Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspicgel realisiert oder nicht, jedenfalls liegt zunächst eine Entwertung vor, die sich auch Es erhebt sich nun die Frage, ob nach einer Klärung der politischen Verhält- Die verschiedenen Anläufe, welche gemacht wurden, bei der geringsten Aussicht Dieses letztere ist nun aber gegenwärtig durchaus der Fall. Das Anziehen Reichsspicgel realisiert oder nicht, jedenfalls liegt zunächst eine Entwertung vor, die sich auch Es erhebt sich nun die Frage, ob nach einer Klärung der politischen Verhält- Die verschiedenen Anläufe, welche gemacht wurden, bei der geringsten Aussicht Dieses letztere ist nun aber gegenwärtig durchaus der Fall. Das Anziehen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322798"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspicgel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1956" prev="#ID_1955"> realisiert oder nicht, jedenfalls liegt zunächst eine Entwertung vor, die sich auch<lb/> dem solidesten Effektenbesitzer fühlbar machen musz. Sind doch gerade auch die<lb/> Rentenwerte äußerst empfindlich von dem Kursrückgang betroffen worden. Die<lb/> deutschen Staatsanleihen haben, obwohl von den politischen Ereignissen direkt nicht<lb/> berührt, allein 0,71 Prozent durchschnittlich eingebüßt. Aber auch die direkten<lb/> Verluste sind außergewöhnlich hohe gewesen. Sie lassen sich natürlich nur schätzungs¬<lb/> weise angeben. Man kann aber aus dem starken Minderbedarf bei der Monats¬<lb/> regulierung den Schluß Ueber, daß allein bei den Ultimopapieren die Verluste<lb/> sich auf etwa 60 Millionen Mark belaufen haben. Dazu treten dann die wahr¬<lb/> scheinlich nicht geringfügigeren Einbußen an den Kassawerten, so daß man hinter<lb/> der Wahrheit eher zurückbleibt, wenn man den effektiven Verlust der Berliner<lb/> Börse auf 100 Millionen Mark schätzt. Das ist eine gewaltige Ziffer und es ist<lb/> erstaunlich, daß bei so enormen Verlusten nicht in weit größerem Umfang Zahlungs¬<lb/> einstellungen vorgekommen sind. Freilich hat man alles getan, um der Schwierigkeit<lb/> Herr zu werden; es mag sich manches schwach gedeckte Konto jetzt in den Büchern<lb/> der Banken finden, das in der Hoffnung auf bessere Zeiten durchgeholten und<lb/> nicht der börsenmäßigen Exekution überliefert wurde. Aber jedenfalls ist der<lb/> Beweis erbracht, daß der Markt auch einer so schweren Erschütterung standzuhalten<lb/> vermochte, daß mithin von einer die Grenzen der Leistungsfähigkeit übersteigenden<lb/> Überspekulation nicht wohl geredet werden konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1957"> Es erhebt sich nun die Frage, ob nach einer Klärung der politischen Verhält-<lb/> nisse die Börse mit einiger Berechtigung auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen<lb/> Stand rechnen darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1958"> Die verschiedenen Anläufe, welche gemacht wurden, bei der geringsten Aussicht<lb/> auf Besserung, das Kursniveau nach oben zu revidieren, lassen darauf schließen,<lb/> daß man in dieser Hinsicht sehr optimistisch denkt. Hat doch nicht einmal die<lb/> inzwischen erfolgte Erhöhung des Reichsbanksatzes irgendeine abschreckende Wirkung<lb/> ausgeübt! Trotz eines Diskontos von 6 Prozent hält man es für richtig, die<lb/> Kurse der Jndustriewerte energisch zu steigern. Um volle 10 Prozent sind die<lb/> hauptsächlichsten Montanaktien binnen weniger Tage in die Höhe geschnellt! Dem¬<lb/> gegenüber muß mit aller Entschiedenheit darauf hingewiesen werden, daß nach der<lb/> gegenwärtigen Lage des Geldmarktes ein Mißverhältnis zwischen Zinsfuß und<lb/> Aktienrente besteht, welches früher oder später eine energische Korrektur erheischt.<lb/> Der Durchschnittskurs der an der Berliner Börse gehandelten Montanaktien belief<lb/> sich Ende Oktober auf 192,45 Prozent gegen 208,34 Prozent Ende September.<lb/> Trotz dieser bedeutenden Kursermätzigung gewährten diese Papiere Ende Oktober<lb/> nur eine Verzinsung von 5,6 Prozent auf das investierte Kapital. Durch die in<lb/> der ersten Hälfte des November eingetretene starke Kurssteigerung ist dieses Erträgnis<lb/> noch kleiner geworden. Eine solche Verzinsung einer starken Kursschwankungen<lb/> unterworfenen Aktie ist, wie hier schon des öftereii betont worden ist, auch bei<lb/> einem normalen Stand des Zinsfußes ungenügend, sie ist aber vollkommen anormal,<lb/> wenn der Reichsbankdiskont auf 6 Prozent steht und die allgemeinen Verhältnisse<lb/> darauf hindeuten, daß mit einer längeren Periode teuern Geldes gerechnet<lb/> werden muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1959" next="#ID_1960"> Dieses letztere ist nun aber gegenwärtig durchaus der Fall. Das Anziehen<lb/> der Geldsätze, das freilich durch die Kriegsläufte begünstigt worden ist, stellt sich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
Reichsspicgel
realisiert oder nicht, jedenfalls liegt zunächst eine Entwertung vor, die sich auch
dem solidesten Effektenbesitzer fühlbar machen musz. Sind doch gerade auch die
Rentenwerte äußerst empfindlich von dem Kursrückgang betroffen worden. Die
deutschen Staatsanleihen haben, obwohl von den politischen Ereignissen direkt nicht
berührt, allein 0,71 Prozent durchschnittlich eingebüßt. Aber auch die direkten
Verluste sind außergewöhnlich hohe gewesen. Sie lassen sich natürlich nur schätzungs¬
weise angeben. Man kann aber aus dem starken Minderbedarf bei der Monats¬
regulierung den Schluß Ueber, daß allein bei den Ultimopapieren die Verluste
sich auf etwa 60 Millionen Mark belaufen haben. Dazu treten dann die wahr¬
scheinlich nicht geringfügigeren Einbußen an den Kassawerten, so daß man hinter
der Wahrheit eher zurückbleibt, wenn man den effektiven Verlust der Berliner
Börse auf 100 Millionen Mark schätzt. Das ist eine gewaltige Ziffer und es ist
erstaunlich, daß bei so enormen Verlusten nicht in weit größerem Umfang Zahlungs¬
einstellungen vorgekommen sind. Freilich hat man alles getan, um der Schwierigkeit
Herr zu werden; es mag sich manches schwach gedeckte Konto jetzt in den Büchern
der Banken finden, das in der Hoffnung auf bessere Zeiten durchgeholten und
nicht der börsenmäßigen Exekution überliefert wurde. Aber jedenfalls ist der
Beweis erbracht, daß der Markt auch einer so schweren Erschütterung standzuhalten
vermochte, daß mithin von einer die Grenzen der Leistungsfähigkeit übersteigenden
Überspekulation nicht wohl geredet werden konnte.
Es erhebt sich nun die Frage, ob nach einer Klärung der politischen Verhält-
nisse die Börse mit einiger Berechtigung auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand rechnen darf.
Die verschiedenen Anläufe, welche gemacht wurden, bei der geringsten Aussicht
auf Besserung, das Kursniveau nach oben zu revidieren, lassen darauf schließen,
daß man in dieser Hinsicht sehr optimistisch denkt. Hat doch nicht einmal die
inzwischen erfolgte Erhöhung des Reichsbanksatzes irgendeine abschreckende Wirkung
ausgeübt! Trotz eines Diskontos von 6 Prozent hält man es für richtig, die
Kurse der Jndustriewerte energisch zu steigern. Um volle 10 Prozent sind die
hauptsächlichsten Montanaktien binnen weniger Tage in die Höhe geschnellt! Dem¬
gegenüber muß mit aller Entschiedenheit darauf hingewiesen werden, daß nach der
gegenwärtigen Lage des Geldmarktes ein Mißverhältnis zwischen Zinsfuß und
Aktienrente besteht, welches früher oder später eine energische Korrektur erheischt.
Der Durchschnittskurs der an der Berliner Börse gehandelten Montanaktien belief
sich Ende Oktober auf 192,45 Prozent gegen 208,34 Prozent Ende September.
Trotz dieser bedeutenden Kursermätzigung gewährten diese Papiere Ende Oktober
nur eine Verzinsung von 5,6 Prozent auf das investierte Kapital. Durch die in
der ersten Hälfte des November eingetretene starke Kurssteigerung ist dieses Erträgnis
noch kleiner geworden. Eine solche Verzinsung einer starken Kursschwankungen
unterworfenen Aktie ist, wie hier schon des öftereii betont worden ist, auch bei
einem normalen Stand des Zinsfußes ungenügend, sie ist aber vollkommen anormal,
wenn der Reichsbankdiskont auf 6 Prozent steht und die allgemeinen Verhältnisse
darauf hindeuten, daß mit einer längeren Periode teuern Geldes gerechnet
werden muß.
Dieses letztere ist nun aber gegenwärtig durchaus der Fall. Das Anziehen
der Geldsätze, das freilich durch die Kriegsläufte begünstigt worden ist, stellt sich
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