Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe aus Trebeldorf

Die trunkfestesten Zecher von Trebeldorf, der Viehhändler Runge, der
Bäckermeister Neben, der Uhrmacher Jerschkow, der ewig delirierende Spediteur
Blunt, der Fuhrmann Kitz, der Hotelwirt Holzberg und andere umgaben ihn,
lauter wackere Ehrenmänner und gute Freunde des Bürgermeisters, der heute
wieder den großen Spendertag hatte und alle freihielt.

Mit Sekt hatte der Jubelmorgen um zehn Uhr seinen Einzug gehalten,
und dann war man auf dem Umweg über Rotwein zu Trebeldorfer Bier
gelangt. Seit drei Stunden hatten die Edlen dort ihren tiefen Frühtrunk
getan, sich an ihren unsauberen Geschichten ergötzt, eine unbändige Freude
verspürt, als der Bürgermeister trunken und trunkener wurde und ihren Ulk
mit ihm getrieben.

Es war eben Quartalstag. -- Der Viehhändler setzte ihm einen Papier¬
helm auf den Kopf, der Uhrmacher erhob sein Glas mit dem Rufe: "Hoch
unser erlauchtes Oberhaupt, der Herr Stadtkommandant!" Und der Bäcker¬
meister schlug mit der breitflossigeu Patsche auf seine Schulter und beteuerte:
"Bist doch ein fideles Haus, Bürgermeister." Sie duzen sich alle mit ihm.

Mir war es eine widerliche Szene. Die Einladung zum Mittrinken lehnte
ich ab und begab mich in das kleine Speisezimmer nebenan.

Ich aß mit dem jungen Apotheker allein. Das wirre Getöse und die
verschiedenen Qualmdüfte, die zu uns hereindrangen, steigerten unser Mi߬
behagen, und wir beschlossen, den Bürgermeister aus den Klauen dieser Gesell¬
schaft zu befreien.

Wir ließen Mutter Holzberg rufen. Das ist eine kleine runde, appetitliche,
immer fleißige, fröhliche und verständige Frau, die Seele des Hotels.

"Wie bekommen wir ohne Aufsehen den Bürgermeister nachHause?" fragte ich.

"Ach, Herr Korrektor, der geht nicht."

"Das ist doch aber eine Schande, wie die Leute da mit ihm umspringen."

"Ja, du lieber Gott, gewiß, Herr Korrektor, das ist es. Aber was soll
man machen? -- Ich bring ihn nachher in die Hinterstube, wir legen ihn aufs
Sofa, und dann schläft er sich bis vier Uhr wieder nüchtern."

"Und dann?"

"Geht er ins Tanzlokal."

"Ins Tanzlokal?"

"Ja," sagte Mutter Holzberg, "das tut er nun mal nicht anders. Das
macht er seit zwölf Jahren an diesem Tage immer."

"Aber ich bitte Sie, was will er denn da? Der Mann mit seinen Gicht-
beinchen? Tanze er?"

"Ne, das nicht. Aber da ist heut Knechtsball. Na, und da müssen alle
Knechte und Mägde Sekt trinken. Bezahlt er alles. Und dann stoßen sie mit
ihm an und bedanken sich und lassen ihn hochleben. Das mag er gern."

"Gerechter Dudelsack!" sprach ich. "Und das läßt sich auf keine Weise
hindern?"


Briefe aus Trebeldorf

Die trunkfestesten Zecher von Trebeldorf, der Viehhändler Runge, der
Bäckermeister Neben, der Uhrmacher Jerschkow, der ewig delirierende Spediteur
Blunt, der Fuhrmann Kitz, der Hotelwirt Holzberg und andere umgaben ihn,
lauter wackere Ehrenmänner und gute Freunde des Bürgermeisters, der heute
wieder den großen Spendertag hatte und alle freihielt.

Mit Sekt hatte der Jubelmorgen um zehn Uhr seinen Einzug gehalten,
und dann war man auf dem Umweg über Rotwein zu Trebeldorfer Bier
gelangt. Seit drei Stunden hatten die Edlen dort ihren tiefen Frühtrunk
getan, sich an ihren unsauberen Geschichten ergötzt, eine unbändige Freude
verspürt, als der Bürgermeister trunken und trunkener wurde und ihren Ulk
mit ihm getrieben.

Es war eben Quartalstag. — Der Viehhändler setzte ihm einen Papier¬
helm auf den Kopf, der Uhrmacher erhob sein Glas mit dem Rufe: „Hoch
unser erlauchtes Oberhaupt, der Herr Stadtkommandant!" Und der Bäcker¬
meister schlug mit der breitflossigeu Patsche auf seine Schulter und beteuerte:
„Bist doch ein fideles Haus, Bürgermeister." Sie duzen sich alle mit ihm.

Mir war es eine widerliche Szene. Die Einladung zum Mittrinken lehnte
ich ab und begab mich in das kleine Speisezimmer nebenan.

Ich aß mit dem jungen Apotheker allein. Das wirre Getöse und die
verschiedenen Qualmdüfte, die zu uns hereindrangen, steigerten unser Mi߬
behagen, und wir beschlossen, den Bürgermeister aus den Klauen dieser Gesell¬
schaft zu befreien.

Wir ließen Mutter Holzberg rufen. Das ist eine kleine runde, appetitliche,
immer fleißige, fröhliche und verständige Frau, die Seele des Hotels.

„Wie bekommen wir ohne Aufsehen den Bürgermeister nachHause?" fragte ich.

„Ach, Herr Korrektor, der geht nicht."

„Das ist doch aber eine Schande, wie die Leute da mit ihm umspringen."

„Ja, du lieber Gott, gewiß, Herr Korrektor, das ist es. Aber was soll
man machen? — Ich bring ihn nachher in die Hinterstube, wir legen ihn aufs
Sofa, und dann schläft er sich bis vier Uhr wieder nüchtern."

„Und dann?"

„Geht er ins Tanzlokal."

„Ins Tanzlokal?"

„Ja," sagte Mutter Holzberg, „das tut er nun mal nicht anders. Das
macht er seit zwölf Jahren an diesem Tage immer."

„Aber ich bitte Sie, was will er denn da? Der Mann mit seinen Gicht-
beinchen? Tanze er?"

„Ne, das nicht. Aber da ist heut Knechtsball. Na, und da müssen alle
Knechte und Mägde Sekt trinken. Bezahlt er alles. Und dann stoßen sie mit
ihm an und bedanken sich und lassen ihn hochleben. Das mag er gern."

„Gerechter Dudelsack!" sprach ich. „Und das läßt sich auf keine Weise
hindern?"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325059"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe aus Trebeldorf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_646"> Die trunkfestesten Zecher von Trebeldorf, der Viehhändler Runge, der<lb/>
Bäckermeister Neben, der Uhrmacher Jerschkow, der ewig delirierende Spediteur<lb/>
Blunt, der Fuhrmann Kitz, der Hotelwirt Holzberg und andere umgaben ihn,<lb/>
lauter wackere Ehrenmänner und gute Freunde des Bürgermeisters, der heute<lb/>
wieder den großen Spendertag hatte und alle freihielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Mit Sekt hatte der Jubelmorgen um zehn Uhr seinen Einzug gehalten,<lb/>
und dann war man auf dem Umweg über Rotwein zu Trebeldorfer Bier<lb/>
gelangt. Seit drei Stunden hatten die Edlen dort ihren tiefen Frühtrunk<lb/>
getan, sich an ihren unsauberen Geschichten ergötzt, eine unbändige Freude<lb/>
verspürt, als der Bürgermeister trunken und trunkener wurde und ihren Ulk<lb/>
mit ihm getrieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> Es war eben Quartalstag. &#x2014; Der Viehhändler setzte ihm einen Papier¬<lb/>
helm auf den Kopf, der Uhrmacher erhob sein Glas mit dem Rufe: &#x201E;Hoch<lb/>
unser erlauchtes Oberhaupt, der Herr Stadtkommandant!" Und der Bäcker¬<lb/>
meister schlug mit der breitflossigeu Patsche auf seine Schulter und beteuerte:<lb/>
&#x201E;Bist doch ein fideles Haus, Bürgermeister." Sie duzen sich alle mit ihm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_649"> Mir war es eine widerliche Szene. Die Einladung zum Mittrinken lehnte<lb/>
ich ab und begab mich in das kleine Speisezimmer nebenan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_650"> Ich aß mit dem jungen Apotheker allein. Das wirre Getöse und die<lb/>
verschiedenen Qualmdüfte, die zu uns hereindrangen, steigerten unser Mi߬<lb/>
behagen, und wir beschlossen, den Bürgermeister aus den Klauen dieser Gesell¬<lb/>
schaft zu befreien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_651"> Wir ließen Mutter Holzberg rufen. Das ist eine kleine runde, appetitliche,<lb/>
immer fleißige, fröhliche und verständige Frau, die Seele des Hotels.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652"> &#x201E;Wie bekommen wir ohne Aufsehen den Bürgermeister nachHause?" fragte ich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653"> &#x201E;Ach, Herr Korrektor, der geht nicht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654"> &#x201E;Das ist doch aber eine Schande, wie die Leute da mit ihm umspringen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_655"> &#x201E;Ja, du lieber Gott, gewiß, Herr Korrektor, das ist es. Aber was soll<lb/>
man machen? &#x2014; Ich bring ihn nachher in die Hinterstube, wir legen ihn aufs<lb/>
Sofa, und dann schläft er sich bis vier Uhr wieder nüchtern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_656"> &#x201E;Und dann?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_657"> &#x201E;Geht er ins Tanzlokal."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_658"> &#x201E;Ins Tanzlokal?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_659"> &#x201E;Ja," sagte Mutter Holzberg, &#x201E;das tut er nun mal nicht anders. Das<lb/>
macht er seit zwölf Jahren an diesem Tage immer."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_660"> &#x201E;Aber ich bitte Sie, was will er denn da? Der Mann mit seinen Gicht-<lb/>
beinchen? Tanze er?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661"> &#x201E;Ne, das nicht. Aber da ist heut Knechtsball. Na, und da müssen alle<lb/>
Knechte und Mägde Sekt trinken. Bezahlt er alles. Und dann stoßen sie mit<lb/>
ihm an und bedanken sich und lassen ihn hochleben. Das mag er gern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662"> &#x201E;Gerechter Dudelsack!" sprach ich. &#x201E;Und das läßt sich auf keine Weise<lb/>
hindern?"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Briefe aus Trebeldorf Die trunkfestesten Zecher von Trebeldorf, der Viehhändler Runge, der Bäckermeister Neben, der Uhrmacher Jerschkow, der ewig delirierende Spediteur Blunt, der Fuhrmann Kitz, der Hotelwirt Holzberg und andere umgaben ihn, lauter wackere Ehrenmänner und gute Freunde des Bürgermeisters, der heute wieder den großen Spendertag hatte und alle freihielt. Mit Sekt hatte der Jubelmorgen um zehn Uhr seinen Einzug gehalten, und dann war man auf dem Umweg über Rotwein zu Trebeldorfer Bier gelangt. Seit drei Stunden hatten die Edlen dort ihren tiefen Frühtrunk getan, sich an ihren unsauberen Geschichten ergötzt, eine unbändige Freude verspürt, als der Bürgermeister trunken und trunkener wurde und ihren Ulk mit ihm getrieben. Es war eben Quartalstag. — Der Viehhändler setzte ihm einen Papier¬ helm auf den Kopf, der Uhrmacher erhob sein Glas mit dem Rufe: „Hoch unser erlauchtes Oberhaupt, der Herr Stadtkommandant!" Und der Bäcker¬ meister schlug mit der breitflossigeu Patsche auf seine Schulter und beteuerte: „Bist doch ein fideles Haus, Bürgermeister." Sie duzen sich alle mit ihm. Mir war es eine widerliche Szene. Die Einladung zum Mittrinken lehnte ich ab und begab mich in das kleine Speisezimmer nebenan. Ich aß mit dem jungen Apotheker allein. Das wirre Getöse und die verschiedenen Qualmdüfte, die zu uns hereindrangen, steigerten unser Mi߬ behagen, und wir beschlossen, den Bürgermeister aus den Klauen dieser Gesell¬ schaft zu befreien. Wir ließen Mutter Holzberg rufen. Das ist eine kleine runde, appetitliche, immer fleißige, fröhliche und verständige Frau, die Seele des Hotels. „Wie bekommen wir ohne Aufsehen den Bürgermeister nachHause?" fragte ich. „Ach, Herr Korrektor, der geht nicht." „Das ist doch aber eine Schande, wie die Leute da mit ihm umspringen." „Ja, du lieber Gott, gewiß, Herr Korrektor, das ist es. Aber was soll man machen? — Ich bring ihn nachher in die Hinterstube, wir legen ihn aufs Sofa, und dann schläft er sich bis vier Uhr wieder nüchtern." „Und dann?" „Geht er ins Tanzlokal." „Ins Tanzlokal?" „Ja," sagte Mutter Holzberg, „das tut er nun mal nicht anders. Das macht er seit zwölf Jahren an diesem Tage immer." „Aber ich bitte Sie, was will er denn da? Der Mann mit seinen Gicht- beinchen? Tanze er?" „Ne, das nicht. Aber da ist heut Knechtsball. Na, und da müssen alle Knechte und Mägde Sekt trinken. Bezahlt er alles. Und dann stoßen sie mit ihm an und bedanken sich und lassen ihn hochleben. Das mag er gern." „Gerechter Dudelsack!" sprach ich. „Und das läßt sich auf keine Weise hindern?"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/189>, abgerufen am 24.08.2024.