Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßregeln zur Verbesserung der Gesetzessprache

ausgesprochen, dann hätten vielleicht Zweifel darüber auftauchen können, wie
das Gericht bei der Urteilsfindung zu verfahren habe. , Nachdem aber der
Grundsatz der freien Beweiswürdigung über ein Menschenalter lang in unserer
Gesetzgebung eingeführt ist, ist es höchst überflüssig, daß uns der Gesetzgeber
in jedem neuen Gesetze, das ein Gerichtsverfahren behandelt, wieder versichert,
daß das Gericht nur nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden habe. Ähn¬
liches gilt von der Bestimmung des § 260 der Se. P. O. (Vgl. Gewerbegerichts¬
gesetz Z 41; Gesetz über die Kaufmannsgerichte vom 4. Juli 1904 Z 16;
Militärstrafgerichtsordnung § 315, Kirchengesetz vom 16. März 1910 Z 11 u. a.).
Über die zahlreichen lediglich auf Nachlässigkeit beruhenden Verstöße gegen die
Sprachregeln, die sich in unseren Gesetzen finden, ist so viel geschrieben worden,
daß ich mir füglich die Anführung von Beispielen ersparen kann. Alles dies
würde nicht vorkommen, wenn der Verfasser eines Gesetzentwurfes in der Be¬
gründung Rechenschaft geben müßte über die sprachliche Behandlung seiner Arbeit.

Von größter Bedeutung würde ich sodann ein Wörterbuch der Gesetzes¬
sprache halten, in dem nicht nur gute Verdeutschungen der Fremdwörter der
Gesetzessprache enthalten wären, fondern auch die hauptsächlichsten Rede¬
wendungen, die in unseren Gesetzen öfter wiederkehren, berücksichtigt würden*).
Dadurch würde den Verfassern von Gesetzentwürfen die Arbeit außerordentlich
erleichtert und vor allem würde die Aufmerksamkeit ständig darauf gerichtet,
daß die Sprache des Gesetzgebers musterhaft sein muß. Die Abfassung eines
derartigen Wörterbuches stößt aber, wie ich mich durch einen Versuch überzeugt
habe, auf erhebliche Schwierigkeiten.

Es wäre sodann weiter anzustreben, daß in den Volksvertretungen, in den
Kommissionen und in der Presse die Sprache des Entwurfes eines Gesetzes,
mehr als das bisher geschehen ist, zum Gegenstand der Erörterung gemacht
würde. Aber auch ohne daß bestimmte Gesetzentwürfe vorliegen, wäre nach
Möglichkeit anzustreben, daß in der Presse und zwar sowohl in der Fachpresse
wie in der Tagespresse und in den gesetzgebenden Körperschaften unsere Ge¬
setzessprache öfter untersucht und die allgemeine Aufmerksamkeit darauf gelenkt
würde. Auch hier brauche ich das Lob des Sprachvereins nicht zu singen.
Trotz aller Anstrengungen sind die Fachzeitschriften, die zuweilen Aufsätze über
unsere Gesetzessprache bringen, recht spärlich gesät, und die Haupttätigkeit nach
dieser Richtung entfaltet immer noch die Zeitschrift des Sprachvereins. Namentlich
aber ist es eine Zeitschrift, die einen großen Einfluß vermöge ihres Leser¬
kreises ausüben könnte, die sich aber bisher mit Sprachfragen gar nicht befaßt.
Es ist die Deutsche Richterzeitung, die wir sogar in der Zeitschrift des Sprach¬
vereins (November 1909) als abschreckendes Beispiel in sprachlicher Hinsicht
aufgeführt finden. Es wäre meines Erachtens eine dankbare Aufgabe für den
Sprachverein, sich mit der Schriftleitung der Deutschen Richterzeitung in Ver-



*) Vgl. darüber Erker in der Zeitschrift des Sprachvereins 1911 Januar- und Februar¬
nummer.
Maßregeln zur Verbesserung der Gesetzessprache

ausgesprochen, dann hätten vielleicht Zweifel darüber auftauchen können, wie
das Gericht bei der Urteilsfindung zu verfahren habe. , Nachdem aber der
Grundsatz der freien Beweiswürdigung über ein Menschenalter lang in unserer
Gesetzgebung eingeführt ist, ist es höchst überflüssig, daß uns der Gesetzgeber
in jedem neuen Gesetze, das ein Gerichtsverfahren behandelt, wieder versichert,
daß das Gericht nur nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden habe. Ähn¬
liches gilt von der Bestimmung des § 260 der Se. P. O. (Vgl. Gewerbegerichts¬
gesetz Z 41; Gesetz über die Kaufmannsgerichte vom 4. Juli 1904 Z 16;
Militärstrafgerichtsordnung § 315, Kirchengesetz vom 16. März 1910 Z 11 u. a.).
Über die zahlreichen lediglich auf Nachlässigkeit beruhenden Verstöße gegen die
Sprachregeln, die sich in unseren Gesetzen finden, ist so viel geschrieben worden,
daß ich mir füglich die Anführung von Beispielen ersparen kann. Alles dies
würde nicht vorkommen, wenn der Verfasser eines Gesetzentwurfes in der Be¬
gründung Rechenschaft geben müßte über die sprachliche Behandlung seiner Arbeit.

Von größter Bedeutung würde ich sodann ein Wörterbuch der Gesetzes¬
sprache halten, in dem nicht nur gute Verdeutschungen der Fremdwörter der
Gesetzessprache enthalten wären, fondern auch die hauptsächlichsten Rede¬
wendungen, die in unseren Gesetzen öfter wiederkehren, berücksichtigt würden*).
Dadurch würde den Verfassern von Gesetzentwürfen die Arbeit außerordentlich
erleichtert und vor allem würde die Aufmerksamkeit ständig darauf gerichtet,
daß die Sprache des Gesetzgebers musterhaft sein muß. Die Abfassung eines
derartigen Wörterbuches stößt aber, wie ich mich durch einen Versuch überzeugt
habe, auf erhebliche Schwierigkeiten.

Es wäre sodann weiter anzustreben, daß in den Volksvertretungen, in den
Kommissionen und in der Presse die Sprache des Entwurfes eines Gesetzes,
mehr als das bisher geschehen ist, zum Gegenstand der Erörterung gemacht
würde. Aber auch ohne daß bestimmte Gesetzentwürfe vorliegen, wäre nach
Möglichkeit anzustreben, daß in der Presse und zwar sowohl in der Fachpresse
wie in der Tagespresse und in den gesetzgebenden Körperschaften unsere Ge¬
setzessprache öfter untersucht und die allgemeine Aufmerksamkeit darauf gelenkt
würde. Auch hier brauche ich das Lob des Sprachvereins nicht zu singen.
Trotz aller Anstrengungen sind die Fachzeitschriften, die zuweilen Aufsätze über
unsere Gesetzessprache bringen, recht spärlich gesät, und die Haupttätigkeit nach
dieser Richtung entfaltet immer noch die Zeitschrift des Sprachvereins. Namentlich
aber ist es eine Zeitschrift, die einen großen Einfluß vermöge ihres Leser¬
kreises ausüben könnte, die sich aber bisher mit Sprachfragen gar nicht befaßt.
Es ist die Deutsche Richterzeitung, die wir sogar in der Zeitschrift des Sprach¬
vereins (November 1909) als abschreckendes Beispiel in sprachlicher Hinsicht
aufgeführt finden. Es wäre meines Erachtens eine dankbare Aufgabe für den
Sprachverein, sich mit der Schriftleitung der Deutschen Richterzeitung in Ver-



*) Vgl. darüber Erker in der Zeitschrift des Sprachvereins 1911 Januar- und Februar¬
nummer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322822"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßregeln zur Verbesserung der Gesetzessprache</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2055" prev="#ID_2054"> ausgesprochen, dann hätten vielleicht Zweifel darüber auftauchen können, wie<lb/>
das Gericht bei der Urteilsfindung zu verfahren habe. , Nachdem aber der<lb/>
Grundsatz der freien Beweiswürdigung über ein Menschenalter lang in unserer<lb/>
Gesetzgebung eingeführt ist, ist es höchst überflüssig, daß uns der Gesetzgeber<lb/>
in jedem neuen Gesetze, das ein Gerichtsverfahren behandelt, wieder versichert,<lb/>
daß das Gericht nur nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden habe. Ähn¬<lb/>
liches gilt von der Bestimmung des § 260 der Se. P. O. (Vgl. Gewerbegerichts¬<lb/>
gesetz Z 41; Gesetz über die Kaufmannsgerichte vom 4. Juli 1904 Z 16;<lb/>
Militärstrafgerichtsordnung § 315, Kirchengesetz vom 16. März 1910 Z 11 u. a.).<lb/>
Über die zahlreichen lediglich auf Nachlässigkeit beruhenden Verstöße gegen die<lb/>
Sprachregeln, die sich in unseren Gesetzen finden, ist so viel geschrieben worden,<lb/>
daß ich mir füglich die Anführung von Beispielen ersparen kann. Alles dies<lb/>
würde nicht vorkommen, wenn der Verfasser eines Gesetzentwurfes in der Be¬<lb/>
gründung Rechenschaft geben müßte über die sprachliche Behandlung seiner Arbeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2056"> Von größter Bedeutung würde ich sodann ein Wörterbuch der Gesetzes¬<lb/>
sprache halten, in dem nicht nur gute Verdeutschungen der Fremdwörter der<lb/>
Gesetzessprache enthalten wären, fondern auch die hauptsächlichsten Rede¬<lb/>
wendungen, die in unseren Gesetzen öfter wiederkehren, berücksichtigt würden*).<lb/>
Dadurch würde den Verfassern von Gesetzentwürfen die Arbeit außerordentlich<lb/>
erleichtert und vor allem würde die Aufmerksamkeit ständig darauf gerichtet,<lb/>
daß die Sprache des Gesetzgebers musterhaft sein muß. Die Abfassung eines<lb/>
derartigen Wörterbuches stößt aber, wie ich mich durch einen Versuch überzeugt<lb/>
habe, auf erhebliche Schwierigkeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2057" next="#ID_2058"> Es wäre sodann weiter anzustreben, daß in den Volksvertretungen, in den<lb/>
Kommissionen und in der Presse die Sprache des Entwurfes eines Gesetzes,<lb/>
mehr als das bisher geschehen ist, zum Gegenstand der Erörterung gemacht<lb/>
würde. Aber auch ohne daß bestimmte Gesetzentwürfe vorliegen, wäre nach<lb/>
Möglichkeit anzustreben, daß in der Presse und zwar sowohl in der Fachpresse<lb/>
wie in der Tagespresse und in den gesetzgebenden Körperschaften unsere Ge¬<lb/>
setzessprache öfter untersucht und die allgemeine Aufmerksamkeit darauf gelenkt<lb/>
würde. Auch hier brauche ich das Lob des Sprachvereins nicht zu singen.<lb/>
Trotz aller Anstrengungen sind die Fachzeitschriften, die zuweilen Aufsätze über<lb/>
unsere Gesetzessprache bringen, recht spärlich gesät, und die Haupttätigkeit nach<lb/>
dieser Richtung entfaltet immer noch die Zeitschrift des Sprachvereins. Namentlich<lb/>
aber ist es eine Zeitschrift, die einen großen Einfluß vermöge ihres Leser¬<lb/>
kreises ausüben könnte, die sich aber bisher mit Sprachfragen gar nicht befaßt.<lb/>
Es ist die Deutsche Richterzeitung, die wir sogar in der Zeitschrift des Sprach¬<lb/>
vereins (November 1909) als abschreckendes Beispiel in sprachlicher Hinsicht<lb/>
aufgeführt finden. Es wäre meines Erachtens eine dankbare Aufgabe für den<lb/>
Sprachverein, sich mit der Schriftleitung der Deutschen Richterzeitung in Ver-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_45" place="foot"> *) Vgl. darüber Erker in der Zeitschrift des Sprachvereins 1911 Januar- und Februar¬<lb/>
nummer.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0420] Maßregeln zur Verbesserung der Gesetzessprache ausgesprochen, dann hätten vielleicht Zweifel darüber auftauchen können, wie das Gericht bei der Urteilsfindung zu verfahren habe. , Nachdem aber der Grundsatz der freien Beweiswürdigung über ein Menschenalter lang in unserer Gesetzgebung eingeführt ist, ist es höchst überflüssig, daß uns der Gesetzgeber in jedem neuen Gesetze, das ein Gerichtsverfahren behandelt, wieder versichert, daß das Gericht nur nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden habe. Ähn¬ liches gilt von der Bestimmung des § 260 der Se. P. O. (Vgl. Gewerbegerichts¬ gesetz Z 41; Gesetz über die Kaufmannsgerichte vom 4. Juli 1904 Z 16; Militärstrafgerichtsordnung § 315, Kirchengesetz vom 16. März 1910 Z 11 u. a.). Über die zahlreichen lediglich auf Nachlässigkeit beruhenden Verstöße gegen die Sprachregeln, die sich in unseren Gesetzen finden, ist so viel geschrieben worden, daß ich mir füglich die Anführung von Beispielen ersparen kann. Alles dies würde nicht vorkommen, wenn der Verfasser eines Gesetzentwurfes in der Be¬ gründung Rechenschaft geben müßte über die sprachliche Behandlung seiner Arbeit. Von größter Bedeutung würde ich sodann ein Wörterbuch der Gesetzes¬ sprache halten, in dem nicht nur gute Verdeutschungen der Fremdwörter der Gesetzessprache enthalten wären, fondern auch die hauptsächlichsten Rede¬ wendungen, die in unseren Gesetzen öfter wiederkehren, berücksichtigt würden*). Dadurch würde den Verfassern von Gesetzentwürfen die Arbeit außerordentlich erleichtert und vor allem würde die Aufmerksamkeit ständig darauf gerichtet, daß die Sprache des Gesetzgebers musterhaft sein muß. Die Abfassung eines derartigen Wörterbuches stößt aber, wie ich mich durch einen Versuch überzeugt habe, auf erhebliche Schwierigkeiten. Es wäre sodann weiter anzustreben, daß in den Volksvertretungen, in den Kommissionen und in der Presse die Sprache des Entwurfes eines Gesetzes, mehr als das bisher geschehen ist, zum Gegenstand der Erörterung gemacht würde. Aber auch ohne daß bestimmte Gesetzentwürfe vorliegen, wäre nach Möglichkeit anzustreben, daß in der Presse und zwar sowohl in der Fachpresse wie in der Tagespresse und in den gesetzgebenden Körperschaften unsere Ge¬ setzessprache öfter untersucht und die allgemeine Aufmerksamkeit darauf gelenkt würde. Auch hier brauche ich das Lob des Sprachvereins nicht zu singen. Trotz aller Anstrengungen sind die Fachzeitschriften, die zuweilen Aufsätze über unsere Gesetzessprache bringen, recht spärlich gesät, und die Haupttätigkeit nach dieser Richtung entfaltet immer noch die Zeitschrift des Sprachvereins. Namentlich aber ist es eine Zeitschrift, die einen großen Einfluß vermöge ihres Leser¬ kreises ausüben könnte, die sich aber bisher mit Sprachfragen gar nicht befaßt. Es ist die Deutsche Richterzeitung, die wir sogar in der Zeitschrift des Sprach¬ vereins (November 1909) als abschreckendes Beispiel in sprachlicher Hinsicht aufgeführt finden. Es wäre meines Erachtens eine dankbare Aufgabe für den Sprachverein, sich mit der Schriftleitung der Deutschen Richterzeitung in Ver- *) Vgl. darüber Erker in der Zeitschrift des Sprachvereins 1911 Januar- und Februar¬ nummer.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/420
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/420>, abgerufen am 15.01.2025.