Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Karl Salzer Die Nacht ist so still, daß man jetzt die nahe Turmuhr über den Park Bem, bem, bem, dem .. . Und dann die tiefen Klänge: Bau, dazu, dazu. .. dazu! Zwölf Uhr! Mitternacht! Totenstunde! Gespensterzeit I Noch während es schlägt, packen den Burschen eisige Schauder, die ihm die Doch vielleicht steht jetzt schon ein Knochengerippe hinter ihm, ein Knochen¬ So steht er eine Weile, zitternd wie Espenlaub, die Zähne fest aufeinander Aber jetzt. .. horch, was ist das.? Man hört ein Fluddern in der Er stößt einen schrecklichen Schrei aus, über den er dann selbst wieder erschrickt. Es war ein Käuzchen, das da aus dem Gebüsche flog, nur ein Käuzchen, Die Turmuhr schlägt das erste Viertel nach Zwölf. Wie begütigend klingt Karl Salzer Die Nacht ist so still, daß man jetzt die nahe Turmuhr über den Park Bem, bem, bem, dem .. . Und dann die tiefen Klänge: Bau, dazu, dazu. .. dazu! Zwölf Uhr! Mitternacht! Totenstunde! Gespensterzeit I Noch während es schlägt, packen den Burschen eisige Schauder, die ihm die Doch vielleicht steht jetzt schon ein Knochengerippe hinter ihm, ein Knochen¬ So steht er eine Weile, zitternd wie Espenlaub, die Zähne fest aufeinander Aber jetzt. .. horch, was ist das.? Man hört ein Fluddern in der Er stößt einen schrecklichen Schrei aus, über den er dann selbst wieder erschrickt. Es war ein Käuzchen, das da aus dem Gebüsche flog, nur ein Käuzchen, Die Turmuhr schlägt das erste Viertel nach Zwölf. Wie begütigend klingt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0584" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322986"/> <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_2843"> Die Nacht ist so still, daß man jetzt die nahe Turmuhr über den Park<lb/> hinweg zum Mitternachtsschlage ausholen hört, Sie rasselt.... Sie schlägt die<lb/> vier hellen Vorschläge der ganzen Stunden!</p><lb/> <p xml:id="ID_2844"> Bem, bem, bem, dem .. .</p><lb/> <p xml:id="ID_2845"> Und dann die tiefen Klänge:</p><lb/> <p xml:id="ID_2846"> Bau, dazu, dazu. .. dazu!</p><lb/> <p xml:id="ID_2847"> Zwölf Uhr!</p><lb/> <p xml:id="ID_2848"> Mitternacht!</p><lb/> <p xml:id="ID_2849"> Totenstunde!</p><lb/> <p xml:id="ID_2850"> Gespensterzeit I</p><lb/> <p xml:id="ID_2851"> Noch während es schlägt, packen den Burschen eisige Schauder, die ihm die<lb/> Haut des Hinterkopfes zusammenziehen, wie kalte Bäche den Rücken hinunter¬<lb/> laufen und in den Lenden zerrieseln; einer nach dem anderen, ganz furchtbar.<lb/> Die Zähne klappern ihm, die Haare sträuben sich, er hört sein Blut rauschen und<lb/> seine Nerven sisseln. Hin und her wird er gerüttelt, als hätten ihn die auf¬<lb/> erstandenen Gespenster in der Zerre. Seine Augen weiten sich und quellen aus den<lb/> Höhlen hervor. Er stiert nach des Vaters Grab. Wird der jetzt auch heraus¬<lb/> kommen und, mit den Fingern auf die blutige Brust deutend, keuchend über die<lb/> Friedhofswege gehen? Wird sich leise und unheimlich die Erde heben, wie man<lb/> das sieht, wenn ein Maulwurf seinen Hügel aufwirft? Aber das Grab des Vaters<lb/> bleibt stille, nichts rührt und nichts regt sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2852"> Doch vielleicht steht jetzt schon ein Knochengerippe hinter ihm, ein Knochen¬<lb/> kerl mit dürren langen Armen und kahlem Totenschädel, aus den tiefen unheim¬<lb/> lichen Augenhöhlen entsetzlich grinsend. Karl verdreht die Augen und schielt nach<lb/> hinten. Er wagt nicht, sich herumzudrehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2853"> So steht er eine Weile, zitternd wie Espenlaub, die Zähne fest aufeinander<lb/> gebissen, damit sie nicht klappern sollen. Und dann wendet er sich doch mit einem<lb/> Ruck um — nichts ist hinter ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_2854"> Aber jetzt. .. horch, was ist das.? 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Es war nur ein Käuzchen, denkt er, nur<lb/> ein Käuzchen, und schaut sich wieder um, ob nichts Schreckhaftes zu bemerken sei.<lb/> Aber es bleibt ruhig. Seine Furcht legt sich wohl, doch schütteln ihn hin und<lb/> wieder noch eisige Schauder. Erst als die Glocke um ein Uhr die volle Stunde<lb/> schlägt, atmet er wie erlöst auf.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0584]
Karl Salzer
Die Nacht ist so still, daß man jetzt die nahe Turmuhr über den Park
hinweg zum Mitternachtsschlage ausholen hört, Sie rasselt.... Sie schlägt die
vier hellen Vorschläge der ganzen Stunden!
Bem, bem, bem, dem .. .
Und dann die tiefen Klänge:
Bau, dazu, dazu. .. dazu!
Zwölf Uhr!
Mitternacht!
Totenstunde!
Gespensterzeit I
Noch während es schlägt, packen den Burschen eisige Schauder, die ihm die
Haut des Hinterkopfes zusammenziehen, wie kalte Bäche den Rücken hinunter¬
laufen und in den Lenden zerrieseln; einer nach dem anderen, ganz furchtbar.
Die Zähne klappern ihm, die Haare sträuben sich, er hört sein Blut rauschen und
seine Nerven sisseln. Hin und her wird er gerüttelt, als hätten ihn die auf¬
erstandenen Gespenster in der Zerre. Seine Augen weiten sich und quellen aus den
Höhlen hervor. Er stiert nach des Vaters Grab. Wird der jetzt auch heraus¬
kommen und, mit den Fingern auf die blutige Brust deutend, keuchend über die
Friedhofswege gehen? Wird sich leise und unheimlich die Erde heben, wie man
das sieht, wenn ein Maulwurf seinen Hügel aufwirft? Aber das Grab des Vaters
bleibt stille, nichts rührt und nichts regt sich.
Doch vielleicht steht jetzt schon ein Knochengerippe hinter ihm, ein Knochen¬
kerl mit dürren langen Armen und kahlem Totenschädel, aus den tiefen unheim¬
lichen Augenhöhlen entsetzlich grinsend. Karl verdreht die Augen und schielt nach
hinten. Er wagt nicht, sich herumzudrehen.
So steht er eine Weile, zitternd wie Espenlaub, die Zähne fest aufeinander
gebissen, damit sie nicht klappern sollen. Und dann wendet er sich doch mit einem
Ruck um — nichts ist hinter ihm.
Aber jetzt. .. horch, was ist das.? Man hört ein Fluddern in der
Lust.. .1 Dort hinten auf dem alten Teile des Friedhofes, der verwachsen ist
mit Hecken und Büschen und verhangen von Trauerweiden, dort ist es. .. . Von
dorther wird nun ein grausiger Totenzug kommen.... Schon hört man da eine
heisere Stimme. ... Es stöhnt, ächzt. ... Es schwirrt in den Lüften. . . . Man
spürt das Wellenschlagen der bewegten Lust wie schwülen Atem. . .. Und dann
fluddert es dicht über seinem Kopfe hin. ...
Er stößt einen schrecklichen Schrei aus, über den er dann selbst wieder erschrickt.
Das wird nun alle die Toten wecken. . , . Wieder der heisere Schrei in den Lüften,
ein paarmal nacheinander... .
Es war ein Käuzchen, das da aus dem Gebüsche flog, nur ein Käuzchen,
sonst nichts.. . .
Die Turmuhr schlägt das erste Viertel nach Zwölf. Wie begütigend klingt
es dem entsetzten Burschen ins Ohr. Es war nur ein Käuzchen, denkt er, nur
ein Käuzchen, und schaut sich wieder um, ob nichts Schreckhaftes zu bemerken sei.
Aber es bleibt ruhig. Seine Furcht legt sich wohl, doch schütteln ihn hin und
wieder noch eisige Schauder. Erst als die Glocke um ein Uhr die volle Stunde
schlägt, atmet er wie erlöst auf.
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