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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Erneuerung des Dreibundes

lösung des Dreibundes bringen würde. Daß der Bund erneuert werden sollte,
stand für alle einigermaßen unterrichteten Kreise bereits fest. Aber es war in
der gegenwärtigen Lage nicht ohne Bedeutung, daß darüber sofort und vor
aller Welt Klarheit geschaffen wurde. Nicht etwa nur im Sinne einer poli¬
tischen Demonstration gegenüber den Gegnern des Dreibundes, die zwar
schwerlich selbst an seine Auflösung glaubten, aber es vielleicht gern gesehen
hätten, wenn die breite Öffentlichkeit darüber im Zweifel geblieben wäre. Die
Veröffentlichung der vollzogenen Tatsache war auch im entgegengesetzten Sinne
von Bedeutung. Sie schnitt unbegründete und nach verschiedenen Richtungen
hin schädlich wirkende Erwartungen ab, wonach den Dreibundmächten die Ab¬
sicht zugeschrieben wurde, daß sie Grundlagen und Ziele des Vertrages er¬
weitern wollten. Es war also wichtig, jedermann wissen zu lassen, daß der
Dreibund nicht nur überhaupt fortbestehen, sondern auf der alten Grundlage
fortbestehen werde.

Seit dreißig Jahren ist uns die Vorstellung, daß Österreich-Ungarn und
Italien unsere Verbündeten sind, so geläufig geworden, daß man erwarten
sollte, über die Besonderheiten dieser gegenseitigen Verpflichtungen könne kaum
noch ein Zweifel bestehen. Und doch kann man sich bei jedem Gespräch, das
diese Fragen berührt, selbst unter hochgebildeten Persönlichkeiten häufig genug
überzeugen, daß das durchaus nicht der Fall ist. Es ist nun einmal so: die
meisten beurteilen derartige Fragen vom Gefühlsstandpunkt. Wir Deutschen
sind ja ein so ungemein friedfertiges Volk. In einer längeren Unterredung,
die ich im Sommer 1911 mit einem jungtürkischen Politiker über die Ver¬
hältnisse der modernen Türkei hatte, gebrauchte dieser mir gegenüber u. a. die
hübsch geprägte Wendung: "I^c>u8 8vmmo8 belliquoux, msiZ nous ne voulons
MS ig, Zum-e." Ich glaube, wir können dieses Wort mit noch größeren! Recht
für uns in Anspruch nehmen. Alle weichlichen Deklamationen haben uns bis
jetzt -- Gott sei Dank -- den kriegerischen Sinn nicht austreiben können, und
der Gedanke eines Krieges, wenn er notwendig ist, flößt uns keine Furcht ein.
Aber wir wollen doch gar zu gern mit aller Welt Frieden haben. Darum
hören wir es besonders gern, daß wir bestimmte Mächte als unsere Freunde
betrachten können und mit ihnen im Falle eines Krieges Seite an Seite fechten
werden. Wir sind überdies vom Ausland nicht verwöhnt. Daß die Völker
im allgemeinen wenig Verständnis für einander haben und sich in den Organen
der öffentlichen Meinung gelegentlich mit allen Mitteln, die der Federkrieg an
die Hand gibt, gegenseitig heftig bekämpfen, ist ja nirgends in der Welt etwas
Ungewöhnliches. Uns Deutschen gegenüber aber tut die ausländische Presse
gern noch ein übriges, indem sie solche Fehden mit einer Gehässigkeit betreibt,
die weniger als irgendwo sonst davor zurücksehend, den Gipfel der Abgeschmacktheit
und des lächerlichen Blödsinns zu ersteigen. Wenn Blätter wie die Times,
Nowoje Wremja und Konsorten das Bedürfnis fühlen, die Leichtgläubigkeit ihrer
Leser auf harte Proben zu stellen, so ziehen sie sich anderen Ländern gegen-


Die Erneuerung des Dreibundes

lösung des Dreibundes bringen würde. Daß der Bund erneuert werden sollte,
stand für alle einigermaßen unterrichteten Kreise bereits fest. Aber es war in
der gegenwärtigen Lage nicht ohne Bedeutung, daß darüber sofort und vor
aller Welt Klarheit geschaffen wurde. Nicht etwa nur im Sinne einer poli¬
tischen Demonstration gegenüber den Gegnern des Dreibundes, die zwar
schwerlich selbst an seine Auflösung glaubten, aber es vielleicht gern gesehen
hätten, wenn die breite Öffentlichkeit darüber im Zweifel geblieben wäre. Die
Veröffentlichung der vollzogenen Tatsache war auch im entgegengesetzten Sinne
von Bedeutung. Sie schnitt unbegründete und nach verschiedenen Richtungen
hin schädlich wirkende Erwartungen ab, wonach den Dreibundmächten die Ab¬
sicht zugeschrieben wurde, daß sie Grundlagen und Ziele des Vertrages er¬
weitern wollten. Es war also wichtig, jedermann wissen zu lassen, daß der
Dreibund nicht nur überhaupt fortbestehen, sondern auf der alten Grundlage
fortbestehen werde.

Seit dreißig Jahren ist uns die Vorstellung, daß Österreich-Ungarn und
Italien unsere Verbündeten sind, so geläufig geworden, daß man erwarten
sollte, über die Besonderheiten dieser gegenseitigen Verpflichtungen könne kaum
noch ein Zweifel bestehen. Und doch kann man sich bei jedem Gespräch, das
diese Fragen berührt, selbst unter hochgebildeten Persönlichkeiten häufig genug
überzeugen, daß das durchaus nicht der Fall ist. Es ist nun einmal so: die
meisten beurteilen derartige Fragen vom Gefühlsstandpunkt. Wir Deutschen
sind ja ein so ungemein friedfertiges Volk. In einer längeren Unterredung,
die ich im Sommer 1911 mit einem jungtürkischen Politiker über die Ver¬
hältnisse der modernen Türkei hatte, gebrauchte dieser mir gegenüber u. a. die
hübsch geprägte Wendung: „I^c>u8 8vmmo8 belliquoux, msiZ nous ne voulons
MS ig, Zum-e." Ich glaube, wir können dieses Wort mit noch größeren! Recht
für uns in Anspruch nehmen. Alle weichlichen Deklamationen haben uns bis
jetzt — Gott sei Dank — den kriegerischen Sinn nicht austreiben können, und
der Gedanke eines Krieges, wenn er notwendig ist, flößt uns keine Furcht ein.
Aber wir wollen doch gar zu gern mit aller Welt Frieden haben. Darum
hören wir es besonders gern, daß wir bestimmte Mächte als unsere Freunde
betrachten können und mit ihnen im Falle eines Krieges Seite an Seite fechten
werden. Wir sind überdies vom Ausland nicht verwöhnt. Daß die Völker
im allgemeinen wenig Verständnis für einander haben und sich in den Organen
der öffentlichen Meinung gelegentlich mit allen Mitteln, die der Federkrieg an
die Hand gibt, gegenseitig heftig bekämpfen, ist ja nirgends in der Welt etwas
Ungewöhnliches. Uns Deutschen gegenüber aber tut die ausländische Presse
gern noch ein übriges, indem sie solche Fehden mit einer Gehässigkeit betreibt,
die weniger als irgendwo sonst davor zurücksehend, den Gipfel der Abgeschmacktheit
und des lächerlichen Blödsinns zu ersteigen. Wenn Blätter wie die Times,
Nowoje Wremja und Konsorten das Bedürfnis fühlen, die Leichtgläubigkeit ihrer
Leser auf harte Proben zu stellen, so ziehen sie sich anderen Ländern gegen-


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[0557] Die Erneuerung des Dreibundes lösung des Dreibundes bringen würde. Daß der Bund erneuert werden sollte, stand für alle einigermaßen unterrichteten Kreise bereits fest. Aber es war in der gegenwärtigen Lage nicht ohne Bedeutung, daß darüber sofort und vor aller Welt Klarheit geschaffen wurde. Nicht etwa nur im Sinne einer poli¬ tischen Demonstration gegenüber den Gegnern des Dreibundes, die zwar schwerlich selbst an seine Auflösung glaubten, aber es vielleicht gern gesehen hätten, wenn die breite Öffentlichkeit darüber im Zweifel geblieben wäre. Die Veröffentlichung der vollzogenen Tatsache war auch im entgegengesetzten Sinne von Bedeutung. Sie schnitt unbegründete und nach verschiedenen Richtungen hin schädlich wirkende Erwartungen ab, wonach den Dreibundmächten die Ab¬ sicht zugeschrieben wurde, daß sie Grundlagen und Ziele des Vertrages er¬ weitern wollten. Es war also wichtig, jedermann wissen zu lassen, daß der Dreibund nicht nur überhaupt fortbestehen, sondern auf der alten Grundlage fortbestehen werde. Seit dreißig Jahren ist uns die Vorstellung, daß Österreich-Ungarn und Italien unsere Verbündeten sind, so geläufig geworden, daß man erwarten sollte, über die Besonderheiten dieser gegenseitigen Verpflichtungen könne kaum noch ein Zweifel bestehen. Und doch kann man sich bei jedem Gespräch, das diese Fragen berührt, selbst unter hochgebildeten Persönlichkeiten häufig genug überzeugen, daß das durchaus nicht der Fall ist. Es ist nun einmal so: die meisten beurteilen derartige Fragen vom Gefühlsstandpunkt. Wir Deutschen sind ja ein so ungemein friedfertiges Volk. In einer längeren Unterredung, die ich im Sommer 1911 mit einem jungtürkischen Politiker über die Ver¬ hältnisse der modernen Türkei hatte, gebrauchte dieser mir gegenüber u. a. die hübsch geprägte Wendung: „I^c>u8 8vmmo8 belliquoux, msiZ nous ne voulons MS ig, Zum-e." Ich glaube, wir können dieses Wort mit noch größeren! Recht für uns in Anspruch nehmen. Alle weichlichen Deklamationen haben uns bis jetzt — Gott sei Dank — den kriegerischen Sinn nicht austreiben können, und der Gedanke eines Krieges, wenn er notwendig ist, flößt uns keine Furcht ein. Aber wir wollen doch gar zu gern mit aller Welt Frieden haben. Darum hören wir es besonders gern, daß wir bestimmte Mächte als unsere Freunde betrachten können und mit ihnen im Falle eines Krieges Seite an Seite fechten werden. Wir sind überdies vom Ausland nicht verwöhnt. Daß die Völker im allgemeinen wenig Verständnis für einander haben und sich in den Organen der öffentlichen Meinung gelegentlich mit allen Mitteln, die der Federkrieg an die Hand gibt, gegenseitig heftig bekämpfen, ist ja nirgends in der Welt etwas Ungewöhnliches. Uns Deutschen gegenüber aber tut die ausländische Presse gern noch ein übriges, indem sie solche Fehden mit einer Gehässigkeit betreibt, die weniger als irgendwo sonst davor zurücksehend, den Gipfel der Abgeschmacktheit und des lächerlichen Blödsinns zu ersteigen. Wenn Blätter wie die Times, Nowoje Wremja und Konsorten das Bedürfnis fühlen, die Leichtgläubigkeit ihrer Leser auf harte Proben zu stellen, so ziehen sie sich anderen Ländern gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/557>, abgerufen am 15.01.2025.