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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

fränkischen Königs am Weihnachtsfeste des Jahres 800 ein westliches Imperium
Komanum schuf, dem es nicht zu dienen brauchte, sondern das es benutzen
konnte, um in seinem Schutze der Verwirklichung seiner geistlichen und kirch¬
lichen Ideen nachzugehen.

Im Osten waren unterdessen die stärksten Umwälzungen vor sich gegangen.
Im siebenten Jahrhundert bricht das alte Reich zusammen. Die Eroberungen
Justinians in Spanien und Afrika werden preisgegeben, in Italien behauptet
das Reich nur den Süden und die Küsten. Es folgt der zweihundertjährige
Kampf des griechischen Reiches gegen die Araber, die eigentliche weltgeschichtliche
Großtat von Byzanz. In diesem ruhmreichen Kampfe gehen alle nicht völlig
hellenisierten Teile des Reiches verloren; es bleiben nur Kleinasien und die
Balkanhalbinsel übrig samt den Inseln des Meeres, eine völlig einheitliche,
homogene Masse, von gleichartiger Nationalität, Sprache und Kultur. Es entsteht
ein byzantinisches Reich auf hellenistischer Grundlage. Und gleichzeitig zieht sich
der Hellenismus aus Italien, wo er seit dem dritten Jahrhundert geherrscht
und in Diokletian triumphiert hatte, vor dem Barbarentum der Germanen
völlig zurück. Das Nationalgefühl der Byzantiner aber ist in diesen zwei Jahr¬
hunderten umso reizbarer und empfindlicher geworden, je einheitlicher und
geschlossener die gesamte Kultur sich entwickelt hat. Insbesondere ist hier in diesem
lange dauernden Kampfe gegen den Islam um die staatliche und die religiöse
Eigenart völlige Harmonie zwischen Kirche und Staat erreicht worden, ein
gegenseitiges Durchdringen und Aufgehen beider Gewalten ineinander, wie es in
dieser Vollendung die Welt vorher nicht gesehen hatte. Und was das Kräftever¬
hältnis anbetrifft, so zeigt sich ein entschiedenes Übergewicht des Staates; nicht eine
Theokratie kann man dieses Reich nennen, sondern eher einen Cäsaropapismus.
Der Patriarch herrscht in der Kirche unbedingt, nicht gehindert durch Konzilien,
aber er ist der Hofbischof des Kaisers, der ihn ernennt und absetzt nach Be¬
lieben. Kaisertum und Patriarchat verschmelzen von jetzt ab in der Vorstellung
des byzantinischen Volkes zu einer Einheit, der Gedanke einer Trennung der höchsten
Gewalten entschwindet allmählich dem Bewußtsein des Volkes, es bleibt die
Staatskirche in vollendeter Form. Und als im fünfzehnten Jahrhundert das
Kaisertum vernichtet wird, ist darum die Einheit nicht zerstört. Die russische
Kirche stellt sie uns heute aufs deutlichste dar, und im Jahre 1910 durfte
in einer Volksversammlung vor der Universität Athen ein Mönch unter dem
Beifall der Menge ausrufen: "In Konstantinopel wohnt der wahre
Basileus unserer Nation, der Patriarch."

Eine Union der Kirchen ist somit auch undenkbar, weil die orthodoxe Kirche im
Prinzip von jeher Staatskirche war, Einheit der höchsten politischen und geistlichen
Gewalt voraussetzt, die römische Kirche dagegen universal, rein geistliche Gewalt,
insbesondere seit dem Vatikanum eine rein geistige, religiöse, völlig internationale
Macht geworden ist, die sich prinzipiell kraft ihres göttlichen Ursprungs über
die weltliche stellt.




Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

fränkischen Königs am Weihnachtsfeste des Jahres 800 ein westliches Imperium
Komanum schuf, dem es nicht zu dienen brauchte, sondern das es benutzen
konnte, um in seinem Schutze der Verwirklichung seiner geistlichen und kirch¬
lichen Ideen nachzugehen.

Im Osten waren unterdessen die stärksten Umwälzungen vor sich gegangen.
Im siebenten Jahrhundert bricht das alte Reich zusammen. Die Eroberungen
Justinians in Spanien und Afrika werden preisgegeben, in Italien behauptet
das Reich nur den Süden und die Küsten. Es folgt der zweihundertjährige
Kampf des griechischen Reiches gegen die Araber, die eigentliche weltgeschichtliche
Großtat von Byzanz. In diesem ruhmreichen Kampfe gehen alle nicht völlig
hellenisierten Teile des Reiches verloren; es bleiben nur Kleinasien und die
Balkanhalbinsel übrig samt den Inseln des Meeres, eine völlig einheitliche,
homogene Masse, von gleichartiger Nationalität, Sprache und Kultur. Es entsteht
ein byzantinisches Reich auf hellenistischer Grundlage. Und gleichzeitig zieht sich
der Hellenismus aus Italien, wo er seit dem dritten Jahrhundert geherrscht
und in Diokletian triumphiert hatte, vor dem Barbarentum der Germanen
völlig zurück. Das Nationalgefühl der Byzantiner aber ist in diesen zwei Jahr¬
hunderten umso reizbarer und empfindlicher geworden, je einheitlicher und
geschlossener die gesamte Kultur sich entwickelt hat. Insbesondere ist hier in diesem
lange dauernden Kampfe gegen den Islam um die staatliche und die religiöse
Eigenart völlige Harmonie zwischen Kirche und Staat erreicht worden, ein
gegenseitiges Durchdringen und Aufgehen beider Gewalten ineinander, wie es in
dieser Vollendung die Welt vorher nicht gesehen hatte. Und was das Kräftever¬
hältnis anbetrifft, so zeigt sich ein entschiedenes Übergewicht des Staates; nicht eine
Theokratie kann man dieses Reich nennen, sondern eher einen Cäsaropapismus.
Der Patriarch herrscht in der Kirche unbedingt, nicht gehindert durch Konzilien,
aber er ist der Hofbischof des Kaisers, der ihn ernennt und absetzt nach Be¬
lieben. Kaisertum und Patriarchat verschmelzen von jetzt ab in der Vorstellung
des byzantinischen Volkes zu einer Einheit, der Gedanke einer Trennung der höchsten
Gewalten entschwindet allmählich dem Bewußtsein des Volkes, es bleibt die
Staatskirche in vollendeter Form. Und als im fünfzehnten Jahrhundert das
Kaisertum vernichtet wird, ist darum die Einheit nicht zerstört. Die russische
Kirche stellt sie uns heute aufs deutlichste dar, und im Jahre 1910 durfte
in einer Volksversammlung vor der Universität Athen ein Mönch unter dem
Beifall der Menge ausrufen: „In Konstantinopel wohnt der wahre
Basileus unserer Nation, der Patriarch."

Eine Union der Kirchen ist somit auch undenkbar, weil die orthodoxe Kirche im
Prinzip von jeher Staatskirche war, Einheit der höchsten politischen und geistlichen
Gewalt voraussetzt, die römische Kirche dagegen universal, rein geistliche Gewalt,
insbesondere seit dem Vatikanum eine rein geistige, religiöse, völlig internationale
Macht geworden ist, die sich prinzipiell kraft ihres göttlichen Ursprungs über
die weltliche stellt.




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[0363] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche fränkischen Königs am Weihnachtsfeste des Jahres 800 ein westliches Imperium Komanum schuf, dem es nicht zu dienen brauchte, sondern das es benutzen konnte, um in seinem Schutze der Verwirklichung seiner geistlichen und kirch¬ lichen Ideen nachzugehen. Im Osten waren unterdessen die stärksten Umwälzungen vor sich gegangen. Im siebenten Jahrhundert bricht das alte Reich zusammen. Die Eroberungen Justinians in Spanien und Afrika werden preisgegeben, in Italien behauptet das Reich nur den Süden und die Küsten. Es folgt der zweihundertjährige Kampf des griechischen Reiches gegen die Araber, die eigentliche weltgeschichtliche Großtat von Byzanz. In diesem ruhmreichen Kampfe gehen alle nicht völlig hellenisierten Teile des Reiches verloren; es bleiben nur Kleinasien und die Balkanhalbinsel übrig samt den Inseln des Meeres, eine völlig einheitliche, homogene Masse, von gleichartiger Nationalität, Sprache und Kultur. Es entsteht ein byzantinisches Reich auf hellenistischer Grundlage. Und gleichzeitig zieht sich der Hellenismus aus Italien, wo er seit dem dritten Jahrhundert geherrscht und in Diokletian triumphiert hatte, vor dem Barbarentum der Germanen völlig zurück. Das Nationalgefühl der Byzantiner aber ist in diesen zwei Jahr¬ hunderten umso reizbarer und empfindlicher geworden, je einheitlicher und geschlossener die gesamte Kultur sich entwickelt hat. Insbesondere ist hier in diesem lange dauernden Kampfe gegen den Islam um die staatliche und die religiöse Eigenart völlige Harmonie zwischen Kirche und Staat erreicht worden, ein gegenseitiges Durchdringen und Aufgehen beider Gewalten ineinander, wie es in dieser Vollendung die Welt vorher nicht gesehen hatte. Und was das Kräftever¬ hältnis anbetrifft, so zeigt sich ein entschiedenes Übergewicht des Staates; nicht eine Theokratie kann man dieses Reich nennen, sondern eher einen Cäsaropapismus. Der Patriarch herrscht in der Kirche unbedingt, nicht gehindert durch Konzilien, aber er ist der Hofbischof des Kaisers, der ihn ernennt und absetzt nach Be¬ lieben. Kaisertum und Patriarchat verschmelzen von jetzt ab in der Vorstellung des byzantinischen Volkes zu einer Einheit, der Gedanke einer Trennung der höchsten Gewalten entschwindet allmählich dem Bewußtsein des Volkes, es bleibt die Staatskirche in vollendeter Form. Und als im fünfzehnten Jahrhundert das Kaisertum vernichtet wird, ist darum die Einheit nicht zerstört. Die russische Kirche stellt sie uns heute aufs deutlichste dar, und im Jahre 1910 durfte in einer Volksversammlung vor der Universität Athen ein Mönch unter dem Beifall der Menge ausrufen: „In Konstantinopel wohnt der wahre Basileus unserer Nation, der Patriarch." Eine Union der Kirchen ist somit auch undenkbar, weil die orthodoxe Kirche im Prinzip von jeher Staatskirche war, Einheit der höchsten politischen und geistlichen Gewalt voraussetzt, die römische Kirche dagegen universal, rein geistliche Gewalt, insbesondere seit dem Vatikanum eine rein geistige, religiöse, völlig internationale Macht geworden ist, die sich prinzipiell kraft ihres göttlichen Ursprungs über die weltliche stellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/363>, abgerufen am 15.01.2025.