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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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pädagogischer Sturm und Drang

getriebes, das Ausnahmen als Störung empfindet und niederdrückt, verkennen
wir nicht, und wir wollen hier keine Anklage erheben. Nur bleibt es doch
eben wahr: allenthalben, jedenfalls im Bereiche geistigen Wirkens und Schaffens,
sind es die Ausnahmen, in denen das eigentliche Leben sich äußert. Wer
nun laut und lebhaft nach Freiheit ruft, soll sich der Gefahr bewußt sein, daß
er, vielleicht ohne es zu merken, zuletzt doch nichts anderes wünscht, als das
Heft der Gesetzgebung in die Hand zu bekommen, um dann seine eigene "freiere"
Gestaltung der Dinge überall siegreich durchzuführen. In der Tat liegen nach
dieser Seite hin die Hauptbedenken gegen die Zukunftspläne der pädagogischen
Propheten.

Verständigung zwischen Schule und Haus ist gewiß etwas gutes; und wo
die Menschen danach sind, mögen auch bestimmte Veranstaltungen für den
Gedankenaustausch sich bewähren. Was aber einer der Redner in Weimar,
ein Oberlehrer, im Sinn hatte, wäre ein förmliches Schulparlament, aus
Elternrat und Lehrerkollegium zusammengesetzt, dem er folgende Aufgabe stellt:
"Der denkende berufliche Erzieher würde sich mit dem denkenden natürlichen
Erzieher verbinden können gegen egoistische Beschränktheit anderer Eltern oder gegen
handwerksmäßige Prinzipienreiterei bei anderen Lehrern. Und außerdem
würden die Verhandlungen der öffentlichen Kritik unterbreitet." Es gehört
nicht allzuviel Phantasie dazu, das bewegte Bild einer Debatte auszumalen, in
der sich Eltern gegen den Vorwurf der Beschränktheit, Lehrer gegen den des
Banausentums vor dem Forum der Öffentlichkeit zu verteidigen hätten.
Ernster zu nehmen ist der Vorschlag von Teos in seinem Beitrag zur
Schule der Zukunft: "Wir brauchen auf allen Stufen Schulvertretungen,
die sich zusammensetzen aus Pädagogen und Laien. Diese sollen unseren
Lehrern einen Rückhalt gewähren, ihre Freiheit in Lehre und Leben, ihre
Freiheit im Schaffen schützen." Dem warmherzigen Freunde der Jugend, der
dies forderte, fehlt es wohl nicht an Erfahrungen, die ihn zu jenem Vorschlag
gedrängt haben; trotzdem scheint uns der angedeutete Plan gerade das Ziel zu
verfehlen, dem er zuführen soll. Wo eine solche Körperschaft im Guten einig
wäre, könnte sie ja helfen, einen etwa beengenden Druck von oben durch Gegen¬
druck aufzuheben; doch solche Wirkung wäre dann auch ohne den Rahmen einer
dauernden Veranstaltung möglich. Wo aber keine Einigkeit besteht, da gibt es
Verhandlung und Streit, Sieg oder Niederlage. Nur der Kampf bringt
Fortschritt; aber im Geisteskampfe ist die Majorität kein Hort der Wahrheit.
Einen einzelnen, in dem ein eigentümliches Licht aufleuchtet, einen wirklich be¬
deutenden Menschen, wird ein anderer einzelner, dem die Obhut anvertraut ist,
eher verstehen und bei seiner Arbeit -- der stillen Arbeit des Lehrers und
Erziehers -- besser zu schützen vermögen, als die kollegiale Gewalt eben des
Kreises, von dem er sich abhebt.

Ein ausgedachtes System von Möglichkeiten und Vorkehrungen, wie modern
auch die Gesichtspunkte sein mögen nach denen man es einrichtet, bleibt dem


pädagogischer Sturm und Drang

getriebes, das Ausnahmen als Störung empfindet und niederdrückt, verkennen
wir nicht, und wir wollen hier keine Anklage erheben. Nur bleibt es doch
eben wahr: allenthalben, jedenfalls im Bereiche geistigen Wirkens und Schaffens,
sind es die Ausnahmen, in denen das eigentliche Leben sich äußert. Wer
nun laut und lebhaft nach Freiheit ruft, soll sich der Gefahr bewußt sein, daß
er, vielleicht ohne es zu merken, zuletzt doch nichts anderes wünscht, als das
Heft der Gesetzgebung in die Hand zu bekommen, um dann seine eigene „freiere"
Gestaltung der Dinge überall siegreich durchzuführen. In der Tat liegen nach
dieser Seite hin die Hauptbedenken gegen die Zukunftspläne der pädagogischen
Propheten.

Verständigung zwischen Schule und Haus ist gewiß etwas gutes; und wo
die Menschen danach sind, mögen auch bestimmte Veranstaltungen für den
Gedankenaustausch sich bewähren. Was aber einer der Redner in Weimar,
ein Oberlehrer, im Sinn hatte, wäre ein förmliches Schulparlament, aus
Elternrat und Lehrerkollegium zusammengesetzt, dem er folgende Aufgabe stellt:
„Der denkende berufliche Erzieher würde sich mit dem denkenden natürlichen
Erzieher verbinden können gegen egoistische Beschränktheit anderer Eltern oder gegen
handwerksmäßige Prinzipienreiterei bei anderen Lehrern. Und außerdem
würden die Verhandlungen der öffentlichen Kritik unterbreitet." Es gehört
nicht allzuviel Phantasie dazu, das bewegte Bild einer Debatte auszumalen, in
der sich Eltern gegen den Vorwurf der Beschränktheit, Lehrer gegen den des
Banausentums vor dem Forum der Öffentlichkeit zu verteidigen hätten.
Ernster zu nehmen ist der Vorschlag von Teos in seinem Beitrag zur
Schule der Zukunft: „Wir brauchen auf allen Stufen Schulvertretungen,
die sich zusammensetzen aus Pädagogen und Laien. Diese sollen unseren
Lehrern einen Rückhalt gewähren, ihre Freiheit in Lehre und Leben, ihre
Freiheit im Schaffen schützen." Dem warmherzigen Freunde der Jugend, der
dies forderte, fehlt es wohl nicht an Erfahrungen, die ihn zu jenem Vorschlag
gedrängt haben; trotzdem scheint uns der angedeutete Plan gerade das Ziel zu
verfehlen, dem er zuführen soll. Wo eine solche Körperschaft im Guten einig
wäre, könnte sie ja helfen, einen etwa beengenden Druck von oben durch Gegen¬
druck aufzuheben; doch solche Wirkung wäre dann auch ohne den Rahmen einer
dauernden Veranstaltung möglich. Wo aber keine Einigkeit besteht, da gibt es
Verhandlung und Streit, Sieg oder Niederlage. Nur der Kampf bringt
Fortschritt; aber im Geisteskampfe ist die Majorität kein Hort der Wahrheit.
Einen einzelnen, in dem ein eigentümliches Licht aufleuchtet, einen wirklich be¬
deutenden Menschen, wird ein anderer einzelner, dem die Obhut anvertraut ist,
eher verstehen und bei seiner Arbeit — der stillen Arbeit des Lehrers und
Erziehers — besser zu schützen vermögen, als die kollegiale Gewalt eben des
Kreises, von dem er sich abhebt.

Ein ausgedachtes System von Möglichkeiten und Vorkehrungen, wie modern
auch die Gesichtspunkte sein mögen nach denen man es einrichtet, bleibt dem


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[0222] pädagogischer Sturm und Drang getriebes, das Ausnahmen als Störung empfindet und niederdrückt, verkennen wir nicht, und wir wollen hier keine Anklage erheben. Nur bleibt es doch eben wahr: allenthalben, jedenfalls im Bereiche geistigen Wirkens und Schaffens, sind es die Ausnahmen, in denen das eigentliche Leben sich äußert. Wer nun laut und lebhaft nach Freiheit ruft, soll sich der Gefahr bewußt sein, daß er, vielleicht ohne es zu merken, zuletzt doch nichts anderes wünscht, als das Heft der Gesetzgebung in die Hand zu bekommen, um dann seine eigene „freiere" Gestaltung der Dinge überall siegreich durchzuführen. In der Tat liegen nach dieser Seite hin die Hauptbedenken gegen die Zukunftspläne der pädagogischen Propheten. Verständigung zwischen Schule und Haus ist gewiß etwas gutes; und wo die Menschen danach sind, mögen auch bestimmte Veranstaltungen für den Gedankenaustausch sich bewähren. Was aber einer der Redner in Weimar, ein Oberlehrer, im Sinn hatte, wäre ein förmliches Schulparlament, aus Elternrat und Lehrerkollegium zusammengesetzt, dem er folgende Aufgabe stellt: „Der denkende berufliche Erzieher würde sich mit dem denkenden natürlichen Erzieher verbinden können gegen egoistische Beschränktheit anderer Eltern oder gegen handwerksmäßige Prinzipienreiterei bei anderen Lehrern. Und außerdem würden die Verhandlungen der öffentlichen Kritik unterbreitet." Es gehört nicht allzuviel Phantasie dazu, das bewegte Bild einer Debatte auszumalen, in der sich Eltern gegen den Vorwurf der Beschränktheit, Lehrer gegen den des Banausentums vor dem Forum der Öffentlichkeit zu verteidigen hätten. Ernster zu nehmen ist der Vorschlag von Teos in seinem Beitrag zur Schule der Zukunft: „Wir brauchen auf allen Stufen Schulvertretungen, die sich zusammensetzen aus Pädagogen und Laien. Diese sollen unseren Lehrern einen Rückhalt gewähren, ihre Freiheit in Lehre und Leben, ihre Freiheit im Schaffen schützen." Dem warmherzigen Freunde der Jugend, der dies forderte, fehlt es wohl nicht an Erfahrungen, die ihn zu jenem Vorschlag gedrängt haben; trotzdem scheint uns der angedeutete Plan gerade das Ziel zu verfehlen, dem er zuführen soll. Wo eine solche Körperschaft im Guten einig wäre, könnte sie ja helfen, einen etwa beengenden Druck von oben durch Gegen¬ druck aufzuheben; doch solche Wirkung wäre dann auch ohne den Rahmen einer dauernden Veranstaltung möglich. Wo aber keine Einigkeit besteht, da gibt es Verhandlung und Streit, Sieg oder Niederlage. Nur der Kampf bringt Fortschritt; aber im Geisteskampfe ist die Majorität kein Hort der Wahrheit. Einen einzelnen, in dem ein eigentümliches Licht aufleuchtet, einen wirklich be¬ deutenden Menschen, wird ein anderer einzelner, dem die Obhut anvertraut ist, eher verstehen und bei seiner Arbeit — der stillen Arbeit des Lehrers und Erziehers — besser zu schützen vermögen, als die kollegiale Gewalt eben des Kreises, von dem er sich abhebt. Ein ausgedachtes System von Möglichkeiten und Vorkehrungen, wie modern auch die Gesichtspunkte sein mögen nach denen man es einrichtet, bleibt dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/222>, abgerufen am 24.07.2024.