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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

die ganze Angelegenheit ist lediglich der Vereinbarung der Repräsentanten mit
der Pforte vorbehalten worden, und es hätte daher im Sinne der Vertrags¬
bestimmungen vollkommen genügt, wenn den Kommissären eine einfache offizielle
Mitteilung von kompetenter Stelle über die erfolgte Redaktion des Firmans
und seine Absendung nach den Fürstentümern behufs der Konstatierung der¬
selben zuteil geworden wären.

Eine Teilnahme der Kommissäre an den Beratungen über den Gegenstand
schien in der Tat auch nicht im sächlichen Bedürfnis zu liegen. Die Natur der
Sache brachte es vielmehr schon an und für sich mit sich, einerseits daß die
Repräsentanten den Kommissären ihrer eigenen Regierung eine genaue Einsicht
in die Motive ihrer Wirksamkeit bei der Redaktion jenes Firmans boten, und
anderseits, daß diese Motive auf einer gleichartigen Anschauung des durch
gleichartige Interessen bedingten Bedürfnisses beruhten. So schien auch der
Gegenstand allseitig aufgefaßt zu werden, bis gegen den Schluß hin eine
Schwankung eintrat, und französischer- und österreichischerseits infolge, wie es
scheint, eines von der russischen Regierung geäußerten Wunsches eine nähere,
wenn auch nur passive und informatorische Teilnahme der Kommissäre an den
Konferenzen in Frage gestellt wurde, infolge deren man sich dahin vereinigte,
die Kommissäre zu einer Schlußkonferenz zu berufen. Der Zweck dieser Be¬
rufung war nicht ganz deutlich ausgedrückt, denn in dem gleichlautenden Ein¬
ladungsschreiben des Großvesirs an mich und meine Kollegen vom 10. d. M.
zu der am 13. d. M. bei demselben auf seinem Landsitze zu Emirghen am
Bosporus anberaumten Konferenz hieß es: "pour la röllaction an projet 6u
I^irman", während offenbar die Absicht nur dahin ging, in gewissen Grenzen
den Kommissären informatorische Erläuterungen über den Inhalt zu geben, was
für mich und die Mehrzahl meiner Kollegen insofern überflüssig war, als wir
diese Erläuterungen schon durch die Mitteilungen der Gesandten erhalten hatten.
Indes schien es immerhin wünschenswert, daß die Interpretation, die der Groß-
vesir selbst einzelnen Stellen des Firmans in einem für die Türkei günstigen
Sinne mündlich gegeben hatte, auch vor den Kommissären, insonderheit vor
dem eigenen Pforten-Kommissär, wiederholt würden, und um diese Erläuterungen
zu ordnen und zu formulieren, vereinigten sich daher die Kommissäre mit Aus¬
schluß desjenigen der Pforte, dessen Anwesenheit hierbei nicht nötig schien, am
Tage vor jener Sitzung zu einer näheren vertraulichen Besprechung.

Bei dieser Gelegenheit eröffnete uns Sir Henry Bulwer, daß Lord Stratford
nicht nur jede mündliche Besprechung mit ihm über den Firman und die An¬
gelegenheit der Türkei überhaupt abgelehnt und vermieden, sondern ihm auch
nicht die mindeste Einsicht in die Motive zum Firman, in seine Berichte und
sonstigen Schriftstücke gestattet habe, und daß er das Projekt zum Firman selbst,
um es doch vor der Konferenz zu kennen, soeben erst von Lord Stratford durch
eine amtliche, schriftliche Requisition herausgepreßt habe, so daß er in der ganzen
Angelegenheit als ein Komo moon8 erscheinen müsse, und deshalb auch gezwungen


Grenzboten IV 1912 63
An der Wiege des Königreichs Rumänien

die ganze Angelegenheit ist lediglich der Vereinbarung der Repräsentanten mit
der Pforte vorbehalten worden, und es hätte daher im Sinne der Vertrags¬
bestimmungen vollkommen genügt, wenn den Kommissären eine einfache offizielle
Mitteilung von kompetenter Stelle über die erfolgte Redaktion des Firmans
und seine Absendung nach den Fürstentümern behufs der Konstatierung der¬
selben zuteil geworden wären.

Eine Teilnahme der Kommissäre an den Beratungen über den Gegenstand
schien in der Tat auch nicht im sächlichen Bedürfnis zu liegen. Die Natur der
Sache brachte es vielmehr schon an und für sich mit sich, einerseits daß die
Repräsentanten den Kommissären ihrer eigenen Regierung eine genaue Einsicht
in die Motive ihrer Wirksamkeit bei der Redaktion jenes Firmans boten, und
anderseits, daß diese Motive auf einer gleichartigen Anschauung des durch
gleichartige Interessen bedingten Bedürfnisses beruhten. So schien auch der
Gegenstand allseitig aufgefaßt zu werden, bis gegen den Schluß hin eine
Schwankung eintrat, und französischer- und österreichischerseits infolge, wie es
scheint, eines von der russischen Regierung geäußerten Wunsches eine nähere,
wenn auch nur passive und informatorische Teilnahme der Kommissäre an den
Konferenzen in Frage gestellt wurde, infolge deren man sich dahin vereinigte,
die Kommissäre zu einer Schlußkonferenz zu berufen. Der Zweck dieser Be¬
rufung war nicht ganz deutlich ausgedrückt, denn in dem gleichlautenden Ein¬
ladungsschreiben des Großvesirs an mich und meine Kollegen vom 10. d. M.
zu der am 13. d. M. bei demselben auf seinem Landsitze zu Emirghen am
Bosporus anberaumten Konferenz hieß es: „pour la röllaction an projet 6u
I^irman", während offenbar die Absicht nur dahin ging, in gewissen Grenzen
den Kommissären informatorische Erläuterungen über den Inhalt zu geben, was
für mich und die Mehrzahl meiner Kollegen insofern überflüssig war, als wir
diese Erläuterungen schon durch die Mitteilungen der Gesandten erhalten hatten.
Indes schien es immerhin wünschenswert, daß die Interpretation, die der Groß-
vesir selbst einzelnen Stellen des Firmans in einem für die Türkei günstigen
Sinne mündlich gegeben hatte, auch vor den Kommissären, insonderheit vor
dem eigenen Pforten-Kommissär, wiederholt würden, und um diese Erläuterungen
zu ordnen und zu formulieren, vereinigten sich daher die Kommissäre mit Aus¬
schluß desjenigen der Pforte, dessen Anwesenheit hierbei nicht nötig schien, am
Tage vor jener Sitzung zu einer näheren vertraulichen Besprechung.

Bei dieser Gelegenheit eröffnete uns Sir Henry Bulwer, daß Lord Stratford
nicht nur jede mündliche Besprechung mit ihm über den Firman und die An¬
gelegenheit der Türkei überhaupt abgelehnt und vermieden, sondern ihm auch
nicht die mindeste Einsicht in die Motive zum Firman, in seine Berichte und
sonstigen Schriftstücke gestattet habe, und daß er das Projekt zum Firman selbst,
um es doch vor der Konferenz zu kennen, soeben erst von Lord Stratford durch
eine amtliche, schriftliche Requisition herausgepreßt habe, so daß er in der ganzen
Angelegenheit als ein Komo moon8 erscheinen müsse, und deshalb auch gezwungen


Grenzboten IV 1912 63
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[0424] An der Wiege des Königreichs Rumänien die ganze Angelegenheit ist lediglich der Vereinbarung der Repräsentanten mit der Pforte vorbehalten worden, und es hätte daher im Sinne der Vertrags¬ bestimmungen vollkommen genügt, wenn den Kommissären eine einfache offizielle Mitteilung von kompetenter Stelle über die erfolgte Redaktion des Firmans und seine Absendung nach den Fürstentümern behufs der Konstatierung der¬ selben zuteil geworden wären. Eine Teilnahme der Kommissäre an den Beratungen über den Gegenstand schien in der Tat auch nicht im sächlichen Bedürfnis zu liegen. Die Natur der Sache brachte es vielmehr schon an und für sich mit sich, einerseits daß die Repräsentanten den Kommissären ihrer eigenen Regierung eine genaue Einsicht in die Motive ihrer Wirksamkeit bei der Redaktion jenes Firmans boten, und anderseits, daß diese Motive auf einer gleichartigen Anschauung des durch gleichartige Interessen bedingten Bedürfnisses beruhten. So schien auch der Gegenstand allseitig aufgefaßt zu werden, bis gegen den Schluß hin eine Schwankung eintrat, und französischer- und österreichischerseits infolge, wie es scheint, eines von der russischen Regierung geäußerten Wunsches eine nähere, wenn auch nur passive und informatorische Teilnahme der Kommissäre an den Konferenzen in Frage gestellt wurde, infolge deren man sich dahin vereinigte, die Kommissäre zu einer Schlußkonferenz zu berufen. Der Zweck dieser Be¬ rufung war nicht ganz deutlich ausgedrückt, denn in dem gleichlautenden Ein¬ ladungsschreiben des Großvesirs an mich und meine Kollegen vom 10. d. M. zu der am 13. d. M. bei demselben auf seinem Landsitze zu Emirghen am Bosporus anberaumten Konferenz hieß es: „pour la röllaction an projet 6u I^irman", während offenbar die Absicht nur dahin ging, in gewissen Grenzen den Kommissären informatorische Erläuterungen über den Inhalt zu geben, was für mich und die Mehrzahl meiner Kollegen insofern überflüssig war, als wir diese Erläuterungen schon durch die Mitteilungen der Gesandten erhalten hatten. Indes schien es immerhin wünschenswert, daß die Interpretation, die der Groß- vesir selbst einzelnen Stellen des Firmans in einem für die Türkei günstigen Sinne mündlich gegeben hatte, auch vor den Kommissären, insonderheit vor dem eigenen Pforten-Kommissär, wiederholt würden, und um diese Erläuterungen zu ordnen und zu formulieren, vereinigten sich daher die Kommissäre mit Aus¬ schluß desjenigen der Pforte, dessen Anwesenheit hierbei nicht nötig schien, am Tage vor jener Sitzung zu einer näheren vertraulichen Besprechung. Bei dieser Gelegenheit eröffnete uns Sir Henry Bulwer, daß Lord Stratford nicht nur jede mündliche Besprechung mit ihm über den Firman und die An¬ gelegenheit der Türkei überhaupt abgelehnt und vermieden, sondern ihm auch nicht die mindeste Einsicht in die Motive zum Firman, in seine Berichte und sonstigen Schriftstücke gestattet habe, und daß er das Projekt zum Firman selbst, um es doch vor der Konferenz zu kennen, soeben erst von Lord Stratford durch eine amtliche, schriftliche Requisition herausgepreßt habe, so daß er in der ganzen Angelegenheit als ein Komo moon8 erscheinen müsse, und deshalb auch gezwungen Grenzboten IV 1912 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/424>, abgerufen am 15.01.2025.