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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

"Sie täten ein Gotteswerk an ihm. -- Wissen Sie was? Mir fällt was
ein. Fahren Sie mit ihm in den Stadtwald. Senator Schulz läßt gern
anspannen. Am Ende fährt er selbst mit."

"Das ist ein Gedanke." meinte der kleine Apotheker.

"Das Bett wäre ihm besser," entgegnete ich.

"Nutze nichts," erwiderte Mutter Holzberg. "Wenn er aufwacht, klettert
er doch wieder raus und geht ins Tanzlokal. Das hat er all schon fertig
gekriegt."

"Na, dann also in den Stadtwald!" beschlossen wir. "Können Sie uns
das Fuhrwerk besorgen?"

Mutter Holzberg versprach es. Um vier Uhr also geht es hinaus, zur
Rettung eines Schiffbrüchigen. -- Ich bin gespannt, wie das abläuft. --

Du hast nach Erlebnissen gefragt. Dies ist ein urechtes Trebeldorfer
Erlebnis, an dem der Samariter nicht achtlos vorüberzieht, und es gehen ihm
die Augen darüber auf, daß der Thron des Lasters überall aufgerichtet steht
in der Welt. Ist es denn wahr, daß die Millionenstadt ein schlimmerer
Sündenpfuhl ist als das kleinste Nest? Von hier aus möchte ichs bezweifeln.

Es ist eine trübe Atmosphäre hier. Ich möchte reinere Luft atmen.

Vielleicht trägt Dir mein nächster Brief erfreulichere Kunde zu. Noch hoffe
'ich auf Schöneres. -- Ich hoffe es.


Leb wohl unterdessen.Dein Edward.

Trebeldorf, den 6. Oktober 19 . .


Mein prächtiger alter Cunz,

Du möchtest also wirklich Trebeldorf kennen lernen mit allem, was drum
und dran ist? -- Da mußt Du freilich schon selber auf einige Tage kommen
und die Herrlichkeit schauen mit eigenen Augen. Also rund heraus: Ich lade
Dich ein zu Weihnachten. Da wollen wir beiden Elternlosen zusammen feiern.
Bereite mir die große Freude, und ich will einen Juchzer tun, der weit über
die Torfmoore widerhallen soll.

Draußen vor den Toren dürfte es dann freilich leicht noch reizloser sein
als in diesen Regentagen. Wir werden uns begnügen müssen mit dem Innern
der Stadt, das heißt mit meiner Wohnung und dem Hotel.

Schon lese ich seit zwei Wochen andauernd in meinem geliebten Theodor
Storm. Ich möchte ihm seine echte Kleinstadtstimmung nachleben und alles
mit gleicher Liebe umfassen können wie er. Aber es geht nicht. Bisweilen
denke ich: nun hab ichs. Aber dann wieder werde ich gewahr, daß dieses
künstlich Erzwungene eben doch nur etwas Gewolltes und nichts Wahres ist. Zudem
ist Trebeldorf nach allem, was ich herauslese, eben doch nicht Husum. Auch
fehlen mir ja alle die tausend Kindheitserinnerungen, die mich mit starken


Briefe aus Trebeldorf

„Sie täten ein Gotteswerk an ihm. — Wissen Sie was? Mir fällt was
ein. Fahren Sie mit ihm in den Stadtwald. Senator Schulz läßt gern
anspannen. Am Ende fährt er selbst mit."

„Das ist ein Gedanke." meinte der kleine Apotheker.

„Das Bett wäre ihm besser," entgegnete ich.

„Nutze nichts," erwiderte Mutter Holzberg. „Wenn er aufwacht, klettert
er doch wieder raus und geht ins Tanzlokal. Das hat er all schon fertig
gekriegt."

„Na, dann also in den Stadtwald!" beschlossen wir. „Können Sie uns
das Fuhrwerk besorgen?"

Mutter Holzberg versprach es. Um vier Uhr also geht es hinaus, zur
Rettung eines Schiffbrüchigen. — Ich bin gespannt, wie das abläuft. —

Du hast nach Erlebnissen gefragt. Dies ist ein urechtes Trebeldorfer
Erlebnis, an dem der Samariter nicht achtlos vorüberzieht, und es gehen ihm
die Augen darüber auf, daß der Thron des Lasters überall aufgerichtet steht
in der Welt. Ist es denn wahr, daß die Millionenstadt ein schlimmerer
Sündenpfuhl ist als das kleinste Nest? Von hier aus möchte ichs bezweifeln.

Es ist eine trübe Atmosphäre hier. Ich möchte reinere Luft atmen.

Vielleicht trägt Dir mein nächster Brief erfreulichere Kunde zu. Noch hoffe
'ich auf Schöneres. — Ich hoffe es.


Leb wohl unterdessen.Dein Edward.

Trebeldorf, den 6. Oktober 19 . .


Mein prächtiger alter Cunz,

Du möchtest also wirklich Trebeldorf kennen lernen mit allem, was drum
und dran ist? — Da mußt Du freilich schon selber auf einige Tage kommen
und die Herrlichkeit schauen mit eigenen Augen. Also rund heraus: Ich lade
Dich ein zu Weihnachten. Da wollen wir beiden Elternlosen zusammen feiern.
Bereite mir die große Freude, und ich will einen Juchzer tun, der weit über
die Torfmoore widerhallen soll.

Draußen vor den Toren dürfte es dann freilich leicht noch reizloser sein
als in diesen Regentagen. Wir werden uns begnügen müssen mit dem Innern
der Stadt, das heißt mit meiner Wohnung und dem Hotel.

Schon lese ich seit zwei Wochen andauernd in meinem geliebten Theodor
Storm. Ich möchte ihm seine echte Kleinstadtstimmung nachleben und alles
mit gleicher Liebe umfassen können wie er. Aber es geht nicht. Bisweilen
denke ich: nun hab ichs. Aber dann wieder werde ich gewahr, daß dieses
künstlich Erzwungene eben doch nur etwas Gewolltes und nichts Wahres ist. Zudem
ist Trebeldorf nach allem, was ich herauslese, eben doch nicht Husum. Auch
fehlen mir ja alle die tausend Kindheitserinnerungen, die mich mit starken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/190>, abgerufen am 24.08.2024.