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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Heeresvi-rmehrung oder Hceresvorstärkuiig?

müssen. Dieser Auffassung widerspricht die einfache Tatsache, daß sich die
politischen und gewerblichen Unternehmungen um Offiziere geradezu reißen.
Freilich müssen es mindestens ehemalige Regimentskommandeure sein. Alles, was
darunter liegt, wird glatt abgelehnt; nur der ganz junge Leutnant hat wieder
Chancen. Hierin wird zum Ausdruck gebracht, daß man den erfolgreichen Offizier
gern nimmt, nicht aber den Durchschnittsoffizier, denn nach Auffassung der
communi8 opinio steht der Durchschnittsoffizier unter dem Durchschnitt der
Anforderungen, die die fortgeschrittene Zeit gegenwärtig an alle Mitglieder der
tätigen Gesellschaft stellt. Die oft beklagten schlechten Erfahrungen, die Privat¬
unternehmer mit ehemaligen Offizieren in den letzten zwanzig Jahren gemacht
haben, sind es, die rückwirkend auch die im Lande herrschenden Auffassungen
über die Armee in ungünstigem Sinne beeinflußt haben, und die AntiMilitaristen
halten hier eine Ernte, wo nicht sie gesät haben. Es ist Sache der Armee¬
leitung, die Ursachen zu beseitigen, und diese Ursachen liegen vorwiegend in der
Überalterung des Offizierkorps, nicht im Nachlassen kriegerischen Geistes bei der
Nation, nicht im Mangel an gutem Willen bei den Offizieren selbst.

Es ist selbstverständlich, daß die Überalterung und ihre Folgeerscheinungen
nicht von heute aus morgen behoben werden können; ein Zeitraum von sechs
bis acht Jahren wäre schon erforderlich, um Kompagnie- und Batteriechefs von
durchschnittlich dreißig Jahren, Bataillons- und Abteilungskommandeure von
sechsunddreißig und Regimentskommandeure von vierundvierzig Jahren zu
gewinnen. In dieser Zeit dürfen die sonstigen Heeresergänzungen und -Ver¬
besserungen nicht ruhen. Aber einer Heeresvermehrung von rund achtzigtausend
Mann, wie Hochwart sie anstrebt, möchte ich doch nicht ohne weiteres das
Wort reden.

Im gegenwärtigen Augenblick würde sie überdies im In- und Auslande
berechtigtes Aufsehen erregen und Deutschland in den Verdacht bringen,
einen Angriffskrieg vorzuhaben, ohne daß es doch der Fall ist. Derartige
Dinge können unseren Welthandel ohne Grund empfindlich schädigen, --
wenn auch nur vorübergehend. Was aber nach meiner Auffassung angestrebt
werden sollte, das ist die jährliche Selbsttätige Steigerung der Heeresstärke in
einem bestimmten Verhältnis zur Steigerung des Volkswachstums. Es sollte
endlich damit gebrochen werden, daß die Heeresverwaltung um jeden Mann
mehr mit den Parteien feilschen muß. Nur neue Formationen, die sich aus der
allmählichen Vermehrung des Heerespersonals in gewissen Zeitabständen not¬
wendig machen, sollten fortab noch besonders bewilligt werden müssen. Daß die
Quinqnennatswirtschaft auf die Dauer unhaltbar ist, haben die letzten Heeres¬
ergänzungen deutlich genug erwiesen.

Aber auch bei dem jetzigen Zustande könnte manches getan werden ohne
große finanzielle Aufwendungen, um die uicht zum Heeresdienst eingezogenen
Mannschaften wenigstens teilweise für den Krieg vorzubilden. Ich denke da
hauptsächlich an den Ausbau der Kriegervereine zu Schützenvereinen, in denen


Heeresvi-rmehrung oder Hceresvorstärkuiig?

müssen. Dieser Auffassung widerspricht die einfache Tatsache, daß sich die
politischen und gewerblichen Unternehmungen um Offiziere geradezu reißen.
Freilich müssen es mindestens ehemalige Regimentskommandeure sein. Alles, was
darunter liegt, wird glatt abgelehnt; nur der ganz junge Leutnant hat wieder
Chancen. Hierin wird zum Ausdruck gebracht, daß man den erfolgreichen Offizier
gern nimmt, nicht aber den Durchschnittsoffizier, denn nach Auffassung der
communi8 opinio steht der Durchschnittsoffizier unter dem Durchschnitt der
Anforderungen, die die fortgeschrittene Zeit gegenwärtig an alle Mitglieder der
tätigen Gesellschaft stellt. Die oft beklagten schlechten Erfahrungen, die Privat¬
unternehmer mit ehemaligen Offizieren in den letzten zwanzig Jahren gemacht
haben, sind es, die rückwirkend auch die im Lande herrschenden Auffassungen
über die Armee in ungünstigem Sinne beeinflußt haben, und die AntiMilitaristen
halten hier eine Ernte, wo nicht sie gesät haben. Es ist Sache der Armee¬
leitung, die Ursachen zu beseitigen, und diese Ursachen liegen vorwiegend in der
Überalterung des Offizierkorps, nicht im Nachlassen kriegerischen Geistes bei der
Nation, nicht im Mangel an gutem Willen bei den Offizieren selbst.

Es ist selbstverständlich, daß die Überalterung und ihre Folgeerscheinungen
nicht von heute aus morgen behoben werden können; ein Zeitraum von sechs
bis acht Jahren wäre schon erforderlich, um Kompagnie- und Batteriechefs von
durchschnittlich dreißig Jahren, Bataillons- und Abteilungskommandeure von
sechsunddreißig und Regimentskommandeure von vierundvierzig Jahren zu
gewinnen. In dieser Zeit dürfen die sonstigen Heeresergänzungen und -Ver¬
besserungen nicht ruhen. Aber einer Heeresvermehrung von rund achtzigtausend
Mann, wie Hochwart sie anstrebt, möchte ich doch nicht ohne weiteres das
Wort reden.

Im gegenwärtigen Augenblick würde sie überdies im In- und Auslande
berechtigtes Aufsehen erregen und Deutschland in den Verdacht bringen,
einen Angriffskrieg vorzuhaben, ohne daß es doch der Fall ist. Derartige
Dinge können unseren Welthandel ohne Grund empfindlich schädigen, —
wenn auch nur vorübergehend. Was aber nach meiner Auffassung angestrebt
werden sollte, das ist die jährliche Selbsttätige Steigerung der Heeresstärke in
einem bestimmten Verhältnis zur Steigerung des Volkswachstums. Es sollte
endlich damit gebrochen werden, daß die Heeresverwaltung um jeden Mann
mehr mit den Parteien feilschen muß. Nur neue Formationen, die sich aus der
allmählichen Vermehrung des Heerespersonals in gewissen Zeitabständen not¬
wendig machen, sollten fortab noch besonders bewilligt werden müssen. Daß die
Quinqnennatswirtschaft auf die Dauer unhaltbar ist, haben die letzten Heeres¬
ergänzungen deutlich genug erwiesen.

Aber auch bei dem jetzigen Zustande könnte manches getan werden ohne
große finanzielle Aufwendungen, um die uicht zum Heeresdienst eingezogenen
Mannschaften wenigstens teilweise für den Krieg vorzubilden. Ich denke da
hauptsächlich an den Ausbau der Kriegervereine zu Schützenvereinen, in denen


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[0406] Heeresvi-rmehrung oder Hceresvorstärkuiig? müssen. Dieser Auffassung widerspricht die einfache Tatsache, daß sich die politischen und gewerblichen Unternehmungen um Offiziere geradezu reißen. Freilich müssen es mindestens ehemalige Regimentskommandeure sein. Alles, was darunter liegt, wird glatt abgelehnt; nur der ganz junge Leutnant hat wieder Chancen. Hierin wird zum Ausdruck gebracht, daß man den erfolgreichen Offizier gern nimmt, nicht aber den Durchschnittsoffizier, denn nach Auffassung der communi8 opinio steht der Durchschnittsoffizier unter dem Durchschnitt der Anforderungen, die die fortgeschrittene Zeit gegenwärtig an alle Mitglieder der tätigen Gesellschaft stellt. Die oft beklagten schlechten Erfahrungen, die Privat¬ unternehmer mit ehemaligen Offizieren in den letzten zwanzig Jahren gemacht haben, sind es, die rückwirkend auch die im Lande herrschenden Auffassungen über die Armee in ungünstigem Sinne beeinflußt haben, und die AntiMilitaristen halten hier eine Ernte, wo nicht sie gesät haben. Es ist Sache der Armee¬ leitung, die Ursachen zu beseitigen, und diese Ursachen liegen vorwiegend in der Überalterung des Offizierkorps, nicht im Nachlassen kriegerischen Geistes bei der Nation, nicht im Mangel an gutem Willen bei den Offizieren selbst. Es ist selbstverständlich, daß die Überalterung und ihre Folgeerscheinungen nicht von heute aus morgen behoben werden können; ein Zeitraum von sechs bis acht Jahren wäre schon erforderlich, um Kompagnie- und Batteriechefs von durchschnittlich dreißig Jahren, Bataillons- und Abteilungskommandeure von sechsunddreißig und Regimentskommandeure von vierundvierzig Jahren zu gewinnen. In dieser Zeit dürfen die sonstigen Heeresergänzungen und -Ver¬ besserungen nicht ruhen. Aber einer Heeresvermehrung von rund achtzigtausend Mann, wie Hochwart sie anstrebt, möchte ich doch nicht ohne weiteres das Wort reden. Im gegenwärtigen Augenblick würde sie überdies im In- und Auslande berechtigtes Aufsehen erregen und Deutschland in den Verdacht bringen, einen Angriffskrieg vorzuhaben, ohne daß es doch der Fall ist. Derartige Dinge können unseren Welthandel ohne Grund empfindlich schädigen, — wenn auch nur vorübergehend. Was aber nach meiner Auffassung angestrebt werden sollte, das ist die jährliche Selbsttätige Steigerung der Heeresstärke in einem bestimmten Verhältnis zur Steigerung des Volkswachstums. Es sollte endlich damit gebrochen werden, daß die Heeresverwaltung um jeden Mann mehr mit den Parteien feilschen muß. Nur neue Formationen, die sich aus der allmählichen Vermehrung des Heerespersonals in gewissen Zeitabständen not¬ wendig machen, sollten fortab noch besonders bewilligt werden müssen. Daß die Quinqnennatswirtschaft auf die Dauer unhaltbar ist, haben die letzten Heeres¬ ergänzungen deutlich genug erwiesen. Aber auch bei dem jetzigen Zustande könnte manches getan werden ohne große finanzielle Aufwendungen, um die uicht zum Heeresdienst eingezogenen Mannschaften wenigstens teilweise für den Krieg vorzubilden. Ich denke da hauptsächlich an den Ausbau der Kriegervereine zu Schützenvereinen, in denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/406>, abgerufen am 15.01.2025.