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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Drei Könige

Prinz Wilhelm und seine doch so ganz anders geartete Gemahlin diese Er¬
eignisse empfanden, wie schmerzlich sie in ihrer Seele brannten. Nach der Wieder¬
herstellung des alten Bundestages, die jenes bewegte innere Ringen vorläufig
abschloß, lenkte auch der Briefwechsel der beiden Fürsten wieder in ruhigere
Bahnen ein. Der Krimkrieg fand sie sogar einig in der gemeinsamen Ver¬
urteilung der österreichischen Politik, wenngleich Johann, auch hier der
Bedächtigere, zu dämpfen suchte, Österreich schonen wollte und sich in erster
Linie wieder als Bundesmitglied fühlte. Im September 1857 nahm Johann
abermals das Wort über den alten Dualismus Preußens und Österreichs.
Mit diesem Schreiben, einer Betrachtung über die gegenwärtige Lage, schließt
seine Korrespondenz mit Friedrich Wilhelm, der bald darauf in sein Leiden
verfiel, und merkwürdig ausdrucksvoll klingen hier die Probleme an, die zu
lösen der neuen Ära Preußens beschieden war. Johann bedauerte die fort¬
dauernde Spannung der beiden Mächte. Er sprach die österreichische Regierung
nicht ganz frei von Schuld, da sie sich während der orientalischen Krisis zwei¬
deutig benommen habe. Aber auch gegen Preußen glaubte er Vorwürfe erheben
zu müssen, namentlich insbesondere gegen jene zahlreiche Partei der "Stock¬
preußen", die ihre Anhänger unter den höchsten Beamten zähle. Sie strebe
rücksichtslos nach einer Machtvergrößerung des preußischen Staates. "Am
liebsten würde sie Österreich aus Teutschland hinauswerfen und das übrige
Teutschland unter preußischem Scepter vereinigen." Das Schicksal Süddeutsch¬
lands sei ihr mehr oder minder gleichgültig, wenn nur im Norden ein möglichst
abgerundetes Preußen entstünde. Ihre stärkste Abneigung kehre diese Partei
gegen den Deutschen Bund, der ihren Plänen im Wege stehe. Johann maß
dem Könige selber an diesen Bestrebungen keinen Teil zu. Aber er warnte ihn
vor ihrem wachsenden gefährlichen Einfluß. Ausdrücklich bezeichnete er ihm die
preußische Bundestagsgesandtschast mit ihrem konsequenten und bis ins kleinste
gehenden Widerstand gegen alle Maßregeln, die das Ansehen oder die Wirk¬
samkeit des Bundes erhöhen könnten, als Haupt jener Partei. Dieser Angriff
war auf Herrn von Bismarck-Schönhausen gemünzt, dessen Persönlichkeit hier
ihren Schatten vorauswirft. In ihm verkörperten sich alle jene Kräfte, die
Friedrich Wilhelms und Johanns Ideale zertrümmerten, um ein neues staat¬
liches Gefüge aufzubauen.

In den Briefen Wilhelms tut sich eine ganz andere Welt aus als in
denen seines Bruders. Auch er hatte früh mit dem sächsischen Prinzen Freund¬
schaft geschlossen, freilich ohne den überschwänglichen Zusammenklang jener beiden
Seelen. Das Verhältnis ruhte vielmehr auf wahrer gegenseitiger Hochachtung
und Teilnahme. Es ist der Bund zweier Ehrenmänner, die sich durch Rang und
Familie nahe stehen, einander mit Wohlwollen betrachten und freundlich-ernste
Worte tauschen, ohne den Unterschied ihres Wesens zu verleugnen. Ein ruhig
verständiges Beharren, das jeden in seinem Lebenskreis festhält! Sie suchen den
Abstand weder zu überbrücken noch zu erweitern, und ganz werden sie seiner


Drei Könige

Prinz Wilhelm und seine doch so ganz anders geartete Gemahlin diese Er¬
eignisse empfanden, wie schmerzlich sie in ihrer Seele brannten. Nach der Wieder¬
herstellung des alten Bundestages, die jenes bewegte innere Ringen vorläufig
abschloß, lenkte auch der Briefwechsel der beiden Fürsten wieder in ruhigere
Bahnen ein. Der Krimkrieg fand sie sogar einig in der gemeinsamen Ver¬
urteilung der österreichischen Politik, wenngleich Johann, auch hier der
Bedächtigere, zu dämpfen suchte, Österreich schonen wollte und sich in erster
Linie wieder als Bundesmitglied fühlte. Im September 1857 nahm Johann
abermals das Wort über den alten Dualismus Preußens und Österreichs.
Mit diesem Schreiben, einer Betrachtung über die gegenwärtige Lage, schließt
seine Korrespondenz mit Friedrich Wilhelm, der bald darauf in sein Leiden
verfiel, und merkwürdig ausdrucksvoll klingen hier die Probleme an, die zu
lösen der neuen Ära Preußens beschieden war. Johann bedauerte die fort¬
dauernde Spannung der beiden Mächte. Er sprach die österreichische Regierung
nicht ganz frei von Schuld, da sie sich während der orientalischen Krisis zwei¬
deutig benommen habe. Aber auch gegen Preußen glaubte er Vorwürfe erheben
zu müssen, namentlich insbesondere gegen jene zahlreiche Partei der „Stock¬
preußen", die ihre Anhänger unter den höchsten Beamten zähle. Sie strebe
rücksichtslos nach einer Machtvergrößerung des preußischen Staates. „Am
liebsten würde sie Österreich aus Teutschland hinauswerfen und das übrige
Teutschland unter preußischem Scepter vereinigen." Das Schicksal Süddeutsch¬
lands sei ihr mehr oder minder gleichgültig, wenn nur im Norden ein möglichst
abgerundetes Preußen entstünde. Ihre stärkste Abneigung kehre diese Partei
gegen den Deutschen Bund, der ihren Plänen im Wege stehe. Johann maß
dem Könige selber an diesen Bestrebungen keinen Teil zu. Aber er warnte ihn
vor ihrem wachsenden gefährlichen Einfluß. Ausdrücklich bezeichnete er ihm die
preußische Bundestagsgesandtschast mit ihrem konsequenten und bis ins kleinste
gehenden Widerstand gegen alle Maßregeln, die das Ansehen oder die Wirk¬
samkeit des Bundes erhöhen könnten, als Haupt jener Partei. Dieser Angriff
war auf Herrn von Bismarck-Schönhausen gemünzt, dessen Persönlichkeit hier
ihren Schatten vorauswirft. In ihm verkörperten sich alle jene Kräfte, die
Friedrich Wilhelms und Johanns Ideale zertrümmerten, um ein neues staat¬
liches Gefüge aufzubauen.

In den Briefen Wilhelms tut sich eine ganz andere Welt aus als in
denen seines Bruders. Auch er hatte früh mit dem sächsischen Prinzen Freund¬
schaft geschlossen, freilich ohne den überschwänglichen Zusammenklang jener beiden
Seelen. Das Verhältnis ruhte vielmehr auf wahrer gegenseitiger Hochachtung
und Teilnahme. Es ist der Bund zweier Ehrenmänner, die sich durch Rang und
Familie nahe stehen, einander mit Wohlwollen betrachten und freundlich-ernste
Worte tauschen, ohne den Unterschied ihres Wesens zu verleugnen. Ein ruhig
verständiges Beharren, das jeden in seinem Lebenskreis festhält! Sie suchen den
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[0619] Drei Könige Prinz Wilhelm und seine doch so ganz anders geartete Gemahlin diese Er¬ eignisse empfanden, wie schmerzlich sie in ihrer Seele brannten. Nach der Wieder¬ herstellung des alten Bundestages, die jenes bewegte innere Ringen vorläufig abschloß, lenkte auch der Briefwechsel der beiden Fürsten wieder in ruhigere Bahnen ein. Der Krimkrieg fand sie sogar einig in der gemeinsamen Ver¬ urteilung der österreichischen Politik, wenngleich Johann, auch hier der Bedächtigere, zu dämpfen suchte, Österreich schonen wollte und sich in erster Linie wieder als Bundesmitglied fühlte. Im September 1857 nahm Johann abermals das Wort über den alten Dualismus Preußens und Österreichs. Mit diesem Schreiben, einer Betrachtung über die gegenwärtige Lage, schließt seine Korrespondenz mit Friedrich Wilhelm, der bald darauf in sein Leiden verfiel, und merkwürdig ausdrucksvoll klingen hier die Probleme an, die zu lösen der neuen Ära Preußens beschieden war. Johann bedauerte die fort¬ dauernde Spannung der beiden Mächte. Er sprach die österreichische Regierung nicht ganz frei von Schuld, da sie sich während der orientalischen Krisis zwei¬ deutig benommen habe. Aber auch gegen Preußen glaubte er Vorwürfe erheben zu müssen, namentlich insbesondere gegen jene zahlreiche Partei der „Stock¬ preußen", die ihre Anhänger unter den höchsten Beamten zähle. Sie strebe rücksichtslos nach einer Machtvergrößerung des preußischen Staates. „Am liebsten würde sie Österreich aus Teutschland hinauswerfen und das übrige Teutschland unter preußischem Scepter vereinigen." Das Schicksal Süddeutsch¬ lands sei ihr mehr oder minder gleichgültig, wenn nur im Norden ein möglichst abgerundetes Preußen entstünde. Ihre stärkste Abneigung kehre diese Partei gegen den Deutschen Bund, der ihren Plänen im Wege stehe. Johann maß dem Könige selber an diesen Bestrebungen keinen Teil zu. Aber er warnte ihn vor ihrem wachsenden gefährlichen Einfluß. Ausdrücklich bezeichnete er ihm die preußische Bundestagsgesandtschast mit ihrem konsequenten und bis ins kleinste gehenden Widerstand gegen alle Maßregeln, die das Ansehen oder die Wirk¬ samkeit des Bundes erhöhen könnten, als Haupt jener Partei. Dieser Angriff war auf Herrn von Bismarck-Schönhausen gemünzt, dessen Persönlichkeit hier ihren Schatten vorauswirft. In ihm verkörperten sich alle jene Kräfte, die Friedrich Wilhelms und Johanns Ideale zertrümmerten, um ein neues staat¬ liches Gefüge aufzubauen. In den Briefen Wilhelms tut sich eine ganz andere Welt aus als in denen seines Bruders. Auch er hatte früh mit dem sächsischen Prinzen Freund¬ schaft geschlossen, freilich ohne den überschwänglichen Zusammenklang jener beiden Seelen. Das Verhältnis ruhte vielmehr auf wahrer gegenseitiger Hochachtung und Teilnahme. Es ist der Bund zweier Ehrenmänner, die sich durch Rang und Familie nahe stehen, einander mit Wohlwollen betrachten und freundlich-ernste Worte tauschen, ohne den Unterschied ihres Wesens zu verleugnen. Ein ruhig verständiges Beharren, das jeden in seinem Lebenskreis festhält! Sie suchen den Abstand weder zu überbrücken noch zu erweitern, und ganz werden sie seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/619>, abgerufen am 15.01.2025.