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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kurt Münzer

unheilvolle Einfluß der Kunst auf das natürliche Gefühl deutlich gemacht wird.
Trotz köstlicher Einzelheiten hat das Werk etwas seltsam Unreifes. Es ist mehr
Groteske als Tragikomödie.

Zum Schluß ein Kuriosum: Dieser Münzer, der ein Gestalter und Fabu¬
lierer höchsten Ranges ist, er hat als Theoretiker angefangen. Z905 erschien
als sein erstes Werk "Die Kunst des Künstlers. Prolegomena zu einer praktischen
Ästhetik". Hier sucht er an der Hand von Künstleraussprüchen aller Zeiten,
besonders von Dürer, Sandrart und seinen geliebten Italienern, festzustellen,
"wie aus Natureindrücken ein Kunstgebilde wird", und betont vor allem den
subjektiven Faktor des Schaffens. Die Abhandlung macht durchaus den Eindruck
einer mittelmäßigen Doktorandenarbeit. Sie erstickt in der Fülle der Zitate
und Wiederholungen. Von der Kunst des Wortes ist darin überraschenderweise
so gut wie gar nicht die Rede: unter Künstler versteht Münzer durchweg den
bildenden, insbesondere den Maler. Insofern ist das an sich unbedeutende Werk
bezeichnend sür Münzers Art: er sieht die Welt tatsächlich mit dem Blicke des
Malers, wie denn auch sehr viele seiner Gestalten Maler sind, und seine besten
Erzählungen fesseln vor allem durch ihre malerischen Qualitäten: fein abgestuftes
Kolorit und elegante Sicherheit der Konturen.

Alles in allem: Münzer ist durch und durch Novellist. Zu großen Formen
ist sein Genius nicht geschaffen. Ein Klassiker, d. h. ein Volkserzieher großen
Stils wird dieser verträumte, weich-sinnliche Ästhet nie werden: dazu hat er
zu wenig ethischen Tiefgang -- was er selbst, wie die "Kinder der Stadt"
und "Ruhm" zeigen, schmerzlich, wenn auch nicht ohne eine gewisse Koketterie
zu empfinden scheint --, aber als ein Erzähler von bestrickenden Reiz der
Erfindung, zumal im Phantastischen, und von vollendeter Sprachmeisterschaft,
besonders in der suggestionskräftigen Schilderung von Landschaften und Städten,
verdient er höchste Bewunderung. Unter Berücksichtigung dieser Vorzüge wird
man sich nicht daran stoßen, daß das erotische Moment bei Münzer beinahe
immer anklingt und mitschwingt, ja gelegentlich ans Krankhafte grenzende Formen
annimmt, um so mehr als es ihm durchaus nicht daran liegt, schwül oder gar
unsauber zu wirken; die heißen Farben ergeben sich vielmehr mit einer gewissen
Selbstverständlichkeit aus der lebensdurstigen und lebensfreudigen Künstlernatur
Münzers. . . . "Ohne die Liebe wäre die Welt nicht die Welt. . ." ist das
Motto seiner Bücher überhaupt. Er hat es dem "Gefühlvollen Bädeker" auf
den Weg gegeben.




Kurt Münzer

unheilvolle Einfluß der Kunst auf das natürliche Gefühl deutlich gemacht wird.
Trotz köstlicher Einzelheiten hat das Werk etwas seltsam Unreifes. Es ist mehr
Groteske als Tragikomödie.

Zum Schluß ein Kuriosum: Dieser Münzer, der ein Gestalter und Fabu¬
lierer höchsten Ranges ist, er hat als Theoretiker angefangen. Z905 erschien
als sein erstes Werk „Die Kunst des Künstlers. Prolegomena zu einer praktischen
Ästhetik". Hier sucht er an der Hand von Künstleraussprüchen aller Zeiten,
besonders von Dürer, Sandrart und seinen geliebten Italienern, festzustellen,
„wie aus Natureindrücken ein Kunstgebilde wird", und betont vor allem den
subjektiven Faktor des Schaffens. Die Abhandlung macht durchaus den Eindruck
einer mittelmäßigen Doktorandenarbeit. Sie erstickt in der Fülle der Zitate
und Wiederholungen. Von der Kunst des Wortes ist darin überraschenderweise
so gut wie gar nicht die Rede: unter Künstler versteht Münzer durchweg den
bildenden, insbesondere den Maler. Insofern ist das an sich unbedeutende Werk
bezeichnend sür Münzers Art: er sieht die Welt tatsächlich mit dem Blicke des
Malers, wie denn auch sehr viele seiner Gestalten Maler sind, und seine besten
Erzählungen fesseln vor allem durch ihre malerischen Qualitäten: fein abgestuftes
Kolorit und elegante Sicherheit der Konturen.

Alles in allem: Münzer ist durch und durch Novellist. Zu großen Formen
ist sein Genius nicht geschaffen. Ein Klassiker, d. h. ein Volkserzieher großen
Stils wird dieser verträumte, weich-sinnliche Ästhet nie werden: dazu hat er
zu wenig ethischen Tiefgang — was er selbst, wie die „Kinder der Stadt"
und „Ruhm" zeigen, schmerzlich, wenn auch nicht ohne eine gewisse Koketterie
zu empfinden scheint —, aber als ein Erzähler von bestrickenden Reiz der
Erfindung, zumal im Phantastischen, und von vollendeter Sprachmeisterschaft,
besonders in der suggestionskräftigen Schilderung von Landschaften und Städten,
verdient er höchste Bewunderung. Unter Berücksichtigung dieser Vorzüge wird
man sich nicht daran stoßen, daß das erotische Moment bei Münzer beinahe
immer anklingt und mitschwingt, ja gelegentlich ans Krankhafte grenzende Formen
annimmt, um so mehr als es ihm durchaus nicht daran liegt, schwül oder gar
unsauber zu wirken; die heißen Farben ergeben sich vielmehr mit einer gewissen
Selbstverständlichkeit aus der lebensdurstigen und lebensfreudigen Künstlernatur
Münzers. . . . „Ohne die Liebe wäre die Welt nicht die Welt. . ." ist das
Motto seiner Bücher überhaupt. Er hat es dem „Gefühlvollen Bädeker" auf
den Weg gegeben.




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[0110] Kurt Münzer unheilvolle Einfluß der Kunst auf das natürliche Gefühl deutlich gemacht wird. Trotz köstlicher Einzelheiten hat das Werk etwas seltsam Unreifes. Es ist mehr Groteske als Tragikomödie. Zum Schluß ein Kuriosum: Dieser Münzer, der ein Gestalter und Fabu¬ lierer höchsten Ranges ist, er hat als Theoretiker angefangen. Z905 erschien als sein erstes Werk „Die Kunst des Künstlers. Prolegomena zu einer praktischen Ästhetik". Hier sucht er an der Hand von Künstleraussprüchen aller Zeiten, besonders von Dürer, Sandrart und seinen geliebten Italienern, festzustellen, „wie aus Natureindrücken ein Kunstgebilde wird", und betont vor allem den subjektiven Faktor des Schaffens. Die Abhandlung macht durchaus den Eindruck einer mittelmäßigen Doktorandenarbeit. Sie erstickt in der Fülle der Zitate und Wiederholungen. Von der Kunst des Wortes ist darin überraschenderweise so gut wie gar nicht die Rede: unter Künstler versteht Münzer durchweg den bildenden, insbesondere den Maler. Insofern ist das an sich unbedeutende Werk bezeichnend sür Münzers Art: er sieht die Welt tatsächlich mit dem Blicke des Malers, wie denn auch sehr viele seiner Gestalten Maler sind, und seine besten Erzählungen fesseln vor allem durch ihre malerischen Qualitäten: fein abgestuftes Kolorit und elegante Sicherheit der Konturen. Alles in allem: Münzer ist durch und durch Novellist. Zu großen Formen ist sein Genius nicht geschaffen. Ein Klassiker, d. h. ein Volkserzieher großen Stils wird dieser verträumte, weich-sinnliche Ästhet nie werden: dazu hat er zu wenig ethischen Tiefgang — was er selbst, wie die „Kinder der Stadt" und „Ruhm" zeigen, schmerzlich, wenn auch nicht ohne eine gewisse Koketterie zu empfinden scheint —, aber als ein Erzähler von bestrickenden Reiz der Erfindung, zumal im Phantastischen, und von vollendeter Sprachmeisterschaft, besonders in der suggestionskräftigen Schilderung von Landschaften und Städten, verdient er höchste Bewunderung. Unter Berücksichtigung dieser Vorzüge wird man sich nicht daran stoßen, daß das erotische Moment bei Münzer beinahe immer anklingt und mitschwingt, ja gelegentlich ans Krankhafte grenzende Formen annimmt, um so mehr als es ihm durchaus nicht daran liegt, schwül oder gar unsauber zu wirken; die heißen Farben ergeben sich vielmehr mit einer gewissen Selbstverständlichkeit aus der lebensdurstigen und lebensfreudigen Künstlernatur Münzers. . . . „Ohne die Liebe wäre die Welt nicht die Welt. . ." ist das Motto seiner Bücher überhaupt. Er hat es dem „Gefühlvollen Bädeker" auf den Weg gegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/110>, abgerufen am 22.12.2024.