Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Zum Verständnis Friedrich Chopins baren, wenigstens soweit es sich um seine Jugendliebe Konstanza Gladkowska Zum Verständnis Friedrich Chopins baren, wenigstens soweit es sich um seine Jugendliebe Konstanza Gladkowska <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322971"/> <fw type="header" place="top"> Zum Verständnis Friedrich Chopins</fw><lb/> <p xml:id="ID_2802" prev="#ID_2801" next="#ID_2803"> baren, wenigstens soweit es sich um seine Jugendliebe Konstanza Gladkowska<lb/> und etwas später um Maria Wodczynska handelt, uns aber doch die beiden<lb/> Frauengestalten nicht sehen lassen. Das Rührende und Heilige einer reinen<lb/> Jugendliebe, die selbst dem Herzensfreunde gegenüber sich scheut, den Namen<lb/> des „Ideals" auszusprechen, kommt so recht zum Ausdruck in einem Briefe an<lb/> Jan Maluszynski, von dem er, wie es scheint, irgendwelche besorgliche Nachricht<lb/> erhalten hat: „Eine Stelle in Deinem Briefe hat mich sehr betrübt. Ist in der<lb/> Tat wenigstens eine gewisse Veränderung eingetreten? War man nicht etwa<lb/> krank? Bei einem so gefühlvollen Geschöpfe würde ich es leicht annehmen. Doch<lb/> vielleicht schien es Dir nur so. Vielleicht war es nur der Schrecken des 29?<lb/> Denn Gott wolle verhüten, daß ich die Ursache gewesen sein soll. Beruhige sie.<lb/> sage ihr, daß so lange meine Kräfte hinreichen, daß ich bis zum Tode ... daß<lb/> ich noch nach meinem Tode meine Asche unter ihre Füße streuen werde. Doch<lb/> das ist noch zu wenig, was Du ihr sagen könntest, ich will selber schreiben."<lb/> So schreibt man nur in der holden Überschwänglichkeit eines zwanzigjährigen<lb/> Herzens. Leider sind die Briefe an Konstanz« verloren gegangen; obwohl sie<lb/> sich anderweitig verheiratet hatte, müssen sie ihr sehr wertvoll gewesen sein, da<lb/> sie sie vor ihren: Tode vernichtet hat, auf daß nicht, was nach ihren eigenen<lb/> Worten den Stolz ihres Lebens bildete, nach ihrem Tode der Neugier der Welt<lb/> preisgegeben werde. Auch der Meister hat die Schwärmerei für sie noch jahre¬<lb/> lang in seinem Herzen bewahrt. Nicht minder tief war seine Liebe zu Maria<lb/> Wodczynska. mit der er sich 1835 in Dresden verlobt hatte, aber auch ebenso<lb/> unglücklich, da Graf Wodcznnski mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand<lb/> Chopins das Verlöbnis wieder löste. Wie Chopin diesen Schmerz verwunden<lb/> hat, darüber fehlt in den Briefen jede Andeutung. Und ebensowenig äußert<lb/> er sich über sein Verhältnis zu Madame Düdevant aliaZ George Sand, wie sie<lb/> sich als Schriftstellerin nannte, die ihn in Paris in den Bann ihrer faszinierenden<lb/> Persönlichkeit gezogen hatte. Das Verhältnis dauerte etwa zehn Jahre, von<lb/> 1836 bis 1847, wo es zum Bruche zwischen beiden kam; die Ursache erfahren<lb/> wir aus den Briefen an seine Angehörigen in breiter Ausführlichkeit. Es würde<lb/> zu weit führen, auf die unerquicklichen, zum Teil skandalösen Geschichten in der<lb/> Familie der Sand einzugehen, Schuld liegt auf beiden Seiten, aber Chopin hat<lb/> sicher nicht unrecht, wenn er behauptet, daß sein Eintreten für die von der Sand<lb/> gemißbilligte Heirat ihrer Tochter Solange mit dem Bildhauer Clösinger der<lb/> Dichterin die erwünschte Gelegenheit geboten habe, die Tochter und den unbequem<lb/> gewordenen Freund loszuwerden. Kurz, der Roman endete, wie es bei zwei<lb/> im Grunde so ganz und gar nicht füreinander geschaffenen Menschen voraus¬<lb/> zusehen war, mit einer schrillen Dissonanz, und die Bitterkeit, mit der der<lb/> Meister zuletzt über die langjährige Freundin urteilt, ist vielleicht nicht immer<lb/> ganz gerecht, aber von seinem Standpunkt aus wohl erklärlich. In Liebes-<lb/> anMegenheiten war Chopin keineswegs leichtsinnig, und als er erkennen mußte,<lb/> daß e^> doch nicht Liebe im höchsten Sinne gewesen, was ihn mit Frau Sand</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0569]
Zum Verständnis Friedrich Chopins
baren, wenigstens soweit es sich um seine Jugendliebe Konstanza Gladkowska
und etwas später um Maria Wodczynska handelt, uns aber doch die beiden
Frauengestalten nicht sehen lassen. Das Rührende und Heilige einer reinen
Jugendliebe, die selbst dem Herzensfreunde gegenüber sich scheut, den Namen
des „Ideals" auszusprechen, kommt so recht zum Ausdruck in einem Briefe an
Jan Maluszynski, von dem er, wie es scheint, irgendwelche besorgliche Nachricht
erhalten hat: „Eine Stelle in Deinem Briefe hat mich sehr betrübt. Ist in der
Tat wenigstens eine gewisse Veränderung eingetreten? War man nicht etwa
krank? Bei einem so gefühlvollen Geschöpfe würde ich es leicht annehmen. Doch
vielleicht schien es Dir nur so. Vielleicht war es nur der Schrecken des 29?
Denn Gott wolle verhüten, daß ich die Ursache gewesen sein soll. Beruhige sie.
sage ihr, daß so lange meine Kräfte hinreichen, daß ich bis zum Tode ... daß
ich noch nach meinem Tode meine Asche unter ihre Füße streuen werde. Doch
das ist noch zu wenig, was Du ihr sagen könntest, ich will selber schreiben."
So schreibt man nur in der holden Überschwänglichkeit eines zwanzigjährigen
Herzens. Leider sind die Briefe an Konstanz« verloren gegangen; obwohl sie
sich anderweitig verheiratet hatte, müssen sie ihr sehr wertvoll gewesen sein, da
sie sie vor ihren: Tode vernichtet hat, auf daß nicht, was nach ihren eigenen
Worten den Stolz ihres Lebens bildete, nach ihrem Tode der Neugier der Welt
preisgegeben werde. Auch der Meister hat die Schwärmerei für sie noch jahre¬
lang in seinem Herzen bewahrt. Nicht minder tief war seine Liebe zu Maria
Wodczynska. mit der er sich 1835 in Dresden verlobt hatte, aber auch ebenso
unglücklich, da Graf Wodcznnski mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand
Chopins das Verlöbnis wieder löste. Wie Chopin diesen Schmerz verwunden
hat, darüber fehlt in den Briefen jede Andeutung. Und ebensowenig äußert
er sich über sein Verhältnis zu Madame Düdevant aliaZ George Sand, wie sie
sich als Schriftstellerin nannte, die ihn in Paris in den Bann ihrer faszinierenden
Persönlichkeit gezogen hatte. Das Verhältnis dauerte etwa zehn Jahre, von
1836 bis 1847, wo es zum Bruche zwischen beiden kam; die Ursache erfahren
wir aus den Briefen an seine Angehörigen in breiter Ausführlichkeit. Es würde
zu weit führen, auf die unerquicklichen, zum Teil skandalösen Geschichten in der
Familie der Sand einzugehen, Schuld liegt auf beiden Seiten, aber Chopin hat
sicher nicht unrecht, wenn er behauptet, daß sein Eintreten für die von der Sand
gemißbilligte Heirat ihrer Tochter Solange mit dem Bildhauer Clösinger der
Dichterin die erwünschte Gelegenheit geboten habe, die Tochter und den unbequem
gewordenen Freund loszuwerden. Kurz, der Roman endete, wie es bei zwei
im Grunde so ganz und gar nicht füreinander geschaffenen Menschen voraus¬
zusehen war, mit einer schrillen Dissonanz, und die Bitterkeit, mit der der
Meister zuletzt über die langjährige Freundin urteilt, ist vielleicht nicht immer
ganz gerecht, aber von seinem Standpunkt aus wohl erklärlich. In Liebes-
anMegenheiten war Chopin keineswegs leichtsinnig, und als er erkennen mußte,
daß e^> doch nicht Liebe im höchsten Sinne gewesen, was ihn mit Frau Sand
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |