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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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doch keine Veranlassung, den Kopf sinken zu lassen. Gut Ding will Weile
haben! Die Entwicklung wird sich, muß sich wieder zu unseren Gunsten wenden,
wenn erst der Überschuß aus den deutschen Ansiedlungsdörfern in die Städte strömt.
Darum soll auch das jüngste Aufbegehren der Polen uns nicht zu Maßnahmen
reizen, die dem Übel nicht beikommen können. Gesunde Bodenpolitik in ganz
Deutschland bietet die einzige Gewähr für die restlose Wiedereroberung der
Ostmark.




Die intensive Beschäftigung mit dem Problem der inneren Kolonisation
bringt uns aber auch einem rein politischen Gegenstande näher, über den die
bürgerlichen Parteien sich in der allernächsten Zeit werden verständigen müssen:
die Wahlrechtssrage in Preußen. Das Jahr 1912 hat in dieser Be¬
ziehung gewissermaßen als ein Jahr stiller Vorbereitung gedient, wenn es uns
der Lösung des Problems auch nicht einen Schritt näher gebracht hat. Soviel
ist jedenfalls festzustellen: auch in den liberalen Kreisen von Handel und
Industrie ist das Ideal der Übertragung des demokratischen Reichstagswahl¬
rechts ans Preußen merklich verblaßt. Nachdem in den Grenzboten gerade von
liberaler Seite wiederholt auf die Schäden des gleichen und direkten Wahlrechts
hingewiesen worden ist, tritt jetzt im Auftrage der Handelskammer zu Krefeld
Assessor Pieper offen mit Forderungen hervor, die auf berufsständische Grund¬
lagen für das Wahlrecht in Staat und Reich hinauslaufen. Ich bin überzeugt,
daß die Beschäftigung mit dem Problem der inneren Kolonisation unzählige
neue Argumente für berufsständische Organisation der Wahlen zunächst in
Preußen zutage fördern wird und somit enthält sie auch genügend starke
politische Elemente, deren eZ bedarf, um ein Zusammenwirken politischer
Parteien zu ermöglichen.




Mit diesem Ruck- und Ausblick sei das Jahr 1912 geschlossen. Was über
die internationale Lage zu sagen war, wurde in den voraufgegangenen Wochen
in verschiedenen Aufsätzen dargelegt. Hier nur noch eine Erinnerung. Wenn
dies H'se in die Hände meiner Leser gelangt, jährt sich zum hundertsten Mal
der Tag der Konvention von Tauroggen und es beginnt damit die große Zeit
der Befreiung Preußens vom Joch des Korsen. Möge die Erinnerung an den
persönlichen Mut, den Uorck durch seinen Übergang zu den Russen bewiesen,
uns selbst begeistern, das Werk der Befreiung von den Fesseln in Angriff zu
nehmen, die wir uns durch die Überspannung liberaler Wirtschaftsprinzipien
selbst schmiedeten. Bodenreform! Das sei die Losung für 1913. G, Lleinow




Menzbvte" IV 19t 281
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doch keine Veranlassung, den Kopf sinken zu lassen. Gut Ding will Weile
haben! Die Entwicklung wird sich, muß sich wieder zu unseren Gunsten wenden,
wenn erst der Überschuß aus den deutschen Ansiedlungsdörfern in die Städte strömt.
Darum soll auch das jüngste Aufbegehren der Polen uns nicht zu Maßnahmen
reizen, die dem Übel nicht beikommen können. Gesunde Bodenpolitik in ganz
Deutschland bietet die einzige Gewähr für die restlose Wiedereroberung der
Ostmark.




Die intensive Beschäftigung mit dem Problem der inneren Kolonisation
bringt uns aber auch einem rein politischen Gegenstande näher, über den die
bürgerlichen Parteien sich in der allernächsten Zeit werden verständigen müssen:
die Wahlrechtssrage in Preußen. Das Jahr 1912 hat in dieser Be¬
ziehung gewissermaßen als ein Jahr stiller Vorbereitung gedient, wenn es uns
der Lösung des Problems auch nicht einen Schritt näher gebracht hat. Soviel
ist jedenfalls festzustellen: auch in den liberalen Kreisen von Handel und
Industrie ist das Ideal der Übertragung des demokratischen Reichstagswahl¬
rechts ans Preußen merklich verblaßt. Nachdem in den Grenzboten gerade von
liberaler Seite wiederholt auf die Schäden des gleichen und direkten Wahlrechts
hingewiesen worden ist, tritt jetzt im Auftrage der Handelskammer zu Krefeld
Assessor Pieper offen mit Forderungen hervor, die auf berufsständische Grund¬
lagen für das Wahlrecht in Staat und Reich hinauslaufen. Ich bin überzeugt,
daß die Beschäftigung mit dem Problem der inneren Kolonisation unzählige
neue Argumente für berufsständische Organisation der Wahlen zunächst in
Preußen zutage fördern wird und somit enthält sie auch genügend starke
politische Elemente, deren eZ bedarf, um ein Zusammenwirken politischer
Parteien zu ermöglichen.




Mit diesem Ruck- und Ausblick sei das Jahr 1912 geschlossen. Was über
die internationale Lage zu sagen war, wurde in den voraufgegangenen Wochen
in verschiedenen Aufsätzen dargelegt. Hier nur noch eine Erinnerung. Wenn
dies H'se in die Hände meiner Leser gelangt, jährt sich zum hundertsten Mal
der Tag der Konvention von Tauroggen und es beginnt damit die große Zeit
der Befreiung Preußens vom Joch des Korsen. Möge die Erinnerung an den
persönlichen Mut, den Uorck durch seinen Übergang zu den Russen bewiesen,
uns selbst begeistern, das Werk der Befreiung von den Fesseln in Angriff zu
nehmen, die wir uns durch die Überspannung liberaler Wirtschaftsprinzipien
selbst schmiedeten. Bodenreform! Das sei die Losung für 1913. G, Lleinow




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[0644] Icchrschluß ,9,2 doch keine Veranlassung, den Kopf sinken zu lassen. Gut Ding will Weile haben! Die Entwicklung wird sich, muß sich wieder zu unseren Gunsten wenden, wenn erst der Überschuß aus den deutschen Ansiedlungsdörfern in die Städte strömt. Darum soll auch das jüngste Aufbegehren der Polen uns nicht zu Maßnahmen reizen, die dem Übel nicht beikommen können. Gesunde Bodenpolitik in ganz Deutschland bietet die einzige Gewähr für die restlose Wiedereroberung der Ostmark. Die intensive Beschäftigung mit dem Problem der inneren Kolonisation bringt uns aber auch einem rein politischen Gegenstande näher, über den die bürgerlichen Parteien sich in der allernächsten Zeit werden verständigen müssen: die Wahlrechtssrage in Preußen. Das Jahr 1912 hat in dieser Be¬ ziehung gewissermaßen als ein Jahr stiller Vorbereitung gedient, wenn es uns der Lösung des Problems auch nicht einen Schritt näher gebracht hat. Soviel ist jedenfalls festzustellen: auch in den liberalen Kreisen von Handel und Industrie ist das Ideal der Übertragung des demokratischen Reichstagswahl¬ rechts ans Preußen merklich verblaßt. Nachdem in den Grenzboten gerade von liberaler Seite wiederholt auf die Schäden des gleichen und direkten Wahlrechts hingewiesen worden ist, tritt jetzt im Auftrage der Handelskammer zu Krefeld Assessor Pieper offen mit Forderungen hervor, die auf berufsständische Grund¬ lagen für das Wahlrecht in Staat und Reich hinauslaufen. Ich bin überzeugt, daß die Beschäftigung mit dem Problem der inneren Kolonisation unzählige neue Argumente für berufsständische Organisation der Wahlen zunächst in Preußen zutage fördern wird und somit enthält sie auch genügend starke politische Elemente, deren eZ bedarf, um ein Zusammenwirken politischer Parteien zu ermöglichen. Mit diesem Ruck- und Ausblick sei das Jahr 1912 geschlossen. Was über die internationale Lage zu sagen war, wurde in den voraufgegangenen Wochen in verschiedenen Aufsätzen dargelegt. Hier nur noch eine Erinnerung. Wenn dies H'se in die Hände meiner Leser gelangt, jährt sich zum hundertsten Mal der Tag der Konvention von Tauroggen und es beginnt damit die große Zeit der Befreiung Preußens vom Joch des Korsen. Möge die Erinnerung an den persönlichen Mut, den Uorck durch seinen Übergang zu den Russen bewiesen, uns selbst begeistern, das Werk der Befreiung von den Fesseln in Angriff zu nehmen, die wir uns durch die Überspannung liberaler Wirtschaftsprinzipien selbst schmiedeten. Bodenreform! Das sei die Losung für 1913. G, Lleinow Menzbvte» IV 19t 281

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/644>, abgerufen am 15.01.2025.