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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Erschließung Lhinas

hin für viele gebildete Chinesen in England und Amerika verkörpert. Diesem Um¬
stände ist es zuzuschreiben, wenn viele Chinesen, die die anglo-amerikanischen
Schulen in ihrem Heimatlande besuchten und die englische Sprache erlernten,
sich nach Amerika oder England wenden, um dort ihren Studien obzuliegen
oder sie dort zu beendigen. Die Union hat den Chinesen das Studium auf
amerikanischem Boden und das Kennenlernen ihrer Einrichtungen ganz besonders
noch dadurch erleichtert, als es auf die von China zu leistende Entschädigung
aus dem Boxeraufstand verzichtet hat, diese Mittel aber dazu verwendet,
chinesische Studenten in die Lage zu versetzen, die amerikanischen Einrichtungen
und Leistungen an Ort und Stelle kennen zu lernen. Erwägt man. daß China
in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ungeheure Aufgaben zu bewältigen
haben wird, um seine Verwaltung, seine Justiz, sein Heer, sein Verkehrswesen,
seine Finanzen usw. zu reformieren, und daß bei diesen Reformen den im
Ausland ausgebildeten, mit den zu adoptierenden fremden Einrichtungen und
Anschauungen vertrauten Chinesen heute schon und in Zukunft noch viel mehr
eine leitende Rolle zufällt, so ist es verständlich, wenn Amerika und Eng¬
land Wert darauf legen, intelligente Chinesen zu Studienzwecken bei sich zu
sehen. In die Hände seiner "Auslandsschüler" wird China mehr und mehr
eine große Zahl seiner wichtigsten Staatsämter legen, sie werden die Regierung
des Staates sein. Es versteht sich von selbst, daß es uns nicht gleichgültig
sein kann, wenn sich in dieser chinesischen Regierung einzig anglo-amerikanische
Einflüsse breit machen. Daher müssen wir auch nach dieser Richtung hin
England und Amerika nacheifern und diejenigen Mittel aufbringen, die erforderlich
sind, um alljährlich eine Anzahl der tüchtigsten Schüler unserer Chinesenschulen
nach Deutschland zu ziehen, damit sie hier ihre Ausbildung vollenden und die
deutschen Verhältnisse an der Quelle kennen lernen können.


III.

Neben einer Reorganisation des Schulwesens nimmt heute die durch¬
greifende Reform des Finanzwesens die größte Aufmerksamkeit der chinesischen
Negierung in Anspruch. Man denkt an eine Reform des Salzmonopols, das
heute infolge einer mangelhaften Organisation und der offenbar vorkommenden
außerordentlich großen Unterschleife und Betrügereien nicht die Einnahmen
bringt, die es bringen könnte; man denkt an die Aufhebung der Handel und
Verkehr außerordentlich betastenden Jnlandszölle (Likins) in Verbindung mit
einer Reform der Ein- und Ausfuhrzölle; man denkt an eine Reform des völlig
veralteten Grundsteuer- und des Stempelsteuersystems und dergleichen mehr.
Auf diese Weise hofft man einige hundert Millionen Taels Mehreinnahmen zu
erzielen, die sich noch um ein Beträchtliches vermehren würden, sobald es gelingen
sollte, das heute viel zu große, teils aus recht zweifelhaften Elementen bestehende
Heer zu verkleinern. So wohltätig alle diese Reformen auf das chinesische Budget
wirken werden, so kann doch davon keine Rede sein, daß sie China vom Auslande


Deutschland und die Erschließung Lhinas

hin für viele gebildete Chinesen in England und Amerika verkörpert. Diesem Um¬
stände ist es zuzuschreiben, wenn viele Chinesen, die die anglo-amerikanischen
Schulen in ihrem Heimatlande besuchten und die englische Sprache erlernten,
sich nach Amerika oder England wenden, um dort ihren Studien obzuliegen
oder sie dort zu beendigen. Die Union hat den Chinesen das Studium auf
amerikanischem Boden und das Kennenlernen ihrer Einrichtungen ganz besonders
noch dadurch erleichtert, als es auf die von China zu leistende Entschädigung
aus dem Boxeraufstand verzichtet hat, diese Mittel aber dazu verwendet,
chinesische Studenten in die Lage zu versetzen, die amerikanischen Einrichtungen
und Leistungen an Ort und Stelle kennen zu lernen. Erwägt man. daß China
in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ungeheure Aufgaben zu bewältigen
haben wird, um seine Verwaltung, seine Justiz, sein Heer, sein Verkehrswesen,
seine Finanzen usw. zu reformieren, und daß bei diesen Reformen den im
Ausland ausgebildeten, mit den zu adoptierenden fremden Einrichtungen und
Anschauungen vertrauten Chinesen heute schon und in Zukunft noch viel mehr
eine leitende Rolle zufällt, so ist es verständlich, wenn Amerika und Eng¬
land Wert darauf legen, intelligente Chinesen zu Studienzwecken bei sich zu
sehen. In die Hände seiner „Auslandsschüler" wird China mehr und mehr
eine große Zahl seiner wichtigsten Staatsämter legen, sie werden die Regierung
des Staates sein. Es versteht sich von selbst, daß es uns nicht gleichgültig
sein kann, wenn sich in dieser chinesischen Regierung einzig anglo-amerikanische
Einflüsse breit machen. Daher müssen wir auch nach dieser Richtung hin
England und Amerika nacheifern und diejenigen Mittel aufbringen, die erforderlich
sind, um alljährlich eine Anzahl der tüchtigsten Schüler unserer Chinesenschulen
nach Deutschland zu ziehen, damit sie hier ihre Ausbildung vollenden und die
deutschen Verhältnisse an der Quelle kennen lernen können.


III.

Neben einer Reorganisation des Schulwesens nimmt heute die durch¬
greifende Reform des Finanzwesens die größte Aufmerksamkeit der chinesischen
Negierung in Anspruch. Man denkt an eine Reform des Salzmonopols, das
heute infolge einer mangelhaften Organisation und der offenbar vorkommenden
außerordentlich großen Unterschleife und Betrügereien nicht die Einnahmen
bringt, die es bringen könnte; man denkt an die Aufhebung der Handel und
Verkehr außerordentlich betastenden Jnlandszölle (Likins) in Verbindung mit
einer Reform der Ein- und Ausfuhrzölle; man denkt an eine Reform des völlig
veralteten Grundsteuer- und des Stempelsteuersystems und dergleichen mehr.
Auf diese Weise hofft man einige hundert Millionen Taels Mehreinnahmen zu
erzielen, die sich noch um ein Beträchtliches vermehren würden, sobald es gelingen
sollte, das heute viel zu große, teils aus recht zweifelhaften Elementen bestehende
Heer zu verkleinern. So wohltätig alle diese Reformen auf das chinesische Budget
wirken werden, so kann doch davon keine Rede sein, daß sie China vom Auslande


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[0177] Deutschland und die Erschließung Lhinas hin für viele gebildete Chinesen in England und Amerika verkörpert. Diesem Um¬ stände ist es zuzuschreiben, wenn viele Chinesen, die die anglo-amerikanischen Schulen in ihrem Heimatlande besuchten und die englische Sprache erlernten, sich nach Amerika oder England wenden, um dort ihren Studien obzuliegen oder sie dort zu beendigen. Die Union hat den Chinesen das Studium auf amerikanischem Boden und das Kennenlernen ihrer Einrichtungen ganz besonders noch dadurch erleichtert, als es auf die von China zu leistende Entschädigung aus dem Boxeraufstand verzichtet hat, diese Mittel aber dazu verwendet, chinesische Studenten in die Lage zu versetzen, die amerikanischen Einrichtungen und Leistungen an Ort und Stelle kennen zu lernen. Erwägt man. daß China in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ungeheure Aufgaben zu bewältigen haben wird, um seine Verwaltung, seine Justiz, sein Heer, sein Verkehrswesen, seine Finanzen usw. zu reformieren, und daß bei diesen Reformen den im Ausland ausgebildeten, mit den zu adoptierenden fremden Einrichtungen und Anschauungen vertrauten Chinesen heute schon und in Zukunft noch viel mehr eine leitende Rolle zufällt, so ist es verständlich, wenn Amerika und Eng¬ land Wert darauf legen, intelligente Chinesen zu Studienzwecken bei sich zu sehen. In die Hände seiner „Auslandsschüler" wird China mehr und mehr eine große Zahl seiner wichtigsten Staatsämter legen, sie werden die Regierung des Staates sein. Es versteht sich von selbst, daß es uns nicht gleichgültig sein kann, wenn sich in dieser chinesischen Regierung einzig anglo-amerikanische Einflüsse breit machen. Daher müssen wir auch nach dieser Richtung hin England und Amerika nacheifern und diejenigen Mittel aufbringen, die erforderlich sind, um alljährlich eine Anzahl der tüchtigsten Schüler unserer Chinesenschulen nach Deutschland zu ziehen, damit sie hier ihre Ausbildung vollenden und die deutschen Verhältnisse an der Quelle kennen lernen können. III. Neben einer Reorganisation des Schulwesens nimmt heute die durch¬ greifende Reform des Finanzwesens die größte Aufmerksamkeit der chinesischen Negierung in Anspruch. Man denkt an eine Reform des Salzmonopols, das heute infolge einer mangelhaften Organisation und der offenbar vorkommenden außerordentlich großen Unterschleife und Betrügereien nicht die Einnahmen bringt, die es bringen könnte; man denkt an die Aufhebung der Handel und Verkehr außerordentlich betastenden Jnlandszölle (Likins) in Verbindung mit einer Reform der Ein- und Ausfuhrzölle; man denkt an eine Reform des völlig veralteten Grundsteuer- und des Stempelsteuersystems und dergleichen mehr. Auf diese Weise hofft man einige hundert Millionen Taels Mehreinnahmen zu erzielen, die sich noch um ein Beträchtliches vermehren würden, sobald es gelingen sollte, das heute viel zu große, teils aus recht zweifelhaften Elementen bestehende Heer zu verkleinern. So wohltätig alle diese Reformen auf das chinesische Budget wirken werden, so kann doch davon keine Rede sein, daß sie China vom Auslande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/177>, abgerufen am 04.07.2024.