Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Acirl Salzer 576 In den Gassen stößt die Hungels-Grek einen gellenden Hilfeschrei aus und Es dauert lange, bis sie sich aus den wirren Worten der Grek ein Bild "Seht ihr's!" sagt sie, "der Appel fällt net weit vom Stamm! Ausrollen Fast ist ihr der Neffe, dem zu Hilfe zu eilen sie nicht den Mut hatte, Neben¬ "Ach du liewer Gott, Georg, was en Unglück I Ach du liewer Gott, dem In den Mann fährt ein heftiger Schreck. Er ballt die Faust gegen seine "Mensch, wann was passiert ist, sollscht du mir aach die Kraut krieje!" Und dann reden die übrigen Bauern, junge und alte, auf ihn ein. Er hört "Allo, mans dann, daß wir sehn, was passiert is. Und dem Salzer seinem Aber die Grek hat eine entsetzliche Angst. Sie sieht wieder das Bild vor "Georg, geh du aweil mit dene Leut mans, ich will zuerst zu deiner Fraa!" So zieht die erregte Menge hinaus auf den Friedhof. Ein Menschenknäuel Eine Weile steht er ganz starr und wortlos, und auch in der Menge verliert "Jetzert gibts net Ruh und net Rast in mir, bis Vergeltung geübt ist! Ein Da kommt auch die Hungels-Grek zum Tore herein und hält ein weiuendeß "Faß dich, Lerche, faß dich!" Aber die unglückliche Mutter drängt ihn beiseite und sinkt mit einem wilden Die Hungels-Grek weiß sich nicht zu helfen. Sie möchte trösten und kann Acirl Salzer 576 In den Gassen stößt die Hungels-Grek einen gellenden Hilfeschrei aus und Es dauert lange, bis sie sich aus den wirren Worten der Grek ein Bild „Seht ihr's!" sagt sie, „der Appel fällt net weit vom Stamm! Ausrollen Fast ist ihr der Neffe, dem zu Hilfe zu eilen sie nicht den Mut hatte, Neben¬ „Ach du liewer Gott, Georg, was en Unglück I Ach du liewer Gott, dem In den Mann fährt ein heftiger Schreck. Er ballt die Faust gegen seine „Mensch, wann was passiert ist, sollscht du mir aach die Kraut krieje!" Und dann reden die übrigen Bauern, junge und alte, auf ihn ein. Er hört „Allo, mans dann, daß wir sehn, was passiert is. Und dem Salzer seinem Aber die Grek hat eine entsetzliche Angst. Sie sieht wieder das Bild vor „Georg, geh du aweil mit dene Leut mans, ich will zuerst zu deiner Fraa!" So zieht die erregte Menge hinaus auf den Friedhof. Ein Menschenknäuel Eine Weile steht er ganz starr und wortlos, und auch in der Menge verliert „Jetzert gibts net Ruh und net Rast in mir, bis Vergeltung geübt ist! Ein Da kommt auch die Hungels-Grek zum Tore herein und hält ein weiuendeß „Faß dich, Lerche, faß dich!" Aber die unglückliche Mutter drängt ihn beiseite und sinkt mit einem wilden Die Hungels-Grek weiß sich nicht zu helfen. Sie möchte trösten und kann <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322989"/> <fw type="header" place="top"> Acirl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_2889" prev="#ID_2888"> 576</p><lb/> <p xml:id="ID_2890"> In den Gassen stößt die Hungels-Grek einen gellenden Hilfeschrei aus und<lb/> sucht mit den angstrollenden Blicken die Gassen ab. Nach und nach erscheinen<lb/> ein paar verschlafene Bauern und fragen unter Gähnen, was denn nur los sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_2891"> Es dauert lange, bis sie sich aus den wirren Worten der Grek ein Bild<lb/> machen können. Je mehr Bauern sie um sich sieht, um so rascher gewinnen<lb/> Bosheit und Fanatismus die Oberhand in ihr. und ihre aufstachelnden Rache¬<lb/> worte fallen wie zündende Funken in die Seelen der Versammelten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2892"> „Seht ihr's!" sagt sie, „der Appel fällt net weit vom Stamm! 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Acirl Salzer
576
In den Gassen stößt die Hungels-Grek einen gellenden Hilfeschrei aus und
sucht mit den angstrollenden Blicken die Gassen ab. Nach und nach erscheinen
ein paar verschlafene Bauern und fragen unter Gähnen, was denn nur los sei.
Es dauert lange, bis sie sich aus den wirren Worten der Grek ein Bild
machen können. Je mehr Bauern sie um sich sieht, um so rascher gewinnen
Bosheit und Fanatismus die Oberhand in ihr. und ihre aufstachelnden Rache¬
worte fallen wie zündende Funken in die Seelen der Versammelten.
„Seht ihr's!" sagt sie, „der Appel fällt net weit vom Stamm! Ausrollen
müßt' man das ganze Salzergesindel!"
Fast ist ihr der Neffe, dem zu Hilfe zu eilen sie nicht den Mut hatte, Neben¬
sache geworden. Erst, als auch der Vater des Ermordeten, ihr Bruder, sich in
den Menschenkreis drängt, verliert sie ihre Fassung wieder.
„Ach du liewer Gott, Georg, was en Unglück I Ach du liewer Gott, dem
Bub wird doch nix Schlimmes passiert sein!"
In den Mann fährt ein heftiger Schreck. Er ballt die Faust gegen seine
Schwester und zischt:
„Mensch, wann was passiert ist, sollscht du mir aach die Kraut krieje!"
Und dann reden die übrigen Bauern, junge und alte, auf ihn ein. Er hört
zu, und als der Bericht zu Ende ist, reckt er den Arm aus und ruft:
„Allo, mans dann, daß wir sehn, was passiert is. Und dem Salzer seinem
schmeißen wir alle Rippen im Leib kaput! Grek, voran!"
Aber die Grek hat eine entsetzliche Angst. Sie sieht wieder das Bild vor
Augen, das sie durch das Friedhofstor erspäht hat, und jetzt erst fragt sie sich mit
Bangen und Zagen: wird er noch leben? Und dann fällt ihr die Mutter ein,
die sie auf das Unglück vorbereiten muß.
„Georg, geh du aweil mit dene Leut mans, ich will zuerst zu deiner Fraa!"
So zieht die erregte Menge hinaus auf den Friedhof. Ein Menschenknäuel
schließt sich um das Grab, um die Kampfesstätte. Der Vater beugt sich nieder zu
dem Sohne, und muß sehen, daß er tot ist.
Eine Weile steht er ganz starr und wortlos, und auch in der Menge verliert
sich kein Wörtchen. Stille. Bis auf einmal der Mann seine Arme in die Luft
wirft und schreit:
„Jetzert gibts net Ruh und net Rast in mir, bis Vergeltung geübt ist! Ein
Dunnerkeil muß den Hund verschmeiße, der das geschafft hat!"
Da kommt auch die Hungels-Grek zum Tore herein und hält ein weiuendeß
Weib umfangen, das sie fast forttragen muß, so schwer lehnt es wider sie. Der
Menschenring öffnet eine Gasse und läßt die beiden ein. Der Bauer nimmt sein
Weib zu sich, zwingt seine rauhe, erregte Stimme zur Milde und sagt, indem er
der Frau mit seinem breiten Rücken den schaurigen Anblick zu verdecken sucht:
„Faß dich, Lerche, faß dich!"
Aber die unglückliche Mutter drängt ihn beiseite und sinkt mit einem wilden
Aufschrei an der Seite des Kindes nieder.
Die Hungels-Grek weiß sich nicht zu helfen. Sie möchte trösten und kann
nicht. Sie möchte die weinende, schluchzende Mutter aufheben, aber die Hände
sind ihr schwer wie Blei, und sie spürt, wie eine große Verwirrung sie umnebeln will.
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