Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

die durch einen Kaiserthron und einen Senat ausgezeichnet ist und den gleichen
Vorrang (vor anderen Städten) besitzt wie die ältere kaiserliche Roma, auch in
den kirchlichen Angelegenheiten wie jene erhöht werden solle, da sie nach jener
die zweite Stelle einnehme." Geringere Bedeutung besitzt daneben der Umstand,
daß die Bischöfe von Konstantinopel ebenfalls den Titel eines ökumenischen
Patriarchen angenommen haben, d. h. eines Patriarchen, der als solcher für die
ganze damalige Welt anerkannt werden wollte, eine Würde, die sich noch heute
die Titulatur der Patriarchen von Konstantinopel beilegt, die mit ebensolchen
Rechte auch der Patriarch von Alexandria sich zeitweilig angemaßt und die der
römische Bischof anfangs nicht immer bekämpft, sondern gelegentlich sogar
zugestanden hat.

Wichtiger aber ist ein anderes. Jene Entscheidung des Konzils von Chalkedon
zeigt mit zweifelloser Klarheit, daß der Vorrang der Bischöfe von Rom wie
von Konstantinopel sich nicht auf irgendwelche rein kirchliche oder dogmatische
Überlegenheit stützt, sondern ausschließlich gerechtfertigt und begründet wird
durch die nahe Beziehung zur weltlichen Macht des Kaisertums, das in diesen
Städten seine Residenz besaß. Hier liegt der Schlüssel des Verständnisses auch
für die Entwicklung der Folgezeit. Denn das westliche Kaisertum hört im
fünften Jahrhundert auf, die Einheit des Imperium Komanum wird durch
Justinian noch einmal, zum letzten Mal wiederhergestellt, es herrscht wieder ein
Kaiser im ganzen Reich. Aber dieser Kaiser residiert nicht mehr in Rom,
sondern in Konstantinopel; das römische Reich ist zum byzantinischen geworden.
Im Verhältnis zum Bischof von Rom mußte in dieser Periode das Ansehen des
Patriarchen von Konstantinopel gewaltig wachsen. Allein gleichzeitig nimmt
das Verhältnis zwischen Staat und Kirche eine Wendung, die der Bedeutung
des römischen Bischofs zunächst verhängnisvoll zu werden droht, in Wahrheit
nur förderlich geworden ist. Justinian errichtet die absolute Suprematie der
Staatsgewalt über die Kirche. Schon der erste Bischof von Konstantinopel, der
nach Konstantin den Versuch gemacht hatte, den Gedanken vom Reiche Gottes
aus Erden in die Praxis des Lebens umzusetzen, der große Johannes Chry-
sostomos, war daran gescheitert und in der Verbannung gestorben. Jetzt erklärte
das Konzil von 536: ohne den Willen und Befehl des Kaisers darf überhaupt
nichts in der Kirche geschehen; und es beugten sich der Papst Vigilius ebenso
wie der byzantinische Patriarch vor der Kaisergewalt.

In Konstantinopel, im östlichen Reiche, ist das Verhältnis nie ein anderes
geworden. Aber in der westlichen Hälfte des alten römischen Reiches konnte
sich das Kaisertum nach Justinian nicht mehr behaupten. Hier wurde das
höchste Bistum der Kirche frei, hier trat es allmählich in die Befugnisse der
erlöschenden kaiserlichen Gewalt ein. So entwickelte sich sein Primat im Gegensatz
nicht nur zum Patriarchen und zur griechischen Kirche, sondern auch im Gegensatz
zur byzantinischen Staatsgewalt und zur byzantinischen Nation. Endlich löste
sich das Papsttum vom Osten völlig los, indem es mit der Krönung des


Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

die durch einen Kaiserthron und einen Senat ausgezeichnet ist und den gleichen
Vorrang (vor anderen Städten) besitzt wie die ältere kaiserliche Roma, auch in
den kirchlichen Angelegenheiten wie jene erhöht werden solle, da sie nach jener
die zweite Stelle einnehme." Geringere Bedeutung besitzt daneben der Umstand,
daß die Bischöfe von Konstantinopel ebenfalls den Titel eines ökumenischen
Patriarchen angenommen haben, d. h. eines Patriarchen, der als solcher für die
ganze damalige Welt anerkannt werden wollte, eine Würde, die sich noch heute
die Titulatur der Patriarchen von Konstantinopel beilegt, die mit ebensolchen
Rechte auch der Patriarch von Alexandria sich zeitweilig angemaßt und die der
römische Bischof anfangs nicht immer bekämpft, sondern gelegentlich sogar
zugestanden hat.

Wichtiger aber ist ein anderes. Jene Entscheidung des Konzils von Chalkedon
zeigt mit zweifelloser Klarheit, daß der Vorrang der Bischöfe von Rom wie
von Konstantinopel sich nicht auf irgendwelche rein kirchliche oder dogmatische
Überlegenheit stützt, sondern ausschließlich gerechtfertigt und begründet wird
durch die nahe Beziehung zur weltlichen Macht des Kaisertums, das in diesen
Städten seine Residenz besaß. Hier liegt der Schlüssel des Verständnisses auch
für die Entwicklung der Folgezeit. Denn das westliche Kaisertum hört im
fünften Jahrhundert auf, die Einheit des Imperium Komanum wird durch
Justinian noch einmal, zum letzten Mal wiederhergestellt, es herrscht wieder ein
Kaiser im ganzen Reich. Aber dieser Kaiser residiert nicht mehr in Rom,
sondern in Konstantinopel; das römische Reich ist zum byzantinischen geworden.
Im Verhältnis zum Bischof von Rom mußte in dieser Periode das Ansehen des
Patriarchen von Konstantinopel gewaltig wachsen. Allein gleichzeitig nimmt
das Verhältnis zwischen Staat und Kirche eine Wendung, die der Bedeutung
des römischen Bischofs zunächst verhängnisvoll zu werden droht, in Wahrheit
nur förderlich geworden ist. Justinian errichtet die absolute Suprematie der
Staatsgewalt über die Kirche. Schon der erste Bischof von Konstantinopel, der
nach Konstantin den Versuch gemacht hatte, den Gedanken vom Reiche Gottes
aus Erden in die Praxis des Lebens umzusetzen, der große Johannes Chry-
sostomos, war daran gescheitert und in der Verbannung gestorben. Jetzt erklärte
das Konzil von 536: ohne den Willen und Befehl des Kaisers darf überhaupt
nichts in der Kirche geschehen; und es beugten sich der Papst Vigilius ebenso
wie der byzantinische Patriarch vor der Kaisergewalt.

In Konstantinopel, im östlichen Reiche, ist das Verhältnis nie ein anderes
geworden. Aber in der westlichen Hälfte des alten römischen Reiches konnte
sich das Kaisertum nach Justinian nicht mehr behaupten. Hier wurde das
höchste Bistum der Kirche frei, hier trat es allmählich in die Befugnisse der
erlöschenden kaiserlichen Gewalt ein. So entwickelte sich sein Primat im Gegensatz
nicht nur zum Patriarchen und zur griechischen Kirche, sondern auch im Gegensatz
zur byzantinischen Staatsgewalt und zur byzantinischen Nation. Endlich löste
sich das Papsttum vom Osten völlig los, indem es mit der Krönung des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322764"/>
          <fw type="header" place="top"> Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1742" prev="#ID_1741"> die durch einen Kaiserthron und einen Senat ausgezeichnet ist und den gleichen<lb/>
Vorrang (vor anderen Städten) besitzt wie die ältere kaiserliche Roma, auch in<lb/>
den kirchlichen Angelegenheiten wie jene erhöht werden solle, da sie nach jener<lb/>
die zweite Stelle einnehme." Geringere Bedeutung besitzt daneben der Umstand,<lb/>
daß die Bischöfe von Konstantinopel ebenfalls den Titel eines ökumenischen<lb/>
Patriarchen angenommen haben, d. h. eines Patriarchen, der als solcher für die<lb/>
ganze damalige Welt anerkannt werden wollte, eine Würde, die sich noch heute<lb/>
die Titulatur der Patriarchen von Konstantinopel beilegt, die mit ebensolchen<lb/>
Rechte auch der Patriarch von Alexandria sich zeitweilig angemaßt und die der<lb/>
römische Bischof anfangs nicht immer bekämpft, sondern gelegentlich sogar<lb/>
zugestanden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1743"> Wichtiger aber ist ein anderes. Jene Entscheidung des Konzils von Chalkedon<lb/>
zeigt mit zweifelloser Klarheit, daß der Vorrang der Bischöfe von Rom wie<lb/>
von Konstantinopel sich nicht auf irgendwelche rein kirchliche oder dogmatische<lb/>
Überlegenheit stützt, sondern ausschließlich gerechtfertigt und begründet wird<lb/>
durch die nahe Beziehung zur weltlichen Macht des Kaisertums, das in diesen<lb/>
Städten seine Residenz besaß. Hier liegt der Schlüssel des Verständnisses auch<lb/>
für die Entwicklung der Folgezeit. Denn das westliche Kaisertum hört im<lb/>
fünften Jahrhundert auf, die Einheit des Imperium Komanum wird durch<lb/>
Justinian noch einmal, zum letzten Mal wiederhergestellt, es herrscht wieder ein<lb/>
Kaiser im ganzen Reich. Aber dieser Kaiser residiert nicht mehr in Rom,<lb/>
sondern in Konstantinopel; das römische Reich ist zum byzantinischen geworden.<lb/>
Im Verhältnis zum Bischof von Rom mußte in dieser Periode das Ansehen des<lb/>
Patriarchen von Konstantinopel gewaltig wachsen. Allein gleichzeitig nimmt<lb/>
das Verhältnis zwischen Staat und Kirche eine Wendung, die der Bedeutung<lb/>
des römischen Bischofs zunächst verhängnisvoll zu werden droht, in Wahrheit<lb/>
nur förderlich geworden ist. Justinian errichtet die absolute Suprematie der<lb/>
Staatsgewalt über die Kirche. Schon der erste Bischof von Konstantinopel, der<lb/>
nach Konstantin den Versuch gemacht hatte, den Gedanken vom Reiche Gottes<lb/>
aus Erden in die Praxis des Lebens umzusetzen, der große Johannes Chry-<lb/>
sostomos, war daran gescheitert und in der Verbannung gestorben. Jetzt erklärte<lb/>
das Konzil von 536: ohne den Willen und Befehl des Kaisers darf überhaupt<lb/>
nichts in der Kirche geschehen; und es beugten sich der Papst Vigilius ebenso<lb/>
wie der byzantinische Patriarch vor der Kaisergewalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1744" next="#ID_1745"> In Konstantinopel, im östlichen Reiche, ist das Verhältnis nie ein anderes<lb/>
geworden. Aber in der westlichen Hälfte des alten römischen Reiches konnte<lb/>
sich das Kaisertum nach Justinian nicht mehr behaupten. Hier wurde das<lb/>
höchste Bistum der Kirche frei, hier trat es allmählich in die Befugnisse der<lb/>
erlöschenden kaiserlichen Gewalt ein. So entwickelte sich sein Primat im Gegensatz<lb/>
nicht nur zum Patriarchen und zur griechischen Kirche, sondern auch im Gegensatz<lb/>
zur byzantinischen Staatsgewalt und zur byzantinischen Nation. Endlich löste<lb/>
sich das Papsttum vom Osten völlig los, indem es mit der Krönung des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche die durch einen Kaiserthron und einen Senat ausgezeichnet ist und den gleichen Vorrang (vor anderen Städten) besitzt wie die ältere kaiserliche Roma, auch in den kirchlichen Angelegenheiten wie jene erhöht werden solle, da sie nach jener die zweite Stelle einnehme." Geringere Bedeutung besitzt daneben der Umstand, daß die Bischöfe von Konstantinopel ebenfalls den Titel eines ökumenischen Patriarchen angenommen haben, d. h. eines Patriarchen, der als solcher für die ganze damalige Welt anerkannt werden wollte, eine Würde, die sich noch heute die Titulatur der Patriarchen von Konstantinopel beilegt, die mit ebensolchen Rechte auch der Patriarch von Alexandria sich zeitweilig angemaßt und die der römische Bischof anfangs nicht immer bekämpft, sondern gelegentlich sogar zugestanden hat. Wichtiger aber ist ein anderes. Jene Entscheidung des Konzils von Chalkedon zeigt mit zweifelloser Klarheit, daß der Vorrang der Bischöfe von Rom wie von Konstantinopel sich nicht auf irgendwelche rein kirchliche oder dogmatische Überlegenheit stützt, sondern ausschließlich gerechtfertigt und begründet wird durch die nahe Beziehung zur weltlichen Macht des Kaisertums, das in diesen Städten seine Residenz besaß. Hier liegt der Schlüssel des Verständnisses auch für die Entwicklung der Folgezeit. Denn das westliche Kaisertum hört im fünften Jahrhundert auf, die Einheit des Imperium Komanum wird durch Justinian noch einmal, zum letzten Mal wiederhergestellt, es herrscht wieder ein Kaiser im ganzen Reich. Aber dieser Kaiser residiert nicht mehr in Rom, sondern in Konstantinopel; das römische Reich ist zum byzantinischen geworden. Im Verhältnis zum Bischof von Rom mußte in dieser Periode das Ansehen des Patriarchen von Konstantinopel gewaltig wachsen. Allein gleichzeitig nimmt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche eine Wendung, die der Bedeutung des römischen Bischofs zunächst verhängnisvoll zu werden droht, in Wahrheit nur förderlich geworden ist. Justinian errichtet die absolute Suprematie der Staatsgewalt über die Kirche. Schon der erste Bischof von Konstantinopel, der nach Konstantin den Versuch gemacht hatte, den Gedanken vom Reiche Gottes aus Erden in die Praxis des Lebens umzusetzen, der große Johannes Chry- sostomos, war daran gescheitert und in der Verbannung gestorben. Jetzt erklärte das Konzil von 536: ohne den Willen und Befehl des Kaisers darf überhaupt nichts in der Kirche geschehen; und es beugten sich der Papst Vigilius ebenso wie der byzantinische Patriarch vor der Kaisergewalt. In Konstantinopel, im östlichen Reiche, ist das Verhältnis nie ein anderes geworden. Aber in der westlichen Hälfte des alten römischen Reiches konnte sich das Kaisertum nach Justinian nicht mehr behaupten. Hier wurde das höchste Bistum der Kirche frei, hier trat es allmählich in die Befugnisse der erlöschenden kaiserlichen Gewalt ein. So entwickelte sich sein Primat im Gegensatz nicht nur zum Patriarchen und zur griechischen Kirche, sondern auch im Gegensatz zur byzantinischen Staatsgewalt und zur byzantinischen Nation. Endlich löste sich das Papsttum vom Osten völlig los, indem es mit der Krönung des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/362>, abgerufen am 15.01.2025.