Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches eine urpersönliche Formel zu bringen; als doch so viel Persönliches und Wertvolles, daß Von allem anderen abgesehen: das Jedesmal, wenn man Hartleben liest, kehrt Dr. Arthur westxha Der Hofrat schlief draußen vor der Stadt Grenzboten IV 1912,69
Maßgebliches und Unmaßgebliches eine urpersönliche Formel zu bringen; als doch so viel Persönliches und Wertvolles, daß Von allem anderen abgesehen: das Jedesmal, wenn man Hartleben liest, kehrt Dr. Arthur westxha Der Hofrat schlief draußen vor der Stadt Grenzboten IV 1912,69
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322950"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2748" prev="#ID_2747" next="#ID_2749"> eine urpersönliche Formel zu bringen; als<lb/> das grundehrliche Dokument eines liebens¬<lb/> werten Menschen, der es verstanden hat, das<lb/> eigene Dasein, wie unabsichtlich, zum Kunst¬<lb/> werk zu adeln; als die natürliche Ergänzung<lb/> einer dichterischen Physiognomie, für die<lb/> Mensch-Sein und Künstler-Sein niemals zu<lb/> trennen gewesen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2749" prev="#ID_2748"> doch so viel Persönliches und Wertvolles, daß<lb/> man den Sammlern Dank weiß, wenn sie<lb/> die in alle Welt verstreuten Grüße nicht in<lb/> irgendwelchen Postkartenalbums verschimmeln<lb/> liehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2750"> Von allem anderen abgesehen: das<lb/> Buch gibt einen humorfreudigen Kommentar<lb/> zu der Entwicklung des neudeutschen Natu¬<lb/> ralismus, in dessen ungebärdige Kreise der<lb/> blutjunge Referendar Hartleben seinerzeit<lb/> siegesgewiß einsprang. Es gibt die Silhouetten<lb/> jener Dichtorgeneration, die sich in der gemein¬<lb/> samen Sehnsucht nach der Morgenröte einer<lb/> neuen deutschen Kunst zusammenfand. Es<lb/> wirft — hier ernst, dort scherzhaft, immer<lb/> aber mit unbestechlicher Treffsicherheit —<lb/> allerlei Schlaglichter auf menschliche und künst¬<lb/> lerische Beziehungen, die heute schon fast der<lb/> Literaturgeschichte angehören. ES wirkt un¬<lb/> gemein wohltuend in der saloppen aphoristi¬<lb/> schen Art, wie es Stellung nimmt zur Lite¬<lb/> ratur, zur Presse, zum Theater, zur Politik<lb/> und zu hundert anderen Dingen. Man fühlt<lb/> leibhaftig, daß das alles wahr, daß es mit<lb/> gesunden Instinkten erschaut und erlebt worden<lb/> ist. Und man spürt — nehmt alles in allem —<lb/> auch den Glanz voll wehmütiger Schönheit,<lb/> der schließlich selbst die ausgelassensten Fide-<lb/> litätSeinfälle dieses Buches adelt. Man spürt<lb/> ihn, weil man das melancholische Schicksal<lb/> kennt, das den Menschen und Dichter Otto<lb/> Erich vor der Zeit an den Hemmungen seiner<lb/> Natur scheitern ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_2751"> Jedesmal, wenn man Hartleben liest, kehrt<lb/> ja das eine große Gefühl wieder: Welch ein<lb/> Prachtkerl muß das gewesen sein! Der un¬<lb/> erschrockene Wille zum intelligenten Optimis¬<lb/> mus, der ihn beseelt, das heuchelfreie Be¬<lb/> kenntnis zu sich selbst und seiner prachtvoll<lb/> germanischen Art, sein unbekümmert spru¬<lb/> delndes Temperament, das sich hin und wieder<lb/> in dem breiten Lachen des berufenen Philister-<lb/> tölers auslöst — das alles gibt jeder Zeile,<lb/> die von ihm ausgegangen ist, ihren unzerstör¬<lb/> baren Persönlichkeitswert. In seinen Ge¬<lb/> dichten, in seinen Novellen, in seinen Dramen<lb/> glitzern und schimmern die, wenn man so<lb/> sagen darf, gesellschaftlichen Talente seiner<lb/> Menschlichkeit. Das Wort vom ewigen Stu¬<lb/> denten, das man auf ihn geprägt hat, stimmt<lb/> freilich, wie alle Schlagworte, nur zum Teil.<lb/> Aber eS erschöpft jedenfalls jene eine und,<lb/> wie uns scheint, nicht unwesentlichste Seite<lb/> seiner Begabung, die dem Leser gerade aus<lb/> seinen privaten Aufzeichnungen wie frische<lb/> Bergluft entgegenweht. Die Hartlebenschen<lb/> Tagebücher und die Briefe an seine Frau<lb/> liegen der Öffentlichkeit seit längerer Zeit vor.<lb/> Die „Briefe an Freunde", die der Verlag<lb/> Fischer jetzt herausgibt, bringen, wie zu er¬<lb/> warten stand, in das längst fertig umrissene<lb/> Bild der Hartlebenschen Persönlichkeit keine<lb/> neuen Nuancen. Aber sie find trotzdem eine<lb/> willkommene Ergänzung und werden von<lb/> jedem, dem der Mensch und Dichter Hart¬<lb/> leben überhaupt etwas zu sagen hat, als<lb/> beschert gern und dankbar entgegengenommen<lb/> werden. Wie gesagt: ästhetisch betrachtet<lb/> wiegen sie mitsamt ihrer alkoholfeuchten Atmo¬<lb/> sphäre nicht schwer. Und das einzige, was<lb/> man als doktrinärer Kunstrichter vor dem<lb/> umfangreichen Bande feststellen könnte, wäre:<lb/> daß die Deutschen in Otto Erich Hartleben<lb/> den Klassiker der Bierkarte gefunden haben.<lb/> Aber aus diesen mit oft herzerfrischender Komik<lb/> hingeschleuderten Improvisationen schält sich</p><lb/> <note type="byline"> Dr. Arthur westxha</note><lb/> <p xml:id="ID_2752" next="#ID_2753"> Der Hofrat schlief draußen vor der Stadt<lb/> auf dem Platz der stillen Leute. Aber hätte<lb/> er auch ein wenig gewacht und gesehen, wie<lb/> Lotte und Liese über seinen Nachlaß herfielen,<lb/> die Märchen lasen, die so gut verwahrt in<lb/> seinem Schreibpult geruht hatten, und nicht<lb/> gerade wohlwollend begutachteten, er würde<lb/> den jungen Mädchen ihre Bemerkungen gar<lb/> nicht übel genommen haben. „Denn erstens<lb/> ist eS überhaupt nicht so leicht, ganz jungen<lb/> Mädchen un? ihres Übermutes willen böse<lb/> zu werden, und für vernünftige Leute viel¬<lb/> leicht am wenigsten.... Zweitens aber war<lb/> der Hofrat selbst der Zeit längst entwachsen<lb/> gewesen, wo ihm seine kleinen Erlebnisse sich<lb/> zu märchenhaften Geschichten gestalteten. Ge°</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1912,69</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0548]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
eine urpersönliche Formel zu bringen; als
das grundehrliche Dokument eines liebens¬
werten Menschen, der es verstanden hat, das
eigene Dasein, wie unabsichtlich, zum Kunst¬
werk zu adeln; als die natürliche Ergänzung
einer dichterischen Physiognomie, für die
Mensch-Sein und Künstler-Sein niemals zu
trennen gewesen ist.
doch so viel Persönliches und Wertvolles, daß
man den Sammlern Dank weiß, wenn sie
die in alle Welt verstreuten Grüße nicht in
irgendwelchen Postkartenalbums verschimmeln
liehen.
Von allem anderen abgesehen: das
Buch gibt einen humorfreudigen Kommentar
zu der Entwicklung des neudeutschen Natu¬
ralismus, in dessen ungebärdige Kreise der
blutjunge Referendar Hartleben seinerzeit
siegesgewiß einsprang. Es gibt die Silhouetten
jener Dichtorgeneration, die sich in der gemein¬
samen Sehnsucht nach der Morgenröte einer
neuen deutschen Kunst zusammenfand. Es
wirft — hier ernst, dort scherzhaft, immer
aber mit unbestechlicher Treffsicherheit —
allerlei Schlaglichter auf menschliche und künst¬
lerische Beziehungen, die heute schon fast der
Literaturgeschichte angehören. ES wirkt un¬
gemein wohltuend in der saloppen aphoristi¬
schen Art, wie es Stellung nimmt zur Lite¬
ratur, zur Presse, zum Theater, zur Politik
und zu hundert anderen Dingen. Man fühlt
leibhaftig, daß das alles wahr, daß es mit
gesunden Instinkten erschaut und erlebt worden
ist. Und man spürt — nehmt alles in allem —
auch den Glanz voll wehmütiger Schönheit,
der schließlich selbst die ausgelassensten Fide-
litätSeinfälle dieses Buches adelt. Man spürt
ihn, weil man das melancholische Schicksal
kennt, das den Menschen und Dichter Otto
Erich vor der Zeit an den Hemmungen seiner
Natur scheitern ließ.
Jedesmal, wenn man Hartleben liest, kehrt
ja das eine große Gefühl wieder: Welch ein
Prachtkerl muß das gewesen sein! Der un¬
erschrockene Wille zum intelligenten Optimis¬
mus, der ihn beseelt, das heuchelfreie Be¬
kenntnis zu sich selbst und seiner prachtvoll
germanischen Art, sein unbekümmert spru¬
delndes Temperament, das sich hin und wieder
in dem breiten Lachen des berufenen Philister-
tölers auslöst — das alles gibt jeder Zeile,
die von ihm ausgegangen ist, ihren unzerstör¬
baren Persönlichkeitswert. In seinen Ge¬
dichten, in seinen Novellen, in seinen Dramen
glitzern und schimmern die, wenn man so
sagen darf, gesellschaftlichen Talente seiner
Menschlichkeit. Das Wort vom ewigen Stu¬
denten, das man auf ihn geprägt hat, stimmt
freilich, wie alle Schlagworte, nur zum Teil.
Aber eS erschöpft jedenfalls jene eine und,
wie uns scheint, nicht unwesentlichste Seite
seiner Begabung, die dem Leser gerade aus
seinen privaten Aufzeichnungen wie frische
Bergluft entgegenweht. Die Hartlebenschen
Tagebücher und die Briefe an seine Frau
liegen der Öffentlichkeit seit längerer Zeit vor.
Die „Briefe an Freunde", die der Verlag
Fischer jetzt herausgibt, bringen, wie zu er¬
warten stand, in das längst fertig umrissene
Bild der Hartlebenschen Persönlichkeit keine
neuen Nuancen. Aber sie find trotzdem eine
willkommene Ergänzung und werden von
jedem, dem der Mensch und Dichter Hart¬
leben überhaupt etwas zu sagen hat, als
beschert gern und dankbar entgegengenommen
werden. Wie gesagt: ästhetisch betrachtet
wiegen sie mitsamt ihrer alkoholfeuchten Atmo¬
sphäre nicht schwer. Und das einzige, was
man als doktrinärer Kunstrichter vor dem
umfangreichen Bande feststellen könnte, wäre:
daß die Deutschen in Otto Erich Hartleben
den Klassiker der Bierkarte gefunden haben.
Aber aus diesen mit oft herzerfrischender Komik
hingeschleuderten Improvisationen schält sich
Dr. Arthur westxha
Der Hofrat schlief draußen vor der Stadt
auf dem Platz der stillen Leute. Aber hätte
er auch ein wenig gewacht und gesehen, wie
Lotte und Liese über seinen Nachlaß herfielen,
die Märchen lasen, die so gut verwahrt in
seinem Schreibpult geruht hatten, und nicht
gerade wohlwollend begutachteten, er würde
den jungen Mädchen ihre Bemerkungen gar
nicht übel genommen haben. „Denn erstens
ist eS überhaupt nicht so leicht, ganz jungen
Mädchen un? ihres Übermutes willen böse
zu werden, und für vernünftige Leute viel¬
leicht am wenigsten.... Zweitens aber war
der Hofrat selbst der Zeit längst entwachsen
gewesen, wo ihm seine kleinen Erlebnisse sich
zu märchenhaften Geschichten gestalteten. Ge°
Grenzboten IV 1912,69
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