Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Karl Salzer

Der Fuld tanzt mehrere Touren und fängt dann wieder mit seinen Sticheleien
an. Dazwischen stürzt er ein Glas Wein nach dem anderen hinunter, denn er ist
erhitzt; bei den Tänzen war auch ein Galopp.

"Ja, ja, ich glaub als, daß nach der Kerb wieder manche Herrlichkeit herum
ist, auch auf dem KirchhofI"

Wie der Karl Salzer diese Worte hört, ist es ihm, als habe in der über dem
Tische hängenden Erdöllampe die Flamme Heller gebrannt. Er schaut auf. Die
Flamme aber brennt ganz ruhig. Wenn die Musikanten auf ihren Blasinstru¬
menten spielen würden, hätte es auch ein aus einer blank geputzten Messing¬
trompete fallender Lichtblitz sein können.

Karl Salzer fährt sich über die Stirn, sticht mit den Fingerspitzen in die
Augenwinkel, als wolle er dort ein wenig Schorf entfernen, und dann fragt er
den Fuld:

"Jean, kannst du mir vielleicht dadrüber Auskunft geben, weil du meinst, daß
nach der Kerb auch wieder manche Herrlichkeit auf dem Kirchhof herum wär?"

Der Jean Fuld hat stiere Augen, in deren Weiß die kleinen Äderchen stark
gerötet sind. Er blinzelt in das Licht über dem Nachbartisch und sagt:

"Kannst am Mittwochmorgen mal gucken!"

In Karl tobt es, aber er nimmt sich zusammen. Schon neigt er den Kopf
zur Seite, um seinem Nachbar zu sagen: Der ist's! als er sich auch schon eines
besseren besinnt und sich wieder dem Halbtrunkenen zuwendet:

"Also den Mittwoch, hä, Jean?"

Wieder ist das ganz ruhig und gleichgültig gesprochen. Der Fuld aber
antwortet:

"Wenn du's net abwarten kannst -- meinetwegen auch schon den Dienstag!"

"So? Na ja! Da werden wir mal gucken am Dienstag. Gelt, am Dienstag!"

"Ja, guck da mal; wirst schöne Augen machen!"

Und der Fuld steht auf zum Tanzen.

Um zwölf Uhr wird eine Polonaise gegangen, und dann ißt man etwas, um
weüerzutanzen bis um vier Uhr, auch bis um fünf. So ist es der Brauch.

Als die Kameraden von der Polonaise zurückkommen, sagt Karl ihnen, daß
er sie jetzt auch beim Essen freihalten werde. Sie wüßten ja, daß sie das eigentlich
dem Hannes Holtner und nicht ihm zu danken hätten. Aber er täte es ihnen
doch auch gern, weil sie vorhin dem Fulde-Jean gegenüber gesagt hätten, sie
wollten wieder gute Kameraden sein.

Nach dem Essen geht er heim. Es gelüstet ihn nicht, noch länger dazubleiben.
Die anderen wollen ihn zurückhalten, aber es gelingt ihnen nicht trotz der Ver¬
sicherung, daß es jetzt doch erst anfange schön zu werden.

Als er aus dem Saale tritt, spürt er die Kühle der Nachtluft. Da knöpft
er seinen Nock zu, steckt die Hände in die Hosentaschen und geht eilends heim; es
ist nicht weit.

Das Haus ist schon ganz ruhig.

Im Bette liegt Karl lange mit offenen Augen. Jetzt weiß er, wer es ist:
Der Fulde-Jean, angestiftet von der Hungels-Grek.

Was wird der Unkel Hannes dazu sagen? Und was wird er zu tun raten?

Hannes Holtner sagt am nächsten Morgen, als er es erfährt:


Karl Salzer

Der Fuld tanzt mehrere Touren und fängt dann wieder mit seinen Sticheleien
an. Dazwischen stürzt er ein Glas Wein nach dem anderen hinunter, denn er ist
erhitzt; bei den Tänzen war auch ein Galopp.

„Ja, ja, ich glaub als, daß nach der Kerb wieder manche Herrlichkeit herum
ist, auch auf dem KirchhofI"

Wie der Karl Salzer diese Worte hört, ist es ihm, als habe in der über dem
Tische hängenden Erdöllampe die Flamme Heller gebrannt. Er schaut auf. Die
Flamme aber brennt ganz ruhig. Wenn die Musikanten auf ihren Blasinstru¬
menten spielen würden, hätte es auch ein aus einer blank geputzten Messing¬
trompete fallender Lichtblitz sein können.

Karl Salzer fährt sich über die Stirn, sticht mit den Fingerspitzen in die
Augenwinkel, als wolle er dort ein wenig Schorf entfernen, und dann fragt er
den Fuld:

„Jean, kannst du mir vielleicht dadrüber Auskunft geben, weil du meinst, daß
nach der Kerb auch wieder manche Herrlichkeit auf dem Kirchhof herum wär?"

Der Jean Fuld hat stiere Augen, in deren Weiß die kleinen Äderchen stark
gerötet sind. Er blinzelt in das Licht über dem Nachbartisch und sagt:

„Kannst am Mittwochmorgen mal gucken!"

In Karl tobt es, aber er nimmt sich zusammen. Schon neigt er den Kopf
zur Seite, um seinem Nachbar zu sagen: Der ist's! als er sich auch schon eines
besseren besinnt und sich wieder dem Halbtrunkenen zuwendet:

„Also den Mittwoch, hä, Jean?"

Wieder ist das ganz ruhig und gleichgültig gesprochen. Der Fuld aber
antwortet:

„Wenn du's net abwarten kannst — meinetwegen auch schon den Dienstag!"

„So? Na ja! Da werden wir mal gucken am Dienstag. Gelt, am Dienstag!"

„Ja, guck da mal; wirst schöne Augen machen!"

Und der Fuld steht auf zum Tanzen.

Um zwölf Uhr wird eine Polonaise gegangen, und dann ißt man etwas, um
weüerzutanzen bis um vier Uhr, auch bis um fünf. So ist es der Brauch.

Als die Kameraden von der Polonaise zurückkommen, sagt Karl ihnen, daß
er sie jetzt auch beim Essen freihalten werde. Sie wüßten ja, daß sie das eigentlich
dem Hannes Holtner und nicht ihm zu danken hätten. Aber er täte es ihnen
doch auch gern, weil sie vorhin dem Fulde-Jean gegenüber gesagt hätten, sie
wollten wieder gute Kameraden sein.

Nach dem Essen geht er heim. Es gelüstet ihn nicht, noch länger dazubleiben.
Die anderen wollen ihn zurückhalten, aber es gelingt ihnen nicht trotz der Ver¬
sicherung, daß es jetzt doch erst anfange schön zu werden.

Als er aus dem Saale tritt, spürt er die Kühle der Nachtluft. Da knöpft
er seinen Nock zu, steckt die Hände in die Hosentaschen und geht eilends heim; es
ist nicht weit.

Das Haus ist schon ganz ruhig.

Im Bette liegt Karl lange mit offenen Augen. Jetzt weiß er, wer es ist:
Der Fulde-Jean, angestiftet von der Hungels-Grek.

Was wird der Unkel Hannes dazu sagen? Und was wird er zu tun raten?

Hannes Holtner sagt am nächsten Morgen, als er es erfährt:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322929"/>
          <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2618"> Der Fuld tanzt mehrere Touren und fängt dann wieder mit seinen Sticheleien<lb/>
an. Dazwischen stürzt er ein Glas Wein nach dem anderen hinunter, denn er ist<lb/>
erhitzt; bei den Tänzen war auch ein Galopp.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2619"> &#x201E;Ja, ja, ich glaub als, daß nach der Kerb wieder manche Herrlichkeit herum<lb/>
ist, auch auf dem KirchhofI"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2620"> Wie der Karl Salzer diese Worte hört, ist es ihm, als habe in der über dem<lb/>
Tische hängenden Erdöllampe die Flamme Heller gebrannt. Er schaut auf. Die<lb/>
Flamme aber brennt ganz ruhig. Wenn die Musikanten auf ihren Blasinstru¬<lb/>
menten spielen würden, hätte es auch ein aus einer blank geputzten Messing¬<lb/>
trompete fallender Lichtblitz sein können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2621"> Karl Salzer fährt sich über die Stirn, sticht mit den Fingerspitzen in die<lb/>
Augenwinkel, als wolle er dort ein wenig Schorf entfernen, und dann fragt er<lb/>
den Fuld:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2622"> &#x201E;Jean, kannst du mir vielleicht dadrüber Auskunft geben, weil du meinst, daß<lb/>
nach der Kerb auch wieder manche Herrlichkeit auf dem Kirchhof herum wär?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2623"> Der Jean Fuld hat stiere Augen, in deren Weiß die kleinen Äderchen stark<lb/>
gerötet sind. Er blinzelt in das Licht über dem Nachbartisch und sagt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2624"> &#x201E;Kannst am Mittwochmorgen mal gucken!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2625"> In Karl tobt es, aber er nimmt sich zusammen. Schon neigt er den Kopf<lb/>
zur Seite, um seinem Nachbar zu sagen: Der ist's! als er sich auch schon eines<lb/>
besseren besinnt und sich wieder dem Halbtrunkenen zuwendet:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2626"> &#x201E;Also den Mittwoch, hä, Jean?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2627"> Wieder ist das ganz ruhig und gleichgültig gesprochen. Der Fuld aber<lb/>
antwortet:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2628"> &#x201E;Wenn du's net abwarten kannst &#x2014; meinetwegen auch schon den Dienstag!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2629"> &#x201E;So? Na ja! Da werden wir mal gucken am Dienstag. Gelt, am Dienstag!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2630"> &#x201E;Ja, guck da mal; wirst schöne Augen machen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2631"> Und der Fuld steht auf zum Tanzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2632"> Um zwölf Uhr wird eine Polonaise gegangen, und dann ißt man etwas, um<lb/>
weüerzutanzen bis um vier Uhr, auch bis um fünf. So ist es der Brauch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2633"> Als die Kameraden von der Polonaise zurückkommen, sagt Karl ihnen, daß<lb/>
er sie jetzt auch beim Essen freihalten werde. Sie wüßten ja, daß sie das eigentlich<lb/>
dem Hannes Holtner und nicht ihm zu danken hätten. Aber er täte es ihnen<lb/>
doch auch gern, weil sie vorhin dem Fulde-Jean gegenüber gesagt hätten, sie<lb/>
wollten wieder gute Kameraden sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2634"> Nach dem Essen geht er heim. Es gelüstet ihn nicht, noch länger dazubleiben.<lb/>
Die anderen wollen ihn zurückhalten, aber es gelingt ihnen nicht trotz der Ver¬<lb/>
sicherung, daß es jetzt doch erst anfange schön zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2635"> Als er aus dem Saale tritt, spürt er die Kühle der Nachtluft. Da knöpft<lb/>
er seinen Nock zu, steckt die Hände in die Hosentaschen und geht eilends heim; es<lb/>
ist nicht weit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2636"> Das Haus ist schon ganz ruhig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2637"> Im Bette liegt Karl lange mit offenen Augen. Jetzt weiß er, wer es ist:<lb/>
Der Fulde-Jean, angestiftet von der Hungels-Grek.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2638"> Was wird der Unkel Hannes dazu sagen? Und was wird er zu tun raten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2639"> Hannes Holtner sagt am nächsten Morgen, als er es erfährt:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] Karl Salzer Der Fuld tanzt mehrere Touren und fängt dann wieder mit seinen Sticheleien an. Dazwischen stürzt er ein Glas Wein nach dem anderen hinunter, denn er ist erhitzt; bei den Tänzen war auch ein Galopp. „Ja, ja, ich glaub als, daß nach der Kerb wieder manche Herrlichkeit herum ist, auch auf dem KirchhofI" Wie der Karl Salzer diese Worte hört, ist es ihm, als habe in der über dem Tische hängenden Erdöllampe die Flamme Heller gebrannt. Er schaut auf. Die Flamme aber brennt ganz ruhig. Wenn die Musikanten auf ihren Blasinstru¬ menten spielen würden, hätte es auch ein aus einer blank geputzten Messing¬ trompete fallender Lichtblitz sein können. Karl Salzer fährt sich über die Stirn, sticht mit den Fingerspitzen in die Augenwinkel, als wolle er dort ein wenig Schorf entfernen, und dann fragt er den Fuld: „Jean, kannst du mir vielleicht dadrüber Auskunft geben, weil du meinst, daß nach der Kerb auch wieder manche Herrlichkeit auf dem Kirchhof herum wär?" Der Jean Fuld hat stiere Augen, in deren Weiß die kleinen Äderchen stark gerötet sind. Er blinzelt in das Licht über dem Nachbartisch und sagt: „Kannst am Mittwochmorgen mal gucken!" In Karl tobt es, aber er nimmt sich zusammen. Schon neigt er den Kopf zur Seite, um seinem Nachbar zu sagen: Der ist's! als er sich auch schon eines besseren besinnt und sich wieder dem Halbtrunkenen zuwendet: „Also den Mittwoch, hä, Jean?" Wieder ist das ganz ruhig und gleichgültig gesprochen. Der Fuld aber antwortet: „Wenn du's net abwarten kannst — meinetwegen auch schon den Dienstag!" „So? Na ja! Da werden wir mal gucken am Dienstag. Gelt, am Dienstag!" „Ja, guck da mal; wirst schöne Augen machen!" Und der Fuld steht auf zum Tanzen. Um zwölf Uhr wird eine Polonaise gegangen, und dann ißt man etwas, um weüerzutanzen bis um vier Uhr, auch bis um fünf. So ist es der Brauch. Als die Kameraden von der Polonaise zurückkommen, sagt Karl ihnen, daß er sie jetzt auch beim Essen freihalten werde. Sie wüßten ja, daß sie das eigentlich dem Hannes Holtner und nicht ihm zu danken hätten. Aber er täte es ihnen doch auch gern, weil sie vorhin dem Fulde-Jean gegenüber gesagt hätten, sie wollten wieder gute Kameraden sein. Nach dem Essen geht er heim. Es gelüstet ihn nicht, noch länger dazubleiben. Die anderen wollen ihn zurückhalten, aber es gelingt ihnen nicht trotz der Ver¬ sicherung, daß es jetzt doch erst anfange schön zu werden. Als er aus dem Saale tritt, spürt er die Kühle der Nachtluft. Da knöpft er seinen Nock zu, steckt die Hände in die Hosentaschen und geht eilends heim; es ist nicht weit. Das Haus ist schon ganz ruhig. Im Bette liegt Karl lange mit offenen Augen. Jetzt weiß er, wer es ist: Der Fulde-Jean, angestiftet von der Hungels-Grek. Was wird der Unkel Hannes dazu sagen? Und was wird er zu tun raten? Hannes Holtner sagt am nächsten Morgen, als er es erfährt:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/527>, abgerufen am 15.01.2025.