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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

Einlagegeldern werden in die Kassen der Banken und Sparanstalten geleitet.
An siebzehn Milliarden betragen die deutschen Spareinlagen, an zehn Milliarden
die Bankdepositen, an zwei Milliarden die Einlagen der Genossenschaften.
Weitaus größer sind die Beträge, welche in Form von Effekten in den Verkehr
gebracht worden sind. Diese Vermehrung der mobilen Kapitalanlage hat zur
Vorbedingung wie zur Folge eine leistungsfähige Börse und ein lebhaftes
Börsengeschäft; sie führt notwendigerweise zu einer Zunahme der Spekulation
und durch das Überhandnehmen der Kredite zur Verteuerung der Zinssätze und
zu periodischen Geldkrisen.

Dieser in den einfachsten schematischen Umrissen skizzierte Entwicklungsgang
der modernen Industrie macht es leicht verständlich, warum unsere äußere Politik
derart von Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen beherrscht wird. Die
Politik "der offenen Tür" ist ja ein in den letzten Jahren genügend bekanntes
Schlagwort, wenn es sich um die Interessen exportierender Länder gegenüber
unaufgeschlossenen handelt. Die Regelung der Zölle und die Handelsvertrags¬
politik sind die wichtigsten Fragen für die exportierende Industrie; sie muß
alles daran setzen, daß die Einfuhrzölle fremder Länder vertraglich und auf
lange Zeit gebunden werden. Auf der anderen Seite aber schafft die koloni¬
satorische Tätigkeit in fremden Ländern vielfach Reibungen, wie bereits erwähnt.
Mit dem Anwachsen der überseeischen Lebensinteressen ist daher auch eine ent¬
sprechende Verstärkung der Seemacht unerläßlich, mag auch diese vermehrte
Rüstung selbst wieder, wie in unserem Verhältnis zu England, den möglichen
Anlaß zu Konflikten bieten. Die Stellung Deutschlands als ein Staat mit
starken wellwirtschaftlichen Interessen ist nun, wie nicht übersehen werden kann,
im Vergleich zu anderen Nationen eine ungünstige. Wir haben durchweg nur
Interessen in fremden Ländern, in welchen wir zum Schutz derselben nicht
unmittelbar politisch eingreifen können. Wir sind für den Bezug von Roh¬
material, vor allem der wichtigen Baumwolle, ganz auf das Ausland angewiesen.
Wir liegen ferner nur in einer Ecke am Weltmeer, von diesen: durch den Kanal
getrennt, den England und Frankreich uns zu sperren vermögen. Selbst die
Rheinmündungen, der natürliche Ausfuhrweg für unsere rheinisch-westfälische
Industrie, sind in fremden Händen. Wir haben also gegenüber unseren Rivalen
bei Verteidigung unserer überseeischen Interessen eine schwierige Position, die zu
vorsichtigem Handeln zwingt. Nicht immer wird es leicht sein, ihren Schutz
durchzuführen, ohne noch größere und wichtigere zu gefährden. Unser Handel
ist daher in weit schwierigerer Lage, als der Englands, der sich auf die reichen
Kolonialländer unter englischer Oberhoheit stützt.

Vielfältiger, komplizierter und schwieriger sind die Fragen der inneren
Politik, zu denen die Industrialisierung des Landes Anlaß gibt.

Die wichtigste ist die eigentliche Arbeiterfrage, die mit der Bildung eines
besonderen Jndustriearbeiterstandes gegeben ist. Sie hat Deutschland in den
Anfängen der Entwicklung große Schwierigkeiten bereitet, weil das Klassen-


Politik und Wirtschaft

Einlagegeldern werden in die Kassen der Banken und Sparanstalten geleitet.
An siebzehn Milliarden betragen die deutschen Spareinlagen, an zehn Milliarden
die Bankdepositen, an zwei Milliarden die Einlagen der Genossenschaften.
Weitaus größer sind die Beträge, welche in Form von Effekten in den Verkehr
gebracht worden sind. Diese Vermehrung der mobilen Kapitalanlage hat zur
Vorbedingung wie zur Folge eine leistungsfähige Börse und ein lebhaftes
Börsengeschäft; sie führt notwendigerweise zu einer Zunahme der Spekulation
und durch das Überhandnehmen der Kredite zur Verteuerung der Zinssätze und
zu periodischen Geldkrisen.

Dieser in den einfachsten schematischen Umrissen skizzierte Entwicklungsgang
der modernen Industrie macht es leicht verständlich, warum unsere äußere Politik
derart von Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen beherrscht wird. Die
Politik „der offenen Tür" ist ja ein in den letzten Jahren genügend bekanntes
Schlagwort, wenn es sich um die Interessen exportierender Länder gegenüber
unaufgeschlossenen handelt. Die Regelung der Zölle und die Handelsvertrags¬
politik sind die wichtigsten Fragen für die exportierende Industrie; sie muß
alles daran setzen, daß die Einfuhrzölle fremder Länder vertraglich und auf
lange Zeit gebunden werden. Auf der anderen Seite aber schafft die koloni¬
satorische Tätigkeit in fremden Ländern vielfach Reibungen, wie bereits erwähnt.
Mit dem Anwachsen der überseeischen Lebensinteressen ist daher auch eine ent¬
sprechende Verstärkung der Seemacht unerläßlich, mag auch diese vermehrte
Rüstung selbst wieder, wie in unserem Verhältnis zu England, den möglichen
Anlaß zu Konflikten bieten. Die Stellung Deutschlands als ein Staat mit
starken wellwirtschaftlichen Interessen ist nun, wie nicht übersehen werden kann,
im Vergleich zu anderen Nationen eine ungünstige. Wir haben durchweg nur
Interessen in fremden Ländern, in welchen wir zum Schutz derselben nicht
unmittelbar politisch eingreifen können. Wir sind für den Bezug von Roh¬
material, vor allem der wichtigen Baumwolle, ganz auf das Ausland angewiesen.
Wir liegen ferner nur in einer Ecke am Weltmeer, von diesen: durch den Kanal
getrennt, den England und Frankreich uns zu sperren vermögen. Selbst die
Rheinmündungen, der natürliche Ausfuhrweg für unsere rheinisch-westfälische
Industrie, sind in fremden Händen. Wir haben also gegenüber unseren Rivalen
bei Verteidigung unserer überseeischen Interessen eine schwierige Position, die zu
vorsichtigem Handeln zwingt. Nicht immer wird es leicht sein, ihren Schutz
durchzuführen, ohne noch größere und wichtigere zu gefährden. Unser Handel
ist daher in weit schwierigerer Lage, als der Englands, der sich auf die reichen
Kolonialländer unter englischer Oberhoheit stützt.

Vielfältiger, komplizierter und schwieriger sind die Fragen der inneren
Politik, zu denen die Industrialisierung des Landes Anlaß gibt.

Die wichtigste ist die eigentliche Arbeiterfrage, die mit der Bildung eines
besonderen Jndustriearbeiterstandes gegeben ist. Sie hat Deutschland in den
Anfängen der Entwicklung große Schwierigkeiten bereitet, weil das Klassen-


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/121>, abgerufen am 22.12.2024.