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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Erneuerung des Dreibundes

Italien sich entwickelt und von dem guten Willen der anderen Miltelmeermächte
unabhängig wird, desto seltener wird es in die Lage kommen, den Versuchungen
französischer Freundschaft zu erliegen, desto wertvoller wird ihm die positive
Sicherung gegen Angriffe und Übergriffe sein, die es durch das gute Schwert
der Bundesgenossen im Norden erhält. Es war deshalb zu bedauern, daß
unsere deutsche Presse zu einem großen Teil die Kurzsichtigkeit beging, aus
einer falschen Sentimentalität für die Türkei die Aktion der Italiener in Tripolis
zu tadeln. Durch die Zusage der Nichtbehinderung dieser Aktion hatten die
Westmächte Italien sich halb verpflichtet, wie wir zu unserem Schaden in
Algeciras erfahren haben. Die tatsächliche Erwerbung von Tripolis hat Italien
nach dieser Seite seine Freiheit zurückgegeben und seine Mittelmeerstellung so
weit gestärkt, daß ihm die Verständigung mit Österreich-Ungarn jederzeit vor¬
teilhafter sein muß als eine Freundschaft mit Frankreich, die für ein auf sich
allein gestelltes Italien notwendig eine Abhängigkeit von Frankreich sein muß.

Aus dem allen ist zu ersehen, daß die einfachen Grundgedanken des Drei-
bunds wirklich trotz der vielen Änderungen in den politischen Verhältnissen noch
immer ihren Wert behalten haben. Und so ist durch die lange Dauer dieses
Verhältnisses allmählich auch jene schon angedeutete Wirkung eingetreten, die in dem
Vertrage selbst nicht enthalten ist, sondern über ihn hinausgeht: daß sich nämlich
daraus ein allgemeines politisches Vertrauensverhältnis der beteiligten Regierungen
ergeben wird, das im Hinblick aus die Gegenkoalition der Tripelentente von
höchster Bedeutung geworden ist. Das wird auch allgemein anerkannt. Über¬
empfindliche nationale Politiker beklagen freilich, daß der Schwerpunkt des
Dreibundes jetzt nach Wien hinübergeglitten sein soll. Wir haben Zeiten
gehabt, in denen diese Klage berechtigter war als jetzt, als man einstmals,
etwas zur Unzeit, dem Bündnis mit Österreich den Gedanken einer allgemeinen
Verbrüderung der beiden Reiche unterlegte. Jetzt ist die Befürchtung grundlos.
Wien steht im Mittelpunkte, well zufällig eine Frage im Vordergrunde ist, die
Österreich zunächst berührt. Deshalb kann doch das politische Gewicht des Drei¬
bundes vorzugsweise in den Entscheidungen enthalten sein, die in Berlin fallen.
Wir haben allen Grund, mit der Gestaltung dieser Bundessragen zufrieden zu
sein, und wollen hoffen, daß diese Konstellation noch lange ihre Bedeutung behält.




Grenzboten IV 19127t
Die Erneuerung des Dreibundes

Italien sich entwickelt und von dem guten Willen der anderen Miltelmeermächte
unabhängig wird, desto seltener wird es in die Lage kommen, den Versuchungen
französischer Freundschaft zu erliegen, desto wertvoller wird ihm die positive
Sicherung gegen Angriffe und Übergriffe sein, die es durch das gute Schwert
der Bundesgenossen im Norden erhält. Es war deshalb zu bedauern, daß
unsere deutsche Presse zu einem großen Teil die Kurzsichtigkeit beging, aus
einer falschen Sentimentalität für die Türkei die Aktion der Italiener in Tripolis
zu tadeln. Durch die Zusage der Nichtbehinderung dieser Aktion hatten die
Westmächte Italien sich halb verpflichtet, wie wir zu unserem Schaden in
Algeciras erfahren haben. Die tatsächliche Erwerbung von Tripolis hat Italien
nach dieser Seite seine Freiheit zurückgegeben und seine Mittelmeerstellung so
weit gestärkt, daß ihm die Verständigung mit Österreich-Ungarn jederzeit vor¬
teilhafter sein muß als eine Freundschaft mit Frankreich, die für ein auf sich
allein gestelltes Italien notwendig eine Abhängigkeit von Frankreich sein muß.

Aus dem allen ist zu ersehen, daß die einfachen Grundgedanken des Drei-
bunds wirklich trotz der vielen Änderungen in den politischen Verhältnissen noch
immer ihren Wert behalten haben. Und so ist durch die lange Dauer dieses
Verhältnisses allmählich auch jene schon angedeutete Wirkung eingetreten, die in dem
Vertrage selbst nicht enthalten ist, sondern über ihn hinausgeht: daß sich nämlich
daraus ein allgemeines politisches Vertrauensverhältnis der beteiligten Regierungen
ergeben wird, das im Hinblick aus die Gegenkoalition der Tripelentente von
höchster Bedeutung geworden ist. Das wird auch allgemein anerkannt. Über¬
empfindliche nationale Politiker beklagen freilich, daß der Schwerpunkt des
Dreibundes jetzt nach Wien hinübergeglitten sein soll. Wir haben Zeiten
gehabt, in denen diese Klage berechtigter war als jetzt, als man einstmals,
etwas zur Unzeit, dem Bündnis mit Österreich den Gedanken einer allgemeinen
Verbrüderung der beiden Reiche unterlegte. Jetzt ist die Befürchtung grundlos.
Wien steht im Mittelpunkte, well zufällig eine Frage im Vordergrunde ist, die
Österreich zunächst berührt. Deshalb kann doch das politische Gewicht des Drei¬
bundes vorzugsweise in den Entscheidungen enthalten sein, die in Berlin fallen.
Wir haben allen Grund, mit der Gestaltung dieser Bundessragen zufrieden zu
sein, und wollen hoffen, daß diese Konstellation noch lange ihre Bedeutung behält.




Grenzboten IV 19127t
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[0564] Die Erneuerung des Dreibundes Italien sich entwickelt und von dem guten Willen der anderen Miltelmeermächte unabhängig wird, desto seltener wird es in die Lage kommen, den Versuchungen französischer Freundschaft zu erliegen, desto wertvoller wird ihm die positive Sicherung gegen Angriffe und Übergriffe sein, die es durch das gute Schwert der Bundesgenossen im Norden erhält. Es war deshalb zu bedauern, daß unsere deutsche Presse zu einem großen Teil die Kurzsichtigkeit beging, aus einer falschen Sentimentalität für die Türkei die Aktion der Italiener in Tripolis zu tadeln. Durch die Zusage der Nichtbehinderung dieser Aktion hatten die Westmächte Italien sich halb verpflichtet, wie wir zu unserem Schaden in Algeciras erfahren haben. Die tatsächliche Erwerbung von Tripolis hat Italien nach dieser Seite seine Freiheit zurückgegeben und seine Mittelmeerstellung so weit gestärkt, daß ihm die Verständigung mit Österreich-Ungarn jederzeit vor¬ teilhafter sein muß als eine Freundschaft mit Frankreich, die für ein auf sich allein gestelltes Italien notwendig eine Abhängigkeit von Frankreich sein muß. Aus dem allen ist zu ersehen, daß die einfachen Grundgedanken des Drei- bunds wirklich trotz der vielen Änderungen in den politischen Verhältnissen noch immer ihren Wert behalten haben. Und so ist durch die lange Dauer dieses Verhältnisses allmählich auch jene schon angedeutete Wirkung eingetreten, die in dem Vertrage selbst nicht enthalten ist, sondern über ihn hinausgeht: daß sich nämlich daraus ein allgemeines politisches Vertrauensverhältnis der beteiligten Regierungen ergeben wird, das im Hinblick aus die Gegenkoalition der Tripelentente von höchster Bedeutung geworden ist. Das wird auch allgemein anerkannt. Über¬ empfindliche nationale Politiker beklagen freilich, daß der Schwerpunkt des Dreibundes jetzt nach Wien hinübergeglitten sein soll. Wir haben Zeiten gehabt, in denen diese Klage berechtigter war als jetzt, als man einstmals, etwas zur Unzeit, dem Bündnis mit Österreich den Gedanken einer allgemeinen Verbrüderung der beiden Reiche unterlegte. Jetzt ist die Befürchtung grundlos. Wien steht im Mittelpunkte, well zufällig eine Frage im Vordergrunde ist, die Österreich zunächst berührt. Deshalb kann doch das politische Gewicht des Drei¬ bundes vorzugsweise in den Entscheidungen enthalten sein, die in Berlin fallen. Wir haben allen Grund, mit der Gestaltung dieser Bundessragen zufrieden zu sein, und wollen hoffen, daß diese Konstellation noch lange ihre Bedeutung behält. Grenzboten IV 19127t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/564>, abgerufen am 15.01.2025.