am besten geht es im naturwissenschaftlichen Unterricht.

Du lächelst?

Ja freilich, wie komme ich. der staatlich abgestempelte Theologe, dazu,
gewerbsmäßig Physik und Zoologie zu verzapfen!


Grenzboten I 1913 1«
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[0245] Briefe aus Trebeldorf bescheiden. Doch es ist kein grollender, stumpfer Verzicht in seiner Seele, sondern eine heitere Zufriedenheit und warme Freude am Leben. — Welch ein Künstler dieser Überwinder! Vor mehr denn zwanzig Jahren ist er hier gelandet in eben diesem Trebel¬ dorf, aus dem Du Briefe eines mit seinem Schicksal Hadernden erhalten hast. Hier lebt er seit all der Zeit im Kreise einer gleichgestimmten Familie sein stilles Glück. Eine goldene Seele, dieser prächtige alte Mann. Ich habe keinen, mit dem ich mich lieber unterhielte. Er ist so offen und rein. Das muß doch etwas Wunderbares sein, durch alle Irrungen und Wirrungen sich schließlich hindurchzuklären zu so sonnigem Herbstesabend. Wunschlos werden, sein altes Kindesherz an die Brust der Allmutter Natur legen und sich geborgen fühlen! Vielleicht ist das der Sinn des Lebens. — Und wie die Jungens dem Alten ans Herz gewachsen sind! Wie er mit milder Strenge zu ihnen spricht, und wie sie aufschauen zu seinem reifen, klaren Wissen, das ihm eigen geworden ist in der Reihe der Jahre, und zu seiner durch nichts beirrten Gerechtigkeit! Das ist ein Seltener. Den lieben sie alle. Man kann gar nicht mutlos sein, wenn man zu dem Manne emporblickt. Jede Verzagtheit schmilzt durch einen Blick in diese Augen. Alles kann man ihm anvertrauen. Das macht, nichts Menschliches ist ihm fremd. Dieser Mann hat mir abgegeben von der Art seines Wesens, und ich bin freudiger im Amt, als das ohnehin schon der Fall war. Du kennst meine Liebe für Kinder. Ich spreche es aus in tiefster Über¬ zeugung, daß der Beruf des Lehrers derjenige ist, für den kein Mensch als zu gut, mancher dagegen als zu schlecht befunden werden kann. Ich gebe meine Unterrichtsstunden mit Wärme, und in ihnen ist immer Sonntag. Gibt es ein Gefühl der Befriedigung, das dem zu vergleichen wäre, wenn sechsundfünfzig Jungen — es sind nur reichlich viele — in Frische und lautloser Stille einem an den Lippen hängen, wenn sie einem die Worte vom Munde haschen mit einem Eifer und einer Teilnahme, die ich niemals für möglich gehalten hätte, die jedenfalls auf unserer Schalbank kaum zu finden war? Glaube nicht etwa, daß ich mich hinausspielen will auf den idealen Lehrer; es gelingt durchaus nicht immer. Auch mit der vollkommenen Ruhe hapert es manchmal. Aber dann bin ich selbst schuld, indem ich sie durch irgendeinen Scherz ablenke. Auch der Humor muß seine Stätte haben in der Schule. Ich kenne nichts Kümmerlicheres als den humorlosen Lehrer, und wenn er alle Weisheit der Welt besäße. Eigentümlich! Am besten geht es im naturwissenschaftlichen Unterricht. Du lächelst? Ja freilich, wie komme ich. der staatlich abgestempelte Theologe, dazu, gewerbsmäßig Physik und Zoologie zu verzapfen! Grenzboten I 1913 1«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/245>, abgerufen am 22.12.2024.