Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
BevSlkenmgspolitik und Einkommensteuer

auch vom bevölkerungspolitischen Standpunkte überaus verhängnisvoll sein. Die
erhöhte, wenn auch gegenüber den in ähnlicher wirtschaftlicher Lage befindlichen
Nachbarstaaten noch verhältnismäßig recht geringe Besteuerung der Genußmittel
durch das Reich, ist vom bevölkerungspolitischen Standpunkte gleichfalls ohne
Bedenken.

Ganz anders steht es mit der einzelstaatlichen Einkommensteuerpolitik.
Bescheidene Ansätze zu ihrer zielbewußter Ausgestaltung in der hier in
Frage stehenden Richtung zeigen sich zwar, aber von einer wirklich
energischen Durchführung des Gedankens ist noch keine Rede und scheint
auch nach dem bisherigen Ergebnis der Kommissionsverhandlungen über das
neue preußische Einkommensteuergesetz kaum ins Auge gefaßt zu werden.
Zwei Punkte sind es, auf die es dabei vor allen Dingen ankommt: die
Besteuerung des Einkommens der Familienangehörigen und das
Kinderprivileg.

Die derzeitige Gesetzgebung ist geeignet, die kinderreichen Familien erheblich
zu beeinträchtigen, soweit die arbeitsfähigen Kinder, was vom sozialpolitischen
wie ethischen Standpunkt gleich erwünscht ist, im Haushalt der Eltern leben
und mitverdienen helfen. Nach dem bestehenden Gesetz ist in solchem Falle in
der Regel das Einkommen des Mannes, der Frau und der Kinder zusammen¬
zuzählen und als einheitlich vom Familienvater zu versteuern; das führt ins¬
besondere auf dem Lande, wo diese gemeinsame Arbeitsweise zum Glück noch
vielfach vertreten ist, zu ganz unbilligen Konsequenzen. Einige Beispiele mögen
das erläutern. Zwei Gutsarbeiter haben als Drescher je zwei Hofgänger zu
stellen. Der Mann verdient jährlich 800 Mark, jeder der Hofgänger 600 Mark;
bei dem ersten haben die herangewachsenen Kinder Familiensinn, bleiben zu
Hause und helfen den Eltern mitverdienen; bei dem anderen sind Kinder nicht
vorhanden, der Mann hat dadurch Tausende an Erziehungskosten gespart, muß
aber fremde Hofgänger annehmen. Die Ausgaben des Hausvaters für
Beköstigung der Hofgänger sind in beiden Fällen gleich groß und auch das bare
Geld, das der Vater seinen Kindern für Bekleidung und sonstige Bedürfnisse
sowie als Taschengeld geben muß, ist ungefähr gleich dem Lohn, den die
fremden Hofgänger des anderen erhalten. Die Einkommensteuer aber trifft die
erstere Familie viel härter als die andere, da bei ihr das Einkommen der Eltern
und Kinder zusammengerechnet wird. Der Hausvater hat hier von 800 -i- 2 X
600 Mark ^ 2000 Mark, an den Staat jährlich 31 Mark und, wenn die
Kommunalsteuern, wie das bei östlichen Landgemeinden sehr häufig ist, 300
Prozent betragen, an die Gemeinde weitere 93 Mark, zusammen 124 Mark,
also einen sehr großen Teil gemeinsamen Einkommens zu zahlen, während der
andere Mann nebst seinen Hofgängern von der Staatssteuer ganz frei bleibt und
nur wenige Mark Kommunalabgaben zu entrichten hat. Genau dasselbe Bild,
nur wegen der erhöhten Einkommensätze in noch verstärktem Maße würde sich
bei zwei Bauern mit gleichwertigen! und gleichverschuldetem Besitz ergeben, von


BevSlkenmgspolitik und Einkommensteuer

auch vom bevölkerungspolitischen Standpunkte überaus verhängnisvoll sein. Die
erhöhte, wenn auch gegenüber den in ähnlicher wirtschaftlicher Lage befindlichen
Nachbarstaaten noch verhältnismäßig recht geringe Besteuerung der Genußmittel
durch das Reich, ist vom bevölkerungspolitischen Standpunkte gleichfalls ohne
Bedenken.

Ganz anders steht es mit der einzelstaatlichen Einkommensteuerpolitik.
Bescheidene Ansätze zu ihrer zielbewußter Ausgestaltung in der hier in
Frage stehenden Richtung zeigen sich zwar, aber von einer wirklich
energischen Durchführung des Gedankens ist noch keine Rede und scheint
auch nach dem bisherigen Ergebnis der Kommissionsverhandlungen über das
neue preußische Einkommensteuergesetz kaum ins Auge gefaßt zu werden.
Zwei Punkte sind es, auf die es dabei vor allen Dingen ankommt: die
Besteuerung des Einkommens der Familienangehörigen und das
Kinderprivileg.

Die derzeitige Gesetzgebung ist geeignet, die kinderreichen Familien erheblich
zu beeinträchtigen, soweit die arbeitsfähigen Kinder, was vom sozialpolitischen
wie ethischen Standpunkt gleich erwünscht ist, im Haushalt der Eltern leben
und mitverdienen helfen. Nach dem bestehenden Gesetz ist in solchem Falle in
der Regel das Einkommen des Mannes, der Frau und der Kinder zusammen¬
zuzählen und als einheitlich vom Familienvater zu versteuern; das führt ins¬
besondere auf dem Lande, wo diese gemeinsame Arbeitsweise zum Glück noch
vielfach vertreten ist, zu ganz unbilligen Konsequenzen. Einige Beispiele mögen
das erläutern. Zwei Gutsarbeiter haben als Drescher je zwei Hofgänger zu
stellen. Der Mann verdient jährlich 800 Mark, jeder der Hofgänger 600 Mark;
bei dem ersten haben die herangewachsenen Kinder Familiensinn, bleiben zu
Hause und helfen den Eltern mitverdienen; bei dem anderen sind Kinder nicht
vorhanden, der Mann hat dadurch Tausende an Erziehungskosten gespart, muß
aber fremde Hofgänger annehmen. Die Ausgaben des Hausvaters für
Beköstigung der Hofgänger sind in beiden Fällen gleich groß und auch das bare
Geld, das der Vater seinen Kindern für Bekleidung und sonstige Bedürfnisse
sowie als Taschengeld geben muß, ist ungefähr gleich dem Lohn, den die
fremden Hofgänger des anderen erhalten. Die Einkommensteuer aber trifft die
erstere Familie viel härter als die andere, da bei ihr das Einkommen der Eltern
und Kinder zusammengerechnet wird. Der Hausvater hat hier von 800 -i- 2 X
600 Mark ^ 2000 Mark, an den Staat jährlich 31 Mark und, wenn die
Kommunalsteuern, wie das bei östlichen Landgemeinden sehr häufig ist, 300
Prozent betragen, an die Gemeinde weitere 93 Mark, zusammen 124 Mark,
also einen sehr großen Teil gemeinsamen Einkommens zu zahlen, während der
andere Mann nebst seinen Hofgängern von der Staatssteuer ganz frei bleibt und
nur wenige Mark Kommunalabgaben zu entrichten hat. Genau dasselbe Bild,
nur wegen der erhöhten Einkommensätze in noch verstärktem Maße würde sich
bei zwei Bauern mit gleichwertigen! und gleichverschuldetem Besitz ergeben, von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325011"/>
          <fw type="header" place="top"> BevSlkenmgspolitik und Einkommensteuer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_431" prev="#ID_430"> auch vom bevölkerungspolitischen Standpunkte überaus verhängnisvoll sein. Die<lb/>
erhöhte, wenn auch gegenüber den in ähnlicher wirtschaftlicher Lage befindlichen<lb/>
Nachbarstaaten noch verhältnismäßig recht geringe Besteuerung der Genußmittel<lb/>
durch das Reich, ist vom bevölkerungspolitischen Standpunkte gleichfalls ohne<lb/>
Bedenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_432"> Ganz anders steht es mit der einzelstaatlichen Einkommensteuerpolitik.<lb/>
Bescheidene Ansätze zu ihrer zielbewußter Ausgestaltung in der hier in<lb/>
Frage stehenden Richtung zeigen sich zwar, aber von einer wirklich<lb/>
energischen Durchführung des Gedankens ist noch keine Rede und scheint<lb/>
auch nach dem bisherigen Ergebnis der Kommissionsverhandlungen über das<lb/>
neue preußische Einkommensteuergesetz kaum ins Auge gefaßt zu werden.<lb/>
Zwei Punkte sind es, auf die es dabei vor allen Dingen ankommt: die<lb/>
Besteuerung des Einkommens der Familienangehörigen und das<lb/>
Kinderprivileg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_433" next="#ID_434"> Die derzeitige Gesetzgebung ist geeignet, die kinderreichen Familien erheblich<lb/>
zu beeinträchtigen, soweit die arbeitsfähigen Kinder, was vom sozialpolitischen<lb/>
wie ethischen Standpunkt gleich erwünscht ist, im Haushalt der Eltern leben<lb/>
und mitverdienen helfen. Nach dem bestehenden Gesetz ist in solchem Falle in<lb/>
der Regel das Einkommen des Mannes, der Frau und der Kinder zusammen¬<lb/>
zuzählen und als einheitlich vom Familienvater zu versteuern; das führt ins¬<lb/>
besondere auf dem Lande, wo diese gemeinsame Arbeitsweise zum Glück noch<lb/>
vielfach vertreten ist, zu ganz unbilligen Konsequenzen. Einige Beispiele mögen<lb/>
das erläutern. Zwei Gutsarbeiter haben als Drescher je zwei Hofgänger zu<lb/>
stellen. Der Mann verdient jährlich 800 Mark, jeder der Hofgänger 600 Mark;<lb/>
bei dem ersten haben die herangewachsenen Kinder Familiensinn, bleiben zu<lb/>
Hause und helfen den Eltern mitverdienen; bei dem anderen sind Kinder nicht<lb/>
vorhanden, der Mann hat dadurch Tausende an Erziehungskosten gespart, muß<lb/>
aber fremde Hofgänger annehmen. Die Ausgaben des Hausvaters für<lb/>
Beköstigung der Hofgänger sind in beiden Fällen gleich groß und auch das bare<lb/>
Geld, das der Vater seinen Kindern für Bekleidung und sonstige Bedürfnisse<lb/>
sowie als Taschengeld geben muß, ist ungefähr gleich dem Lohn, den die<lb/>
fremden Hofgänger des anderen erhalten. Die Einkommensteuer aber trifft die<lb/>
erstere Familie viel härter als die andere, da bei ihr das Einkommen der Eltern<lb/>
und Kinder zusammengerechnet wird. Der Hausvater hat hier von 800 -i- 2 X<lb/>
600 Mark ^ 2000 Mark, an den Staat jährlich 31 Mark und, wenn die<lb/>
Kommunalsteuern, wie das bei östlichen Landgemeinden sehr häufig ist, 300<lb/>
Prozent betragen, an die Gemeinde weitere 93 Mark, zusammen 124 Mark,<lb/>
also einen sehr großen Teil gemeinsamen Einkommens zu zahlen, während der<lb/>
andere Mann nebst seinen Hofgängern von der Staatssteuer ganz frei bleibt und<lb/>
nur wenige Mark Kommunalabgaben zu entrichten hat. Genau dasselbe Bild,<lb/>
nur wegen der erhöhten Einkommensätze in noch verstärktem Maße würde sich<lb/>
bei zwei Bauern mit gleichwertigen! und gleichverschuldetem Besitz ergeben, von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] BevSlkenmgspolitik und Einkommensteuer auch vom bevölkerungspolitischen Standpunkte überaus verhängnisvoll sein. Die erhöhte, wenn auch gegenüber den in ähnlicher wirtschaftlicher Lage befindlichen Nachbarstaaten noch verhältnismäßig recht geringe Besteuerung der Genußmittel durch das Reich, ist vom bevölkerungspolitischen Standpunkte gleichfalls ohne Bedenken. Ganz anders steht es mit der einzelstaatlichen Einkommensteuerpolitik. Bescheidene Ansätze zu ihrer zielbewußter Ausgestaltung in der hier in Frage stehenden Richtung zeigen sich zwar, aber von einer wirklich energischen Durchführung des Gedankens ist noch keine Rede und scheint auch nach dem bisherigen Ergebnis der Kommissionsverhandlungen über das neue preußische Einkommensteuergesetz kaum ins Auge gefaßt zu werden. Zwei Punkte sind es, auf die es dabei vor allen Dingen ankommt: die Besteuerung des Einkommens der Familienangehörigen und das Kinderprivileg. Die derzeitige Gesetzgebung ist geeignet, die kinderreichen Familien erheblich zu beeinträchtigen, soweit die arbeitsfähigen Kinder, was vom sozialpolitischen wie ethischen Standpunkt gleich erwünscht ist, im Haushalt der Eltern leben und mitverdienen helfen. Nach dem bestehenden Gesetz ist in solchem Falle in der Regel das Einkommen des Mannes, der Frau und der Kinder zusammen¬ zuzählen und als einheitlich vom Familienvater zu versteuern; das führt ins¬ besondere auf dem Lande, wo diese gemeinsame Arbeitsweise zum Glück noch vielfach vertreten ist, zu ganz unbilligen Konsequenzen. Einige Beispiele mögen das erläutern. Zwei Gutsarbeiter haben als Drescher je zwei Hofgänger zu stellen. Der Mann verdient jährlich 800 Mark, jeder der Hofgänger 600 Mark; bei dem ersten haben die herangewachsenen Kinder Familiensinn, bleiben zu Hause und helfen den Eltern mitverdienen; bei dem anderen sind Kinder nicht vorhanden, der Mann hat dadurch Tausende an Erziehungskosten gespart, muß aber fremde Hofgänger annehmen. Die Ausgaben des Hausvaters für Beköstigung der Hofgänger sind in beiden Fällen gleich groß und auch das bare Geld, das der Vater seinen Kindern für Bekleidung und sonstige Bedürfnisse sowie als Taschengeld geben muß, ist ungefähr gleich dem Lohn, den die fremden Hofgänger des anderen erhalten. Die Einkommensteuer aber trifft die erstere Familie viel härter als die andere, da bei ihr das Einkommen der Eltern und Kinder zusammengerechnet wird. Der Hausvater hat hier von 800 -i- 2 X 600 Mark ^ 2000 Mark, an den Staat jährlich 31 Mark und, wenn die Kommunalsteuern, wie das bei östlichen Landgemeinden sehr häufig ist, 300 Prozent betragen, an die Gemeinde weitere 93 Mark, zusammen 124 Mark, also einen sehr großen Teil gemeinsamen Einkommens zu zahlen, während der andere Mann nebst seinen Hofgängern von der Staatssteuer ganz frei bleibt und nur wenige Mark Kommunalabgaben zu entrichten hat. Genau dasselbe Bild, nur wegen der erhöhten Einkommensätze in noch verstärktem Maße würde sich bei zwei Bauern mit gleichwertigen! und gleichverschuldetem Besitz ergeben, von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/141>, abgerufen am 22.12.2024.