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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Haß, den jeder Kenner des Ostens dort
immer wieder finden wird.

Eine tiefe Liebe zum Boden der Väter
erfüllt das ganze Buch, jenes bäuerliche
Denken und Sein, das bei uns Jeremias
Gotthelf Wohl am stärksten verkörpert hat,
und wovon in dem großen Bauernroman
"Judas" unserer Lulu von Strauß und
Torney ein gutes Stück Gegenwart künst¬
lerisch lebendig geworden ist. Aber auch der
herben Art, mit der die großen französischen
Realisten, Flaubert vor allen, Bodenmenschen
schildern, ist das Buch verwandt. Nur ist
alles gewissermaßen jugendlicher, als ob der
Erzähler noch in der Zeit einer erst frisch
erwachenden Kultur stände. Das spürt man
nicht nur an den nach Art alter Volksepen
eingefügten Zwischengliedern, erzählten Le¬
genden und Sagen, sondern in der ganzen
Art, wie sich der Erzähler mit seinen Ge¬
stalten eins fühlt. Nirgends spricht der
Volkserzieher, der Volksbelehrer, der von
außen schauende Künstler, überall der Mensch,
der mitten drin steckt, der zu einem guten
Teil seine Geschichte schreibt. Und es erhöht
die Achtung vor der Begabung von Wladis-
law Stanislaw Reymond, daß er dabei doch
die ordnende Hand des wirklichen Dichters
bewährt und uns bei der Rückschau die volle
Einheit eines wesenhaften Kunstwerks sehen
läßt.

Die Übersetzung des umfangreichen Werks
ist sehr gut; die leicht hamburgische Färbung
läßt erkennen, daß Jean Paul dÄrdeschah,
von Geburt Wohl Pole, jetzt in der Nähe
Hamburgs angesessen ist.

Dr. Heinrich Spiero

In unserer großen Erinnerungszeit be¬
grüßen wir ein Unternehmen mit besonderer
Freude, das in Gust. Schloeßmanns Verlag,
Hamburg, unter dem Titel "Als Deutschland
erwachte" in zwanzig in sich abgeschlossenen
Bändchen (zum Preise von 76 Pf., geb. 1 M.,
bei etwa hundert Druckseiten) vorliegt. Es
wendet sich an Jugend und Volk und bringt
in jedem Bande einen Packenden Ausschnitt
aus der Franzosenzeit und den Freiheits¬
kriegen, in dessen Mitte eine hervorragende
Persönlichkeit oder Begebenheit steht, von
Kennern der Zeit auf Grund reichen Quellen¬

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materials dargestellt und mit interessanten
Abbildungen nach zeitgenössischen Vorlagen
geschmückt. Schon die Titel zeigen, wie weit
die Sammlung spannt: Königin Luise (Oskar
Brüssau), Blücher (Elis. Erich Pauls), Stein
(Paul G. A. Sydow), Hofer (Rich. Weitbrecht),
Schill (Ernst Evers), Jahr (Karsten Brandt),
Scharnhorst (E. von Wangenheim), Gneisenau
(derselbe), Arndt(Sydow), Napoleon I. (Pauls),
Körner (Brandt), Weimar (Adolf Bartels),
Aus Hamburgs Schreckenstagen (Jul. Hohn),
Das Elend der Fremdherrschaft (H, Bechtols-
heimer), Mit Leier und Schwert (Gotth.
Boetticher), Mit der großen Armee 1812
(Jul. Hahn), Heldenmädchen und -Frauen
(Otto Karstadt), Die Völkerschlacht bei Leipzig
(Ernst Schäfer), Belle-Alliance (Pauls). Zu
Vorträgen wie zum Vorlesen in der Familie
ist hier ein reicher Stoff übersichtlich auf¬
gespeichert, den sich patriotische Kreise nicht
entgehen lassen sollten. Die vom selben Ver¬
lage gratis abgegebene Übersicht "Die Be¬
freiungskriege in Literatur und Kunst" dürfte
mit ihren viele Hunderte von Titeln um¬
fassenden Angaben jedem willkommen sein,
der tiefer in die Literatur über die Zeit von
S. 1806 bis 1316 eindringen will.

Eduard Stilgevauer: "Das LieVcsnest."
Roman. (Berlin, bei Rich. Borg.)

Wir zeigen dies Buch an, nicht weil wir
ihm eine große Verbreitung wünschen, sondern
lediglich, uni im Namen des guten Geschmacks
gegen eine unsaubere Sache zu protestieren.
Denn kein Zweifel: das Stilgebauersche
"Liebesnest" ist eine unsaubere Sache. Es
arbeitet mit den übelsten Mitteln des Kol¬
portageromans. Es paradiert von Anfang bis
Ende mit peinlich unwahren Gefühlen. ES
sucht die Erstndungsarmut und die schrift¬
stellerische Talentlosigkeit seines Verfassers
hinter einer schlecht verhehlten Lüsternheit zu
verstecken, die um so häßlicher wirkt, weil sie
ausschließlich auf den Geschmack halbwüchsiger
Kommis und Ladenmamsells eingestellt scheint.
Im Mittelpunkt steht ein erbärmlicherSchwäch-
ling, der dem Leser nur die Wahl läßt, ihn
als Idioten zu bemitleiden oder als Schurken
zu verachten. Und um diesen sogenannten
Helden schart sich ein so liebliches Durch¬
einander von verlogenen Situationen, von

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Haß, den jeder Kenner des Ostens dort
immer wieder finden wird.

Eine tiefe Liebe zum Boden der Väter
erfüllt das ganze Buch, jenes bäuerliche
Denken und Sein, das bei uns Jeremias
Gotthelf Wohl am stärksten verkörpert hat,
und wovon in dem großen Bauernroman
„Judas" unserer Lulu von Strauß und
Torney ein gutes Stück Gegenwart künst¬
lerisch lebendig geworden ist. Aber auch der
herben Art, mit der die großen französischen
Realisten, Flaubert vor allen, Bodenmenschen
schildern, ist das Buch verwandt. Nur ist
alles gewissermaßen jugendlicher, als ob der
Erzähler noch in der Zeit einer erst frisch
erwachenden Kultur stände. Das spürt man
nicht nur an den nach Art alter Volksepen
eingefügten Zwischengliedern, erzählten Le¬
genden und Sagen, sondern in der ganzen
Art, wie sich der Erzähler mit seinen Ge¬
stalten eins fühlt. Nirgends spricht der
Volkserzieher, der Volksbelehrer, der von
außen schauende Künstler, überall der Mensch,
der mitten drin steckt, der zu einem guten
Teil seine Geschichte schreibt. Und es erhöht
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law Stanislaw Reymond, daß er dabei doch
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bewährt und uns bei der Rückschau die volle
Einheit eines wesenhaften Kunstwerks sehen
läßt.

Die Übersetzung des umfangreichen Werks
ist sehr gut; die leicht hamburgische Färbung
läßt erkennen, daß Jean Paul dÄrdeschah,
von Geburt Wohl Pole, jetzt in der Nähe
Hamburgs angesessen ist.

Dr. Heinrich Spiero

In unserer großen Erinnerungszeit be¬
grüßen wir ein Unternehmen mit besonderer
Freude, das in Gust. Schloeßmanns Verlag,
Hamburg, unter dem Titel „Als Deutschland
erwachte" in zwanzig in sich abgeschlossenen
Bändchen (zum Preise von 76 Pf., geb. 1 M.,
bei etwa hundert Druckseiten) vorliegt. Es
wendet sich an Jugend und Volk und bringt
in jedem Bande einen Packenden Ausschnitt
aus der Franzosenzeit und den Freiheits¬
kriegen, in dessen Mitte eine hervorragende
Persönlichkeit oder Begebenheit steht, von
Kennern der Zeit auf Grund reichen Quellen¬

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materials dargestellt und mit interessanten
Abbildungen nach zeitgenössischen Vorlagen
geschmückt. Schon die Titel zeigen, wie weit
die Sammlung spannt: Königin Luise (Oskar
Brüssau), Blücher (Elis. Erich Pauls), Stein
(Paul G. A. Sydow), Hofer (Rich. Weitbrecht),
Schill (Ernst Evers), Jahr (Karsten Brandt),
Scharnhorst (E. von Wangenheim), Gneisenau
(derselbe), Arndt(Sydow), Napoleon I. (Pauls),
Körner (Brandt), Weimar (Adolf Bartels),
Aus Hamburgs Schreckenstagen (Jul. Hohn),
Das Elend der Fremdherrschaft (H, Bechtols-
heimer), Mit Leier und Schwert (Gotth.
Boetticher), Mit der großen Armee 1812
(Jul. Hahn), Heldenmädchen und -Frauen
(Otto Karstadt), Die Völkerschlacht bei Leipzig
(Ernst Schäfer), Belle-Alliance (Pauls). Zu
Vorträgen wie zum Vorlesen in der Familie
ist hier ein reicher Stoff übersichtlich auf¬
gespeichert, den sich patriotische Kreise nicht
entgehen lassen sollten. Die vom selben Ver¬
lage gratis abgegebene Übersicht „Die Be¬
freiungskriege in Literatur und Kunst" dürfte
mit ihren viele Hunderte von Titeln um¬
fassenden Angaben jedem willkommen sein,
der tiefer in die Literatur über die Zeit von
S. 1806 bis 1316 eindringen will.

Eduard Stilgevauer: „Das LieVcsnest."
Roman. (Berlin, bei Rich. Borg.)

Wir zeigen dies Buch an, nicht weil wir
ihm eine große Verbreitung wünschen, sondern
lediglich, uni im Namen des guten Geschmacks
gegen eine unsaubere Sache zu protestieren.
Denn kein Zweifel: das Stilgebauersche
„Liebesnest" ist eine unsaubere Sache. Es
arbeitet mit den übelsten Mitteln des Kol¬
portageromans. Es paradiert von Anfang bis
Ende mit peinlich unwahren Gefühlen. ES
sucht die Erstndungsarmut und die schrift¬
stellerische Talentlosigkeit seines Verfassers
hinter einer schlecht verhehlten Lüsternheit zu
verstecken, die um so häßlicher wirkt, weil sie
ausschließlich auf den Geschmack halbwüchsiger
Kommis und Ladenmamsells eingestellt scheint.
Im Mittelpunkt steht ein erbärmlicherSchwäch-
ling, der dem Leser nur die Wahl läßt, ihn
als Idioten zu bemitleiden oder als Schurken
zu verachten. Und um diesen sogenannten
Helden schart sich ein so liebliches Durch¬
einander von verlogenen Situationen, von

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[0393] Maßgebliches und Unmaßgebliches Haß, den jeder Kenner des Ostens dort immer wieder finden wird. Eine tiefe Liebe zum Boden der Väter erfüllt das ganze Buch, jenes bäuerliche Denken und Sein, das bei uns Jeremias Gotthelf Wohl am stärksten verkörpert hat, und wovon in dem großen Bauernroman „Judas" unserer Lulu von Strauß und Torney ein gutes Stück Gegenwart künst¬ lerisch lebendig geworden ist. Aber auch der herben Art, mit der die großen französischen Realisten, Flaubert vor allen, Bodenmenschen schildern, ist das Buch verwandt. Nur ist alles gewissermaßen jugendlicher, als ob der Erzähler noch in der Zeit einer erst frisch erwachenden Kultur stände. Das spürt man nicht nur an den nach Art alter Volksepen eingefügten Zwischengliedern, erzählten Le¬ genden und Sagen, sondern in der ganzen Art, wie sich der Erzähler mit seinen Ge¬ stalten eins fühlt. Nirgends spricht der Volkserzieher, der Volksbelehrer, der von außen schauende Künstler, überall der Mensch, der mitten drin steckt, der zu einem guten Teil seine Geschichte schreibt. Und es erhöht die Achtung vor der Begabung von Wladis- law Stanislaw Reymond, daß er dabei doch die ordnende Hand des wirklichen Dichters bewährt und uns bei der Rückschau die volle Einheit eines wesenhaften Kunstwerks sehen läßt. Die Übersetzung des umfangreichen Werks ist sehr gut; die leicht hamburgische Färbung läßt erkennen, daß Jean Paul dÄrdeschah, von Geburt Wohl Pole, jetzt in der Nähe Hamburgs angesessen ist. Dr. Heinrich Spiero In unserer großen Erinnerungszeit be¬ grüßen wir ein Unternehmen mit besonderer Freude, das in Gust. Schloeßmanns Verlag, Hamburg, unter dem Titel „Als Deutschland erwachte" in zwanzig in sich abgeschlossenen Bändchen (zum Preise von 76 Pf., geb. 1 M., bei etwa hundert Druckseiten) vorliegt. Es wendet sich an Jugend und Volk und bringt in jedem Bande einen Packenden Ausschnitt aus der Franzosenzeit und den Freiheits¬ kriegen, in dessen Mitte eine hervorragende Persönlichkeit oder Begebenheit steht, von Kennern der Zeit auf Grund reichen Quellen¬ materials dargestellt und mit interessanten Abbildungen nach zeitgenössischen Vorlagen geschmückt. Schon die Titel zeigen, wie weit die Sammlung spannt: Königin Luise (Oskar Brüssau), Blücher (Elis. Erich Pauls), Stein (Paul G. A. Sydow), Hofer (Rich. Weitbrecht), Schill (Ernst Evers), Jahr (Karsten Brandt), Scharnhorst (E. von Wangenheim), Gneisenau (derselbe), Arndt(Sydow), Napoleon I. (Pauls), Körner (Brandt), Weimar (Adolf Bartels), Aus Hamburgs Schreckenstagen (Jul. Hohn), Das Elend der Fremdherrschaft (H, Bechtols- heimer), Mit Leier und Schwert (Gotth. Boetticher), Mit der großen Armee 1812 (Jul. Hahn), Heldenmädchen und -Frauen (Otto Karstadt), Die Völkerschlacht bei Leipzig (Ernst Schäfer), Belle-Alliance (Pauls). Zu Vorträgen wie zum Vorlesen in der Familie ist hier ein reicher Stoff übersichtlich auf¬ gespeichert, den sich patriotische Kreise nicht entgehen lassen sollten. Die vom selben Ver¬ lage gratis abgegebene Übersicht „Die Be¬ freiungskriege in Literatur und Kunst" dürfte mit ihren viele Hunderte von Titeln um¬ fassenden Angaben jedem willkommen sein, der tiefer in die Literatur über die Zeit von S. 1806 bis 1316 eindringen will. Eduard Stilgevauer: „Das LieVcsnest." Roman. (Berlin, bei Rich. Borg.) Wir zeigen dies Buch an, nicht weil wir ihm eine große Verbreitung wünschen, sondern lediglich, uni im Namen des guten Geschmacks gegen eine unsaubere Sache zu protestieren. Denn kein Zweifel: das Stilgebauersche „Liebesnest" ist eine unsaubere Sache. Es arbeitet mit den übelsten Mitteln des Kol¬ portageromans. Es paradiert von Anfang bis Ende mit peinlich unwahren Gefühlen. ES sucht die Erstndungsarmut und die schrift¬ stellerische Talentlosigkeit seines Verfassers hinter einer schlecht verhehlten Lüsternheit zu verstecken, die um so häßlicher wirkt, weil sie ausschließlich auf den Geschmack halbwüchsiger Kommis und Ladenmamsells eingestellt scheint. Im Mittelpunkt steht ein erbärmlicherSchwäch- ling, der dem Leser nur die Wahl läßt, ihn als Idioten zu bemitleiden oder als Schurken zu verachten. Und um diesen sogenannten Helden schart sich ein so liebliches Durch¬ einander von verlogenen Situationen, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/393>, abgerufen am 15.01.2025.