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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

In der Tür wandte er sich noch einmal: "Gute Nacht, Korrektor! --
Feines Medium, -- feines Medium. -- Kriege Sie bald wieder." -- Er
verschwand.

Ich wage nicht zu hoffen, lieber Cunz, daß du die Geschichte sonderlich
erbaulich findest.

Man spricht in ganz Trebeldorf davon. Bei den einen habe ich an
Popularität gewonnen. Die anderen warnen mich offen vor einer Freundschaft
mit dein Bürgermeister. Die dritten lächeln heimlich verkniffen und vieldeutig,
wo sie mir begegnen.

Hoffentlich begegne ich dem hehren Stadtoberhaupt vor dem nächsten
Quartalstage nicht wieder. Da ist doch Hopfen und Malz verloren. Bis dahin
werde ich wohl endlich Erfreulicheres erleben. Vor allem: Du kommst. Das
ist mein freudiges Erwachen jeden Morgen.


Dein Edward.

Trebeldorf. den 21. Oktober 19 . .


Lieber Cunz,

seit den Ereignissen, die ich dir letzthin berichtet habe, lebe ich eingesponnen.
Nur des Mittags komme ich in das Hotel, und wenn das Wetter günstig ist,
mache ich meine weiten, einsamen Spaziergänge in den Stadtwald.

Den einen Vorzug hat Trebeldorf vor jeder Großstadt unbedingt: es ist
nichts Verwirrendes hier. Man besinnt sich in dieser Weltfreude leichter auf
sich selbst. Man hält beschauliche Einkehr in die eigene Seele.

Was brauchen wir schließlich die Dinge alle, die das Leben von außen an
uns heranspült! Was brauchen wir die großen Fest- und Feiertage, die das
Jahr in seiner Kette mit sich herumschleppt!

Laßt alle Tage Sonntag sein!

Das fordert freilich den allergrößten Künstler. In Entsagung und Schaffens¬
lust ganz auf sich selbst gestellt sein, das gehört zuerst dazu.

Der älteste unter meinen Kollegen hier ist der dreiundsiebzigjährige Kantor,
ein aufrechter, ehrwürdiger Mann in weißem Haar. Er hat das Gemüt eines
Kindes, nur vor den Kindern das voraus, daß er wunschlos ist.

Seine auffallend hellen Augen von noch eigenartig lebhaftem Glanz ver¬
raten es, daß er in jungen Tagen ein Feuerkopf gewesen ist, und er macht kein
Hehl daraus.

Das ganze Vaterland ist seinem Ungestüm zu eng gewesen. Es hat ihn
herausgetrieben über das große Meer. Im Überströmen wilden Begehrens hat
er das Steuer seines Lebensschiffleins aus der Hand gelassen. Er ist in die
Irre getrieben und auf Klippen gerannt. -- Schließlich, da er die Sterne nicht
hat greifen können, hat er Hoffnungen und Wünsche begraben. Blutstropfen
von seinem Herzen hat er mit eingesargt; aber dann ist er ruhig geworden und


Briefe aus Trebeldorf

In der Tür wandte er sich noch einmal: „Gute Nacht, Korrektor! —
Feines Medium, — feines Medium. — Kriege Sie bald wieder." — Er
verschwand.

Ich wage nicht zu hoffen, lieber Cunz, daß du die Geschichte sonderlich
erbaulich findest.

Man spricht in ganz Trebeldorf davon. Bei den einen habe ich an
Popularität gewonnen. Die anderen warnen mich offen vor einer Freundschaft
mit dein Bürgermeister. Die dritten lächeln heimlich verkniffen und vieldeutig,
wo sie mir begegnen.

Hoffentlich begegne ich dem hehren Stadtoberhaupt vor dem nächsten
Quartalstage nicht wieder. Da ist doch Hopfen und Malz verloren. Bis dahin
werde ich wohl endlich Erfreulicheres erleben. Vor allem: Du kommst. Das
ist mein freudiges Erwachen jeden Morgen.


Dein Edward.

Trebeldorf. den 21. Oktober 19 . .


Lieber Cunz,

seit den Ereignissen, die ich dir letzthin berichtet habe, lebe ich eingesponnen.
Nur des Mittags komme ich in das Hotel, und wenn das Wetter günstig ist,
mache ich meine weiten, einsamen Spaziergänge in den Stadtwald.

Den einen Vorzug hat Trebeldorf vor jeder Großstadt unbedingt: es ist
nichts Verwirrendes hier. Man besinnt sich in dieser Weltfreude leichter auf
sich selbst. Man hält beschauliche Einkehr in die eigene Seele.

Was brauchen wir schließlich die Dinge alle, die das Leben von außen an
uns heranspült! Was brauchen wir die großen Fest- und Feiertage, die das
Jahr in seiner Kette mit sich herumschleppt!

Laßt alle Tage Sonntag sein!

Das fordert freilich den allergrößten Künstler. In Entsagung und Schaffens¬
lust ganz auf sich selbst gestellt sein, das gehört zuerst dazu.

Der älteste unter meinen Kollegen hier ist der dreiundsiebzigjährige Kantor,
ein aufrechter, ehrwürdiger Mann in weißem Haar. Er hat das Gemüt eines
Kindes, nur vor den Kindern das voraus, daß er wunschlos ist.

Seine auffallend hellen Augen von noch eigenartig lebhaftem Glanz ver¬
raten es, daß er in jungen Tagen ein Feuerkopf gewesen ist, und er macht kein
Hehl daraus.

Das ganze Vaterland ist seinem Ungestüm zu eng gewesen. Es hat ihn
herausgetrieben über das große Meer. Im Überströmen wilden Begehrens hat
er das Steuer seines Lebensschiffleins aus der Hand gelassen. Er ist in die
Irre getrieben und auf Klippen gerannt. — Schließlich, da er die Sterne nicht
hat greifen können, hat er Hoffnungen und Wünsche begraben. Blutstropfen
von seinem Herzen hat er mit eingesargt; aber dann ist er ruhig geworden und


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[0244] Briefe aus Trebeldorf In der Tür wandte er sich noch einmal: „Gute Nacht, Korrektor! — Feines Medium, — feines Medium. — Kriege Sie bald wieder." — Er verschwand. Ich wage nicht zu hoffen, lieber Cunz, daß du die Geschichte sonderlich erbaulich findest. Man spricht in ganz Trebeldorf davon. Bei den einen habe ich an Popularität gewonnen. Die anderen warnen mich offen vor einer Freundschaft mit dein Bürgermeister. Die dritten lächeln heimlich verkniffen und vieldeutig, wo sie mir begegnen. Hoffentlich begegne ich dem hehren Stadtoberhaupt vor dem nächsten Quartalstage nicht wieder. Da ist doch Hopfen und Malz verloren. Bis dahin werde ich wohl endlich Erfreulicheres erleben. Vor allem: Du kommst. Das ist mein freudiges Erwachen jeden Morgen. Dein Edward. Trebeldorf. den 21. Oktober 19 . . Lieber Cunz, seit den Ereignissen, die ich dir letzthin berichtet habe, lebe ich eingesponnen. Nur des Mittags komme ich in das Hotel, und wenn das Wetter günstig ist, mache ich meine weiten, einsamen Spaziergänge in den Stadtwald. Den einen Vorzug hat Trebeldorf vor jeder Großstadt unbedingt: es ist nichts Verwirrendes hier. Man besinnt sich in dieser Weltfreude leichter auf sich selbst. Man hält beschauliche Einkehr in die eigene Seele. Was brauchen wir schließlich die Dinge alle, die das Leben von außen an uns heranspült! Was brauchen wir die großen Fest- und Feiertage, die das Jahr in seiner Kette mit sich herumschleppt! Laßt alle Tage Sonntag sein! Das fordert freilich den allergrößten Künstler. In Entsagung und Schaffens¬ lust ganz auf sich selbst gestellt sein, das gehört zuerst dazu. Der älteste unter meinen Kollegen hier ist der dreiundsiebzigjährige Kantor, ein aufrechter, ehrwürdiger Mann in weißem Haar. Er hat das Gemüt eines Kindes, nur vor den Kindern das voraus, daß er wunschlos ist. Seine auffallend hellen Augen von noch eigenartig lebhaftem Glanz ver¬ raten es, daß er in jungen Tagen ein Feuerkopf gewesen ist, und er macht kein Hehl daraus. Das ganze Vaterland ist seinem Ungestüm zu eng gewesen. Es hat ihn herausgetrieben über das große Meer. Im Überströmen wilden Begehrens hat er das Steuer seines Lebensschiffleins aus der Hand gelassen. Er ist in die Irre getrieben und auf Klippen gerannt. — Schließlich, da er die Sterne nicht hat greifen können, hat er Hoffnungen und Wünsche begraben. Blutstropfen von seinem Herzen hat er mit eingesargt; aber dann ist er ruhig geworden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/244>, abgerufen am 24.08.2024.