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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Wünsche an Herrn von Jagow

Um so unbefangener kann daher ausgesprochen werden, was wir gerade
in diesem Augenblick von einem Chef des Auswärtigen Amts wünschen. Dabei
wird weniger an die Aufgaben der großen Politik gedacht, die durch das
Einverständnis des Kaisers mit dem Herrn Reichskanzler und dem bisherigen
Staatssekretär festgelegt sind, als an die der Verwaltungspolitik des Aus¬
wärtigen Amts.

An der Art, wie der neue Staatssekretär die Organisationen des auswärtigen
Dienstes in ihrer Gesamtheit sowohl wie in ihren Einzelheiten benutzt, wie und
woher er sich seine Mitarbeiter heranbildet und wählt, werden wir seine Auf¬
fassungen erkennen und wir werden weiterhin danach beurteilen können, von
welchen allgemeinen Anschauungen er sich bei der Leitung der Geschäfte
tragen läßt.

Zu den umstrittensten Gebieten im Machtbereich eines Staatssekretärs des
deutschen Auswärtigen Amts gehört die Frage des Ersatzes und der Ausbildung
der Diplomaten. Die Art des rein diplomatischen Geschäfts beruht so vorwiegend
auf persönlichen Eigenschaften, auf instinktiver Velätigung, daß es stets als etwas
Eigenartiges und Besonderes dastehen wird, losgelöst von allem Bureaukratischen
und Herkömmlichen. Vielleicht nur im Künstler und Feldherrn muß sich die In¬
dividualität des Menschen so ausleben können, wie in der Diplomatie in allen ihren
zahlreichen Abstufungen. Daran vermag keine Demokratisierung etwas zu ändern,
aber auch keine noch soweit gehende Komplizierung der diplomatischen Geschäfte.
Auf der anderen Seite wird die Bedeutung der Diplomaten für die politische
Welt durch die unbestrittene Tatsache gehoben, daß trotz aller Siege der Demo¬
kratie in allen Ländern, für die Beziehungen der Völker untereinander in ihrem
täglichen Wettstreit das Verhältnis einzelner Männer zueinander den Ausschlag
gibt und nicht das der Massen. Und wenn auch Gelehrte, Dichter und Gewerbe¬
treibende, sowie die Führer gewisser Parteien stets einen großen Einfluß auf die
Volsstimmung ausüben werden, so werden sich die Wärme- oder Kältepole in
erster Linie doch dort bilden und von dorther wirken, wo die Vertreter der staat¬
lichen Macht, also die Vertreter der Summe alles Könnens und Wollens der
Nationen zusammentreffen; diese Vertreter aber sind die von ihren Regierungen
bestellten Diplomaten. Dementsprechend fordern wir von unseren führenden Diplo¬
maten neben höchster Individualität auch das umfassendste Verständnis für alle
Regungen und Äußerungen des Völkerlebens.

Diese Feststellung führt uns mitten hinein in das Problem, wie es sich in
Deutschland darstellt: die führenden Diplomaten, Botschafter und Gesandten werden
vom Kaiser persönlich bestimmt, aber jeder Berufsstand sieht die Summe des Könnens
und Wollens der deutschen Nation anders an, und somit macht sich auch jeder ein
anderes Bild von seinem Jdealdiplomaten zurecht. Der Kampf um die Neu¬
ordnung des Diplomatenersatzes ist somit auch ein Widerschein der wirtschaft¬
lichen Bestrebungen und innerpolitischen Kämpfe der Nation und so dürfen wir
uns auch nicht wundern, wenn in ihn die Schlagworte des täglichen Partei¬
kampfes hineingetragen werden, obwohl sie sachlich kaum einen Zusammenhang
mit der Frage haben und einer praktischen Lösung nur im Wege stehen.


Wünsche an Herrn von Jagow

Um so unbefangener kann daher ausgesprochen werden, was wir gerade
in diesem Augenblick von einem Chef des Auswärtigen Amts wünschen. Dabei
wird weniger an die Aufgaben der großen Politik gedacht, die durch das
Einverständnis des Kaisers mit dem Herrn Reichskanzler und dem bisherigen
Staatssekretär festgelegt sind, als an die der Verwaltungspolitik des Aus¬
wärtigen Amts.

An der Art, wie der neue Staatssekretär die Organisationen des auswärtigen
Dienstes in ihrer Gesamtheit sowohl wie in ihren Einzelheiten benutzt, wie und
woher er sich seine Mitarbeiter heranbildet und wählt, werden wir seine Auf¬
fassungen erkennen und wir werden weiterhin danach beurteilen können, von
welchen allgemeinen Anschauungen er sich bei der Leitung der Geschäfte
tragen läßt.

Zu den umstrittensten Gebieten im Machtbereich eines Staatssekretärs des
deutschen Auswärtigen Amts gehört die Frage des Ersatzes und der Ausbildung
der Diplomaten. Die Art des rein diplomatischen Geschäfts beruht so vorwiegend
auf persönlichen Eigenschaften, auf instinktiver Velätigung, daß es stets als etwas
Eigenartiges und Besonderes dastehen wird, losgelöst von allem Bureaukratischen
und Herkömmlichen. Vielleicht nur im Künstler und Feldherrn muß sich die In¬
dividualität des Menschen so ausleben können, wie in der Diplomatie in allen ihren
zahlreichen Abstufungen. Daran vermag keine Demokratisierung etwas zu ändern,
aber auch keine noch soweit gehende Komplizierung der diplomatischen Geschäfte.
Auf der anderen Seite wird die Bedeutung der Diplomaten für die politische
Welt durch die unbestrittene Tatsache gehoben, daß trotz aller Siege der Demo¬
kratie in allen Ländern, für die Beziehungen der Völker untereinander in ihrem
täglichen Wettstreit das Verhältnis einzelner Männer zueinander den Ausschlag
gibt und nicht das der Massen. Und wenn auch Gelehrte, Dichter und Gewerbe¬
treibende, sowie die Führer gewisser Parteien stets einen großen Einfluß auf die
Volsstimmung ausüben werden, so werden sich die Wärme- oder Kältepole in
erster Linie doch dort bilden und von dorther wirken, wo die Vertreter der staat¬
lichen Macht, also die Vertreter der Summe alles Könnens und Wollens der
Nationen zusammentreffen; diese Vertreter aber sind die von ihren Regierungen
bestellten Diplomaten. Dementsprechend fordern wir von unseren führenden Diplo¬
maten neben höchster Individualität auch das umfassendste Verständnis für alle
Regungen und Äußerungen des Völkerlebens.

Diese Feststellung führt uns mitten hinein in das Problem, wie es sich in
Deutschland darstellt: die führenden Diplomaten, Botschafter und Gesandten werden
vom Kaiser persönlich bestimmt, aber jeder Berufsstand sieht die Summe des Könnens
und Wollens der deutschen Nation anders an, und somit macht sich auch jeder ein
anderes Bild von seinem Jdealdiplomaten zurecht. Der Kampf um die Neu¬
ordnung des Diplomatenersatzes ist somit auch ein Widerschein der wirtschaft¬
lichen Bestrebungen und innerpolitischen Kämpfe der Nation und so dürfen wir
uns auch nicht wundern, wenn in ihn die Schlagworte des täglichen Partei¬
kampfes hineingetragen werden, obwohl sie sachlich kaum einen Zusammenhang
mit der Frage haben und einer praktischen Lösung nur im Wege stehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/157>, abgerufen am 24.07.2024.