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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

wußt', wie du es noch anders machen könntst, tat' ich dir's sagen. In Gottes
Namen dennl"

15.

Auf Kerwemontag findet nach alter Übung um sieben Uhr in der Frühe
das feierliche Requiem für die im Laufe des letzten Jahres verstorbenen Orts¬
bürger statt.

Wenn der Pfarrer seines Vaters Namen auch nicht verlesen hat, Karl geht
doch in die Kirche.

Die schauerlichen Klänge des "Dies irae alles illa" wühlen in seiner Seele,
und wieder krampfen die Zweifel in sein Herz, ob der Vater seine Sünden bereut
habe in den wenigen Minuten, die er nach den Schüssen noch gelebt hat, oder ob
er verstockt gestorben sei. Aber da erinnert er sich all der schönen Worte, die ihm
Tante Seelchen gesagt hat, und das beruhigt ihn. Und dann singen die Schul¬
kinder mit zarten Stimmen das starke Gebet:


?le ^esu, Domino, avra eis requiem. /^nus vel, qui tollis peccata
aurai, avra eis rec>uiem. I^ux aeterna Incest eis, Oomine, eum Lanetis
tuis in aeternum, czuia plus es. ^e^uiem aeternam bona eis Oomine,
et lux aeterna luceat eis. Kequieseant in psee!

Als die Schulkinder mit gedämpften Stimmen das singen und der Schul¬
lehrer sie mit leisen Orgelregistern dazu begleitet, da wird es wieder ganz friedlich
in seiner erregten Seele. Er vergißt seine Umwelt. Erst als die Leute sich aus
der Kirche machen, kehrt sein Sinnen in die Wirklichkeit zurück, und er denkt, wenn
sie jetzt seines Vaters Grab nicht schändeten, wäre alles gut.

Nach dem Totenamt geht er auf den Friedhof. Das Grab ist noch in Ord¬
nung, das Kreuz noch nicht beschädigt.

Am Nachmittag kommt einer der Kameraden zu ihm und fragt ihn, ob er
heute wieder anginge.

Nein, nein, es sei ihm nicht drum zu tun. Er wolle nicht immer mit den
boshaften Menschen hintereinander geraten.

Er solle sich doch daraus nichts machen, entgegnet ihm der Kamerad. Mit
der Zeit lasse das schon von selbst nach.

Wie lange diese Zeit aber noch dauere, fragt Karl Salzer wieder dagegen.
Inzwischen könne er verrückt werden. Nein, er gehe nicht mehr aus. Sonntags
wolle er jetzt lieber wieder nach Pfeddersheim zu seiner Tante.

So bleibt denn der Karl Salzer auf den zweiten Kerwetag daheim. Es war
auch ganz gut, daß er nicht fortgegangen war. Denn während er im Garten saß,
hörte er auf einmal eines der drei Hutzelchen mörderische Schreie tun. Er eilte
in den Hof, um zu sehen, was da passiert sei.

Lotte, die Stute, hatte wieder die Kolik und schlug mit den Hufen bis an
die Decke des Stalles, so daß der Mörtel herunterbröckelte. Das Hutzelchen aber
stand vor der Stalltür, rang die Hände und rief ein übers andere Mal:

"Heilig Mutter Anna, steh dem arme Gaul den"

"Nee heilig Mutter Anna rufen, Hutzelchen I" schreit Karl, "schnell Feuer
angesteckt und Sack und Decken heiß gemacht!"

Er packt einen Arm voll Säcke zusammen, die auf dem Gartenzaun hängen,
holt eine filzige Pferdedecke aus der Geschirrkammer und packt dem Hutzelchen


Karl Salzer

wußt', wie du es noch anders machen könntst, tat' ich dir's sagen. In Gottes
Namen dennl"

15.

Auf Kerwemontag findet nach alter Übung um sieben Uhr in der Frühe
das feierliche Requiem für die im Laufe des letzten Jahres verstorbenen Orts¬
bürger statt.

Wenn der Pfarrer seines Vaters Namen auch nicht verlesen hat, Karl geht
doch in die Kirche.

Die schauerlichen Klänge des „Dies irae alles illa" wühlen in seiner Seele,
und wieder krampfen die Zweifel in sein Herz, ob der Vater seine Sünden bereut
habe in den wenigen Minuten, die er nach den Schüssen noch gelebt hat, oder ob
er verstockt gestorben sei. Aber da erinnert er sich all der schönen Worte, die ihm
Tante Seelchen gesagt hat, und das beruhigt ihn. Und dann singen die Schul¬
kinder mit zarten Stimmen das starke Gebet:


?le ^esu, Domino, avra eis requiem. /^nus vel, qui tollis peccata
aurai, avra eis rec>uiem. I^ux aeterna Incest eis, Oomine, eum Lanetis
tuis in aeternum, czuia plus es. ^e^uiem aeternam bona eis Oomine,
et lux aeterna luceat eis. Kequieseant in psee!

Als die Schulkinder mit gedämpften Stimmen das singen und der Schul¬
lehrer sie mit leisen Orgelregistern dazu begleitet, da wird es wieder ganz friedlich
in seiner erregten Seele. Er vergißt seine Umwelt. Erst als die Leute sich aus
der Kirche machen, kehrt sein Sinnen in die Wirklichkeit zurück, und er denkt, wenn
sie jetzt seines Vaters Grab nicht schändeten, wäre alles gut.

Nach dem Totenamt geht er auf den Friedhof. Das Grab ist noch in Ord¬
nung, das Kreuz noch nicht beschädigt.

Am Nachmittag kommt einer der Kameraden zu ihm und fragt ihn, ob er
heute wieder anginge.

Nein, nein, es sei ihm nicht drum zu tun. Er wolle nicht immer mit den
boshaften Menschen hintereinander geraten.

Er solle sich doch daraus nichts machen, entgegnet ihm der Kamerad. Mit
der Zeit lasse das schon von selbst nach.

Wie lange diese Zeit aber noch dauere, fragt Karl Salzer wieder dagegen.
Inzwischen könne er verrückt werden. Nein, er gehe nicht mehr aus. Sonntags
wolle er jetzt lieber wieder nach Pfeddersheim zu seiner Tante.

So bleibt denn der Karl Salzer auf den zweiten Kerwetag daheim. Es war
auch ganz gut, daß er nicht fortgegangen war. Denn während er im Garten saß,
hörte er auf einmal eines der drei Hutzelchen mörderische Schreie tun. Er eilte
in den Hof, um zu sehen, was da passiert sei.

Lotte, die Stute, hatte wieder die Kolik und schlug mit den Hufen bis an
die Decke des Stalles, so daß der Mörtel herunterbröckelte. Das Hutzelchen aber
stand vor der Stalltür, rang die Hände und rief ein übers andere Mal:

„Heilig Mutter Anna, steh dem arme Gaul den"

„Nee heilig Mutter Anna rufen, Hutzelchen I" schreit Karl, „schnell Feuer
angesteckt und Sack und Decken heiß gemacht!"

Er packt einen Arm voll Säcke zusammen, die auf dem Gartenzaun hängen,
holt eine filzige Pferdedecke aus der Geschirrkammer und packt dem Hutzelchen


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[0529] Karl Salzer wußt', wie du es noch anders machen könntst, tat' ich dir's sagen. In Gottes Namen dennl" 15. Auf Kerwemontag findet nach alter Übung um sieben Uhr in der Frühe das feierliche Requiem für die im Laufe des letzten Jahres verstorbenen Orts¬ bürger statt. Wenn der Pfarrer seines Vaters Namen auch nicht verlesen hat, Karl geht doch in die Kirche. Die schauerlichen Klänge des „Dies irae alles illa" wühlen in seiner Seele, und wieder krampfen die Zweifel in sein Herz, ob der Vater seine Sünden bereut habe in den wenigen Minuten, die er nach den Schüssen noch gelebt hat, oder ob er verstockt gestorben sei. Aber da erinnert er sich all der schönen Worte, die ihm Tante Seelchen gesagt hat, und das beruhigt ihn. Und dann singen die Schul¬ kinder mit zarten Stimmen das starke Gebet: ?le ^esu, Domino, avra eis requiem. /^nus vel, qui tollis peccata aurai, avra eis rec>uiem. I^ux aeterna Incest eis, Oomine, eum Lanetis tuis in aeternum, czuia plus es. ^e^uiem aeternam bona eis Oomine, et lux aeterna luceat eis. Kequieseant in psee! Als die Schulkinder mit gedämpften Stimmen das singen und der Schul¬ lehrer sie mit leisen Orgelregistern dazu begleitet, da wird es wieder ganz friedlich in seiner erregten Seele. Er vergißt seine Umwelt. Erst als die Leute sich aus der Kirche machen, kehrt sein Sinnen in die Wirklichkeit zurück, und er denkt, wenn sie jetzt seines Vaters Grab nicht schändeten, wäre alles gut. Nach dem Totenamt geht er auf den Friedhof. Das Grab ist noch in Ord¬ nung, das Kreuz noch nicht beschädigt. Am Nachmittag kommt einer der Kameraden zu ihm und fragt ihn, ob er heute wieder anginge. Nein, nein, es sei ihm nicht drum zu tun. Er wolle nicht immer mit den boshaften Menschen hintereinander geraten. Er solle sich doch daraus nichts machen, entgegnet ihm der Kamerad. Mit der Zeit lasse das schon von selbst nach. Wie lange diese Zeit aber noch dauere, fragt Karl Salzer wieder dagegen. Inzwischen könne er verrückt werden. Nein, er gehe nicht mehr aus. Sonntags wolle er jetzt lieber wieder nach Pfeddersheim zu seiner Tante. So bleibt denn der Karl Salzer auf den zweiten Kerwetag daheim. Es war auch ganz gut, daß er nicht fortgegangen war. Denn während er im Garten saß, hörte er auf einmal eines der drei Hutzelchen mörderische Schreie tun. Er eilte in den Hof, um zu sehen, was da passiert sei. Lotte, die Stute, hatte wieder die Kolik und schlug mit den Hufen bis an die Decke des Stalles, so daß der Mörtel herunterbröckelte. Das Hutzelchen aber stand vor der Stalltür, rang die Hände und rief ein übers andere Mal: „Heilig Mutter Anna, steh dem arme Gaul den" „Nee heilig Mutter Anna rufen, Hutzelchen I" schreit Karl, „schnell Feuer angesteckt und Sack und Decken heiß gemacht!" Er packt einen Arm voll Säcke zusammen, die auf dem Gartenzaun hängen, holt eine filzige Pferdedecke aus der Geschirrkammer und packt dem Hutzelchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/529>, abgerufen am 15.01.2025.