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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Als der Pfarrer hinter der Brüstung der Kanzel auftaucht, richtet der Bursche
sofort den Blick zu ihm auf; er möchte, daß der ihn bemerke. Wenn er will,
kann er dann in seinem flehentlichen Blicke eine Bitte lesen. Wenn er will. Aber
er wird nicht wollen. Starr stehen Karls Blicke.

Der Pfarrer schlägt ohne einen Blick auf seine Seelsorgekinder das schwarze
Verkündigungsbuch auf. Zuerst verliest er die bestellten Messen und sagt dann:

"Morgen früh um sieben Uhr findet ein feierliches Requiem für die während
des verflossenen Jahres im Herrn verstorbenen Gemeindeangehörigcn statt. Das
sind .. .!"

Er zählt die Namen auf, der Reihe nach, wie ihre Träger die Welt ver¬
lassen haben. Johannes Härtung ist der Zweitletzte gewesen; er starb einige Wochen
vor dem Schmied. Der Pfarrer aber läßt ihn den Letzten sein.

Den Namen des Schmieds nennt er nicht.

Es gibt eine Bewegung unter den Leuten. Sie strecken die Köpfe zusammen.
Die Burschen in Karls Nähe stoßen sich an und beobachten den Sohn des Selbst¬
mörders scharf, welchen Eindruck der Schimpf auf ihn mache.

Karl hält die Blicke noch ein kleines Weilchen auf den Pfarrer gerichtet, und
dann senkt er sie und erhebt sie nicht mehr. Er hört nicht mehr, was um ihn
vorgeht. Erst als es ein großes Scharren in der Kirche gibt, schaut er auf.

Der Pfarrer hat das Evangelium in deutscher Sprache verlesen und schließt
nun seine Predigt daran, während die Gläubigen sich setzen.

Auch.Karl tut daS, aber er kann dem Prediger keine Aufmerksamkeit schenken.
Seine Gedanken tosen durcheinander, und eine Sehnsucht nach Tante Seelchen
durchschüttelt ihn. Er ist froh, als der Gottesdienst beendet ist.

Ire, missA est!

In langen Schleifen und Schnörkeln voller Jubel gesungen vom Priester.

Gehet, die Messe ist gefeiertl

I)co Zratms!

Die Antwort der Ministranten und des Volkes in der gleichen Tonfolge.
Gott sei Dank!

Karl begleitet das Wechselgebet mit seinem Hohn. Für die empfangenen
Gnaden soll er danken, er aber dankt für daS Ende der erduldeten Qual.

Heftiger wird seine Sehnsucht nach der Tante, die leidmildernde, fromme
Worte zu sprechen weiß. Da fällt ihm die Mahnung ein, sich nicht verbittern zu
lassen; er sucht, sich der trüben Gedanken zu entschlagen. Nachdem er heim¬
gekommen, gelingt es ihm ein wenig beim Pferdefüttern. So merken sie ihm
beim Mittagessen nichts an. Er freut sich, das ihm das gelungen ist.

Nach Tisch liest er ein bißchen in der Wormser Zeitung, steht nach, wer von
den Spelzheimer Wirten ein Kirchweihinserat eingerückt habe, und was es sonst
noch Schönes in der Zeitung zu lesen gibt, bis Tante Male zum Kaffee ruft.

Während sie dabei sitzen, schallt es plötzlich von der Straße herein:

Taratatta dunda, uba, uba.. .

Kaum ist die Nachmittagsandacht beendet und der Kirchweihkaffee getrunken,
da schmettern schon die Trompeten, die große Trommel radaut und die kleine
wirbelt. Wenn sie das hören in den Stuben, springen sie von den Tischen auf
und eilen an die Fenster. In die Herzen und in die Beine der Bauernmädchen


Karl Salzer

Als der Pfarrer hinter der Brüstung der Kanzel auftaucht, richtet der Bursche
sofort den Blick zu ihm auf; er möchte, daß der ihn bemerke. Wenn er will,
kann er dann in seinem flehentlichen Blicke eine Bitte lesen. Wenn er will. Aber
er wird nicht wollen. Starr stehen Karls Blicke.

Der Pfarrer schlägt ohne einen Blick auf seine Seelsorgekinder das schwarze
Verkündigungsbuch auf. Zuerst verliest er die bestellten Messen und sagt dann:

„Morgen früh um sieben Uhr findet ein feierliches Requiem für die während
des verflossenen Jahres im Herrn verstorbenen Gemeindeangehörigcn statt. Das
sind .. .!"

Er zählt die Namen auf, der Reihe nach, wie ihre Träger die Welt ver¬
lassen haben. Johannes Härtung ist der Zweitletzte gewesen; er starb einige Wochen
vor dem Schmied. Der Pfarrer aber läßt ihn den Letzten sein.

Den Namen des Schmieds nennt er nicht.

Es gibt eine Bewegung unter den Leuten. Sie strecken die Köpfe zusammen.
Die Burschen in Karls Nähe stoßen sich an und beobachten den Sohn des Selbst¬
mörders scharf, welchen Eindruck der Schimpf auf ihn mache.

Karl hält die Blicke noch ein kleines Weilchen auf den Pfarrer gerichtet, und
dann senkt er sie und erhebt sie nicht mehr. Er hört nicht mehr, was um ihn
vorgeht. Erst als es ein großes Scharren in der Kirche gibt, schaut er auf.

Der Pfarrer hat das Evangelium in deutscher Sprache verlesen und schließt
nun seine Predigt daran, während die Gläubigen sich setzen.

Auch.Karl tut daS, aber er kann dem Prediger keine Aufmerksamkeit schenken.
Seine Gedanken tosen durcheinander, und eine Sehnsucht nach Tante Seelchen
durchschüttelt ihn. Er ist froh, als der Gottesdienst beendet ist.

Ire, missA est!

In langen Schleifen und Schnörkeln voller Jubel gesungen vom Priester.

Gehet, die Messe ist gefeiertl

I)co Zratms!

Die Antwort der Ministranten und des Volkes in der gleichen Tonfolge.
Gott sei Dank!

Karl begleitet das Wechselgebet mit seinem Hohn. Für die empfangenen
Gnaden soll er danken, er aber dankt für daS Ende der erduldeten Qual.

Heftiger wird seine Sehnsucht nach der Tante, die leidmildernde, fromme
Worte zu sprechen weiß. Da fällt ihm die Mahnung ein, sich nicht verbittern zu
lassen; er sucht, sich der trüben Gedanken zu entschlagen. Nachdem er heim¬
gekommen, gelingt es ihm ein wenig beim Pferdefüttern. So merken sie ihm
beim Mittagessen nichts an. Er freut sich, das ihm das gelungen ist.

Nach Tisch liest er ein bißchen in der Wormser Zeitung, steht nach, wer von
den Spelzheimer Wirten ein Kirchweihinserat eingerückt habe, und was es sonst
noch Schönes in der Zeitung zu lesen gibt, bis Tante Male zum Kaffee ruft.

Während sie dabei sitzen, schallt es plötzlich von der Straße herein:

Taratatta dunda, uba, uba.. .

Kaum ist die Nachmittagsandacht beendet und der Kirchweihkaffee getrunken,
da schmettern schon die Trompeten, die große Trommel radaut und die kleine
wirbelt. Wenn sie das hören in den Stuben, springen sie von den Tischen auf
und eilen an die Fenster. In die Herzen und in die Beine der Bauernmädchen


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[0435] Karl Salzer Als der Pfarrer hinter der Brüstung der Kanzel auftaucht, richtet der Bursche sofort den Blick zu ihm auf; er möchte, daß der ihn bemerke. Wenn er will, kann er dann in seinem flehentlichen Blicke eine Bitte lesen. Wenn er will. Aber er wird nicht wollen. Starr stehen Karls Blicke. Der Pfarrer schlägt ohne einen Blick auf seine Seelsorgekinder das schwarze Verkündigungsbuch auf. Zuerst verliest er die bestellten Messen und sagt dann: „Morgen früh um sieben Uhr findet ein feierliches Requiem für die während des verflossenen Jahres im Herrn verstorbenen Gemeindeangehörigcn statt. Das sind .. .!" Er zählt die Namen auf, der Reihe nach, wie ihre Träger die Welt ver¬ lassen haben. Johannes Härtung ist der Zweitletzte gewesen; er starb einige Wochen vor dem Schmied. Der Pfarrer aber läßt ihn den Letzten sein. Den Namen des Schmieds nennt er nicht. Es gibt eine Bewegung unter den Leuten. Sie strecken die Köpfe zusammen. Die Burschen in Karls Nähe stoßen sich an und beobachten den Sohn des Selbst¬ mörders scharf, welchen Eindruck der Schimpf auf ihn mache. Karl hält die Blicke noch ein kleines Weilchen auf den Pfarrer gerichtet, und dann senkt er sie und erhebt sie nicht mehr. Er hört nicht mehr, was um ihn vorgeht. Erst als es ein großes Scharren in der Kirche gibt, schaut er auf. Der Pfarrer hat das Evangelium in deutscher Sprache verlesen und schließt nun seine Predigt daran, während die Gläubigen sich setzen. Auch.Karl tut daS, aber er kann dem Prediger keine Aufmerksamkeit schenken. Seine Gedanken tosen durcheinander, und eine Sehnsucht nach Tante Seelchen durchschüttelt ihn. Er ist froh, als der Gottesdienst beendet ist. Ire, missA est! In langen Schleifen und Schnörkeln voller Jubel gesungen vom Priester. Gehet, die Messe ist gefeiertl I)co Zratms! Die Antwort der Ministranten und des Volkes in der gleichen Tonfolge. Gott sei Dank! Karl begleitet das Wechselgebet mit seinem Hohn. Für die empfangenen Gnaden soll er danken, er aber dankt für daS Ende der erduldeten Qual. Heftiger wird seine Sehnsucht nach der Tante, die leidmildernde, fromme Worte zu sprechen weiß. Da fällt ihm die Mahnung ein, sich nicht verbittern zu lassen; er sucht, sich der trüben Gedanken zu entschlagen. Nachdem er heim¬ gekommen, gelingt es ihm ein wenig beim Pferdefüttern. So merken sie ihm beim Mittagessen nichts an. Er freut sich, das ihm das gelungen ist. Nach Tisch liest er ein bißchen in der Wormser Zeitung, steht nach, wer von den Spelzheimer Wirten ein Kirchweihinserat eingerückt habe, und was es sonst noch Schönes in der Zeitung zu lesen gibt, bis Tante Male zum Kaffee ruft. Während sie dabei sitzen, schallt es plötzlich von der Straße herein: Taratatta dunda, uba, uba.. . Kaum ist die Nachmittagsandacht beendet und der Kirchweihkaffee getrunken, da schmettern schon die Trompeten, die große Trommel radaut und die kleine wirbelt. Wenn sie das hören in den Stuben, springen sie von den Tischen auf und eilen an die Fenster. In die Herzen und in die Beine der Bauernmädchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/435>, abgerufen am 15.01.2025.