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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

Schlachthäuser und Straßenbahnen werden betrieben, Lebensmittel bezogen,
Hypothekenkredit gewährt, eine kommunale Bodenpolitik eingeleitet.

Und auch dem Staate als solchem erwachsen aus der Neugestaltung der
wirtschaftlichen Verhältnisse besondere Aufgaben. Gegenüber der Erstarkung des
Unternehmertums, das durch Zusammenschluß und Kapitalzusammenballung einen
Staat im Staate darstellt, gefährlich durch die beinahe unumschränkte wirtschaft¬
liche Macht und die von ihm unzertrennliche plutokratische Tendenz, liegt es
ihm ob, das Gemeinwohl durch eine auf den Schutz der Konsumenten bedachte
Politik kräftig zu wahren. Auf die wichtige Aufgabe der inneren Kolonisation
ist bereits hingewiesen: kein wichtigeres Staatsinteresse, als den entwurzelten
und haltlos fluktuierenden städtischen Bevölkerungsmassen wieder einen lebens¬
fähigen, dauernd mit der Scholle und der Heimat verwachsenen Bauernstand
gegenüberzustellen. Daran schließt sich an eine zweckmäßige Verteilung des länd¬
lichen Grundbesitzes, wie sie durch die Aufteilung der Domänen bereits in die
Wege geleitet ist. Der plutokratischen Entwicklung ist durch ein gerechtes
Besitzsteuerstistem insbesondere durch die Reichserbschaftssteuer entgegenzuwirken,
der möglichen Ausbeutung der Konsumenten durch Privatmonopole, mittels ent¬
sprechender Gegenmaßregeln vorzubeugen. Der Monopolisierung des Bergbaus
ist der Staat bereits vor einigen Jahren dadurch entgegengetreten, daß er die
nicht verliehenen Felder sich reserviert hat; dem Kohlensnndikat hat er die Ge¬
folgschaft gekündigt, als dessen Preispolitik nicht mit den Interessen der Kon¬
sumenten übereinstimmte. Das Reichspetroleummonopol bedeutet einen weiteren
Schritt auf diesem Wege des Schutzes der verbrauchenden Bevölkerungsklassen.
Welche Widerstände bei solcher volkstümlichen Politik zu überwinden sind, zeigt
gerade das letztere Beispiel; hat sich doch eine große Anzahl Handelskammern
aus prinzipiellen Gründen gegen das Staatsmonopol erklärt. Es wirkt noch
immer vielfach die alte, aus der Manchesterschule stammende Scheu gegen das
Eingreifen und die Omnipotenz des Staates nach. Und doch ist nichts ungerecht¬
fertigter, als eine solche Auffassung. Der moderne Staat ist solchen wirtschaft¬
lichen Aufgaben durchaus gewachsen; den Befähigungsnachweis hat er in dem
Musterbetrieb der Eisenbahnen, der mit Unrecht so ost angegriffenen staatlichen
Bergwerke, der Post und der Telegraphie erbracht. In der Stärkung der
staatlichen Zentralgewalt liegt die sicherste, ja die einzige Bürgschaft dagegen,
daß nicht der moderne Kapitalismus in rücksichtsloser Fortbildung der in ihm
wohnenden Tendenzen die Übermacht gewinnt und den Staat zu seinen Zwecken
mißbraucht, wie wir dies in den bedenklichen Erscheinungen in den Vereinigten
Staaten vor Augen haben.

Die wichtigste Aufgabe freilich wird bleiben, für die körperliche geistige
und sittliche Gesundheit des Volkes zu sorgen. Diese Aufgabe kann der Staat allein
nicht lösen. Polizei und Strafgesetz reichen dazu nicht aus. Soll die Wehrhaftigkeit
der Jugend erhalten, die Lockerung der Sitten vermieden, die Familie, allzeit
die sicherste Grundlage des Staates, in ihrer Geschlossenheit und Festigkeit


Politik und Wirtschaft

Schlachthäuser und Straßenbahnen werden betrieben, Lebensmittel bezogen,
Hypothekenkredit gewährt, eine kommunale Bodenpolitik eingeleitet.

Und auch dem Staate als solchem erwachsen aus der Neugestaltung der
wirtschaftlichen Verhältnisse besondere Aufgaben. Gegenüber der Erstarkung des
Unternehmertums, das durch Zusammenschluß und Kapitalzusammenballung einen
Staat im Staate darstellt, gefährlich durch die beinahe unumschränkte wirtschaft¬
liche Macht und die von ihm unzertrennliche plutokratische Tendenz, liegt es
ihm ob, das Gemeinwohl durch eine auf den Schutz der Konsumenten bedachte
Politik kräftig zu wahren. Auf die wichtige Aufgabe der inneren Kolonisation
ist bereits hingewiesen: kein wichtigeres Staatsinteresse, als den entwurzelten
und haltlos fluktuierenden städtischen Bevölkerungsmassen wieder einen lebens¬
fähigen, dauernd mit der Scholle und der Heimat verwachsenen Bauernstand
gegenüberzustellen. Daran schließt sich an eine zweckmäßige Verteilung des länd¬
lichen Grundbesitzes, wie sie durch die Aufteilung der Domänen bereits in die
Wege geleitet ist. Der plutokratischen Entwicklung ist durch ein gerechtes
Besitzsteuerstistem insbesondere durch die Reichserbschaftssteuer entgegenzuwirken,
der möglichen Ausbeutung der Konsumenten durch Privatmonopole, mittels ent¬
sprechender Gegenmaßregeln vorzubeugen. Der Monopolisierung des Bergbaus
ist der Staat bereits vor einigen Jahren dadurch entgegengetreten, daß er die
nicht verliehenen Felder sich reserviert hat; dem Kohlensnndikat hat er die Ge¬
folgschaft gekündigt, als dessen Preispolitik nicht mit den Interessen der Kon¬
sumenten übereinstimmte. Das Reichspetroleummonopol bedeutet einen weiteren
Schritt auf diesem Wege des Schutzes der verbrauchenden Bevölkerungsklassen.
Welche Widerstände bei solcher volkstümlichen Politik zu überwinden sind, zeigt
gerade das letztere Beispiel; hat sich doch eine große Anzahl Handelskammern
aus prinzipiellen Gründen gegen das Staatsmonopol erklärt. Es wirkt noch
immer vielfach die alte, aus der Manchesterschule stammende Scheu gegen das
Eingreifen und die Omnipotenz des Staates nach. Und doch ist nichts ungerecht¬
fertigter, als eine solche Auffassung. Der moderne Staat ist solchen wirtschaft¬
lichen Aufgaben durchaus gewachsen; den Befähigungsnachweis hat er in dem
Musterbetrieb der Eisenbahnen, der mit Unrecht so ost angegriffenen staatlichen
Bergwerke, der Post und der Telegraphie erbracht. In der Stärkung der
staatlichen Zentralgewalt liegt die sicherste, ja die einzige Bürgschaft dagegen,
daß nicht der moderne Kapitalismus in rücksichtsloser Fortbildung der in ihm
wohnenden Tendenzen die Übermacht gewinnt und den Staat zu seinen Zwecken
mißbraucht, wie wir dies in den bedenklichen Erscheinungen in den Vereinigten
Staaten vor Augen haben.

Die wichtigste Aufgabe freilich wird bleiben, für die körperliche geistige
und sittliche Gesundheit des Volkes zu sorgen. Diese Aufgabe kann der Staat allein
nicht lösen. Polizei und Strafgesetz reichen dazu nicht aus. Soll die Wehrhaftigkeit
der Jugend erhalten, die Lockerung der Sitten vermieden, die Familie, allzeit
die sicherste Grundlage des Staates, in ihrer Geschlossenheit und Festigkeit


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[0123] Politik und Wirtschaft Schlachthäuser und Straßenbahnen werden betrieben, Lebensmittel bezogen, Hypothekenkredit gewährt, eine kommunale Bodenpolitik eingeleitet. Und auch dem Staate als solchem erwachsen aus der Neugestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse besondere Aufgaben. Gegenüber der Erstarkung des Unternehmertums, das durch Zusammenschluß und Kapitalzusammenballung einen Staat im Staate darstellt, gefährlich durch die beinahe unumschränkte wirtschaft¬ liche Macht und die von ihm unzertrennliche plutokratische Tendenz, liegt es ihm ob, das Gemeinwohl durch eine auf den Schutz der Konsumenten bedachte Politik kräftig zu wahren. Auf die wichtige Aufgabe der inneren Kolonisation ist bereits hingewiesen: kein wichtigeres Staatsinteresse, als den entwurzelten und haltlos fluktuierenden städtischen Bevölkerungsmassen wieder einen lebens¬ fähigen, dauernd mit der Scholle und der Heimat verwachsenen Bauernstand gegenüberzustellen. Daran schließt sich an eine zweckmäßige Verteilung des länd¬ lichen Grundbesitzes, wie sie durch die Aufteilung der Domänen bereits in die Wege geleitet ist. Der plutokratischen Entwicklung ist durch ein gerechtes Besitzsteuerstistem insbesondere durch die Reichserbschaftssteuer entgegenzuwirken, der möglichen Ausbeutung der Konsumenten durch Privatmonopole, mittels ent¬ sprechender Gegenmaßregeln vorzubeugen. Der Monopolisierung des Bergbaus ist der Staat bereits vor einigen Jahren dadurch entgegengetreten, daß er die nicht verliehenen Felder sich reserviert hat; dem Kohlensnndikat hat er die Ge¬ folgschaft gekündigt, als dessen Preispolitik nicht mit den Interessen der Kon¬ sumenten übereinstimmte. Das Reichspetroleummonopol bedeutet einen weiteren Schritt auf diesem Wege des Schutzes der verbrauchenden Bevölkerungsklassen. Welche Widerstände bei solcher volkstümlichen Politik zu überwinden sind, zeigt gerade das letztere Beispiel; hat sich doch eine große Anzahl Handelskammern aus prinzipiellen Gründen gegen das Staatsmonopol erklärt. Es wirkt noch immer vielfach die alte, aus der Manchesterschule stammende Scheu gegen das Eingreifen und die Omnipotenz des Staates nach. Und doch ist nichts ungerecht¬ fertigter, als eine solche Auffassung. Der moderne Staat ist solchen wirtschaft¬ lichen Aufgaben durchaus gewachsen; den Befähigungsnachweis hat er in dem Musterbetrieb der Eisenbahnen, der mit Unrecht so ost angegriffenen staatlichen Bergwerke, der Post und der Telegraphie erbracht. In der Stärkung der staatlichen Zentralgewalt liegt die sicherste, ja die einzige Bürgschaft dagegen, daß nicht der moderne Kapitalismus in rücksichtsloser Fortbildung der in ihm wohnenden Tendenzen die Übermacht gewinnt und den Staat zu seinen Zwecken mißbraucht, wie wir dies in den bedenklichen Erscheinungen in den Vereinigten Staaten vor Augen haben. Die wichtigste Aufgabe freilich wird bleiben, für die körperliche geistige und sittliche Gesundheit des Volkes zu sorgen. Diese Aufgabe kann der Staat allein nicht lösen. Polizei und Strafgesetz reichen dazu nicht aus. Soll die Wehrhaftigkeit der Jugend erhalten, die Lockerung der Sitten vermieden, die Familie, allzeit die sicherste Grundlage des Staates, in ihrer Geschlossenheit und Festigkeit

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/123>, abgerufen am 22.12.2024.