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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Laienrichtorfrage

Bis dahin ist aber zurzeit noch ein weiter Weg. Die Hoffnung mancher
rechtsgelehrter Richter, daß schon ihr Widerspruch gegen die Laienzuziehung in
absehbarer Zeit deren Beseitigung erzielen könnte, ist allzu kühn. Und wenn
auch noch so klar nachgewiesen wird, daß der rechtskundige Berufsrichter als aus¬
gebildeter Fachmann zur Ausübung des Richteramts unbedingt geeigneter ist,
als der rechtsunkundige Bürger, so wird daraus unter den herrschenden
Anschauungen ein ausreichender Grund zur Beseitigung der Laienrichter niemals
entnommen werden. Schon deshalb nicht: unsere Parlamente sind im Grunde
genommen nichts anderes, als die der Staatsregierung als der Fachbehörde
beigegebenen Laien. Wie die Abgeordneten ihre Tätigkeit bei der Staatsleitung
für sehr notwendig halten, so werden sie auch die Mitwirkung der Laien in den
Gerichten entsprechend einschätzen.

Dazu kommt, daß in der Verwaltung, besonders in derjenigen der Ge¬
meinden, die Mitarbeit der Bürger sich mehrfach als brauchbar erwiesen hat.
Daß es sich hierbei aber fast ausschließlich um Zweckmäßigkeitsfragen und nicht
um Rechtsfragen handelt, wird meist übersehen und es wird demgemäß die
Mitarbeit der Laien bei der Rechtsprechung zu Unrecht für gleichermaßen wert¬
voll gehalten.

Es wird daher noch auf lange Zeit damit zu rechnen sein, daß mindestens
an der Strafrechtspflege Laien teilnehmen. Hiermit werden sich auch deren
eifrigste Gegner unter den Berufsrichtern abzufinden haben. Es kann daher vorläufig
nur in Betracht kommen, in welcher Weise die Mitwirkung der Laien an der
Strafrcchtsprechung an: geeignetsten und für deren Wissenschaftlichkeit, Einheit
und Gesetzestreue am ungefährlichsten zu gestalten ist.

Zu den kleinen Mitteln hierzu gehört die Bemühung, die Laien wenigstens
etwas in Rechts- und Gesetzeskunde zu unterweisen, was jetzt durch volks¬
tümliche Rechtszeitschriften zu erreichen gesucht wird. Anderseits wird die klare
Entscheidung zu treffen sein, daß die Schöffengerichte den Schwurgerichten vor¬
zuziehen sind. Wenn als der Vorzug der Mitwirkung von Laienrichtern in den
Strafgerichten bezeichnet wird, der geübtere Einblick der Laien in das alltägliche
Leben und der Austausch ihrer Anschauungen mit denjenigen der Berufsrichter
seien geeignet, diesen bei der Wahrheitserforschung wesentliche Dienste zu leisten,
so wird dies nur unter der Bedingung zutreffend sein, daß die Laien-
und die Verufsrichter in dasselbe Beratungsztmmer gehen und dort ihre
verschiedenen Ausfassungen gegenseitig klären. Bei einer Trennung der Richter¬
bank von der Geschworenenbank, wie sie im Schwurgericht stattfindet, ergibt sich
für die erstere aus der Mitarbeit der letzteren gar keine ersprießliche Ein¬
wirkung. Sie gehen beide ihren eigenen Weg und verstehen einander meist
garnicht.

Auch wenn die Mitwirkung der Laien an der Strafrechtspflege diesen einen
klaren Einblick in deren Einzelheiten und Verlauf eröffnen und sie in den Stand
setzen soll, etwaige ungehörige Einwirkungen auf die Urteilsbildung wahr-


Grenzboten IV 1S12 79
Die Laienrichtorfrage

Bis dahin ist aber zurzeit noch ein weiter Weg. Die Hoffnung mancher
rechtsgelehrter Richter, daß schon ihr Widerspruch gegen die Laienzuziehung in
absehbarer Zeit deren Beseitigung erzielen könnte, ist allzu kühn. Und wenn
auch noch so klar nachgewiesen wird, daß der rechtskundige Berufsrichter als aus¬
gebildeter Fachmann zur Ausübung des Richteramts unbedingt geeigneter ist,
als der rechtsunkundige Bürger, so wird daraus unter den herrschenden
Anschauungen ein ausreichender Grund zur Beseitigung der Laienrichter niemals
entnommen werden. Schon deshalb nicht: unsere Parlamente sind im Grunde
genommen nichts anderes, als die der Staatsregierung als der Fachbehörde
beigegebenen Laien. Wie die Abgeordneten ihre Tätigkeit bei der Staatsleitung
für sehr notwendig halten, so werden sie auch die Mitwirkung der Laien in den
Gerichten entsprechend einschätzen.

Dazu kommt, daß in der Verwaltung, besonders in derjenigen der Ge¬
meinden, die Mitarbeit der Bürger sich mehrfach als brauchbar erwiesen hat.
Daß es sich hierbei aber fast ausschließlich um Zweckmäßigkeitsfragen und nicht
um Rechtsfragen handelt, wird meist übersehen und es wird demgemäß die
Mitarbeit der Laien bei der Rechtsprechung zu Unrecht für gleichermaßen wert¬
voll gehalten.

Es wird daher noch auf lange Zeit damit zu rechnen sein, daß mindestens
an der Strafrechtspflege Laien teilnehmen. Hiermit werden sich auch deren
eifrigste Gegner unter den Berufsrichtern abzufinden haben. Es kann daher vorläufig
nur in Betracht kommen, in welcher Weise die Mitwirkung der Laien an der
Strafrcchtsprechung an: geeignetsten und für deren Wissenschaftlichkeit, Einheit
und Gesetzestreue am ungefährlichsten zu gestalten ist.

Zu den kleinen Mitteln hierzu gehört die Bemühung, die Laien wenigstens
etwas in Rechts- und Gesetzeskunde zu unterweisen, was jetzt durch volks¬
tümliche Rechtszeitschriften zu erreichen gesucht wird. Anderseits wird die klare
Entscheidung zu treffen sein, daß die Schöffengerichte den Schwurgerichten vor¬
zuziehen sind. Wenn als der Vorzug der Mitwirkung von Laienrichtern in den
Strafgerichten bezeichnet wird, der geübtere Einblick der Laien in das alltägliche
Leben und der Austausch ihrer Anschauungen mit denjenigen der Berufsrichter
seien geeignet, diesen bei der Wahrheitserforschung wesentliche Dienste zu leisten,
so wird dies nur unter der Bedingung zutreffend sein, daß die Laien-
und die Verufsrichter in dasselbe Beratungsztmmer gehen und dort ihre
verschiedenen Ausfassungen gegenseitig klären. Bei einer Trennung der Richter¬
bank von der Geschworenenbank, wie sie im Schwurgericht stattfindet, ergibt sich
für die erstere aus der Mitarbeit der letzteren gar keine ersprießliche Ein¬
wirkung. Sie gehen beide ihren eigenen Weg und verstehen einander meist
garnicht.

Auch wenn die Mitwirkung der Laien an der Strafrechtspflege diesen einen
klaren Einblick in deren Einzelheiten und Verlauf eröffnen und sie in den Stand
setzen soll, etwaige ungehörige Einwirkungen auf die Urteilsbildung wahr-


Grenzboten IV 1S12 79
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[0628] Die Laienrichtorfrage Bis dahin ist aber zurzeit noch ein weiter Weg. Die Hoffnung mancher rechtsgelehrter Richter, daß schon ihr Widerspruch gegen die Laienzuziehung in absehbarer Zeit deren Beseitigung erzielen könnte, ist allzu kühn. Und wenn auch noch so klar nachgewiesen wird, daß der rechtskundige Berufsrichter als aus¬ gebildeter Fachmann zur Ausübung des Richteramts unbedingt geeigneter ist, als der rechtsunkundige Bürger, so wird daraus unter den herrschenden Anschauungen ein ausreichender Grund zur Beseitigung der Laienrichter niemals entnommen werden. Schon deshalb nicht: unsere Parlamente sind im Grunde genommen nichts anderes, als die der Staatsregierung als der Fachbehörde beigegebenen Laien. Wie die Abgeordneten ihre Tätigkeit bei der Staatsleitung für sehr notwendig halten, so werden sie auch die Mitwirkung der Laien in den Gerichten entsprechend einschätzen. Dazu kommt, daß in der Verwaltung, besonders in derjenigen der Ge¬ meinden, die Mitarbeit der Bürger sich mehrfach als brauchbar erwiesen hat. Daß es sich hierbei aber fast ausschließlich um Zweckmäßigkeitsfragen und nicht um Rechtsfragen handelt, wird meist übersehen und es wird demgemäß die Mitarbeit der Laien bei der Rechtsprechung zu Unrecht für gleichermaßen wert¬ voll gehalten. Es wird daher noch auf lange Zeit damit zu rechnen sein, daß mindestens an der Strafrechtspflege Laien teilnehmen. Hiermit werden sich auch deren eifrigste Gegner unter den Berufsrichtern abzufinden haben. Es kann daher vorläufig nur in Betracht kommen, in welcher Weise die Mitwirkung der Laien an der Strafrcchtsprechung an: geeignetsten und für deren Wissenschaftlichkeit, Einheit und Gesetzestreue am ungefährlichsten zu gestalten ist. Zu den kleinen Mitteln hierzu gehört die Bemühung, die Laien wenigstens etwas in Rechts- und Gesetzeskunde zu unterweisen, was jetzt durch volks¬ tümliche Rechtszeitschriften zu erreichen gesucht wird. Anderseits wird die klare Entscheidung zu treffen sein, daß die Schöffengerichte den Schwurgerichten vor¬ zuziehen sind. Wenn als der Vorzug der Mitwirkung von Laienrichtern in den Strafgerichten bezeichnet wird, der geübtere Einblick der Laien in das alltägliche Leben und der Austausch ihrer Anschauungen mit denjenigen der Berufsrichter seien geeignet, diesen bei der Wahrheitserforschung wesentliche Dienste zu leisten, so wird dies nur unter der Bedingung zutreffend sein, daß die Laien- und die Verufsrichter in dasselbe Beratungsztmmer gehen und dort ihre verschiedenen Ausfassungen gegenseitig klären. Bei einer Trennung der Richter¬ bank von der Geschworenenbank, wie sie im Schwurgericht stattfindet, ergibt sich für die erstere aus der Mitarbeit der letzteren gar keine ersprießliche Ein¬ wirkung. Sie gehen beide ihren eigenen Weg und verstehen einander meist garnicht. Auch wenn die Mitwirkung der Laien an der Strafrechtspflege diesen einen klaren Einblick in deren Einzelheiten und Verlauf eröffnen und sie in den Stand setzen soll, etwaige ungehörige Einwirkungen auf die Urteilsbildung wahr- Grenzboten IV 1S12 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/628>, abgerufen am 15.01.2025.