Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko den Riechenden, den speiender usw. Er stellt so neben dem mehr ethisch Diese sachliche Wendung zur Wissenschaft führte nun bei Messerschmidt keines¬ Gleichwohl scheint es das Schicksal aller Künstler, die in das philosophische Man hat so beim Anblick dieses zielstrebigen und doch verworrenen Kunst¬ Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko den Riechenden, den speiender usw. Er stellt so neben dem mehr ethisch Diese sachliche Wendung zur Wissenschaft führte nun bei Messerschmidt keines¬ Gleichwohl scheint es das Schicksal aller Künstler, die in das philosophische Man hat so beim Anblick dieses zielstrebigen und doch verworrenen Kunst¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0639" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323041"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko</fw><lb/> <p xml:id="ID_3109" prev="#ID_3108"> den Riechenden, den speiender usw. Er stellt so neben dem mehr ethisch<lb/> gerichteten Lavater, der das Genie in der Welt suchte, den realistischen Forscher<lb/> dar. Kunst wird bei ihm zur versinnbildlichten Wissenschaft, und die Arbeit des<lb/> Plastikers hat in der Geschichte der Kunst längere Zeit Geltung gehabt, als die<lb/> Theorien des Mesmerismus für die Wissenschaft Wert hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3110"> Diese sachliche Wendung zur Wissenschaft führte nun bei Messerschmidt keines¬<lb/> wegs zu einer blos empirischen Materialsammlung. Das stoffliche Interesse kehrte<lb/> bei ihm, wie bei allen pseudowissenschaftlichen Versuchen des Sturmes und Dranges,<lb/> zu einer tieferen Erfassung der Persönlichkeit zurück, mit deren Erkenntnis man<lb/> die Welt selbst ergründet zu haben glaubte. Je weniger die Aufträge einliefen,<lb/> die ihn an bestimmte äußere Bedürfnisse und Interessen zeitweilig binden konnten,<lb/> um so mehr suchte seine grübelnde Natur sich in das Rätsel des Menschen zu<lb/> vertiefen. Merkwürdig ist hierbei, wenn wir uns neuerer Versuche von Persön¬<lb/> lichkeitsdarstellungen erinnern, daß ihn sein Realismus nie zu bestimmten Typen<lb/> hinführte. Darum erscheint seine Sammlung von Charakteren mehr wie eine<lb/> Republik, es fehlt ein alles beherrschender Typus, wie ihn z. B. unsere Über¬<lb/> menschenphilosophie in fest umrissenen Normen bildete. Das gibt seinem Tun<lb/> etwas suchendes; das Gesichtsfeld der Generation von 1770 bis 1790 war<lb/> wohl weniger mit fertigen Systemen verbaut, als es heute der Fall ist. Daher<lb/> rührt der Reichtum an stets wieder aufs neue einsetzenden Experimenten und<lb/> Deutungen auf allen einer philosophischen Formulierung zugänglichen Gebieten<lb/> der damaligen Wissenschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_3111"> Gleichwohl scheint es das Schicksal aller Künstler, die in das philosophische<lb/> Gebiet hinüberschweifen, zu sein, in einem engen Nationalismus stecken zu bleiben.<lb/> Die Generation von 1770 konnte trotz großer Anläufe dieser Gefahr nicht ganz<lb/> entgehen. Sie war jung, und nur naheliegende engbegrenzte Beobachtungen<lb/> standen ihr zur Verfügung: beides Umstände, die den Blick nur für einfache<lb/> Vernunftszusammenhänge öffnen. Beim schaffenden Künstler kommt noch hinzu<lb/> die übertreibende Bewertung des technischen Könnens, die die Grundlage jedes<lb/> höheren Schaffens sein muß. Eine solche Auffassung von der Arbeit schließt das<lb/> Erlebnis als störend aus, und ist leicht geneigt, das ganze Weltbild zu mechani¬<lb/> sieren. Die heutige Philosophie mit ihrem Gegensatz von mechanistischem und<lb/> vitalistischem Denken, jenes von Spencer, dieses von Bergson vertreten, würde,<lb/> wenn sie erst einmal von Künstlern in den Bereich ihres Denkens miteinbezogen<lb/> werden sollte, ähnlich einem festen Glauben eine starre Symbolsystematik zeitigen,<lb/> wie sie der Glanzzeit des Rationalismus eigen war. Messerschmidt meinte, die<lb/> Welt in seinen Köpfen restlos erschöpfen zu können, und ein mehr neugieriger als<lb/> wirklich suchender Denker, wie Nikolai, berichtete sympathisch von seinem Besuche<lb/> bei dem einsamen Künstler in Preßburg.</p><lb/> <p xml:id="ID_3112"> Man hat so beim Anblick dieses zielstrebigen und doch verworrenen Kunst¬<lb/> schaffens mehr den Eindruck, als handle es sich um eine Theorie und noch dazu<lb/> mehr um eine recht schwache und beschränkte, als um eine mit allen Lebensfasern<lb/> aus einer Künstlernatur heraus entstandene Erscheinungsreihe, die die Züge der<lb/> großen Welt mit Selbstbewußtsein widerspiegeln könnte. Dieses Höchste in der<lb/> .Kunst zu erreichen, ist Übergangserscheinungen, wie Messerschmidt eine war, selten<lb/> vergönnt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0639]
Aus der Aünstlerschaft des sterbenden Rokoko
den Riechenden, den speiender usw. Er stellt so neben dem mehr ethisch
gerichteten Lavater, der das Genie in der Welt suchte, den realistischen Forscher
dar. Kunst wird bei ihm zur versinnbildlichten Wissenschaft, und die Arbeit des
Plastikers hat in der Geschichte der Kunst längere Zeit Geltung gehabt, als die
Theorien des Mesmerismus für die Wissenschaft Wert hatten.
Diese sachliche Wendung zur Wissenschaft führte nun bei Messerschmidt keines¬
wegs zu einer blos empirischen Materialsammlung. Das stoffliche Interesse kehrte
bei ihm, wie bei allen pseudowissenschaftlichen Versuchen des Sturmes und Dranges,
zu einer tieferen Erfassung der Persönlichkeit zurück, mit deren Erkenntnis man
die Welt selbst ergründet zu haben glaubte. Je weniger die Aufträge einliefen,
die ihn an bestimmte äußere Bedürfnisse und Interessen zeitweilig binden konnten,
um so mehr suchte seine grübelnde Natur sich in das Rätsel des Menschen zu
vertiefen. Merkwürdig ist hierbei, wenn wir uns neuerer Versuche von Persön¬
lichkeitsdarstellungen erinnern, daß ihn sein Realismus nie zu bestimmten Typen
hinführte. Darum erscheint seine Sammlung von Charakteren mehr wie eine
Republik, es fehlt ein alles beherrschender Typus, wie ihn z. B. unsere Über¬
menschenphilosophie in fest umrissenen Normen bildete. Das gibt seinem Tun
etwas suchendes; das Gesichtsfeld der Generation von 1770 bis 1790 war
wohl weniger mit fertigen Systemen verbaut, als es heute der Fall ist. Daher
rührt der Reichtum an stets wieder aufs neue einsetzenden Experimenten und
Deutungen auf allen einer philosophischen Formulierung zugänglichen Gebieten
der damaligen Wissenschaft.
Gleichwohl scheint es das Schicksal aller Künstler, die in das philosophische
Gebiet hinüberschweifen, zu sein, in einem engen Nationalismus stecken zu bleiben.
Die Generation von 1770 konnte trotz großer Anläufe dieser Gefahr nicht ganz
entgehen. Sie war jung, und nur naheliegende engbegrenzte Beobachtungen
standen ihr zur Verfügung: beides Umstände, die den Blick nur für einfache
Vernunftszusammenhänge öffnen. Beim schaffenden Künstler kommt noch hinzu
die übertreibende Bewertung des technischen Könnens, die die Grundlage jedes
höheren Schaffens sein muß. Eine solche Auffassung von der Arbeit schließt das
Erlebnis als störend aus, und ist leicht geneigt, das ganze Weltbild zu mechani¬
sieren. Die heutige Philosophie mit ihrem Gegensatz von mechanistischem und
vitalistischem Denken, jenes von Spencer, dieses von Bergson vertreten, würde,
wenn sie erst einmal von Künstlern in den Bereich ihres Denkens miteinbezogen
werden sollte, ähnlich einem festen Glauben eine starre Symbolsystematik zeitigen,
wie sie der Glanzzeit des Rationalismus eigen war. Messerschmidt meinte, die
Welt in seinen Köpfen restlos erschöpfen zu können, und ein mehr neugieriger als
wirklich suchender Denker, wie Nikolai, berichtete sympathisch von seinem Besuche
bei dem einsamen Künstler in Preßburg.
Man hat so beim Anblick dieses zielstrebigen und doch verworrenen Kunst¬
schaffens mehr den Eindruck, als handle es sich um eine Theorie und noch dazu
mehr um eine recht schwache und beschränkte, als um eine mit allen Lebensfasern
aus einer Künstlernatur heraus entstandene Erscheinungsreihe, die die Züge der
großen Welt mit Selbstbewußtsein widerspiegeln könnte. Dieses Höchste in der
.Kunst zu erreichen, ist Übergangserscheinungen, wie Messerschmidt eine war, selten
vergönnt.
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